Wie jede gute wissenschaftliche Theorie besteht die Theorie der Plattentektonik aus einer Reihe unabhängiger Beobachtungen, die zusammen ein stimmiges Ganzes ergeben.
Teil 5: Die Hinweise mehren sich
Diese sind Kontinentaldrift, Mantelkonvektion, Subduktion und Ozeanbodenspreizung. Jede dieser Komponenten musste bewiesen werden, ehe die Theorie akzeptiert werden konnte. Und die größten Entwicklungen in dieser Hinsicht geschahen in dem kurzen Zeitraum von 1949 bis 1960.
Zum Ersten
Den Nachweis, dass es sich bei Tiefseegräben nicht nur um Einwölbungen der Lithosphäre, sondern Verschluckungszonen im Sinne Ampferers handelt, erbrachte der amerikanische Seismologe Hugo Benioff (1899-1968) im Jahr 1949. Er hatte Erdbeben entlang der südamerikanischen Pazifikküste untersucht und festgestellt, dass die Ursprungszentren eine breite, abfallende Ebene bildeten, die an den Tiefseegräben begann und sich von dort unter die Anden und darüber hinaus fortsetzte, bis in eine Tiefe von etwa 650 km. Der Gedanke, dass die ozeanische Lithosphäre dort in den Mantel abtauchte, war zwingend. (Ähnliche Erdbebenzonen für Japan waren durch den Seismologen Kiyoo Wadati (1902-1995) bereits in den dreißiger Jahren beschrieben worden, was zu ihrer heutigen Bezeichnung als Wadati‑Benioff‑Zonen führt. Wadati scheint damals allerdings keine Theorie der Subduktion entwickelt zu haben.)
Erdbeben mit Magnitude > 5.5 in den Jahren 1907-1948 entlang der südamerikanischen Küste. In Tiefenprofilen offenbart sich, dass die Beben entlang einer begrenzten Fläche lokalisiert sind – der Subduktionszone. Quelle: Benioff (1949)
Zum Zweiten
Während die meisten Tiefseegräben bereits im neunzehnten Jahrhundert durch simples Ausloten der Meere entdeckt worden waren, blieb die Natur der mittelozeanischen Rücken sehr viel länger verborgen. Bis Mitte der 1920er Jahre kannte man bloß den atlantischen Rücken, und erst frühe Echolotmessungen während dieser Zeit – besonders die der Forschungsschiffe Stewart (USA 1921) und Meteor (D 1925-1927) – enthüllten das wahre Ausmaß dieses Gebirgszuges. Im Verlauf der zwanziger und dreißiger Jahre wurden dann weitere Rücken entdeckt, z.B. im Indischen Ozean. Aber dass es sich um ein weltumspannendes Netz handelte, wurde nicht vor 1953 klar.
1952 hatten Marie Tharp (1920-2006) und Bruce Heezen (1924-1977) vom Lamont Institute der Columbia University ein Projekt gestartet, dessen Ziel die Erstellung einer globalen Karte der Meeresböden war. Sie begannen mit dem Atlantik, wobei sie Echolotmessungen des Forschungsschiffes Atlantis (USA 1946-1952) auswerteten. Tharp bemerkte, während sie an der Karte arbeitete, eine Spalte in der Mitte des Rückens, einen Cañon, den sie für einen Grabenbruch hielt. Sie teilte diese Meinung Heezen mit, der eine bezeichnende Antwort gab: "Das kann nicht sein. Es sieht zu sehr wie Kontinentaldrift aus."
Heezen blieb skeptisch, bis er ein Jahr später seismologische Daten sah, die zeigten, dass der Graben Ursprungsort einer großen Zahl von Erdbeben war. Es musste sich um eine tektonisch aktive Struktur handeln. Mehr noch, die seismischen Zonen setzten sich jenseits des bekannten Rückensegments fort und erstreckten sich um die ganze Erde herum. Echolotfahrten in den folgenden Jahren enthüllten, dass weitere Rücken auf diesen Linien lagen, worauf Heezen 1956 die Ergebnisse präsentierte. Ausgedehnte Erkundungsfahrten der Meere im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres 1957/1958 bestätigten die Vorhersage: Die Existenz eines untermeerischen Gebirges von 65.000 km Länge, das die Erde umschließt wie die Nähte eines Baseballs.
Heezen stellte 1960 die Theorie auf, dass die mittelozeanischen Rücken Spreizzonen darstellen, an denen beständig neuer Ozeanboden gebildet wird. Das geschah zwar nach Ampferer und Vening-Meinesz, war aber vermutlich das erste Mal, dass die Idee in größeren Kreisen rezipiert wurde, und anders als diese besaß er substanzielle Beweise. Doch er interpretierte sie mit der Expansionstheorie.
Zum Dritten
Ein Beleg für die Mantelkonvektion wurde 1956 durch den englischen Geophysiker Edward Bullard (1902-1980) und seine Kollegen Arthur E. Maxwell (lebend, kein Geburtsdatum gefunden) und Roger Revelle (1909-1991) vom Scripps Institut in Kalifornien gefunden. Maxwell und Revelle hatten Messungen des thermischen Gradienten im Pazifikboden durchgeführt, und zu ihrer Überraschung Werte gefunden, die denen der Kontinente ähnelten. Kontinentale Kruste besitzt einen hohen Anteil radioaktiver Elemente, die viel Wärme erzeugen. Doch der Ozeanboden besteht aus Basalt, der gewöhnlich arm an solchen Elementen ist. Nahm man eine durchschnittliche Krustendicke mit durchschnittlichem Gehalt an radioaktiven Elementen an, dazu die Wärmeabstrahlung eines stagnierenden Erdmantels, erklärte das nur etwa 35% der gemessenen Wärmemenge – es musste eine Konvektionsbewegung geben, die dem Ozeanboden von unten Wärme zuführt (nach heutiger Kenntnis handelt es sich einfach um die Restwärme der Lithosphäre, die, wie bereits im letzten Teil erwähnt, ein Teil der Konvektion ist).
Drei Jahre später veröffentlichte der Geophysiker Richard von Herzen (geb. 1931), ebenfalls am Scripps Institut tätig, eine Studie zu dem selben Thema, in der er von einem besonders hohen Wärmefluss unterhalb des ostpazifischen Rückens berichtete. Wie seine Kollegen in ihrer früheren Studie schlug von Herzen vor, dass es sich bei dem Rücken um das Aufstiegsgebiet einer Konvektionszelle handeln könnte.
Die Interpretation in beiden Studien beruhte zwar auf geringen Datenmengen und Indizienschlüssen, denen sich viele Forscher nicht anschlossen, aber die Hypothese der Konvektionsströme wurde durch sie salonfähig.
Zum Vierten
Schließlich wurde auch ein direkter Beweis dafür erbracht, dass die Kontinente sich tatsächlich bewegt hatten.
Seit Anfang des Jahrhunderts war bekannt, dass bestimmte Gesteine die Lage des Magnetfelds zu ihrer Entstehungszeit archivieren. Kühlt z.B. ein magmatisches Gestein unter eine gewisse, für jede Gesteinsart unterschiedliche Temperatur ab – die sogenannte CurieTemperatur – frieren darin vorhandene magnetisierbare Mineralien, die sich zuvor frei nach dem Erdmagnetfeld ausrichten konnten, auf ihren Positionen ein. Ebenso können sich Partikel in einer Wassersäule ausrichten, während sie sedimentieren, und bei ihrer Verfestigung das zu der Zeit herrschende Magnetfeld abbilden. Diese sogenannten paläomagnetischen Information können nun dazu verwendet werden, die Lage des Nord- und Südpols zum Zeitpunkt der Gesteinsentstehung zu rekonstruieren.
Dies ist möglich, weil die magnetischen Pole, trotz einiger Abweichung, immer relativ nah an den geographischen liegen. Lässt sich noch das genaue Alter des Gesteins bestimmen (wie es seit Entwicklung radioaktiver Uhren der Fall war), weiß man, wo die Magnetpole und damit mehr oder weniger die geographischen Pole zu jener Zeit gelegen haben.
Träfen die fixistischen Modelle zu – seien es die der Kontraktions- oder Permanenztheorie – wäre zu erwarten, dass Gesteine desselben Alters, aber von verschiedenen Kontinenten die Pole an derselben Stelle zeigen. Das tun sie aber nicht. Die ermittelten Positionen stimmen nicht überein. Es ist ein eindeutiger Beleg, dass sich die Kontinente relativ zueinander bewegt haben. (Eine Drehung von Kontinenten zueinander, wie die von Europa und Nordamerika, wäre auch mit der Expansionstheorie vereinbar, doch große Wanderungen relativ zu anderen Kontinenten nicht, wie etwa Indien sie zeigt.)
Ebenso lässt sich aus paläomagnetischen Daten, zu einem gewissen Grad, die geographische Position des Gesteins zum Zeitpunkt seiner Entstehung ermitteln: Weil die magnetischen Feldlinien je nach Breitengrad unterschiedlich geneigt sind – am magnetischen Äquator stehen sie parallel zur Erdoberfläche, an den magnetischen Polen senkrecht – gewinnt man Auskunft über den Breitengrad (aber leider nicht den Längengrad).
Wären die Kontinente ortsfest, sollten im Laufe der Erdgeschichte die Breitengrade von verschiedenen Erdregionen relativ zueinander gleich geblieben sein. Auch das ist aber nicht der Fall:
Polwanderungen im Verlauf der Erdgeschichte. Dicke Linie: Beobachtung an nordamerikanischen Gesteinen. Dünne Linie: Beobachtung an NW-europäischen Gesteinen. Quelle: Irving (1959)
1: Heutige Position, seit oberem Tertiär (ca. 23 – 0 Mio. Jahre v. Heute)
2: Kreidezeit (ca. 145 – 66 Mio. Jahre v. Heute)
3: Trias (ca. 252 – 201 Mio. Jahre v. Heute)
4: Perm (ca. 299 – 252 Mio. Jahre v. Heute)
5: Karbon (ca. 359 – 299 Mio. Jahre v. Heute)
6: Silur (ca. 443 – 419 Mio. Jahre v. Heute)
7: Kambrium (ca. 541 – 485 Mio. Jahre v. Heute)
8: Beobachtung an tasmanischen Gesteinen, vermutlich Jura (ca. 201 – 145 Mio. Jahre v. Heute)
9: Beobachtung an indischen Gesteinen, Kreide – Eozän (zwischen ca. 145 und 34 Mio. Jahre v. Heute)
Die magnetischen Analysen zeigen zwar, dass – wie Wegener und andere richtig vermuteten – Wanderungen der geographischen Pole stattgefunden haben: Im Verlauf der letzten 1.2 Milliarden Jahre ist der Nordpol vom Gebiet der heutigen USA über den Pazifik, die Phillipinen und Ostsibirien an seine heutige Position gewandert, auf einem Kreisbogen, dessen Mittelpunkt ungefähr auf halbem Weg zwischen Hawaii und den Aleuten liegt (die geographischen Begriffe dienen allein zur Veranschaulichung. Die genannten Gebiete lagen einen Großteil der Zeit entweder an anderer Stelle oder existierten gar nicht).
Auch wenn die Kontinente immer an derselben Stelle gelegen hätten, hätte der geographische bzw. magnetische Nordpol vor gut einer Milliarde Jahren bei Hawaii und der Südpol in Südafrika gelegen. Messungen würden dann natürlich für jede Region der Welt eine andere Breite als heute ergeben. Berücksichtigt man die Polwanderung, ergibt sich aber, dass die Kontinente auch relativ zueinander nicht auf derselben Breite geblieben sind.
Paläomagnetische Beweise für die Kontinentalbewegung wurden in einer Reihe von Publikationen ab Mitte der fünfziger Jahre veröffentlicht. Die größte Tragweite hatten wohl die Arbeiten von Keith Runcorn (1922-1995) und Edward A. Irving (geb. 1927). Beide legten ihre ersten Artikel zu diesem Thema unabhängig voneinander im Jahr 1956 vor.
Die Einzelteile lagen ausgebreitet da, und es brauchte nur noch jemand kommen, der sie zusammensetzte. Dieser Jemand war Harry Hammond Hess, Vorsitzender der geologischen Fakultät der Princeton University.
(Fortgesetzt in Teil 6: Der Unbekannte)
Literatur:
Benioff, H. (1949): Seismic evidence for the fault origin of oceanic deeps. Bull. Geol. Soc. Am., Vol. 60, 1837‑1856.
Blacket, P. M. S. & Bullard, E. & Runcorn, S. K., eds. (1965). A Symposium on Continental Drift. Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Series A, Mathematical and Physical Sciences, Vol. 258, No. 1088. 323 Seiten.
Irving, E. (1956). Palaeomagnetic and palaeoclimatological aspects of polar wandering. Pure & applied geophysics, Vol. 33, Issue 1, 23‑41.
Runcorn, S. K. (1956): Paleomagnetic comparisons between Europe and North America. Proceedings, Geological Association of Canada, Vol. 8, 77‑85.
Sullivan, W. (1974): Continents in Motion. McGraw-Hill, New York. 399 Seiten.
Suzuki, Y. (2001): Kiyoo Wadati and the path to the discovery of the intermediate-deep earthquake zone. Episodes, Vol. 24, No. 2, 118‑123.
Tharp, M. (2006): Marie Tharp Biography. Woods Hole Oceanographic Institution. http://www.whoi.edu/sbl/ liteSite.do?litesiteid=9092&articleId=13407
Theberge, A. (2008): Thirty Years of Discovering the Mariana Trench. Hydro International, Vol. 12, No. 8.
Von Herzen, R. P. (1959): Heat-Flow Values from the South-Eastern Pacific. Nature, Vol. 183, p. 882-883.
Erwähnte, nicht direkt zitierte Literatur:
Bullard, E. C. & Maxwell, A. E. & Revelle, R. (1956): Heat flow through the deep sea floor. Advances in Geophysics, Vol. 3, 153-181
Heezen, B. (1960): The rift in the ocean floor. Scientific American, Vol. 203, 98‑110.
Wadati, K. (1935): On the activity of deep-focus earthquakes in the Japan islands and neighbourhoods. Geophysical Magazine, Vol. 8, 305-325.
Flickr-Link für Bilder: http://www.flickr.com/photos/113231223@N05/
Kommentare
Vielen Dank! Das ist für mich auch eine Freude.
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Wunderbarer Artikel! Wie immer freue ich mich auf den nächsten Teil.
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