Eine Hexenjagd in Nordghana

Ein Erfahrungsbericht aus dem Jahr 2017

Eine Hexenjagd in Nordghana

Foto: hexenjagden.de

Es ist Mai und die Regenzeit setzt in der Tongo-Region im äußersten Norden Ghanas ein. Zwischen den Feldern liegen regelmäßigem Abstand kleine Familiensiedlungen, die unter der Ortsbezeichnung „Dusi“ zusammengefasst wurden. Hierher kommt gerade ein junger Mann nach langer Zeit zu seinen Eltern zurück. In Accra hat er das Predigen gelernt, hat sich einen neuen Namen zugelegt, und will nun als Pastor Akwesi Ali Baba eine kleine Kirche in seinem Heimatort aufmachen. Beliebt ist er nicht, mit Hetzreden gegen ältere Menschen und angebliche Hexen hat er sich rasch Feinde gemacht, aber auch einige wenige Anhänger gewonnen. Dann fordert er eine Frau aus der Nachbarschaft auf, mit ihm zum Chief zu gehen. Ihr Großvater rät ihr noch eindringlich, zu Hause zu bleiben: Der Pastor habe ihn nicht gegrüßt und zeige keinen Respekt, also müsse man auch ihm gegenüber ebenfalls keinen Respekt zeigen. Aus Höflichkeit geht sie mit. Der Pastor und seine Gruppe führen sie zu ihrem blinden Schwiegervater. Dort erfährt sie den Vorwurf: Sie habe ihn mit ihrer Hexerei erblinden lassen. Außerdem soll sie einen Jungen verhext haben. Der Schwiegervater schüttelt entsetzt den Kopf: Davon weiß er nichts! Darauf hat der Hexenjäger eine routinierte Antwort: Das belegt, dass der Blinde ein Komplize der Hexe ist!

Die Truppe des Pastors greift zur Folter: Schläge, Aufforderungen zum Geständnis, heftigere Schläge, schließlich Steine und Stöcke, offene Wunden, bis hin zu gebrochenen Knochen. Der angeblich verhexte Junge schreit auf: er sei doch ganz gesund, man solle doch aufhören, die beiden zu quälen! Weil sie nicht gesteht, zerrt man die Frau zum Chief. Dem behagt es gar nicht, dass man ohne sein Wissen auf Hexenjagd geht. Er verfügt, dass die Angeklagte nicht mehr geschlagen werden darf. Aber sie müsse nach Gambaga, zum Ordal des Chiefs von Gambaga. Dort werde man die Wahrheit schon herausfinden. Die verletzte Frau wird in ein Taxi nach Bolgatanga gestopft. Dort wartet sie in der sengenden Sonne auf einen Kleinbus nach Gambaga. Sie hat elenden Hunger und mindestens vier Stunden Fahrt liegen noch vor ihr. Die anderen Passagiere starren die verwundete Frau an, alle wissen, warum Frauen in ihrem Zustand nach Gambaga fahren. Jedes Schlagloch reißt an ihren offenen Wunden. In Gambaga bricht sie zusammen, wird sofort ins Krankenhaus gebracht. Andere informieren bereits den Gambarrana, Chief und Erdpriester. Er lässt sich ein Huhn für das Ritual bringen. Er schlachtet es, wirft es von sich. Das Huhn zappelt, verendet. Stirbt es auf dem Bauch, verteidigt die göttliche Kraft an diesem Ort die Angeklagte. Wie genau es gestorben ist, weiß diesmal nur der Chief. Für die Angeklagte ist es gleich, sie muss ohnehin erst einmal unter seiner Obhut bleiben. Ihr Schicksal teilt sie mit mehr als 80 anderen Frauen, die hier ein prekäres Asyl gefunden haben. In Gambaga verkaufen sie Brennholz, helfen den Bewohnern der Stadt auf den Feldern und bei Lehmputzarbeiten, um sich zu versorgen. Angst hat man nicht vor ihnen: Die geweihte Erde um den Schrein des Gambarana könne die Kraft der Hexen neutralisieren, solange sie nur in der Nähe wohnen. Zu Hause müssten sie hingegen neue Anklagen und einen Überfall beim Holzsammeln im Busch befürchten. Genau das passiert dem blinden Schwiegervater der Geflohenen. Er wurde nach der Folter schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Als er nach Wochen entlassen wird und zu seinem Haus zurückkehrt, erfährt die Gang des Pastors davon. Einen Tag später lauern sie ihm auf, töten ihn. Eine Warnung an Gegner vor Ort und an die Angeklagte. Sie soll nie wieder zurückkehren.

Ermutigt von seinem erfolgreichen Schlag zieht der Prediger nach Gare, ein Nachbardorf. Der Chief erinnert sich an den Mann: Er bat ganz harmlos, in seiner Gemeinde predigen zu dürfen. Nur eine kleine Kirche gibt es vor Ort, dafür viele Anhänger traditioneller Religion und viele Muslime. Potential also, eine eigene Gemeinde aus Konvertiten um sich zu sammeln. Eine gute Predigt muss Emotionen wecken, das hat der Pastor in Accra gelernt. Und nichts putscht so sehr auf, wie die Vorstellung von Nachbarn und Verwandten, die hinter der freundlichen Fassade heimtückische Hexen seien.

Drei Frauen klagt er an, ausgerechnet die Anführerinnen einer Frauengruppe, die das Einkommen im Dorf verbessern wollen. Sie hätten einen Mann verhext, der schwer krank wurde und gestorben sei! Die Frauen können ihren Ohren nicht glauben: Dieser Unbekannte kommt einfach her und beschuldigt sie schlimmster Verbrechen! Der Chief soll vermitteln. Er will modern sein, denkt auch über die schlechten Seiten der Tradition nach, hat sich zur Sicherheit christlich taufen lassen. Eigentlich gefallen ihm diese Anklagen überhaupt nicht. Ein Konflikt sei das meist, den man doch bitte unter sich klären solle. Nachdem er mehrfach einige Ankläger weggeschickt hat, kursieren jetzt Gerüchte über ihn: Er selbst sei womöglich in einen Hexenzirkel involviert. Chiefs sollen ihre Hexenkraft nutzen, um Feinde abzuwehren. Sie werden selten der bösartigen Hexerei angeklagt, immun sind sie aber nicht dagegen. Also wird ihm die Sache zu heikel. Der mächtige Chief in Gambaga soll wieder entscheiden, aber es sei heute ja schon arg spät: Die angeklagten Frauen sollen bei ihm übernachten. Diesen Schutz gewährten Chiefs seit Urzeiten den entlaufenen Sklaven, Kriegsflüchtlingen und Hexenjagdopfern. Am nächsten Tag stehen zwei angemietete Busse im Dorf. Der Priester, einige Schaulustige und Verwandte wollen mit nach Gambaga. Man hetzt die Angeklagten, lässt sie nicht einmal nach Hause, um Geld, Kleider oder Essen einzupacken.

Das zweite Huhn kann sich nicht entscheiden

In Gambaga angelangt, ordert der Gambarana mürrisch einige Hühner. Er kann junge Eiferer nicht leiden, das Christentum ist ihm ohnehin suspekt. Aber um sein Amt kommt er nicht herum. Das erste Huhn spricht die erste Angeklagte schuldig, es stirbt auf dem Bauch. Das zweite Huhn kann sich nicht entscheiden, der Gambarana enthält sich eines Urteils. Weil die dritte der Angeklagten aus einer Familie stammt, aus der schon öfter Frauen nach Gambaga geschickt wurden, wird sie ohne Ordal für schuldig befunden. Also müssen alle bleiben. Die Verwandten ermahnt man, die 75 Euro für das Ritual aufzubringen, das man für die spirituelle Exorzierung der Frauen benötige. Aber welcher ghanaische Bauer trägt schon 75 Euro mit sich herum. Exorzismus hin oder her, man wird einmal Angeklagten ohnehin nicht mehr trauen. Nun sind sie in Gambaga, in einer heruntergekommenen Lehmhütte, mit nichts als einem Stück Stoff um den Leib.

Stephen Schrezenmeier, ein deutscher Ethnologiestudent forscht vor Ort über Hexenjagden und erfährt von dem Prozess. Er berät sich mit Ruth, der Vertreterin einer NGO, die sich mit viel Herz und wenig Mitteln um die Opfer kümmert. Sie fahren zusammen nach Gare, stellen den Kontakt zu den Angehörigen der Frauen her und sprechen bei den Chiefs vor. Die raten von einer Rückkehr ab. Es werde noch viel gemunkelt über die Frauen, man könne nie wissen. Das Stigma ist in die Welt gesetzt. Die Angehörigen haben auch Angst, Solidarität zu zeigen. Schließlich gilt die Hexenkraft als erblich, es heißt, die Mutter bringe der Tochter oder der Vater dem Sohn das Hexen bei – niemand will also etwas riskieren. Stephen und Ruth können vorerst nichts ausrichten, ermahnen aber die Verwandten, Hab und Gut der Geflüchteten zu schützen.

Dem Pastor geht unterdessen das Geld aus, das er bei seiner letzten Schlacht eingesammelt hat. Mit dem Aufbau einer existenzfähigen Gemeinde klappt es nicht so recht. Da hört er interessante Neuigkeiten: In Gare sei ein Arbeiter in einen der Goldgräberschächte gestürzt und liege schwer verletzt im Krankenhaus. Er eilt zum Hof des Verunglückten, wiegelt die Familie auf. Rasch sind wieder zwei Frauen aus der Nachbarschaft als Übeltäterinnen ausgemacht. Sie sollen diesmal zu einem anderen Schrein im Norden, nach Yelewongo an der Grenze zu Burkina Faso. Dort spricht sie ein Ritual schuldig, aber weil die Angeklagten nicht genug Geld mitgebracht haben, können sie nicht exorziert werden. Also werden sie zurückgeschickt in ihr Dorf. Die Familie des verunglückten Goldgräbers ist wütend, droht ihnen mit Lynchmord, wenn sie in ihre Häuser zurückkehren. Der Chief schreitet wieder ein, nimmt die Angeklagten vorübergehend auf. Wieder geht das Gerede über den hexenfreundlichen Chief los. Er ruft Ruth und Stephen an, die sofort aufbrechen. Man einigt sich darauf, die beiden zur Sicherheit mit nach Gambaga zu nehmen. Sie würden dort aufgenommen werden, auch wenn sie zuerst einen anderen Schrein konsultiert hätten.

Nun endlich regt sich Widerstand gegen den Pastor. Irgendjemand hat gehört, dass solche Anklagen illegal seien. Auch der Lynchmord am blinden Schwiegervater hat für Unmut gesorgt. Zum ersten Mal ist Polizei im Ort und stellt Fragen. Niemand sagt etwas, aber dem Pastor wird der Boden zu heiß. Er taucht unter. Vielleicht ist er ins nahe Burkina Faso gezogen, wo er ähnliche Bedingungen hat, oder zurück nach Accra. Die Polizei kehrt rasch wieder ihrem gemächlichen Alltag unter der drückenden Sonne zurück.

Erst Wochen später wird der Prediger in Palongo durch Bekannte eines Opfers erkannt und die Polizei informiert. Er und vier Mittäter werden in Untersuchungshaft genommen. Aber im Verfahren schiebt er die Schuld auf seine Anhänger. Sie haben gefoltert, er hat nur Fragen gestellt. Am Ende wird er auf freien Fuß gesetzt, dem Vernehmen nach hat ein hoher Politiker für ihn interveniert.

Sechs Frauen haben alles verloren, ein alter blinder Mann ist ermordet worden. Das ist das Resultat der Melange aus traditionellem Schreinwesen und modernen charismatischen Kirchen im ghanaischen Hinterland. Die charismatischen Kirchen nutzen systematisch Elemente der traditionellen Vorstellungen, konkurrieren aber mit den Schreinen, die sie eigentlich ausrotten wollen. Im Süden Ghanas nehmen Pastoren ihre Exorzismen meist auf der Bühne vor, wer gesteht und Mitglied der Gemeinde wird, gilt auch als geheilt – wenngleich das öffentliche Ansehen oft zerstört ist. Man fängt sich einen Hexengeist wie eine Grippe ein, ohne es zu wollen. Im Norden Ghanas aber ist Hexerei eine Frage von tiefer Bösartigkeit. Zwar spricht man einigen Chiefs die Kraft zu, Exorzismen vorzunehmen, aber mehr noch vertraut man auf die Erdgottheit, die nur an lokalen Schreinen ihre Kraft entfalte. Also müssen Opfer an diesen Orten bleiben, die sie vor Gewalt und andere vor ihrer Hexerei schützen. Hier fristen sie ihr Dasein und warten auf Almosen, auf die Hilfe von Projekten, oder sie hoffen darauf, dass entweder eine NGO oder ihre Verwandten aus eigenem Antrieb ihre Rückkehr organisiert, wenn die aufgehetzten Emotionen abgekühlt sind und ein Gespräch wieder möglich ist. Immerhin verändert sich langsam etwas: die Polizei nimmt Anzeigen häufiger ernst und es kommt zu immer mehr Urteilen gegen Hexenjäger. Die einzigen beiden NGOs, die tatsächlich vor Ort mit den Geflüchteten arbeiten, sind aber skeptisch: es wird Jahrzehnte dauern, bis die Vorstellungen und Institutionen sich ändern.

Die Autoren

Stephen Schrezenmeyer, Student der Ethnologie, war vor Ort und hat die Interviews zum konkreten Fall durchgeführt. Die Textbearbeitung und Medienrecherche erfolgte durch Felix Riedel, promovierter Ethnologe und freier Autor, forscht seit 2009 über Hexenjagden und betreut mit Stephen Schrezenmeyer zusammen das „Witch-hunt Victims Empowerment Project“ in Nordghana und in Deutschland die Spendenaktion „Hilfe für Hexenjagdflüchtlinge“.

Ghanaische Medienberichte:

https://www.ghanaweb.com/GhanaHomePage/NewsArchive/Pastor-arrested-over-witchcraft-549540
http://citifmonline.com/2017/06/16/evangelist-4-others-arrested-for-detaining-alleged-witches/

Informationen zum säkularen Projekt „Hexenjagden“ in Ghana und die Arbeit von Dr. phil. Felix Riedel:

http://www.hexenjagden.de

http://www.felixriedel.net

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