Erfolg und Neid

Zur Verteidigung von Richard Dawkins‘ Egoistischem Gen

Erfolg und Neid

Nach nahezu jeder Rückkehr aus Stanford/Kalifornien (USA) fällt mir aufs Neue auf, dass die Deutschen, von Ausnahmen abgesehen, ein von Neid und Missgunst geplagtes Volk unterwürfiger Egomanen sind. Über Andere herziehen, die Leistungen bzw. Ideen kreativer Denker niedermachen, den originellen Outsider diffamieren – das ist das Lebenselixier der Mittelmäßigen, die leider nicht nur die deutsche Politik, sondern auch weite Teile unseres Uni-Betriebes dominieren. Daher ist es wenig verwunderlich, dass noch 40 Jahre nach Erscheinen von Richard Dawkins‘ Buch The Selfish Gene (Das Egoistische Gen) (1) die Schmähungen gegen den britischen Evolutionsbiologen anhalten.

Ich selbst habe dies erst kürzlich wieder erleben müssen. Mein englischsprachiger Pro-Dawkins-Artikel mit dem übersetzten Titel „Sex-Gender-Konflikte bei aquatischen Hermaphroditen: Sind Gene unsterblich?“ (2) wurde zweimal von Fachgutachtern (Referees) bei einem in Deutschland editierten Standard-Journal abgelehnt. Meine Dawkins-freundlichen Analysen, wesentliche Bestätigungen seiner Thesen durch eigene, nahezu 40jährige Untersuchungen an zwittrigen Ringelwürmern (Hirudinea), waren unerwünscht. Ich war daher gezwungen, mein Manuskript bei einem weniger renommierten Fachjournal zu veröffentlichen (2).

Nachdem Ende 2016 in der deutschsprachigen Fachzeitschrift Laborjournal eine Würdigung des Egoistischen Gens (1) erschienen war, druckte die Redaktion eine beleidigt-negative Gegendarstellung ab, die nachfolgend kommentiert werden soll. Unter dem Titel „Nicht empfehlenswert“ ließ der promoviert-habilitierte Biologe Veiko Krauß (Universität Düsseldorf) seinen tief sitzenden Dawkins-Frust ab (3). Da Herr Dr. Krauß auch als Buchautor hervorgetreten ist, sollten seine Gründe ernst genommen werden.

Der erzürnte deutsche Biologe führt drei Argumente gegen Dawkins‘ Bestseller an (3):

1. Der britische Autor soll seine Argumentation auf einer von Beginn an fehlerhaften, adaptionistischen Sicht der Evolution aufgebaut haben

2. zentrale Begriffe, wie z. B. „Gen“ oder „Egoismus“, sollen von Dawkins umdefiniert worden sein, um die wesentliche Botschaft des Buchs übermitteln zu können

3. Autor Dawkins soll sich regelmäßig selbst wiedersprechen, und somit überhaupt keine klare „basic message“ in seine Leserschaft tragen. Diese schwerwiegenden Vorwürfe führt Krauß (3) dann im Detail aus und kommt zur Schlussfolgerung, dass dieses in viele Sprachen übersetzte Buch „nicht empfohlen“ werden kann.

Obwohl der deutsche Biologe seine drei Einwände teilweise begründet, geht diese Kritik komplett an der Intension dieses populären Fach- und Sachbuchs vorbei. Der damals 35-jährige Nachwuchswissenschaftler Richard Dawkins fasste den kontroversen Stand der Dinge in Sachen „organismische Evolution“ 1976 sachkundig zusammen und räumte mit den damaligen Missverständnissen gründlich auf (z. B. der These von der Gruppen-Selektion usw.) (1, 2). Unter Verweis auf August Weismann (1834–1914) entwickelte Dawkins (1) dann konsequent sein Konzept von den potentiell unsterblichen Genen und konnte damit, in glänzender, metaphorischer Sprache, ein weltweites Publikum für die Evolutionsbiologie begeistern. Kaum ein anderer Autor hat es in den letzten 40 Jahren geschafft, das insbesondere in Deutschland weitgehend verschmähte „Mauerblümchen Evolution“ derart effizient in die Öffentlichkeit zu tragen.

Selbstverständlich wurden unsere Kenntnisse bzgl. der Mechanismen der Evolution seit 1976 enorm erweitert (4). So wissen wir z. B., dass neben der gerichteten (dynamischen) natürlichen Selektion auch die primäre (plus sekundäre) Endosymbiose von entscheidender Bedeutung war, sonst gäbe es weder komplex gebaute Zellen (Eucyten) noch das eukaryotische Phytoplankton. Außerdem ist heute bekannt, dass die Erdplatten-Dynamik maßgeblich zu makroevolutiven Entwicklungslinien, die in der Regel nach verheerenden Klimakatastrophen eingeleitet worden sind, geführt hat (4).

Erwähnenswert sei in diesem Kontext, dass die Systembiologie seit den 1990er Jahren im Zentrum naturwissenschaftlich-evolutionärer Analysen steht. Das Ziel dieser neuen Disziplin ist es, den Organismus als Ganzes (d. h. den Phänotyp) zu verstehen.

Fazit: Es ist wenig sinnvoll, ein Buch aus dem Jahr 1976 auf dem Stand unserer Kenntnisse 2017 zu kritisieren. Wir Biologen sollten neidlos anerkennen und würdigen, dass Richard Dawkins mit seinem kontroversen Bestseller (und weiterführenden Werken) die Evolutionswissenschaften weltweit popularisiert hat, und dafür haben wir ihm dankbar zu sein.

Referenzen:

1. Dawkins, R. (1976) The Selfish Gene. Oxford University Press, Oxford.

2. Kutschera, U. (2017) Sex-gender-conflicts in aquatic Hermaphrodites: are genes immortal? J. Marine Sci. Res. Dev. 7/2:1–4.

3. Krauß, V. (2017) Nicht empfehlenswert. Laborjournal 3/017:58–59.

4. Kutschera, U. (2015) Evolutionsbiologie. Ursprung und Stammesentwicklung der Organismen.
(4. Auflage. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart)

Kommentare

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    David Schuy

    Vielen herzlichen Dank an Herrn Professor Ulrich Kutschera für diesen wunderbaren Artikel. Es ist schön zu sehen, dass ein solch renommierter Wissenschaftler wie Herr Professor Kutschera Richard Dawkins und seine Werke ernst nimmt. Leider hat man hierzulande das Gefühl, wie der Autor dieses Artikels schon erwähnt, das keine originelle Idee geduldet wird und Leistungen großer Köpfe niedergemacht werden. Es ist also kein Wunder, wenn alle guten Wissenschaftler in die Vereinigten Staaten von Amerika auswandern. In Deutschland gibt es immer nur den Spruch, es geht nicht. In Amerika gibt es den Spruch: geht nicht, gibt's nicht. Schön, dass der verdiente Erfolg von Richard Dawkins und seines großen Werkes "Das egoistische Gen" in diesem Artikel und dem wissenschaftlichen Paper von Ulrich Kutschera gewürdigt werden.

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      ChrisV

      Richard Dawkins polarisiert Teile der Öffentlichkeit und der wissenschaftlichen Fachwelt. Das mag an verschiedenen Gründen liegen:
      - sein scharfzüngiger, aber dennoch eloquenter Argumentationsstil, der sich oft nicht mit falschen Höflichkeiten aufhält, die manche Personen als unumgänglich erachten,
      - sein großer Erfolg als populärer Wissensvermittler, er war immerhin "Charles Simonyi Professor of the Public Understanding of Science",
      - sein öffentliches Einstehen für Humanimus, Säkularismus und Atheismus.

      Ich stufe Herrn Kraus daher als eine Person ein, die sich in von einem der genannten Gründe auf den Schlips getreten fühlt und seinen Frust in einem mäßigen Artikel Luft machen musste. Wie das Fazit des Artikels richtig lautet: Es ist wenig sinnvoll, ein Buch aus dem Jahr 1976 auf dem Stand unserer Kenntnisse 2017 zu kritisieren.

      Ich muss aber auch Ulrich Kutschera kritisieren, wenn er sich in den ersten 2 Absätzen anscheinend ebenfalls frustiert über die Deutschen äußert. Dies ist eine unzulässige Verallgemeinerung ohne Grundlagen.
      Ebenso könnte ich behaupten, dass die US-Amerikaner, von Ausnahmen abgesehen, ein Volk von dummen und von sozialer Kälte geprägten Egoisten sind, da sie eine charakterlich ungeignete Person wie Donald Trump, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, in das Präsidentenamt gewählt haben.

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        Veiko Krauß

        Vielen Dank für die Verlinkung meiner Buchkritik, Herr Kutschera. So kann sich jeder überzeugen, dass ich in Gegensatz zu Ihnen auf Herabsetzungen und Unterstellungen zugunsten von Argumenten verzichtet habe. Beeindruckt nehme ich darüber hinaus zur Kenntnis, dass Ihre Schmähungen offenbar weniger gegen mich als gegen eine ganze Nation gerichtet sind. Dennoch ziehe ich es vor, Ihrer abschließenden professoralen Weisung nicht zu folgen. Die Popularisierung eines auch schon 1976 erkennbar falschen Evolutionskonzepts durch Dawkins – ich denke an die Kritik Goulds und Lewontins, beide sind des Deutschtums unverdächtig – ist kein Verdienst.

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          David Schuy

          Veiko Krauß versteht leider nicht, wie Evolution wirklich funktioniert, sonst würde er nicht behaupten, dass die Dawkins'sche Sichtweise falsch sei. Lewontin und Gould scheitern beide mit ihrer Kritik dramatisch an Dawkins; und dies macht Dawkins auch klar. Vor allem folgt die Dawkins'sche logisch aus der Neo-Darwin'schen Theorie. Hier gibt es nichts abzulehnen. Ich habe mir auch mal ein paar Rezensionen zu Herrn Krauß' Buch in Amazon angeschaut und eine der besten Bewertungen schrieb, dass Herr Krauß wohl ein guter Genetiker sei, aber in Evolutionsbiologie die Schulnote vier minus bekäme.
          Der Autor der dieser Rezension: "Schade, das hätte ein tolles Buch werden können. Ein kompetenter Autor, der auf sachliche Weise populäre Mythen aus den Bereichen „Evolution“ und "Genetik" entlarvt – auf so etwas habe ich gewartet. Veiko Krauß ist hoch kompetent - in seinem Fachgebiet, der Genetik. Leider hat er sich nie eingehend mit Evolutionstheorie beschäftigt (das ist leicht abzulesen an seinen 12 Literaturverzeichnissen, für jedes Kapitel eines; sehr leserunfreundlich), was ihn nicht davon abhält, auch hierüber mit großer Geste und sehr viel Selbstbewusstsein zu Gericht zu sitzen. Das Ergebnis ist ein Gemisch aus lupenreiner Wissenschaft, Halbwahrheiten, Verdrehungen, abgeschmeckt mit sehr viel Polemik."

          VOR ALLEM FOLGENDES (aus dieser Rezension):

          "+++ Alles Selektion? Der böse Ultradarwinismus.

          Mit dem U-Wort bezeichnet Krauß die Vorstellung, dass Evolution (nahezu) ausschließlich durch natürliche Selektion angetrieben wird. Dem hält er entgegen, „dass die Entstehung von Variation (= Mutationen) der grundlegende Evolutionsprozess ist“. Genauso gut könnte man darüber streiten, ob nun die Länge oder die Breite grundlegender für ein Rechteck sei. Ob Evolution rein theoretisch ohne Selektion möglich ist, ist irrelevant. Tatsache ist: Evolution, so wie sie seit 3,5 Milliarden Jahren abläuft, braucht beides. Die Mutationen liefern das Rohmaterial, aus dem die Selektion, ähnlich einem Bildhauer, die Anpassungen produziert (Flügel, Augen, Flossen...). Es sind ja gerade die Kreationisten, die uns immer erzählen, dass diese komplexen Dinge nie und nimmer durch Zufall entstehen konnten. Recht haben sie! Erst zufällige Mutationen plus nichtzufällige Selektion ergibt Evolution. Krauß selbst sagt auf S.92 „dass der Zufall der Mutation und die Notwendigkeit der Auslese zusammen erstaunliche Veränderungen erzeugen“. Eben! Also, wozu die ganze fruchtlose Rechthaberei, welches der beiden „grundlegender“ sei? Der „Ultradarwinismus“ ist in dem Buch nichts weiter als ein Popanz, auf den der Autor einschlagen möchte.

          +++ Egoistische Gene? und Richard Dawkins ist doof ---

          Was Krauß mit dem Oxforder Zoologen in dem Buch veranstaltet, hat mit Wissenschaft nichts mehr zu tun. Man könnte fast meinen, der Engländer habe unserem Autor mal die Frau ausgespannt... Sorry, aber das ist das Niveau, auf dem Krauß hier „argumentiert“: unterste Schublade.
          Ich hätte nie gedacht, dass fast 40 Jahre nach Erscheinen von „The Selfish Gene“ sich ein Wissenschaftler immer noch hinreißen lässt, die dümmsten Uralt-Vorwürfe gegen diese Theorie aus der Mottenkiste zu holen, obwohl Dawkins inzwischen x-mal erklärt hat, wie das mit dem „Egoismus“ zu verstehen sei. Dawkins' Grundidee, für alle, die es noch nicht wissen, ist ganz einfach: Gene agieren so, dass sie durch ihre phänotypischen Effekte ihre eigene Reproduktion und Verbreitung befördern, zumindest statistisch gesehen. Das sieht dann von außen so aus, als ob sie „egoistisch“ wären. Dieses „als ob“ ist natürlich entscheidend, was unseren Herrn Krauß nicht davon abhält, darauf hinzuweisen, dass Gene nie egoistisch sein könnten, denn – halten Sie sich fest - „Egoismus setzt ein Bewusstsein voraus“ (S.68).

          Eine Elster, so erläutert er, könne egoistisch sein, denn die erkenne sich im Spiegel. Aha. Und wie ist es mit dem Kuckuck? Ist dessen Verhalten etwa nicht egoistisch, nur weil er sich nicht im Spiegel erkennt? Und die Schlupfwespe, die ihre Eier in eine fremde Raupe legt, welche dann von innen von den schlüpfenden Wespen aufgefressen wird... Wie würde Herr Krauß es denn nennen, wenn man ein anderes Lebewesen zum Zweck der eigenen Fortpflanzung tötet? Hätte der Autor mal was über Evolutionstheorie gelesen, dann wüsste er, dass Begriffe wie „Egoismus“ oder „Altruismus“ dort spieltheoretisch definiert und verwendet werden, und nichts mit Psychologie zu tun haben. Im Grunde steht das schon in besagtem Klassiker von Dawkins, aber dazu hätte Krauß das Buch ja sachlich-nüchtern lesen müssen, und nicht als Traktat eines widerlichen Soziobiologen.

          Dazu passt auch, dass Krauß gegen Dawkins anführt: „Tatsächlich hängt die Art und Weise der Wirkung eines Gens aber immer schon vom Zustand andere Gene und der Umwelt ab...“ Auch dieser Gedanke findet sich schon bei Dawkins, in dessen Metapher von der Rudermannschaft, wo alle nur zusammen kooperierend (!) gewinnen können, was aber nicht ausschließt, dass jeder Mann im Boot mit anderen Kandidaten um seinen Platz im Boot konkurriert (so wie Allel A mit Allel a um den Locus X konkurriert)."

          Veiko Krauß scheint persönliche Gründe für seinen Hass auf Dawkins zu haben; oder er versteht Evolution nicht.

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            Veiko Krauß

            Niemand hat hier bisher auch nur versucht, meine 3 von Herrn Kutschera wiedergegebenen Argumente zu widerlegen. Das ist zugegebenermaßen auch schwer, da ich im Wesentlichen Dawkins als Zeugen gegen sich selbst aufgeboten habe.

            In meiner Buchkritik bin ich durchgängig sachlich geblieben. Auch in meinen eigenen Buch wie auf meiner Netzseite ist – neben wesentlich interessanteren Erkenntnissen über Evolution – nur sachbezogene und teilweise etwas pointierte Kritik an Dawkins und manch anderen evolutionstheoretisch aktiven Autor zu finden. Wenn man wie ich allerdings oft gegen gefestigte Glaubenssätze argumentiert, muss man natürlich Verständnis für emotionale Abwehrreaktionen aufbringen.

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