Evolution sollte schon in der Grundschule gelehrt werden

Mehr als 80 Wissenschaftler, Pädagogen und Philosophen haben am vergangenen Wochenende eine Resolution verabschiedet, die die Aufnahme des Evolutionsunterrichts in die Grundschullehrpläne fordert.

Evolution sollte schon in der Grundschule gelehrt werden

Angesichts der "fundamentalen Bedeutung des Evolutionsverständnisses für die Entwicklung eines zeitgemäßen Weltbildes" sei es "befremdlich, dass Kinder in der Grundschule so wenig über dieses Thema erfahren" und Evolution "in keinem einzigen staatlichen Grundschullehrplan in Deutschland berücksichtigt" werde, heißt es in der Resolution. Schließlich sollten öffentliche Schulen "ihre Schülerinnen und Schüler nicht im Sinne einer bestimmten Religion oder Weltanschauung beeinflussen, sondern ihnen Zugang zu den zentralen Erkenntnissen der Wissenschaft ermöglichen".

Der Resolutionstext war das Ergebnis eines Kongresses, der vom 31.10. bis zum 1.11.2015 in der Hermann-Hoffmann-Akademie der Universität Gießen stattfand. Referentinnen und Referenten wie der Biologiedidaktiker Dittmar Graf, der Zoologe Volker Storch oder die Museumspädagogin Lena Sistig widerlegten in ihren Vorträgen die Behauptung, evolutionstheoretische Erkenntnisse könnten im Grundschulalter noch nicht vermittelt werden. Tatsächlich zeigen empirische Studien nämlich, dass Grundschulkinder nicht nur ein starkes Interesse am Thema "Evolution" haben, sondern auch kognitiv in der Lage sind, die allmähliche Entwicklung der Arten zu begreifen.

„Evokids“-Arbeitsgruppe stellt Lehrmaterialien vor

Dass die Evolution bislang keine Rolle in der Grundschule spielte, ist nach Auffassung des Leiters des Gießener Instituts für Biologiedidaktik, Dittmar Graf, nicht zuletzt darauf zurückzuführen, "dass es lange Zeit keine ansprechenden Materialien für den Unterricht gegeben hat". Doch dieses Problem sei mittlerweile behoben: Auf der Tagung stellte die von Graf mitinitiierte "Evokids"-Arbeitsgruppe erstmals ihre 100-seitige Lehrmaterial-Sammlung für den Evolutionsunterricht in der 3. bis 6. Klasse vor, die nicht nur fachliche und didaktische Informationen für die Lehrerinnen und Lehrer enthält, sondern auch aufwändig illustrierte Arbeitsblätter für die Schülerinnen und Schüler.

Eine besondere Attraktion der Evokids-Lehrstoffsammlung ist der 18-minütige Film "Big Family – Die phantastische Reise in die Vergangenheit" der Filmemacherin Ricarda Hinz, der auf dem gleichnamigen, soeben erschienenen Buch des Philosophen Michael Schmidt-Salomon und der Illustratorin Anne-Barbara Kindler beruht. Film und Buch vermitteln das "Abenteuer Evolution" auf eine neue, faszinierende Weise, nämlich als Familiengeschichte der Kinder, die über ihre eigene Mutter, Oma und Uroma zu ihren Ur-Ur-Ur…Großmüttern in der Vergangenheit zurückreisen – von ihrer "Steinzeit-Oma" zu "Oma Spitzmaus", von "Oma Echse" über "Oma Fischmaul" bis hin zu "Omapa Bakteria", dem Ursprung allen Lebens auf der Erde.

Kostenfreie Angebote für Grundschulen

Eine vollständige und korrigierte Fassung der Unterrichtsmodule soll bis Ende 2015 zur Verfügung stehen. Ab Februar 2016 sollen dann die sogenannten "Evokids-Boxen" ausgeliefert werden, die neben den gedruckten Unterrichtskonzepten zahlreiche weitere Materialien für den Unterricht enthalten. Grundschulen, die mit den Evokids-Boxen arbeiten möchten, können sich schon jetzt bei der Projektgruppe bewerben.

Träger des Evokids-Projekts sind das Institut für Biologiedidaktik der Universität Gießen und die Giordano-Bruno-Stiftung, unterstützt vom AK Evolutionsbiologie (Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin). Die Projektleitung liegt bei Prof. Dr. Dittmar Graf, Dr. Michael Schmidt-Salomon und Prof. Dr. Eckart Voland. Leitfigur der Evokids-Unterrichtsmaterialien ist das durch Bücher, die „Augsburger Puppenkiste” und Kinofilme bekannte „Urmel aus dem Eis” von Max Kruse (1921-2015), der das Projekt von Anfang an unterstützte.

Resolution

„Evolutionsunterricht in der Grundschule“ (verabschiedet am 1.11.2015 in der Hermann-Hoffmann-Akademie Gießen)

 

Wir fordern, dass der Themenkomplex „Evolution“ in die Lehrpläne für die Grundschule aufgenommen und in den verpflichtenden Kanon der Unterrichtsinhalte eingegliedert wird.

Begründung

Zurzeit wird die „Tatsache Evolution“ in keinem einzigen staatlichen Grundschullehrplan in Deutschland berücksichtigt. Dies steht im eklatanten Widerspruch zu ihrer allgemeinen Bedeutung und ihrem zentralen Beitrag zum Bildungserwerb. „Evolution“ ist zweifellos der wichtigste Begriff aller Wissenschaften, die sich mit dem Leben beschäftigen. Nicht nur in der Biologie, Medizin und Agrarwissenschaft, sondern auch in der Psychologie, Philosophie, Soziologie, Ökonomie und Politologie spielen evolutionäre Sichtweisen eine entscheidende Rolle. Selbst die Ingenieurwissenschaften und die Informatik arbeiten erfolgreich mit evolutionären Algorithmen.

Angesichts der fundamentalen Bedeutung des Evolutionsverständnisses für die Entwicklung eines zeitgemäßen Weltbildes ist es befremdlich, dass Kinder in der Grundschule so wenig über dieses Thema erfahren – zumal im Unterricht oftmals Schöpfungsmythen behandelt werden, die ohne Vorwissen zur Evolution leicht fehlgedeutet werden können. Pädagogisch ist dies nicht zu rechtfertigen. Schließlich sollen öffentliche Schulen ihre Schülerinnen und Schüler nicht einseitig im Sinne einer bestimmten Religion oder Weltanschauung beeinflussen, sondern ihnen Zugang zu den zentralen Erkenntnissen der Wissenschaft ermöglichen! Aus bildungspolitischer Sicht ist es daher zwingend geboten, die „Tatsache Evolution“ im Unterricht sehr viel früher und umfassender zu behandeln, als dies in aktuellen Lehrplänen vorgesehen ist.

Die Argumente, die in der Vergangenheit gegen die Behandlung der Evolution im Grundschulunterricht vorgebracht wurden, sind längst entkräftet: Wie empirische Studien zeigen, haben Kinder im Grundschulalter nicht nur ein starkes Interesse am Thema, sondern sind auch kognitiv in der Lage, die Tatsache der Evolution zu erfassen. Ein elementares Verständnis der Evolutionstheorie kann somit bereits in den ersten Klassen angebahnt werden und als Basis für spätere Erkenntnisgewinne dienen. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe hochwertiger und motivierender Unterrichtsmaterialien, die speziell für Kinder im Grundschulalter entwickelt wurden, so dass auch von dieser Seite nichts gegen ein frühzeitiges Aufgreifen des Themas spricht.

Wir appellieren daher nachdrücklich an die deutschen Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker sowie an die Lehrerinnen und Lehrer des Landes, der Evolution im Unterricht endlich die Bedeutung zuzuweisen, die ihr als dem wohl wichtigsten Bestandteil des modernen Welt- und Menschenbildes gebührt!

Erstunterzeichner: Prof. Dr. Dittmar Graf (Geschäftsführender Direktor des Instituts für Biologiedidaktik der Universität Gießen), Dr. Michael Schmidt-Salomon (Philosoph und Schriftsteller, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung), Prof. Dr. Dr. Volker Storch (Zoologe und Evolutionsbiologe, Institut für Zoologie der Universität Heidelberg), Prof. i. R. Dr. Eckart Voland (Soziobiologe und Biophilosoph, Institut für Philosophie der Universität Gießen) sowie rund 80 weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „Evokids-Kongresses 2015“ in der Hermann-Hoffmann-Akademie Gießen.
Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

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    Elke Prince

    Ich könnte jetzt auch einen Roman schreiben, aber ich belasse es hierbei:

    Grundsätzlich okay, aber lasst doch die Kinder bitte Kinder sein. Bevor über weiteren theoretischen Unterricht diskutiert wird, ist es nötig darüber zu reden, dass wieder mehr Bewegung, sprich spielerischer Sportunterricht, eingeführt wird. Viel zuviel Kids sind adipös und leiden an Bewegungsmangel. Bewegung ist Leben und ohne sie ist Evolution nicht möglich. Egal in welcher Hinsicht..... und DAS ist es wert zu kombinieren.

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      Sebastian Vogt

      Man sollte den Kindern lieber lehren was GEGEN die Evolutionstheorie spricht...

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        Norbert Schönecker

        Ich habe nichts Grundsätzliches dagegen, dass in der Grundschule Evolution gelehrt wird. Aber wichtiger erscheinen mir andere Sachen. V.a. in Städten gibt es erschreckend viele Kinder, die sich noch nie eine Blume, einen Käfer oder einen Baum aus der Nähe angeschaut haben, geschweige denn unter der Lupe. Sie kennen zwar Pinguine (aus Zeichentrickfilmen), können aber eine Ziege nicht von einer Kuh unterscheiden und wissen auch nicht, dass von letzterer (und gelegentlich auch von ersterer) die Milch kommt. Ich halte es für pädagogisch sinnvoll, die Natur zuerst zu erleben und dann erst zu analysieren.

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          Josef Ehrler

          Sowie Theologie vor dem Staat das "für und wieder" lehren muss, sollte man nicht blind alles glauben was jemand spricht oder schreibt. Letztendlich nimmt man grundsätzlich auch nur den Glauben des anderen an, denn die evolutionslehre ist nur eine Theorie. Bisher gibt es dafür keinen unausweichlichen Beweiß!
          Man sollte nicht jedem seinen Glauben aufzwingen. darum bin ich dafür, das man anstatt der Thologisch oder der Evolutionslehre eher das "für und wieder" jeder Theorie lehrt. Denn nach meiner Meinung ist Mr. Dawkins hier ebenso ein Narr der allen mit Gewalt seinen Glauben aufzwängen möchte und jeder der Ihm nicht glaubt ans Kreuz nageln würde.

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            Wolfgang Schäfer

            Hallo Leute

            2009 kam in einem New-Scientist-Artikel der Evolutionswissenschaftler Eric Bapteste
            zu Wort:
            „Wir haben keinen einzigen Beweis dafür, dass es den evolutionären Stammbaum
            wirklich gibt.“

            In demselben Artikel wird ausserdem der Evolutionsbiologe Michael Rose zitiert:
            „Der Baum des Lebens wird gerade stillschweigend begraben, das wissen wir alle.
            Was noch nicht überall durchgedrungen ist:
            Wir müssen unser Verständnis der Biologie ganz neu definieren.“

            New Scientist, 24. Januar 2009, S. 37, 39.

            Mit freundlichem Gruß

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