Faktencheck: Christenverfolgung

Morde an Christen in Syrien und dem Irak, Massaker in Kenia, Terroranschläge in Pakistan. Weltweit würden 100 Millionen Christen verfolgt, alle 5 Minuten sterbe ein Christ wegen seines Glaubens.

Faktencheck: Christenverfolgung

Dies summiere sich zu 100.000 Toten pro Jahr. Soweit der konservative Journalist Wolfram Weimer. Im Handelsblatt stellt er die Frage: „Warum schafft es die blutige Christenverfolgung kaum in die Nachrichten?“

Ganz einfach: Weil es diese blutige Christenverfolgung nicht gibt.

Gerade wenn es um brisante Themen geht, sollte der wichtigste Maßstab die Wahrheit und nicht Effekthascherei sein.

Aber der Reihe nach:

Dass die Medien Gewalt gegen Christen verschweigen, ist nicht korrekt. Der jüngste Terroranschlag in Pakistan, bei dem 14 Christen starben, wurde nicht unter den Teppich gekehrt. Die Artikel über die Christenverfolgungen in Syrien und dem Irak sind so zahlreich, dass sie nicht einzeln wiedergegeben werden können. Der Mord an 21 Christen durch den Islamischen Staat in Libyen wurde vom Spiegel aufgegriffen, genau wie das Massaker in Kenia. Erst vor kurzem wurde berichtet, dass viele Überlebende auch ein Jahr nach der schrecklichen Tat noch unter massiven psychischen Problemen leiden.

Aber beweisen diese Vorfälle nicht, dass es eben doch eine Christenverfolgung gibt, wie Weimer anklagt? Der Teufel steckt im Detail. In diesem Ausmaß werden Christen – zum Glück – nicht weltweit wegen ihres Glaubens verfolgt. Die Statistik, auf die er sich bezieht, stammt vom international tätigen und überkonfessionellen Missionswerk Open Doors. Gänzlich objektiv ist es in seinen Ausführungen nicht – schließlich verfolgt es eine Agenda. Je schlimmer Open Doors die Christenverfolgung zeichnet, umso eher sind Christen dazu bereit, das Missionswerk mit Spenden zu unterstützen.

Die Verfolgungen anderer religiöser Minderheiten treten bei diesem Ansatz in den Hintergrund. Weimer erwähnt, dass das amerikanische Außenministerium die Verbrechen an Christen in Syrien und dem Irak als Völkermord einstuft. Soweit korrekt. Aber was hatte Außenminister John Kerry tatsächlich gesagt?

„Meinem Urteil nach ist der Islamische Staat in den Gebieten, die sich unter seiner Kontrolle befinden, verantwortlich für einen Völkermord an Jesiden, Christen und schiitischen Muslimen.“

Genauso könnte man also fragen: „Warum schafft es die blutige Verfolgung von Jesiden und Schiiten kaum in Wolfram Weimers Kolumne?“

Auch im katholischen Mexiko herrscht angeblich eine Christenverfolgung

Zurück zum Thema: Anders als Open Doors behauptet, werden keine 100 Millionen Christen wegen ihres Glaubens verfolgt. Richtiger wäre es, zu behaupten, dass 100 Millionen Christen in Ländern leben, in denen die Religionsfreiheit nur eingeschränkt gilt. Das allerdings ist eine vage Aussage.

So wird beispielsweise erwähnt, dass Türken, die zum Christentum übertreten, von ihrem muslimischem Umfeld Misstrauen erfahren. Zwar mag die Ablehnung von Familienmitgliedern eine enorme psychische Belastung sein – sie ist jedoch zu diffus, um in internationalen Studien objektiv erfasst zu werden. In anderen Ländern herrscht ein Einreiseverbot für Missionare, oder ein Baustop für Kirchen. Christen dürfen nur in umfunktionierten Lagerhallen beten – ähnlich den sog. Hinterhofmoscheen in Deutschland. Eine Bedrohung für Leib und Leben ist dies allerdings nicht. Auch im katholischen Mexiko herrscht angeblich eine Christenverfolgung. Im Länderbericht wird dies weiter präzisiert. Leiter von Missionswerken werden dort gezielt von Drogenkartellen entführt, weil man aus der christlichen Spendenbereitschaft auf einen höheren Lösegeldertrag schließt. Dann aber handelt es sich um Kriminalität, nicht um Christenverfolgung.

Unzweifelhaft kam es nach dem arabischen Frühling zu einer Vielzahl an Morden, die gegen Christen gerichtet waren. In den meisten Fällen wurden diese allerdings nicht von den jeweiligen Regierungen angeordnet, sondern von islamischen Terrorgruppen durchgeführt. Wenn der Staat diese Taten nicht verhinderte, stellt sich allerdings die Frage, ob er sie nicht verhindern wollte, oder nicht verhindern konnte. Die Einordnung der Morde in diese drei Kategorien schwankt von Fall zu Fall. So oder so bleibt die Gewalt gegen Christen ein Verbrechen – wie sehr aber diese Verfolgung systematisch erfolgt, kann nicht pauschal beantwortet, sondern muss einzeln untersucht werden.

Dass die internationale Christenverfolgung 100.000 Tote pro Jahr fordert, muss jedoch ins Reich der Legende verwiesen werden. Die schlüssigste Widerlegung dieser Zahlen stammt dabei ausgerechnet von einem Evangelikalen. Respekt an den Theologen Thomas Schirrmacher, der Objektivität über die eigenen Befindlichkeiten stellt.

Die genannte Zahl kursiert schon seit mehreren Jahren und wird von einflussreichen Stellen – darunter auch der Vatikan – immer wieder zitiert. Die christlichen Organisationen, die hinter der Statistik stehen, verwenden eine eigenwillige Methode. Zum einen ist da der Umstand zu nennen, dass die Zahl 100.000 nicht für die Toten eines Jahres steht, sondern für den Jahresdurchschnitt des jeweiligen vorangegangen Jahrzehnts. Dies ist generell eine zulässige statistische Methode, um Zufallsschwankungen zu eliminieren – in diesem Fall trägt sie allerdings nicht zur Aufklärung bei. Der zweite Trick besteht darin, einfach alle christlichen Kriegstoten zu addieren. Dies ist für die christlichen Opfer des Krieges in Syrien und dem Irak natürlich zulässig – warum aber soll man die Toten aus dem Südsudan, dem Kongo und anderen afrikanischen Konflikten dazurechnen? In beiden Ländern bekriegen sich hauptsächlich Christen. Tatsächlich dürfte die Gewalt also nicht in der Religion wurzeln, sondern eher in ethnischen Spannungen und wirtschaftlichen Interessen.

Mit derart schwammigen Methoden lassen sich schnell künstlich überhöhte Fantasiezahlen zusammenstellen. Übrigens argumentieren Rechtsextreme ganz ähnlich, die mit eigenwilligen Statistikinterpretationen beweisen wollen, dass seit 1990 knapp 8000 Deutsche von Ausländern ermordet wurden. So soll von rassistischen Verbrechen abgelenkt werden.

Kauder streitet christliche Gewalt rundheraus ab

Open Doors, das von 100 Millionen verfolgten Christen weltweit spricht, führt eine zweite Statistik, die die Zahl der ermordeten Christen auflistet. Zwar kann man dem Missionswerk unsaubere Methoden vorwerfen, in diesem Fall klingt das Resultat aber plausibel. Für die letzten Jahre werden als Mordopfer aufgelistet:

2012: 1.201 Tote
2013: 2.123 Tote
2014: 4.344 Tote
2015: 7.100 Tote

Nimmt man eine Dunkelziffer an, könnten im letzten Jahr sogar über 10.000 Christen wegen ihres Glaubens ermordet worden sein. Zwar ist man von den magischen 100.000 Toten weit entfernt, doch ein Verbrechen stellen diese Zahlen ohne Zweifel dar. Im Zuge des arabischen Frühlings und erst recht seit der Gründung des Islamischen Staates werden Christen verstärkt verfolgt.

In der CDU setzt sich vor allem der evangelikal ausgerichtete Fraktionsvorsitzende Volker Kauder für verfolgte Christen ein. Regelmäßig trifft er sich mit Funktionären von Open Doors. Für sein Engagement und seine konservativen Wertvorstellungen wurde er von Papst Franziskus sogar mit dem Gregoriusorden ausgezeichnet. Gegenüber Christ & Welt gab er an:

„Die Christen sind die am meisten verfolgte Religionsgruppe, daran besteht kein Zweifel. Nirgendwo auf der Welt verfolgen Christen andere, immer stehen Christen unter Druck.“

Kauder streitet christliche Gewalt rundheraus ab. Kein Wunder, bereits in den 90er Jahren hatte er geleugnet, dass der ehemalige Ministerpräsident Hans Filbinger im Dritten Reich Todesurteile verhängt hatte.

Seine Formel Christen = Opfer ist bei weitem zu einfach. Genauso gibt es auch eine Täterrolle. Traurige Berühmtheit erlangten die Massaker von Sabra und Schatila. Im libanesischen Bürgerkrieg hatten Angehörige der katholischen Falange-Miliz die Bewohner palästinensischer Flüchtlingslager ermordet. Auch die Diktatoren Saddam Hussein und Baschar al-Assad hatten mit Außenminister Tariq Aziz und Verteidigungsminister Daud Radschha zwei Christen als blutige Erfüllungsgehilfen. Im März 2010 wurden ca. 500 Christen von Muslimen im nigerianischen Jos getötet. Dort hatten einige Wochen zuvor allerdings Christen ca. 150 Muslime ermordet. Auch in Zentralafrika, das Weimer als Beispiel für Christenverfolgung aufzählt, gibt es christliche Milizen, die alle Muslime ausrotten wollen und sogar dem Kannibalismus verfallen. 2013 sorgte das größtenteils katholische Angola für Schlagzeilen, als es die Ausübung des Islam verbot.

Erst recht Weimers Fazit, dass Christen die größte verfolgte Religionsgemeinschaft seien, darf bezweifelt werden. Denn dies sind immer noch Muslime. Sunnitische Staaten diskriminieren ihre schiitischen Minderheiten und vice versa. Im Irakkrieg starben seit 2003 etwa 300.000 Menschen. Nur eine Minderheit der Toten geht auf das Konto der US-Armee, genauso wie die Zahl der christlichen Opfer überschaubar bleibt. Zum größten Teil spielt sich die Gewalt zwischen den verfeindeten islamischen Konfessionen ab. Dies gilt ähnlich für den syrischen Bürgerkrieg mit ebenfalls 300.000 Toten, oder den noch jungen jemenitischen Bürgerkrieg mit etwa 6000 Toten. In allen Konflikten schüren die beiden Hegemonialmächte, das sunnitische Saudi-Arabien und der schiitische Iran, die religiösen Spannungen.

Wer die größte systematische Christenverfolgung der jüngeren Vergangenheit sucht, wird in den 80er Jahren fündig. Damals wurden zehntausende Katholiken in Guatemala ermordet. Allerdings nicht von atheistischen Marxisten, sondern vom evangelikalen Diktator Efrain Rios Montt.

Kommentare

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    Charles-Louis Joris

    Ich stimme weitgenehd überein - bloss die Anprangerung des eminent säkular konstituierten Staates Angola ist völlig daneben.
    Angola will mit seinem Verbot des Islam vorab und nur die Verbreitung des wahhabitisch-salafistischen Islams - die einzige islamische Sekte , die dazu Geld zur Verfügung hat - in Grenzen halten. Und recht hat die Regierung. Der Wahhabismus ist durchaus mit integristischem Katholizismus oder eben Evengelikalem Plunder gleichsetzbar. Der Autor schüttet nicht nur das Kind mit dem Bade aus, sondern schmeisst dem Baby gleich noch die Wanne hinterher

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      Norbert Schönecker

      Ein sehr seriöser kritischer Artikel, basierend auf Argumenten und nicht auf Vorurteilen. Er kommt sogar ohne Rückgriffe auf Kreuzzüge und Häretikerverfolgungen aus. Auf so einer Basis lässt sich trefflich über Probleme der Gegenwart diskutieren.
      Ich bezweifle ebenfalls die 100.000 Toten allein (!) wegen ihres christlichen Glaubens und bestreite Kauders Aussage "Nirgendwo auf der Welt verfolgen Christen andere". Und das, obwohl ich nach den Maßstäben dieser Seite ein fundamentalistischer Katholik bin.
      Der Satz "Weil es diese blutige Christenverfolgung nicht gibt." ist aber in dieser Kürze falsch. Später schreibt der Autor ja selbst "in diesem Ausmaß", und damit mag er recht haben.
      Was die Zahlen betrifft: Mir scheint der Rückgang der christlichen Bevölkerung in Iran, Syrien, Türkei, Irak und einigen anderen Ländern bemerkenswert. Viele Jahrhunderte lang war dort der Christenanteil stabil bei über 10%. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten (in der Türkei etwas früher) ist der Anteil drastisch gesunken. Ich glaube nicht, dass es nur an der zunehmenden Motorisierung liegt, dass so viele ausgewandert sind. Es gibt schon auch echte Verfolgung in großem Ausmaß.

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