Seit über 30 Jahren operieren Genderlinguisten am lebenden Organismus der Sprache herum, um ein Strukturmerkmal aus ihr zu entfernen, das ihnen als Tumor gilt: das generische Maskulinum.
Diese Versuche haben allerdings den Sexismus erst recht in die Sprache gebracht. Daher sollten Feministen einsehen, dass sie falsch lagen, und mithelfen, das Maskulinum als Standardgenus zu retten.
„Die Wähler haben entschieden.“
Die Textsorte Politikerfloskel ist einer der wenigen Bereiche, in denen auch im Alltag konsequent „gegendert“ wird. Daher muss es heißen: „Die Wählerinnen und Wähler haben entschieden“, sonst droht der Shitstorm. Grammatikalisch ist das allerdings nicht ganz korrekt, denn es müsste heißen: „Die Wählerinnen und die männlichen Wähler haben entschieden.“ Denn anders als für Frauen steht für Männer keine Form zur Verfügung, die eindeutig auf sie referiert. Da Frauen bei uns zweifelsfrei wahlberechtigt sind, beziehen sich die Begriffe „Wahlberechtigter“ und „Wähler“ auf Männer und Frauen.
Beim generischen Maskulinum seien Frauen immer „nur mitgemeint“, heißt es oft. Die Betonung liegt dabei auf „nur“. Allerdings sind auch Männer bei der generischen Verwendung des Maskulinums „nur“ mitgemeint. Denn die generische, also allgemeine, Verwendung, abstrahiert eben vom Geschlecht in all den Fällen, in denen es keine Rolle spielt. Dies sind die allermeisten Fälle. Diese Abstraktionsleistung wird seit über 30 Jahren zu Unrecht gering geschätzt, weil das Genussystem missverstanden wird.
Dieser grundlegende Irrtum ist die Ineinssetzung von Genus und Sexus, von sprachlichem und natürlichem Geschlecht. Bereits ein oberflächlicher Blick auf die Genussysteme der Sprachen macht deutlich, dass beide weitgehend voneinander unabhängig sind. Lesens- und Sehenswertes dazu auf dem Blog „Belles Lettres“ von Daniel Scholten, hier oder hier. Eine gute Zusammenfassung findet sich hier.
Die Beschäftigung mit der Geschichte des Genussystems klärt auch die Frage, warum das Maskulinum sich zum Standardgenus für die generische Referenz entwickelt hat. Es war die erste Kategorie zur Ordnung und Generierung von Wörtern, aus dem sich die übrigen Genera erst später gebildet haben. Es ist also weder ein Wunder noch das Ergebnis einer Verschwörung, dass es zur allgemeinen Bezugnahme dient. Allgemeine Bezugnahme ist die eigentliche Aufgabe eines Standardgenus. Die spezielle Bezugnahme auf eine bestimmte Gruppe anhand des Merkmals „männlich“ kam erst viel später, nachdem sich die anderen Genera herausgebildet hatten. Die beschreibenden Begriffe „Maskulinum“, „Femininum“ und „Neutrum“ sind gleichsam eine volksetymologische Interpretation des Genussystems, sie sind damit selbst eine Folge des grundlegenden Irrtums und haben ihn natürlich verstärkt.
Nun gibt es aber doch das Phänomen der Homophonie von generischem und speziellem Maskulinum. Und diese Homophonie führt doch dazu, dass „Student“, „Fußgänger“, „Radfahrer“ usw. Bilder von Männern evozieren, nicht von Frauen. Ist das nicht ein Problem? Ja, das ist das Grundproblem der feministischen Linguistik. Daher versucht sie seit jeher, sprachliche Verfahren zu entwickeln, um Männer als „Prototyp“ zurückzudrängen. Allerdings: Welcher Prototyp erscheint vor Ihrem geistigen Auge, wenn Sie „die Koryphäe auf dem Gebiet der theoretischen Physik“ oder „die Fachkraft für Straßenreinigung“ lesen? Dies sind nur zwei Beispiele für das ebenfalls existierende generische Femininum. Und weiter: Wie sieht Ihr männlicher Prototyp des „Fußgängers“ aus? Ist er alt oder jung? Behindert oder nicht-behindert? Weiß oder schwarz? Attraktiv oder hässlich? Homo oder hetero? Dick oder schlank? Und warum erscheinen uns all diese automatisch mental getroffenen Entscheidungen nicht als Problem? Gibt es etwa keinen Rassismus mehr? Werden Alte, Behinderte, Hässliche, Dicke oder Homosexuelle nicht diskriminiert? Doch. Aber es gibt für sie keine eigene sprachlich markierte Form. Da haben all diese Opfergruppen Glück gehabt. Denn so kommt niemand auf die Idee, gegen ihre Diskriminierung mit symbolischen Ersatzhandlungen vorzugehen. Vor allem aber wir Sprachbenutzer haben Glück gehabt. Denn eine derart politisierte Sprache wäre als Instrument der Kommunikation vollkommen unbrauchbar. Hier führt jemand durch ein Beispiel für diese Art von Anti-Sprache.
Der Versuch, das Standardgenus von oben herab abzuschaffen, ist nicht nur totalitär, sondern auch ein totaler Fehlschlag. Er zerstört nicht nur wesentliche Strukturen der Sprache, sondern erreicht auch das Gegenteil von dem, was erreicht werden soll. Das Ergebnis ist nämlich nicht die Abschaffung des Sexismus, sondern allererst die Einführung und Festschreibung der Geschlechtersegregation in die Sprache.
Es schadet damit den Frauen, nicht den Männern
Das konsequente Gendern schwächt nicht etwa das „Maskuline“, sondern das „Generische“ am generischen Maskulinum, es schadet damit den Frauen, nicht den Männern! Es erfüllt allererst das feministische Fehlurteil, Personenbezeichnungen im Maskulinum hätten keine generische Bedeutung. Am Ende werden Frauen tatsächlich zunehmend aus dem Referenzkreis ausgeschlossen, am Ende sind sie tatsächlich nicht mehr „mitgemeint“. Der falsche Befund der feministischen Linguistik bewahrheitet sich so auf tragisch-selbstreferentielle Weise.
Wer jetzt auf die üblichen alternativen Formen der Bezugnahme setzen möchte, wird enttäuscht werden: Sie sind allesamt unbrauchbar und haben keine Chance, sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchzusetzen. Denn die Sprachstruktur ist extrem beständig und konservativ. Ein Merkmal wie das historisch gewachsene Verfahren zur allgemeinen Bezugnahme ist derart zentral für die Kommunikation, dass die Sprache es beibehalten wird. Achten Sie mal darauf, in welchen Textsorten Sie gegenderte Verfahren zur allgemeinen Bezugnahme finden. Sie werden feststellen, dass es nur drei Bereiche sind:
1. Texte im Umfeld der Gendertheorie und der von der Gendertheorie beeinflussten Geisteswissenschaften
2. Texte von Politikern oder Funktionären, die in typisch anbiedernder Weise ihrem Publikum nach dem Mund zu reden versuchen
3. Behördliche Texte, die gezwungenermaßen Bestimmungen zur „gendergerechten“ oder „gendersensiblen“ Sprache erfüllen
Die allermeisten Sprachbenutzer versuchen weiterhin unbeirrt, ihre kommunikativen Ziele so gut wie möglich zu erreichen. Dazu brauchen sie ein eindeutiges, bewährtes und grammatikalisch richtiges Verfahren zur allgemeinen Bezugnahme.
So kontraintuitiv das Dilemma zustande gekommen ist, so kontraintuitiv könnte der Ausweg aussehen. Wir haben gesehen, dass die Zerstörung der generischen Referenz zu Lasten von Frauen geht, nicht zu Lasten von Männern. Daher läge die Rehabilitierung des generischen Maskulinums paradoxerweise vor allem im Interesse von Frauen. So könnten nicht nur die neu entstandenen Probleme mit der allgemeinen Bezugnahme gelöst, sondern auch diese neu entstandene Geschlechtersegregation aufgehoben werden. Es würde Feministen gut zu Gesicht stehen, öffentlich ihren Fehler einzugestehen und aktiv dabei mitzuhelfen, das Standardgenus und die allgemeine Bezugnahme zu retten.
Der Kampf gegen das generische Maskulinum wollte ein Kampf gegen den Sexismus sein, aber er hat diesen Sexismus erst in die Sprache eingeführt. Die Genderfeministen haben den Sexismus zunächst beschworen, aber dann durch die Versuche, ihn auszumerzen, erst tatsächlich in die Sprache hineingetragen. Sie haben selbst die Geschlechtersegregation vorangetrieben, sie haben sich selbst – und mit sich alle Frauen – in einem sprachlichen Ghetto eingesperrt. Wer will, dass das Geschlecht keine Rolle spielt, darf es nicht ständig formal in den Vordergrund stellen. Frauen sollten nicht etwa darauf bestehen, nur noch „Anwältin“, „Ärztin“ oder „Studentin“ genannt zu werden, sondern darauf, ebenfalls als Anwalt, Arzt oder Student zu gelten. So empfand es schon früh (1991) Dagmar Lorenz:
„Der Verfasserin dieser Zeilen will es nicht recht einleuchten, warum sie sich nun eine gesonderte Anrede gefallen lassen muss. Zu den „Wählern“, jenem praktischen Oberbegriff, der einst alle Wahlberechtigten ungeachtet ihres jeweiligen Geschlechtes umfasste, darf sie sich nun nicht mehr zählen. Sie muss sich den „Wählerinnen“ zugesellen, mit denen sie nichts als das in diesem Zusammenhang völlig irrelevante biologische Geschlecht gemein hat. Eine Art von sprachlicher Apartheid wird gleichsam über sie verhängt...“
Frauen sollten sich gegen diese Apartheid wehren, sie sollten dagegen rebellieren, sprachlich in das Ghetto der „markierten“ Formen des Femininums eingesperrt zu werden, sie sollten nicht hinnehmen, auf diese Sonderformen reduziert zu werden. Sie sollten darauf bestehen, wieder auf die bewährte Weise in der generischen Form „mitgemeint“ zu werden. Denn „Mitgemeintsein“ ist Teilhabe. Die Alternative ist Ausgrenzung. Und Ausgrenzung aufgrund des Geschlechts ist Sexismus.
Kommentare
Ob nun durch Gederistinnen eingeführt oder nicht (bin ja nun nur Baujahr '89 und kann/will das nicht einschätzen), für michklingt Arzt nun mal nicht nach einer Ärztin. Es klingt nach einem männlichen Kollegen. Sagt mir jemand: "Ich war beim Arzt" schließe ich eine behandelnde Frau intuitiv eher aus. Sei ihr Geschlecht auch sprachhistorisch noch so "mitgemeint" und im Zusammenhang nicht relevant - mein Kopf imaginiert zeitsparend was er will und die Häufigkeit der Anwendung der Heuristik macht den Sexkohl dann eben doch fett.
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Danke, Manu, genau das Problem wird bei diesem Artikel übersehen. Ich teile durchaus einige Gedanken des Autors und finde das Gendern auch gerade bei Sachverhalten, die etwas eindeutiger auf einen generischen Adressaten zielen (etwa bei Gesetzestexten oder beim Verkauf), etwas müßig.
Aber gerade in Berufsfeldern oder Bereichen, mit denen wir feste Rollen assoziieren, ist es kein individuelles Sich-selbst-ausschließen, sondern ein strukturelles. Und da reicht ein "wir sind aber mitgemeint" nicht, um eine Bewusstseinsveränderung herbeizuführen; diese funktioniert tatsächlich am besten, wenn man zuerst ein sprachliches Bewusstsein dafür schafft.
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Und genau das ist es ja, was der Artikel anprangert. Durch die Genderisierung werden die Menschen dazu gebracht, bei geschlechtsunabhängigen Themen (ob mich eine Frau oder ein Mann medizinisch behandelt, ist hochgradig egal) in Geschlechtern zu denken. Die meisten Menschen, die vor der Genderisierung sozialisiert sind, denken bei "Arzt" an eine Person mit medizinischer Ausbildung - ohne Unterscheidung, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau (oder einen Schwulen, Weißen, Alten, etc.) handelt. Bei Dir hat die Genderisierung schon gewirkt und Du verbindest deshalb eine eigentlich völlig geschlechtsunabhängige "Sache" sofort mit einem konkreten Geschlecht.
Meine Frau sagt von sich z.B., dass sie "Betriebswirt" ist und unsere Freundin, dass sie "Kaufmann" ist. Beide vor 1974 geboren und ohne den Sexismus der Genderisierung sozialisiert.
Gleichberechtigung ist enorm wichtig, allerdings ist die Genderisierung der Sprache m.E. nicht der richtige Weg, sie zu erreichen.
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Divers fehlt noch in den Beispielen. Wenn schon gendern, dann bitte auch alle Geschlechter nennen.
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"für mich klingt Arzt nun mal nicht nach einer Ärztin. Es klingt nach einem männlichen Kollegen"
Ja.
Und zwar nach einem weißen, mittelalten, nichbehinderten, schlanken, heterosexuellen Mann.
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Es geht im Moment um verdammt viel mehr als um das generische Maskulinum. Wer heute den Feminismus oder die Genderideologie kritisiert, wird auf Facebook zensiert und ist auch sonst Repressalien ausgesetzt.
Ich habe neulich versucht, mein Buch auf GMX ("Die Gedanken sind frei") zu bewerben. Doch die haben, nachdem sie erst zugesagt haben und ich das Werbematerial erstellt habe, in letzter Sekunde wieder abgesagt. Für Bücher zu solchen Themen könnte man bei ihnen nicht werben. Die diesbezügliche Richtlinie sei kürzlich verschärft worden.
Mehr zum Buch hier
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Das Buch gibt's jetzt auch als E-Book, bis zum 30.11.18 zum Aktionspreis von 3,99€ (regulär 9,99€)
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