Richard Dawkins und der Kulturchrist
Ich möchte eine dreifache Unterscheidung machen. Man kann ein Kulturchrist, ein politischer Christ, ein gläubiger Christ oder eine Kombination dieser drei sein. Man kann unterschiedlicher Meinung darüber sein, was davon ein „Christ“ ist. Für mich muss es ein gläubiger Christ sein.
Ich bin ein Kulturchrist, genauer gesagt ein Kulturanglikaner. Ich wurde in christlichen Schulen erzogen. Die Geschichte meines Volkes ist stark von der christlichen Tradition geprägt. Ich singe gerne Weihnachtslieder und bin von der geistlichen Musik von Bach und Händel tief bewegt. Mein Kopf ist voll von biblischen Sätzen und Zitaten. Und mit Kirchenliedern, die ich regelmäßig nach Gehör auf meiner elektronischen Klarinette spiele.
Ich denke, dass Ayaan Hirsi Ali (die weltweit zu meinen Lieblingsmenschen gehört) eine politische Christin ist. Sie ist in der Kultur des Islams aufgewachsen und weiß sehr wohl um die Schrecken, die diese Religion immer noch über Muslime in der ganzen Welt, insbesondere über Frauen, bringt. Sie sieht das Christentum als einen relativ ungefährlichen Konkurrenten, der es wert ist, als Bollwerk gegen den Islam unterstützt zu werden. So wie die meisten von uns eine politische Partei unterstützen, ohne mit ihrem gesamten Parteiprogramm einverstanden zu sein, weil wir sie der Alternative vorziehen, kann ein politischer Christ das Christentum unterstützen, ohne ein gläubiger Christ zu sein, weil es besser als die primäre Alternative ist. Ayaan ist eine Kulturmuslimin, und das hat sie dazu gebracht, eine politische Christin zu sein.
Gläubige Christen glauben, dass das Universum auf einen übernatürlichen Schöpfer aufbaut, den man Gott nennt. Sie glauben, dass ein Jude aus dem ersten Jahrhundert namens Jesus der Sohn Gottes ist. Sie glauben, dass die Mutter von Jesus eine Jungfrau war, als sie ihn zur Welt brachte. Sie glauben, dass Jesus drei Tage nach seinem Tod wieder auferstanden ist. Sie glauben, dass wir selbst eine unsterbliche Seele haben, die unseren körperlichen Tod überlebt. Sie glauben, dass Gott unsere Gebete erhört. Ich habe den starken Verdacht, dass Ayaan an nichts von diesen Dingen glaubt. Sie ist keine gläubige Christin.
Ich meine damit, dass sie überhaupt keine Christin ist. Andere mögen Kulturchristen in ihre Definition von Christ einbeziehen, in diesem Fall bin ich ein Christ. Ayaan selbst soll mich sogar als einen der christlichsten Menschen, den sie kennt, bezeichnet haben. Aber das würde auch bedeuten, dass sie eine Muslimin ist, weil sie eine Kulturmuslimin ist. Und sie selbst würde sich sicherlich nicht als Muslimin bezeichnen.
Ayaan ist also eine politische Christin, aber sie ist genauso wenig ein gläubiger Christ wie ich. Ihr Beispiel bringt mich dazu, meine eigene Position zu überdenken. Bin ich ein politischer Christ? Ich habe keinen Zweifel daran, dass das Christentum dem Islam moralisch überlegen ist. Schauen Sie sich nur die Regionen der Welt an, in denen es eine explizit islamische Regierung gibt oder in denen der Islam der dominierende politische Einfluss ist: Iran, Afghanistan, Pakistan, Indonesien, Somalia, Nordnigeria, Brunei, die Türkei (die den bewundernswerten Säkularismus ihrer post-osmanischen Gründung verrät), Saudi-Arabien und viele andere Länder der arabischen Welt. Die Gesetze variieren, aber zu den wiederkehrenden Mustern gehören die Misshandlung von Frauen als Bürger zweiter Klasse, die Verfolgung von Homosexuellen, Zwangsheiraten, gewalttätige Intoleranz gegenüber allem, was als blasphemisch gilt, antijüdische Vorurteile, die so weit gehen, dass Hitler gelobt wird, drakonische Strafen für Apostasie und für Ehebruch, wobei häufig ein bloßes Gespräch mit einem Angehörigen des anderen Geschlechts, der nicht der Ehepartner oder ein Verwandter ist, als solcher betrachtet wird. Das Christentum hat seine schlechten Seiten, und in früheren Jahrhunderten war es genauso schlimm wie der Islam. Aber heute gibt es keinen Wettbewerb mehr. Wenn es um das Böse geht, gewinnt der Islam mit großem Vorsprung. Keine andere Religion kommt dem nahe.
Wäre ich Amerikaner, würde ich die Demokraten wählen, denn trotz ihrer dummen Haltung zur Unterscheidung zwischen Mann und Frau, sind sie der republikanischen Alternative deutlich vorzuziehen. In ähnlicher Weise würde ich, wenn ich gezwungen wäre, entweder für das Christentum oder den Islam hinsichtlich deren Einflusses auf die Welt zu stimmen, ohne zu zögern das Christentum wählen. Wenn mich das zu einem politischen Christen macht, dann soll es so sein. Ich bin vielleicht ebenso sehr ein politischer Christ wie Ayaan es ist. Aber macht das einen von uns beiden zu einem Christen?
Gewiss nicht, würde ich sagen. Für mich als Wissenschaftler ist die Wahrheit oder Unwahrheit von Religionen das, was ein Wort wie Christ oder Muslim wirklich definiert. Wenn Sie jemanden uneingeschränkt als Christ bezeichnen, ist es meiner Meinung nach eine sprachliche Vermischung, wenn damit etwas anderes als ein gläubiger Christ gemeint ist. Es steht Ihnen frei, von dieser Definition abzuweichen. Aber wir sollten uns zumindest darüber im Klaren sein, welche Definition wir verwenden. Wenn Ayaan sagt, sie sei eine Christin, und ich sage, sie sei es nicht, sind wir uns nicht wirklich uneinig. Wir definieren unsere Begriffe nur unterschiedlich. Sie verwendet den Begriff „Christ“, um „Politischer Christ“ für sich selbst und „Kulturchrist“ für mich einzuschließen. Ich glaube nicht, dass man ein echter Christ sein kann, wenn man nicht an die grundlegenden Lehren des Christentums glaubt.
Die einzige Meinungsverschiedenheit ist eine semantische. Ich bin ein Kulturchrist, aber kein gläubiger Christ, daher meine ich, dass ich kein Christ bin. Du, Ayaan, bist eine politischer Christin, daher meinst du, ich jedoch nicht, dass es dich zu einer Christin macht. Aber wir sind beide keine gläubigen Christen. Und daher meine ich, du jedoch nicht, dass es keinen von uns zu einem Christen macht. Also, liebe Ayaan, einigen wir uns darauf, dass wir nicht unterschiedlicher Meinung sind. Einigen wir uns darauf, dass wir uns nicht wirklich unterscheiden.
Ich freue mich, dass ich bei der Eröffnung der Dissident Dialogues eine Diskussion mit Ayaan Hirsi Ali führen werde. Natürlich wird ihre Ankündigung, dass sie Christin geworden ist, ein wichtiger Teil der Diskussion sein. Die Konferenz findet am 3. und 4. Mai 2024 in New York statt. Zu den hochkarätigen Rednern gehören Steven Pinker, John McWhorter, Kathleen Stock, Alex O'Connor und viele andere führende Denker.
In einem aktuellen Interview bezeichnet sich Richard Dawkins als „Kulturchristen“. Die Aussage brachte es in die weltweiten Schlagzeilen. Seine Ausführungen zu Ayaan Hirsi Alis Standpunkt verdeutlichen, was er damit meint.
Kommentare
Was für eine Arroganz!.Mr Dawkins kann über sich urteilen aber nicht so über andere. Er hält sich fürv sehr intelligent.
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