Ist das Universum geplant?

Eine Buchbesprechung

Ist das Universum geplant?

Foto: Pixabay.com / EvgeniT

Diese Rezension setzt sich mit dem Buch Das geplante Universum. Wie die Wissenschaft auf Schöpfung hindeutet von Markus Widenmeyer (Hrsg.) auseinander. Erschienen ist es laut Impressum in der SCM Verlagsgruppe GmbH in Holzgerlingen im Jahr 2019.

Die Autoren

Als Herausgeber für das Werk ist Markus Widenmeyer verantwortlich. Er studierte laut Klappentext Chemie und Philosophie und promovierte mit einer Arbeit über anorganische Chemie. Er ist bei der Robert Bosch GmbH in der Forschung tätig und engagiert sich ehrenamtlich für die „Studiengemeinschaft Wort und Wissen“. Weiterhin werden Tobias Holder, Boris Schmidtgall und Peter Trüb unter der Rubrik „unter Mitarbeit von“ genannt. In der Einleitung stellen sich die vier genannten Personen als „wir Autoren“ (Widenmeyer 2019: 13) vor, von denen „zwei Physiker und zwei Chemiker“ (ebd.) seien.

Relevanz - warum diese Rezension?

Die Frage ist berechtigt und lässt sich am ehesten mit der Jahreszahl „1999“ beantworten. In diesem Jahr gelangte ein Dokument des evangelikal-kreationistischen Thinktanks „The Discovery Institute“ an die Öffentlichkeit. Das Dokument, betitelt mit „The Wedge“ („Der Keil“) entwirft eine Strategie, um die US-amerikanische Gesellschaft entsprechend evangelikal-protestantischer Werte umzuformen. Zu den Fünf-Jahres-Zielen gehörte die Etablierung von „Intelligent Design“ (im Folgenden mit ID abgekürzt) als alternativen Erklärungsansatz und in der Folge breite gesellschaftliche Diskussionen. Die Zwanzig-Jahres-Ziele waren schon deutlich ambitionierter: ID sollte in diversen naturwissenschaftlichen Disziplinen dominant sein und Religion, Politik, Theologie und Kultur durchdringen. Kreationistische Bücher von Autoren wie Philipp Johnson und Michael Behe werden als „Klinge des Keils“ beschrieben, deren Vorstoß weitere folgen sollten.

Der Angriff auf die moderne Wissenschaft hat also Methode. Nur oberflächlich geht es dabei wirklich um Wissenschaft. Auch die deutschstämmige „Studiengemeinschaft Wort und Wissen“, die an dem hier besprochenen Werk beteiligt gewesen ist, beschreibt „Schöpfungsforschung als Teil der Apologetik“, also als Verteidigung des christlichen Glaubens (Wort und Wissen 2020). Dadurch will sie den eigenen christlich-biblischen Vorstellungen innerhalb der Gesellschaft Geltung verschaffen (ebd.).

Das eigentliche Ziel geht also über die wissenschaftlichen Fragen weit hinaus: Die gesamte Gesellschaft soll im Sinne einer bestimmten christlichen Auslegung umgestaltet werden. In der Auseinandersetzung mit Kreationisten muss das berücksichtigt werden. Ziel kreationistischer Kritik an der Wissenschaft ist es nicht, fruchtbare Beiträge zu leisten oder eine gemeinsame Diskussion voranzubringen, sondern vielmehr die Destruktion der modernen Wissenschaft, wie wir sie kennen, um danach die „Reform“ der restlichen Gesellschaft in Angriff nehmen zu können. Das ändert nichts an der Notwendigkeit der sachlichen (wenn auch unmissverständlichen) Auseinandersetzung mit deren Argumenten. Es sollte aber zu jedem Zeitpunkt klar sein, dass Kreationisten die wissenschaftliche Diskussion nicht um des Wissensfortschritts Willen führen, sondern sie in den Dienst religiös motivierter Kritikimmunisierung stellen.

Übersicht

Das Buch nimmt in Anspruch, dass moderne wissenschaftliche Erkenntnisse auf Schöpfung als Entstehungsursache für das Universum hindeuten. Es gliedert sich in elf Kapitel, von denen sich nach der Einleitung sieben Kapitel mit der Beschaffenheit des Universums beschäftigen. Dies geschieht in Bezug auf

- Mathematik als „Sprache“ des Universums

- die Naturgesetze

- die sogenannte „Feinabstimmung der Naturkonstanten"

- Energieverteilung im Universum und

- die chemische Beschaffenheit biologischer Lebensformen

Im Wesentlichen folgt jedes Kapitel dabei dem gleichen Muster: Nach Darlegung bestimmter physikalischer oder chemischer Gegebenheiten wird auf die Besonderheit oder Einzigartigkeit dieser verwiesen. Dann werden fehlende Erklärungen für diese behauptet oder bestehende als nicht plausibel zurückgewiesen. So setzt sich beispielsweise Kapitel 3 mit der „naturgesetzlichen Grundordnung“ auseinander und beschreibt diverse Naturgesetze. Die nach Ansicht der Autoren fehlenden naturalistischen Erklärungen für die Existenz solcher Gesetze (S. 32, 33) sollen dann ein schöpferisches Eingreifen plausibel erscheinen lassen (ebd.).

Danach sollen in Kapitel 9 übliche Einwände gegen die vorgebrachten Argumente widerlegt werden. Kapitel 10 setzt sich mit Gott als dem verantwortlichen Schöpfer auseinander. Im abschließenden Kapitel 11 wird das Fazit gezogen, dass „dieser Gesamtbefund klar auf Planung und Schöpfung schließen“ lasse.

Mathematik und Wahrscheinlichkeit

Um ihr Argument für Schöpfung nachvollziehbar zu machen, stellen die Autoren des Öfteren Wahrscheinlichkeits-Berechnungen an. So wird vorausgesetzt, das Universum besitze unzählige Bestandteile und Parameter, die prinzipiell unabhängig voneinander variiert und angeordnet werden könnten (S. 137).

Beispielsweise wird die gesamte Vergangenheit des Universums gedanklich in eine ungeheure Zahl winzig kleiner Zeitintervalle (Millisekunden) unterteilt (S. 29). Dann wird festgestellt, dass es 10hoch(10hoch22) Möglichkeiten gäbe, diese Zeitintervalle anzuordnen, aber nur eine einzige Reihenfolge, die mit den Naturgesetzen vereinbar sei. Daraus schließen die Verfasser, dass ein regelloses Universum um ein „gewaltiges Maß wahrscheinlicher“ wäre als der „unvorstellbare Ordnungsbeitrag“ unseres Universums. Da die statistische Wahrscheinlichkeit der Ordnung unseres Kosmos „unvorstellbar niedrig“ sei, könne sie der Naturalismus nicht erklären. Dies lege den Schluss auf Schöpfung nahe.

Hier aber stehen wir vor einem konzeptionellen Problem: Die Wahrscheinlichkeit, einen bestimmten physikalischen Zustand anzutreffen, wird durch die Entropie ausgedrückt. Für ein regelloses Universum jedoch, das keine naturgesetzlich beschreibbare Grundordnung auswiese, ist Entropie nicht definiert. Nur anhand physikalischer Gesetze können wir beurteilen, was physikalisch möglich, was Zufall, was wahrscheinlich und was unwahrscheinlich ist. Außerhalb der kosmischen Ordnung mit Wahrscheinlichkeiten zu operieren, ist daher physikalisch ebenso Unsinn, wie das Unterstellen „unwahrscheinlicher Zufälle“. Es ist nicht bekannt, ob es überhaupt so etwas wie ein regelloses Universum geben könnte bzw. wie wahrscheinlich es wäre.

Das Argument der Verfasser ist auch deshalb unhaltbar, weil das beliebige „Permutieren“ von Zeitintervallen ein Universum voraussetzen würde, welches jederzeit von jedem beliebigen Zustand in einen beliebigen anderen Zustand „springen“ könnte. Stellen wir uns einen Kosmos vor, der in der einen Millisekunde vom Urknall zum Menschen und in der nächsten wieder 12 Milliarden Jahre in der Zeit zurückspringt!

Dieses abstruse Gedankenspiel behandelt Zeiteinheiten wie beliebig kombinierbare Legosteine. Zeit ist aber kein autonom existierender Gegenstand, sondern wird durch den sich verändernden Kosmos konstituiert. Und jeder Zustand des Kosmos ist mit den vorherigen Zuständen kausal verknüpft. Daher ist auch jede Momentaufnahme und jedes noch so kleine Zeitintervall mit den vorhergehenden untrennbar verbunden. Um das zu ändern bräuchte es ein Universum mit sehr ausgefallenen Mechanismen. Es ist vollkommen unklar, ob so etwas Kurioses existieren kann.

Die Autoren operieren also mit Wahrscheinlichkeiten ohne Rechenschaft darüber abzulegen, ob das, was sie dabei „ausrechnen“, noch irgendetwas mit der Realität zu tun hat. Ein Argument für Schöpfung lässt sich daraus ebenso wenig ableiten wie die Unwahrscheinlichkeit des Naturalismus. Wir wissen schlicht nichts darüber, welche Naturkonstanten wie häufig in verschiedenen Universen auftreten könnten, geschweige denn, welche davon Leben ermöglichen.

Insgesamt enttäuscht das Buch all diejenigen, die auf neue oder tatsächlich wissenschaftlich fundierte Argumente gehofft haben. Widenmeyers Werk geht nicht über das hinaus, was auf dem kreationistisch orientierten Büchermarkt seit Jahrzehnten erhältlich ist. Zwar strotzt das Buch vor Ausführungen über die in der Tat beeindruckende Beschaffenheit des Universums aus biologischer, physikalischer und chemischer Perspektive (und auch das hat man schon anderswo gelesen).

So begeistert sich beispielsweise das vierte Kapitel nicht nur für die Universalität der Mathematik, sondern auch für die „ungeheuerliche Eigenschaft... Transivität“ (Widenmeyer 2019: 37), also der Übertragbarkeit von mathematischen Konzepten. Zehn Seiten und mehrere Illustrationen sind hier dem Vorhaben gewidmet, dem Leser zu verdeutlichen, welch beeindruckendes Wunder die mathematische Verfasstheit des Universums darstelle. All dem soll hier nicht widersprochen werden. Dann erst, im letzten Absatz der letzten Seite des Kapitels folgt die plumpe Überleitung:

„Es bleibt hier aber völlig unklar, wie und durch was die Materie zu diesen mathematischen Strukturen gekommen ist. ... Aber eigentlich kennen wir ja eine systematische Quelle mathematischer Konzepte: Intelligenz und Geist“ (Widenmeyer 2019: 44).

Dass sich Menschen der Mathematik bedienen liegt daran, dass Mathematik - wie die Autoren selber feststellen - als abstrakte Wissenschaft zuverlässige Berechnungen ermöglicht. Zweifelsohne erschaffen Menschen keine Mathematik. Sie erkennen mathematische „Konzepte“ (nicht zuletzt, weil ihre Körper mathematischen Regeln folgen) und bedienen sich dieser Kenntnis. Eine Additionsaufgabe niederzuschreiben ist nicht vergleichbar mit dem Akt, das Universum mathematisch zu „prägen“.

Das Argument der Feinabstimmung

Das sechste Kapitel widmet sich der sog. „Feinabstimmung der Naturkonstanten“. Hier wird dem Leser auf vierzehn Seiten verdeutlicht, dass schon äußerst geringe Abweichungen der Naturkonstanten ein Leben, wie wir es kennen, unmöglich machen würden. Aber wenn die Autoren eine Erklärung dafür vorbringen wollen, bleiben auch sie bei der nebulösen Behauptung stehen, ein ominöser Schöpfer zeichne dafür verantwortlich. Diesem Schöpfer werden zwar bestimmte Eigenschaften zugewiesen (Widenmeyer 2019: 135). Diese sind allerdings beliebig, schwammig und genauso wenig überprüfbar wie die Existenz des Wesens, das sich die Autoren vorstellen.

So heißt es etwa, das Wesen habe „die Macht, seine Pläne umzusetzen“ oder es existiere „unabhängig und außerhalb des physikalischen Universums (transzendent)“. Das Spekulation zu nennen ist untertrieben, ganz zu schweigen von der Frage, inwieweit der Begriff „transzendent“ überhaupt inhaltlich greifbar ist.[1]

„Schöpfung“ kann auf diese Art und Weise schon prinzipiell keine befriedigende Antwort auf irgendeine Fragestellung sein. Ein transzendenter „Schöpfer“ ist weder erforschbar noch falsifizierbar. Außerdem lassen sich ihm beliebige magische Fähigkeiten unterschieben. Um das nachzuvollziehen genügt ein einfaches Gedankenexperiment: Was für ein Universum könnte nicht von einer unbekannten intelligenten Macht geschaffen worden sein?

Was wäre etwa, wenn keine Naturkonstante die als „feinabgestimmt“ geltenden Werte besäße? Dann hätte der Kosmos nie eine natürliche Evolution durchlaufen können. Irdisches Leben, so wie wir es kennen, wäre dann erst recht ein „Wunder“, das sich einem „Gott“ anrechnen ließe.

Da also die Schöpfer-Hypothese sowohl eine „Feinabstimmung“ der Naturkonstanten als auch das genaue Gegenteil „vorhersagt“, kann die Feinabstimmung kein Indiz für „Schöpfung“ sein. In einer Welt, in der ein Gott direkt Leben erschuf, ist sie sogar sinnlos. Sinnvoll und notwendig ist sie nur, wenn sich der Kosmos und das Leben auf ganz natürliche Weise entwickelten (NEUKAMM 2015).

Widenmeyers Werk teilt zwei weitere Schwachpunkte mit bereits vorhandenen kreationistischen Werken. Erstens: Im gesamten Buch findet sich keinerlei tiefergehende Aussage darüber, was „Schöpfung“ (separat vom „Schöpfer“) konkret bedeuten soll. Die Auswirkung dieses fehlenden Aspektes ist fatal für die gesamte Argumentation, die ja gerade darauf abzielt, die Notwendigkeit des „Wie“ bei der Entstehung des Universums herauszustellen.

Wie kommt es zur sogenannten „Feinabstimmung der Naturkonstanten“ (S. 55 bis 68)? Wie sind die Naturgesetze entstanden (S. 21 bis 34)? Das beantworten Widenmeyer und die weiteren Autoren nicht, und das ist wenigstens unbefriedigend. Immerhin beschäftigt sich der größte Teil des Buches damit zu betonen, wie komplex das Universum und wie besonders seine innere Struktur sei.[2] Anders gesagt, die Autoren können das dem Naturalismus zur Last gelegte Fehlen einer „Erst-Erklärung“ selber nicht liefern. „Gott“ ist nur ein Platzhalter für etwas Unverstandenes:

„Es ist kein Mechanismus bekannt und es kann nicht nachvollzogen werden, wie Gott eine Welt ins Dasein bringt. Das ist ... im Wesentlichen korrekt, stellt aber kein Argument gegen Schöpfung dar ...“ (Widenmeyer 2019: 146).

Kein Argument gegen Schöpfung - aber auch keines dafür

Selbst wenn man nun den Autoren geneigt sein und der Argumentation folgen wollte, käme man nicht weit. Lassen wir die sog. „Feinabstimmung der Naturkonstanten“ einmal als „Verdacht“ oder „Indiz“ auf einen Schöpfer, Konstrukteur oder ähnliches stehen. Was braucht es nun als Verbindung zwischen Schöpfung und Schöpfer, um den Verdacht zu erhärten? Eben genau das, was uns bei tatsächlich geschaffenen Dingen den Rückschluss auf den Schöpfer ermöglicht: das Erfahrungswissen.

Finden wir, um Widenmeyer zu folgen, tatsächlich auf einer einsamen Insel ein „nettes Häuschen“ (Widenmeyer 2019: 7), so können wir ruhigen Gewissens auf eine menschliche Schöpfungsleistung schließen, weil entsprechende Prozesse bekannt sind. Wir verfügen über Erfahrungswissen, was die Fertigung von Häusern unterschiedlichster Bauart angeht. Nichts dergleichen können Widenmeyer und seine Co-Autoren vorweisen. So bleibt es bei Worthülsen und angedachten Spekulationen.

Dabei hat Widenmeyer in einem Punkt durchaus recht: Der unbekannte Schöpfungsmechanismus ist kein Argument gegen Schöpfung. Nichts kann gegen eine „Erklärung“ vorgebracht werden, die derart nebulös ist. Das ist aber keine Stärke, sondern gerade die fundamentale Schwäche des Kreationismus: Seine Grundannahmen können nicht überprüft (und somit auch nicht rational erschlossen) werden.

Die Autoren demonstrieren das unfreiwillig selbst bei ihrem Versuch, tatsächliche oder vermeintliche Argumente gegen „Schöpfung“ zu entkräften. Auf den hypothetischen Einwand, das Universum sei für die Beherbergung biologischer Lebensformen überdimensioniert, antworten die Autoren wie folgt: „Die Größe des Universums stellt für Gott vermutlich (sic!) ein Gut dar, durch das er z. B. seine Herrlichkeit und Macht zum Ausdruck bringt“ (Widenmeyer 2019: 144, 145). Dass das Universum „nicht in jeder Hinsicht optimal für Leben eingestellt ist“ (Widenmeyer 2019: 145), kann die Autoren auch nicht schrecken:

Musste Gott ein in jeder Hinsicht optimales Universum schaffen? Nein“ (ebd.).

Wohl wahr: Gott kann alles und muss nichts. So lassen sich mit ein wenig Fantasie, beliebigen Spekulationen über den göttlichen Ratschluss und einer groben Verletzung des Falsifikationsprinzips alles und nichts gleichermaßen (v)erklären.

Dass aber ein Universum, in dem Milliarden unbewohnbare Welten auf eine bewohnbare kommen, nach all unserer Erfahrung nicht mehr nach intelligenter Planung aussieht, fällt dabei unter den Tisch.

Die Schwäche des einen, die Stärke des anderen?

Wahrscheinlich halten die Autoren auch dieses Problem für kein besonders großes. Das liegt – zweitens - wahrscheinlich daran, dass sie der Ansicht zu sein scheinen, die vermeintlichen Schwächen des Naturalismus würden zwangsläufig eine transnaturale Erklärung unterstützen. Sie betrachten ihren Kampf gegen den naturalistischen (und einzigen) Wissenschaftsbetrieb als einen eben solchen und gehen so weit, von einer „Frontlinie ... zwischen Vertretern einer naturalistischen Weltanschauung und Vertretern einer theistischen Weltanschauung“ zu sprechen (Widenmeyer 2019: 10).

Die Schwäche der einen Seite wäre somit die Stärke der anderen. Aber selbst, wenn solche Schwächen bestünden, würde sich daraus kein Automatismus in Richtung irgendeiner anderen Erklärung ergeben. Wissenschaft ist kein Konflikt, kein Kampf und kein Krieg. Erklärungsversuche stehen für sich allein und müssen wissenschaftlichen Kriterien genügen. Man stelle sich nur vor, wie wenig fruchtbare Forschungsarbeit geleistet würde, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ähnlich wie Widenmeyer ihre Zeit vor allem mit der Kritik der Konkurrenz verbringen würden.

Fehlerhaft ist auch die Darstellung, der Naturalismus sei eine beliebige „Weltanschauung“ (Widenmeyer 2019: 10, 27), die in der Folge mit dem Theismus gleichgesetzt wird. Wissenschaft kann nur naturalistisch funktionieren. In einer Welt, in der Zauberei, Magie und Geisterwesen – also unerklärliche Vorgänge bewirkt durch nicht erklärungsbedürftige immaterielle Personen und Wesen – legitime Erklärungen sind, muss jede Forschung scheitern. Magie, Zauberei und das Wirken okkulter Mächte wären keine Bereicherung der Wissenschaft, sondern ein Rückschritt astronomischer Größenordnung. Strenggenommen bedeutet das übrigens nicht, dass sich die Wissenschaft nicht mit Kobolden oder Gespenstern auseinandersetzen kann. Sie hat es in der Vergangenheit immer wieder getan und das Wirken vermeintlicher Geisterwesen auf höchst materielle Ursachen zurückgeführt.

Kreationisten attackieren nicht nur Theorien und Hypothesen zur Entstehung des Universums und des Lebens, sondern auch - direkt oder indirekt - die Grundlage moderner Wissenschaft. Der Grund dafür ist einfach: Moderne Wissenschaft ist mit ihren religiösen Vorstellungen inkompatibel. Fundamentalistische Weltanschauung darf nicht angerührt werden, daher muss die Wissenschaft an die kreationistische Weltanschauung angepasst werden.[3] Wissenschaft aber kann mit der „Gotteshypothese“ nichts anfangen:

„Um überhaupt eine Beobachtung erklären zu können, müssen gesetzmäßige Aussagen formuliert werden. Nur Gesetzesaussagen kann man prüfen und prinzipiell widerlegen. Ein Schöpfer unterliegt jedoch keinen gesetzesmäßigen Zwängen, weil er 'allmächtig' ist. Folglich lässt sich jede nur denkbare Beobachtung auf die freie Entschlusskraft eines Schöpfers zurückführen, und es ist einfach nicht mehr entscheidbar, welche Daten die Revision der Schöpfungsthese notwendig machen könnten“ (Neukamm 2002).

Abschließend soll die Auseinandersetzung der Autoren mit möglichen Einwänden gegen die „Gotteshypothese“ gewürdigt werden. Es ist ihnen anzurechnen, dass eine solche Diskussion überhaupt stattfindet. Im Folgenden sollen einige dieser Argumente und ihre Widerlegungen beispielhaft betrachtet werden.

Argument 1: Ist die Existenz Gottes unwahrscheinlich?

Die Autoren bestreiten, dass dem so ist. Warum, ist kaum nachvollziehbar. „Im Gegensatz zu einem materiellen System ist aber ein rein geistiges Wesen wie Gott zumindest in einem wichtigen Sinne einfach: Ein rein geistiges Wesen besteht ... nicht aus Teilen, die voneinander abgetrennt werden können. ... Auch wir Menschen nehmen uns selbst ... als etwas Einfaches wahr“ (Widenmeyer 2019: 138).

Es bleibt offen, woher die Autoren ihre Erkenntnisse über „rein geistige Wesen“ beziehen. Der Mensch ist kein solches Wesen. Der Prozess, den wir als Bewusstsein beschreiben, ist das Ergebnis ungeheuer komplexer Vorgänge in unserem zentralen Nervensystem. Greift jemand oder etwas in die materielle Basis dieser Vorgänge ein, werden damit auch die „geistigen“ Prozesse beeinträchtigt. Jeden Tag erleiden etwa 500 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall, und viele dieser Menschen können leidvoll davon berichten, welche Auswirkungen ein kleiner und höchst materieller Vorgang in einem Blutgefäß des Gehirns haben kann.

Da hilft es wenig, dass die Autoren unsere vermeintliche „Selbsterfahrung als geistige Wesen“ heranziehen, in der wir „an dieser rein geistigen Seite Gehirn oder irgendeine andere materielle Struktur“ (Widenmeyer 2019: 139) erkennen. So kann ein Tumor im Bereich des Frontallappens mangelnde Impulskontrolle zur Folge haben, während ein Schlaganfall im Bereich des Mittelhirns eine enthusiastische und hochaktive Seniorin zu einer apathischen und antriebslosen Person machen kann, die sich nur mit großer Mühe zum Toilettengang aufrafft.

Komplexe neuronale Vorgänge wie das Bewusstsein selbst lassen sich ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Materie nicht verstehen. Eine Erklärung, wie Bewusstsein außerhalb von Materie zustande kommen sollte und warum überhaupt, bleibt aus.

Argument 2: Wer schuf Gott?

Die Autoren halten diesen Einwand für „atheistisch motiviert“ (Widenmeyer 2019: 140) und sehen Gott als „erste unerklärte Instanz“ (ebd.), die prinzipiell nicht weiter erklärt werden muss und kann. Warum diese erste unerklärte Instanz Gott sein muss, wird nicht beantwortet. Ebenso wenig wird erläutert, warum ausgerechnet Gottes Existenz keiner Begründung bedarf. Genauso könnte das für den Anfangszustand des Universums gelten, will man der Argumentation hier folgen. Möglich wäre auch, dass Gott von einem anderen Gott geschaffen wurde, und dieser die erste unerklärte Instanz darstellt.

Die einzige Grundvoraussetzung des Naturalisten ist, dass die Welt erforschbar ist und sich gesetzmäßig verhält. Dieses Prinzip entspringt nicht der Willkür eines beliebigen Wissenschaftlers oder irgendeiner Weltanschauung: Ohne diese Grundvoraussetzung wäre Forschung nicht möglich. Die Autoren hingegen plädieren für eine andere Grundvoraussetzung, nämlich eine spezifische Annahme, die weder notwendig noch hilfreich noch belegbar ist. Wäre sie eines von beidem oder beides, wären wir heute Zeugen einer florierenden kreationistischen Forschung. Wir sind es nicht.

Argument 3: Spricht Feinabstimmung gegen Schöpfung?

Die Autoren entgegnen der These, ein „allmächtiger Gott habe ein feinabgestimmtes Universum gar nicht nötig“ (Widenmeyer 2019: 144), dass Gott eben genau diese verstehbare Welt für die Menschen gewollt habe. Das ist unlogisch. In einer nicht verstehbaren Welt könnte man ebenso argumentieren: Hier war eben auch ein Schöpfer am Werk, der die Welt nicht verstanden wissen will.

Das Argument trifft also weiterhin einen wunden Punkt: Während der Naturalist nicht verwundert darüber ist, dass die Naturgesetze die Grundlage seiner Existenz bilden (ja einen evoluierenden Kosmos überhaupt erst ermöglichen!), kann der Kreationist ohne die Zuhilfenahme wilder Fantasie nicht erklären, wozu Gott Naturgesetze braucht. Gott liefert auch hier keine Erklärung, sondern verkompliziert die Sache unnötig.

Argument 4: Ist eine nichtmaterielle Person fähig, das Universum hervorzubringen?

Die mangelnde Plausibilität sog. rein geistiger Wesen wurde hier bereits hinreichend diskutiert. Tragisch an der Diskussion dieses Arguments ist, dass die Autoren durchaus zu realisieren scheinen, wie nebulös ihr Konzept tatsächlich ist: Es

„müsste plausibel gemacht werden, dass irgendwelche nicht-personalen Kandidaten [für die Erklärung der Existenz des Universums] sozusagen mächtiger und (gleichsam) intelligenter wären als eine personale, intelligente Ursache. Das ... dürfte aussichtslos sein“ (Widenmeyer 2019: 146).

In der Tat käme ein solches Unterfangen dem Schachspiel mit einer Taube gleich. Wie sollen astrophysikalische oder quantenmechanische Hypothesen auf Augenhöhe mit Fantasiegebilden verglichen werden?

Fazit

Es mutet merkwürdig an, ein Buch zu schreiben, das sich zum größten Teil mit wissenschaftlichen Erkenntnissen befasst, nur um zu argumentieren, dass die Grundlage eben jener Erkenntnisse – der Naturalismus – eine falsche sei. Intellektuell redlich argumentierend müssten die Autoren demzufolge alle wissenschaftlichen Erkenntnisse in Zweifel ziehen oder sie in Richtung eines unbestimmten Theismus deuten. Über ihr eigentliches Thema – Schöpfung – haben die Autoren nichts zu sagen.

Der Buchtitel ist somit irreführend: Er deutet eine wissenschaftliche Betrachtung an, das Werk enthält aber das genaue Gegenteil. Es sind bloße Anwürfe an die Wissenschaft, die nicht in der Lage ist, die Ergebnisse zu liefern, die den religiösen Wunschvorstellungen WIDENMEYERs und seiner Kollegen entsprechen.

Es sind keine neuen Probleme, an denen das Buch leidet. Seit jeher weisen kreationistische Werke unabhängig vom Autor (beispielsweise Johnson, Lennox, oder im deutschen Sprachraum Kahle, Lönnig und Junker) diese Schwächen auf und folgen derselben Argumentationskette. Mehr als die kurze Phrase „Gott war’s“ gibt es aus kreationistischer Perspektive offenkundig nicht beizutragen. Sie regt dabei keine Forschung an, sondern wirft nur weitere unbeantwortbare Fragen auf.

Dieser Artikel wurde zuerst auf der Webseite der AG Evolutionsbiologie veröffentlicht.

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Youtube-Kanal: AG Evolutionsbiologie

Quellenverzeichnis

Neukamm, Martin (2002) Wie man mit Argumenten gegen Evolution umgehen sollte. http://www.martin-neukamm.de/argument.html, letzter Zugriff am 26.04.2020.

Neukamm, Martin (2015) Das Argument der Feinabstimmung der Naturkonstanten. http://www.ag-evolutionsbiologie.net/html/2015/widenmeyer-welt-ohne-gott-kritik-naturalismus-teil-3.html, letzter Zugriff am 26.04.2020.

The Discovery Institute: The Wedge. Online verfügbar unter: http://www.antievolution.org/features/wedge.pdf, letzter Zugriff am 26.04.2020 .

Widenmeyer, Markus et al. (2019) Das geplante Universum. Wie die Wissenschaft auf Schöpfung hindeutet. Holzgerlingen: SCM Verlagsgruppe GmbH.

Wort und Wissen (2020) Warum ist die Arbeit bei Wort und Wissen notwendig? Online verfügbar unter https://www.wort-und-wissen.org/disk/d07-5/, letzter Zugriff am 26.04.2020

Fußnoten

[1] Der Astrophysiker Sean Carroll kritisiert ebenfalls die Verwendung des Begriffs in Verbindung mit Diskussionen über die Entstehung des Universums, u. a. in seiner öffentlichen Debatte mit dem evangelikalen Theologen William Lane Craig.

[2] Das Buch widmet diesem Aspekt etwa 80 von 150 Seiten.

[3] Darin unterscheiden sich Kreationisten von gläubigen Wissenschaftlern, die keinen Konflikt zwischen ihrer wissenschaftlichen Arbeit und ihren religiösen Überzeugungen sehen, wie zum Beispiel dem US-amerikanischen Evolutionsbiologen Kenneth Miller.

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