Klimapolitik als Gefangenendilemma

Die Tragik der Allmende

Klimapolitik als Gefangenendilemma

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1. Einleitung

Es vergeht kaum eine Woche ohne einen größeren Bericht in den Medien über die drohende Zerstörung einer wertvollen Umweltressource. Im Februar 2011 berichtet DIE ZEIT beispielsweise über den Niedergang der Fischbestände in der Nordsee und im Nordostatlantik (Hamm 2010). Das Problem war wohl, dass lange Zeit jeder fischen durfte, sich aber niemand für den langfristigen Erhalt der Fischbestände verantwortlich fühlte. Dieses Muster ist auch als „Tragik der Allmende“ bekannt und findet sich in anderen Problemfällen wie der Plünderung von Wildtierbeständen und Wäldern wieder. Lässt es sich vielleicht auch auf die globale Erderwärmung oder ganz andere Kontexte übertragen - und wie können wir ihm begegnen? Diese Fragen sollen im Folgenden erörtert werden.

2. Allmendegut

Ein Gut ist ganz allgemein ein Mittel, das Nutzen stiftet respektive menschliche Bedürfnisse befriedigt. Güter können auf verschiedene Weisen klassifiziert werden, eine davon orientiert sich an den Eigenschaften Ausschließbarkeit und Rivalität:

(1) Ausschließbarkeit: Ein Gut ist ausschließbar, wenn ein potentieller Nutzer von dem Konsum dieses Gutes ausgeschlossen werden kann. Die Nutzung eines Freizeitparks ist beispielsweise ausschließbar, insofern sie nur Ticketkäufern zusteht und zahlungsunwillige Individuen ausgeschlossen werden können. Die Nutzung von Luft ist dahingegen nicht ausschließbar, weil sie jeder nutzen und ihre Verfügbarkeit nicht wirklich begrenzt werden kann. Das liegt daran, dass die Eigentumsrechte an der Luft weder klar zugeordnet (wem sollte die Luft gehören?) noch durchgesetzt (wie sollte man jemand von der Nutzung der Atemluft abhalten?) werden kann. Es existieren aber auch Grauzonen: Deiche werden beispielsweise oft als klassische Beispiele für nicht-ausschließbare Güter genannt, können aber sehr wohl um ein Haus herumgebaut werden, sodass dieses vom Hochwasserschutz ausgeschlossen ist.

(2) Rivalität: Ein Gut ist rival, wenn sein Konsum durch einen Konsumenten durch die gleichzeitige Nutzung eines anderen Konsumenten be- oder verhindert wird. Der Konsum eines Apfels ist beispielsweise rival, insofern er, wenn er von einer Person konsumiert wurde, nicht mehr durch eine andere Person konsumiert werden kann. Der Konsum von nicht-kostenpflichtigem Privatsendern ist dahingegen nicht rival, weil sie jeder konsumieren kann und der Konsum des einzelnen dadurch nicht schlechter wird. Auch hier bestehen wieder Grauzonen: Die Nutzung einer Autobahn ist zunächst nicht rival, da ein zweites Auto den einzelnen Fahrer nicht stört. Bei stark zunehmenden Verkehr wird jedoch auch die Autobahnbenutzung rival. Auch Luft wird gewöhnlich als nicht-rivales Gut betrachtet, bei Sauerstoffknappheit in einem steckengebliebenen Aufzug wird ihr Konsum indes rival.

Die hier zentralen Allmendegüter sind nicht-ausschließbar, aber rival. Ein typisches Beispiel für Allmendegüter sind die eingangs erwähnten Fischbestände im Meer. Diese sind einerseits

nicht ausschließbar, insofern man Menschen nicht einfach am Fischen hindern kann. Andererseits sind Fischbestände aber rival, da sie eindeutig begrenzt sind und die Überfischung durch den einen Fischereibetrieb zweifellos den anderen Fischereibetrieb schadet.

3. Tragik der Allmende

Die „Tragik der Allmende“ besteht nun darin, dass Allmendegüter einerseits rival sind, da gegenseitige Nutzungsansprüche um ihr begrenztes Vorkommen konkurrieren und deshalb ihre Nachfrage eigentlich reguliert werden sollte. Andererseits besitzen sie auf dem freien Markt keine regulativen Preise, da ihr Konsum nicht ausgeschlossen werden kann und niemand für die Nutzungskosten frei-verfügbarer Güter zahlen möchte (Trittbrettverhalten). Die Folge ist ein Marktversagen in Form von erstens einer suboptimalen Allokation und zweitens einer ineffizienten Nutzung (Übernutzung) der Allmenderessourcen.

Der Ökologe Garrett Hardin (1968) fand in seinem gleichnamigen Aufsatz ein sehr bekanntes, weil instruktives, Beispiel für die Tragik der Allmende. Dieses Beispiel wurde später auch als Gefangenendilemma formalisiert (Dawes 2000): Man stelle sich vor, die Akteure eines Spiels seien Hirten, die sich ein gemeinsames und allen frei zugängliches Weideland teilen. Es können höchstens L Tiere auf diesem Weideland grasen und am Saisonende noch gut genährt sein. Das Weideland ist somit ein Allmendegut, insofern es frei verfügbar, aber begrenzt ist. Bei einem kooperativen 2-Personenspiel lässt also jeder Hirte L/2 Tiere weiden und bekommt am Ende der Saison sagen wir 10 „Profiteinheiten“. „Als rationales Wesen versucht jeder Herdenbesitzer [aber] seinen Nutzen zu maximieren. Explizit oder implizit, mehr oder weniger bewusst, fragt er sich: 'Welchen Nutzen habe ich, wenn ich meine Herde um ein Tier vergrößere?' (zitiert nach Kaiser 1981, S. 504) Da der Herdenbesitzer an jedem weiteren Schaf in seiner Herde direkt profitiert, keinen verbindlichen Kontrakt schließt und nur ein Bruchteil potentieller Überweidungskosten trägt (Moral Hazard), wird er zu dem Entschluss kommen, dass es für ihn unabhängig vom anderen Hirten besser ist, seine Herde zu vergrößern. Die dominante Strategie besteht für jeden Hirten also darin, mehr als L/2 Schafe weiden zu lassen. Wenn beide Hirten aber nicht kooperieren, kommt es zu einer Übernutzung der Weidefläche und am Ende haben beide Hirten 0 „Profiteinheiten.“ Es hat aber auch keiner der beiden Hirten einen Anreiz, als einziger von seiner dominanten Strategie abzuweichen, da er ansonsten -1 „Profiteinheiten“ und der „Sturrgebliebene“ auf seine Kosten 11 „Profiteinheiten“ machen würde. Die Kombination aus Defektion-Defektion entspricht folglich auch dem einzigen Nash-Gleichgewicht:

Das „Dilemma“ besteht nun darin, dass keiner der beiden Hirten einen Grund hat, vom Nash-Gleichgewicht abzuweichen, obwohl das Nash-Gleichgewicht hier nicht pareto-optimal ist. Das heißt, obwohl beide Hirten auf ihre dominante Strategie setzen und keiner einen Grund hat, alleinig davon abzuweichen, könnten sie beide bessergestellt werden, wenn beide kooperieren würden.

Der Begriff der „Tragödie“ ist also auch nicht zufällig gewählt. In einer literarischen Tragödie ist der Niedergang des Helden, trotz aller Gegenanstrengungen, unausweichlich durch die äußeren Umstände determiniert. Und in Hardins Beispiel folgt aus dem kollektiven Verhalten scheinbar rationaler, nämlich auf den eigenen Vorteil bedachter, Hirten unausweichlich ihr individuelles Scheitern in Form einer Übernutzung des Allmendeguts.

"Darin liegt die Tragik. Jeder Hirte ist der Gefangene eines Systems, das ihn zwingt, seine Herde grenzenlos zu vergrößern - in einer Welt, die begrenzt ist. Verfolgt jeder seinen maximalen Eigennutz in einer Gesellschaft, die an die freie Verfügbarkeit von Allmenden glaubt, rennen alle in ihr sicheres Verderben.“

Garrett Hardin: The Tragedy of the Commons, S. 1244 (eigene Übersetzung).

Ginge es bei den „Allmenden“ nur um ein paar Weideflächen oder Fischergründe, wäre die Tragik der Allmende sicher nur vom geringen öffentlichen Interesse. So ist es aber nicht. Hardin selbst betrachtete sich in der Tradition Robert Malthus´ und gebraucht das gemeinsame Weideland als Metapher für das Problem der Überbevölkerung. Dieses und andere ökologische Probleme führte er auf das Problem der Allmendegüter zurück. Hardin wird deshalb auch oft als Verfechter eines „laissez-faire Kapitalismus“ gelesen, da einige Güter erst vom Staat kostenlos bereitgestellt werden. Diese Interpretation ist indes falsch: Hardin zufolge wäre die Tragik der Allmende das unvermeidliche Schicksal der Menschheit, würde sie nur nach technologischen Marktlösen suchen. Um diesem Schicksal zu entgehen, muss der Staat als Leviathan auftreten und strikte Kontrollen, unter anderem für Geburten, einführen. Hardin ist also alles andere als ein Verfechter einer Marktlösung. Damit wendet ersich auch explizit gegen die Auffassung bei Adam Smith, das egoistische Streben des Individuums führe unbewusst, aber zwangsläufig, zu einer Anhebung des Allgemeinwohls.

Mit der Forderung nach staatlichen Kontrollen geht auch eine Perspektivenverschiebung einher: Aus der Sicht eines einzelnen Hirten oder eines einzelnen Paares mit Kinderwunsch sind staatliche Kontrollen sicherlich nicht wünschenswert, da sie so nicht ihren individuellen Wünschen (der dominanten Strategie) nachgehen können. In Summe würden diese individuellen Wünsche aber in eine kollektive Katastrophe führen. Aus diesem Grund müssen wir die Perspektiven wechseln und die Tragik der Allmende nicht mehr nur als einzelne Individuen, sondern als eine (staatliche) Gemeinsamschaft betrachten und angehen. Hardin sprach sich also, entgegen früherer Rezeptionen, explizit für einen staatlichen Interventionismus aus. Dabei zeigt er auch Verständnis für individuelle Interessen („Who enjoys taxes? We all grumble about them.“ Hardin 1968, S. 13). Meint aber, dass die Menschen nach dem Perspektivenwechsel anerkennen werden, dass staatliche Eingriffe für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Güter notwendig sind.

4. Geschichte

Hardin war aber nicht der erste, der die Tragik der Allmende erkannte. Schon Aristoteles schrieb in seinem berühmten Werk Politik, dass „dem Gut, das der größten Zahl gemeinsam ist, die geringste Fürsorge zuteilwird. Jeder denkt hauptsächlich an sein eigenes, fast nie an das gemeinsame Interesse.“ (zitiert nach: Ostrom 1999, 3). Auch Thomas Hobbes´ Parabel vom Menschen im Naturzustand spiegelt die Tragik der Allmende wider: Der Mensch hat von Natur aus ein Interesse an seiner Selbsterhaltung, das den Charakter einer naturgegebenen Pflicht (Gebot der Vernunft) annimmt. Um dieser Pflicht folgen zu können, hat er im Naturzustand das Recht (Naturrecht), alles zu beanspruchen, was dazu dienlich sein könnte. Zwar besitzt der Mensch auch im Naturzustand eine kollektive Moral (lex naturalis), aber die Vernunft verbietet es ihm, dieser zu folgen, wenn die anderen dies nicht ebenfalls tun. Die Situation des Menschen im Naturzustand entspricht also der der Hirten bei Hardin. Um ein „Krieg aller gegen alle“ (bellum omnium contra omnes) zu verhindern, schlägt Hobbes, genauso wie Hardin, schließlich eine staatliche Lösung vor. Der Staat müsse als übergeordnetes Gewaltmonopol (Leviathan) auftreten, das die Einhaltung allgemeiner Gesetze und Rechte garantiert sowie ihre Verletzungen mit Strafen belegt. In Bezug auf Hardins Beispiel würde das bedeuten, dass der Staat beiden Hirten verbietet, mehr als L Tiere weiden zu lassen und so eine pareto-optimale Lösung des Dilemmas ermöglicht. Der britische Wirtschaftsautor William Forster Lloyd explizierte 1833 als erster den englischen Terminus „Tragedy of the commons“. Er beschrieb dafür ein ganz ähnliches Beispiel mit Viehhirten und Überweidung wie rund 100 Jahre später Hardin. Und bereits 1954 schreib H. Scott Gordon am Beispiel der Fischerei:

"Offenbar steckt also in dem konservativen Diktum, das Eigentum aller sei niemanden Eigentum, ein Körnchen Wahrheit. Niemand misst einem Besitz, der allen zur freien Verfügung steht, einen Wert bei, weil jeder, der so tollkühn ist zu warten, bis er an die Reihe kommt, schließlich feststellt, dass ein anderer seinen Teil bereits weggenommen hat... Für den Fischer sind die Fische im Meer wertlos, weil er keine Garantie hat, dass sie morgen noch da sein werden, wenn er sie heute nicht fängt.“

H. Scott Gordon: The Economic Theory of a Common-Property Resource: The Fishery, S. 135 (eigene Übersetzung).

Hardin hat also weder den Begriff noch das Konzept der „Tragödie der Allmende“ entworfen, sein eigentliches Verdienst besteht darin, beide populär gemacht und auf internationale Probleme übertragen zu haben.

5. Lösungsansätze

5.1. Staat

Es wurde bereits klar, dass sowohl Garrett Hardin als auch Thomas Hobbes eine staatliche Lösung für das Allmendeproblem bevorzugten. Das Allmendeproblem ist dabei im Kern ein Allokationsproblem und diese werden in der, die gegenwärtige Volkswirtschaft dominierende, Neoklassik unter anderem durch externe Effekte erklärt. Ein externer Effekt ist eine unkompensierte Auswirkung ökonomischer Entscheidungen auf Dritte. In unserem Hirtenbeispiel wirkt sich die Entscheidung des Hirten 1, mehr als L/2 Schafe weiden zu lassen, beispielsweise negativ auf den Hirten 2 aus, man spricht dann auch von einem negativen externen Effekt. Das Problem besteht offensichtlich darin, dass der Hirte 1, der mehr als L/2 Schafe weiden lässt, selbst nicht die (gesamten) Kosten seiner Entscheidung trägt. Der klassische Lösungsversuch dieses Problems besteht darin, die externen Kosten der ökonomischen Entscheidung zu internalisieren. Der Staat kann dabei beispielsweise eine Pigou-Steuer erheben, die dem Grenzschaden (den sozialen Kosten) jedes über L/2 eingesetzten Schafes entspricht. Dies macht es nicht zwingend, dass Hirte 1 umdenkt, aber er erhält durch die Weidegebührt jetzt zumindest die passenden Preissignale und Hirte 2 könnte durch die so generierten Einnahmen entschädigt werden. Der Staat kann auch noch einen Schritt weitergehen und die Anzahl der Schafe für jeden Hirten auf L/2 beschränken, damit schränkt er aber auch direkt die Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftsakteure ein. Ein Zwischenweg zwischen Preis- und Mengenregulierung stellt der Zertifikationshandel dar: Hier wird der Staat beiden Hirten Zertifikate zuteilen, die es ihnen erlauben, jeweils L/2 Schafe weiden zu lassen. Wenn der Grenznutzen eines weiteren Schafes für Hirte 1 nun höher ist als für Hirte 2, kann er von Hirte 2 solange Zertifikate aufkaufen, bis der Grenznutzen eines weiteren Schafes dessen Grenzkosten entspricht. Auf diese Weise ist garantiert, dass sich eine nachhaltige und pareto-optimale Lösung einstellen wird.

5.2. Markt

Wie kann eine vergleichbare Internalisierung der externen Kosten durch den Markt bewirkt werden? Indem man eindeutige Eigentumsrechte für ein Allmendegut festlegt, das heißt, aus ihm ein privates Gut macht. Wenn Hirte 1 und 2 je die Hälfte des Weidelandes zugeschrieben bekommen, tragen sie von nun an auch die kompletten Kosten einer Überweidung ihrer Hälfte, die Grenzkosten wurden folglich internalisiert. Der ursprüngliche Anreiz, mehr als L/2 Schafe weiden zu lassen, weil man nicht die kompletten Kosten seiner Handlung trägt, ist somit weg. Natürlich garantiert auch dieser Weg nicht, dass Hirte 1 seine Hälfte trotzdem überweidet, aber das ist nun nur noch sein Problem.

5.3. Commoning

Diese beiden Lösungsansätze sind jedoch auch mit Problemen verbunden. Die Durchsetzung von staatlichen Überwachungs- und Sanktionssystemen ist in der Regel sehr kostenintensiv und häufig ineffizient. Und auch eine Privatisierung ist oftmals schwierig, da es gerade zum Wesen von Allmendegütern gehört, dass ihre Eigentumsrechte nicht eindeutig definier- oder zuordenbar sind. Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom erarbeitete deshalb einen dritten Lösungsansatz, für den sie 2009 als bisher einzige Frau den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt. Ostrom betrachtete viele Allmenderessourcen weltweit und kam zu dem Schluss, dass diese oftmals viel nachhaltiger bewirtschaftet wurden, als es hiesige Theorien nahelegen. In diesen Fällen hatten sich die betroffenen Individuen vor Ort in geeigneten Institutionen zusammengefunden und die lokalen Allmende besser bewirtschaftet, als es Staat oder Markt hätten tun können. Diese Institutionen wiesen einige Parallelen auf, die nach Ostrom erfüllt sein müssen, damit eine langlebige Selbstorganisation von Allmendegütern gelingen kann (Kevenhorster 2014, S. 357):

1) Die Nutzungsberechtigten wie auch die Grenzen der Allmenderessourcen selbst müssen durch klar definierte Grenzen bestimmt sein.

2) Die Aneignungs- und Bereitstellungsregeln sowie lokale Bedingungen müssen aufeinander abgestimmt und untereinander kongruent sein.

3) Die Betroffenen können über die Änderung dieser Regeln mitbestimmen.

4) Die Einhaltung dieser Regeln wird überwacht.

5) Die Nichteinhaltung dieser Regeln wird mit glaubhaften und abgestuften Sanktionen belegt.

6) Konflikte werden in kostengünstigen und lokalen Institutionen gelöst.

7) Externe staatliche Behörden akzeptieren das minimale Rechtssystem der lokalen Institution.

Ostrom bringt als eines von zahlreichen Positivbeispielen das Dorf Alanya in der türkischen Riviera an. Dort waren die Fischgründe zu Beginn der 1970er weitestgehend erschöpft. In dieser Problemsituation beschloss man die Einführung einer lokalen Kooperation mit den folgenden Eigenschaften: Jeder Fischer bekommt jeden Tag durch eine zentrale Institution einen neuen Meeresabschnitt zugeteilt, in dem er fischen darf (Prinzip 1 und 2). Die Überwachung ist einfach, da jeder Fangort täglich belegt ist (Prinzip 4), und die Sanktionen auch, da man sich bei einem Fehlverhalten einen Fangort teilen muss, was im besten Fall noch zu einem niedrigeren Ertrag führt (Prinzip 5). Auf diese Weise entsteht eine günstige und lokale Form der Selbstkontrollen unter den Fischern (Prinzip 6). Diese Regeln wurden durch die Fischer implementiert (Prinzip 3) und von den staatlichen Behörden anerkannt und unterstützt, so dass Rechtssicherheit besteht (Prinzip 7). Dadurch, dass jeder Abschnitt jeweils nur von einem Fischer bestellt wird, besteht auch nicht mehr die Gefahr einer Überfischung. Insgesamt scheinen sich die Leute in Alanya also ganz gut an die Prinzipien von Ostrom gehalten zu haben.

Das Prinzip (1) soll dabei offenkundig das Problem der Nicht-Ausschließbarkeit lösen, und Prinzip (2) die Rivalität um ein Allmendegut regeln. Die restlichen Prinzipien (3) bis (7) betreffen die genauere Ausgestaltung des Regelsystems. Für Allmendegüter, die nicht-lokal und deswegen Teil größerer Systeme sind, gilt zusätzlich das Prinzip (8): Die Bewirtschaftung des Allmendegutes wird auf mehreren ineinander verschachtelten und nicht-hierarchischen Ebenen organisiert. Dieses Prinzip trägt dem Umstand Rechnung, dass mit der Größe eines Allmendegutes auch die Komplexität seiner Verwaltung ansteigt. Praktisch bedeutet es meistens die Einbettung eines Subsidiaritätsprinzips, dem zufolge alle Entscheidungen, die nur kleine Teileinheiten betreffen, direkt von diesen getroffen werden und nur solche Entscheidungen auf höhere Ebenen verlagert werden, die gleichzeitig mehrere oder sogar alle Einheiten eines komplexen Ressourcensystems betreffen.

6. Globale Allmende

Die Fischereiwirtschaft in Alanya mag noch auf einer Ebene organisierbar sein. Die internationalen Fischbestände sind es indes sicher nicht mehr. Selbst wenn einzelne lokale Kooperationen ihren Fischfang regulieren, haben sie wenig Einfluss auf das komplexe Gesamtsystem. Deshalb können und sollen Dörfer wie Alanya immer noch ihre Probleme vor Ort lösen, aber die Probleme, die den gesamten Globus betreffen, erfordern auch eine globale kooperative Lösung wie etwa einem supranationalen Fischereiabkommen gemäß den Prinzipien (1) - (7).

Lässt sich das Allmendeproblem auch auf andere drängende Probleme wie zum Beispiel die anthropogene Klimaveränderung anwenden? Auf den ersten Blick spricht vieles dafür. Zunächst einmal kann die irdische Atmosphäre gemäß unserer vorangegangenen Definition als ein Gut klassifiziert werden. Denn sie hält uns Sauerstoff und ein gemäßigtes Klima bereit, was überhaupt erst Leben auf der Erde ermöglicht und somit zweifellos einen Nutzen für uns Menschen stiftet. Die weitere Klassifikation der Erdatmosphäre gestaltet sich aber äußerst schwierig und hängt im Wesentlichen davon ab, welche „Funktion“ man ihrem Konsum zuspricht und ob diese Funktion Knappheitssignale auslöst (Laurency 2013, 37).

1. Wenn die Atmosphäre als reines Aufnahmemedium verstanden wird, das als Senke für Emissionsprodukte fungiert, dann löst ihr Konsum keine Knappheitssignale aus und ist daher nicht-rival. Denn theoretisch können beliebig viele Konsumenten die Atmosphäre als Senke verwenden, ohne dass andere Konsumenten dadurch in ihrer Emission behindert werden. Ihr Konsum ist dann ebenfalls nicht-ausschließbar. Denn die Atmosphäre ist global-omnipräsent und Menschen können aus diesem Grund nicht effektiv davon abgehalten werden, sie als Senke zu gebrauchen. In ihrer bloßen Funktion als Senke ist der Konsum der Atmosphäre also ein nicht-ausschließbares und nicht-rivales und somit ein öffentliches Gut, dessen Konsum externe Effekte verursacht. (Oberthür 1997, 36) (Harrison und Matson 2011, 222)

2. Wenn die Atmosphäre aber als Qualitätsgut verstanden wird, an das gewisse Mindestanforderungen gestellt werden, dann ist ihr Konsum rival. Denn die Verwendung der Senke als Atmosphäre kann beispielsweise zur Luftverschmutzung oder Klimaänderungen und damit zu negativen externen Effekten und einer Verschlechterung der Qualitäten führen. Wenn Pendler beispielsweise häufig durch die Stadt fahren oder Industrieländer viele Treibhausgase emittieren, dann sorgt dies für eine Verschlechterung der Stadtluft oder eine Erwärmung des globalen Mittelklimas. In diesem Sinne können die Menschen die Atmosphäre dann nicht mehr als sauberes und klimatologisch-gemäßigtes Qualitätsgut konsumieren. Der Konsum der Atmosphäre bleibt aber auch dann, wenn wir sie als Qualitätsgut betrachten, nicht-ausschließbar. Somit wäre die Atmosphäre, wenn sie als Qualitätsgut aufgefasst wird, rival und nicht-ausschließbar und damit ein Allmendegut (Blankart 2008, 492f.).

Die Atmosphäre stellt also nur dann ein Allmendegut dar, wenn wir sie zuvor als ein Qualitätsgut klassifizieren, an das gewisse Mindestanforderungen gestellt werden. Diese Klassifikation liegt meiner Meinung nach jedoch nahe, schließlich ermöglicht die Atmosphäre, wie gesagt, überhaupt erst unsere irdische Existenz und ist somit ein Gut mit außerordentlichen Qualitäten für die Menschheit und viel mehr als ein reines Aufnahmemedium.

Die Atmosphäre unterscheidet sich dann aber sehr stark von den bisher aufgeführten Allmendegütern: Das Weideland in Hardins Beispiel und die externen Effekte durch seine Überweidung waren auf ein kleines Gebiet lokal begrenzt. Für die Atmosphäre und die aus ihrer Übernutzung resultierenden externen Effekte gilt dies indes nicht. Generell gilt: Wenn ein Gut oder die durch seinen Konsum ausgehenden externen Effekte mehrere Staatsgrenzen überschreiten, so handelt es sich um ein internationales Gut; werden alle internationalen Staatsgrenzen überschritten, so spricht man dementsprechend von einem globalen Gut (Oberthür 1997, 36). Die Erdatmosphäre ist in diesem Sinne als ein globales Allmendegut zu verstehen, da ihre Existenz sowie die durch ihren Gebrauch verursachten externen Effekte den gesamten Globus betreffen. (Die schädigende Wirkung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen auf die Ozonschicht betritt beispielsweise den gesamten Globus (relativ) unabhängig vom Ort ihrer Emission (Moeckli 2015, 486).

7. Internationaler Klimaschutz

Wie können uns die vorangegangenen Erkenntnisse beim Verstehen des Klimaproblems helfen? Der neoklassische Mainstream erklärt Umweltprobleme häufig über externe Effekte (Hardes, Uhly 2007, 65f). Dabei ist ein externer Effekt eine unkompensierte Auswirkung ökonomischer Entscheidungen auf unbeteiligte Dritte. In unserem Hirtenbeispiel wirkt sich die Entscheidung des Hirten 1, mehr als L/n Schafe weiden zu lassen, beispielsweise negativ auf alle anderen Hirten aus, man spricht dann auch von einem negativen externen Effekt. Das Allmendeproblem ist damit in erster Linie ein Anreizproblem, da jeder Hirte ein Anreiz hat, mehr als L/n Schafe weiden zu lassen und weil sie nicht die direkten (negativen und externen) Kosten ihrer Entscheidungen tragen. In zweiter Linie ist das Allmendeproblem ein Allokationsproblem, da die bestehende Anreizsituation zu einer suboptimalen Gesamtallokation der Güter führt.

Als Allmendegut unterliegt nun auch die Erdatmosphäre demselben Problemschema: Die Nutzung der Atmosphäre als Senke für Treibhausgase stiftet einen Nutzen, jedoch auch einen Schaden in Höhe des Klimaschadens. Dieser Schaden schlägt sich im Normalfall im Marktpreis wider und wird durch diesen internalisiert beziehungsweise ausgeglichen. Bei der Atmosphäre ist ein solcher marktwirtschaftlicher Ausgleichsmechanismus aufgrund der Nicht-Ausschließbarkeit jedoch schlechterdings nicht möglich. Denn kein Konsument ist bereit, für die Bereitstellung eines Gutes zu zahlen, das sowieso öffentlich zugänglich ist, selbst dann wenn eine Preissetzung wie im Falle der Atmosphäre kollektiv vernünftig wäre (Rationalitätsfalle). Folglich wird sich der Anbieterpreis in einem vollkommen freien Marktsystem dann an den Nachfragepreis bei Null anpassen (Charles 2008, 54). Es kommt daher zu einem sogenannten Marktversagen aufgrund fehlender Preissignale und in Folge zu einer Übernutzung der Erdatmosphäre als Senke für Treibhausgase. Die Folgen aus diesem Allmendeproblem können wir momentan an der weltweiten Klimaerwärmung beobachten.

7.1. Staat

Probleme kollektiver Handlungen wie das Allmendeproblem entstehen nach der vorangegangenen Analyse also immer dann, wenn externe Effekte nicht internalisiert werden. Wenn das so ist, kann die weltweite Klimaerwärmung einfach dadurch gestoppt werden, dass der Staat ihre negativen externen Effekte internalisiert. Eine solche Internalisierung durch den Staat kann wohlfahrtsökonomisch durch das Ziel gerechtfertigt werden, einen pareto-optimalen Zustand im Sinne des vorangegangenen Gefangenendilemmas herbeiführen zu wollen. Dem Staat stehen dabei grundsätzlich zwei Instrumentarien zur Verfügung:

(a) Preislösung: Bei einer Preislösung werden Preise für Emissionen in Höhe des Grenzschadens an der Atmosphäre staatlich verordnet. Dies kann grundsätzlich über Abgaben oder über Steuern geschehen (Fees 2004, 495). Dabei müssen Abgaben stets zweckgebunden eingesetzt werden, das heißt im Falle der Atmosphäre für Klimaschutzmaßnahmen, während Steuern dem Non-Affektionsprinzip unterliegen (Sucky 2016, 225). Ein Vorteil von Abgaben gegenüber Steuern ist daher, dass Steuern nur zu einer Mengenreduktion und Abgaben zusätzlich auch zu einer Kompensation des entstandenen Schadens beitragen können. Eine Steuer auf Treibhausgasemissionen kann also nicht garantieren, dass die Atmosphäre zu den erhöhten Preisen weiterhin übernutzt wird. Wohingegen eine Abgabe zwar auch nicht direkt die Menge der Emissionen reduzieren, aber zumindest kompensieren kann. Nehmen wir wieder Hardins Beispiel zur Hand, so kann der Staat etwa eine Abgabe errichten, die dem Grenzschaden (den sozialen Kosten) jedes über L/n eingesetzten Schafes entspricht. Dies macht es zwar nicht zwingend, dass ein bestimmter Hirte 1 umdenkt, aber er erhält durch die Weidegebühr jetzt zumindest die passenden Preissignale und Hirte 2 könnte durch die Abgaben für den entstandenen Grenzschaden entschädigt werden.

Die Preislösung hat einige generelle Vorteile: Erstens besteht durch die Preislösung eine positive Anreizwirkung. Die Unternehmen haben ein Eigeninteresse daran, eine Umwelttechnik zu entwickeln, die billiger als die Steuer oder Abgabe ist und diese somit umgehen zu können (Cezanne 2014, 225). Zweitens kann die Höhe der Steuern und Abgaben zeitlich kontinuierlich an die Höhe der angestrebten Umweltqualität angepasst werden (Fees und Seeliger 2013, 76f.). Und drittens ermöglichen Steuern und Abgaben eine ökonomisch effiziente Internalisierung externer Kosten. Das heißt im Vergleich zu anderen Instrumentarien wie der Mengenlösung fallen bei dieser Methode bis zur Erreichung der gewünschten Klimaqualität nur relativ geringe volkswirtschaftliche Kosten an (ebd, 72 – 75).

Die Preislösung hat aber auch einige schwerwiegende Nachteile: Erstens kann über eine Preislösung eine Reduktion, wie bereits dargelegt, nicht erzwungen, sondern nur begünstigt werden. Zweitens ist eine Preislösung nur sehr ungenau. Denn der Staat verfügt nicht über alle notwendigen Informationen, um genau die Auswirkungen der Abgabe auf die Umweltqualität abschätzen und die Abgabenhöhe dementsprechend anpassen zu können. Drittens hat die Preislösung den fiskalischen Nachteil, dass durch Steuern oder Abgaben ein Transfer vom privaten Sektor in den Staatssektor stattfindet sowie Transaktionskosten anfallen.

(b) Mengenlösung: Bei einer Mengenlösung bekommt ein Verursacher von Emissionen seine Betriebserlaubnis nur, wenn er gewisse Grenzwerte einhält. Die maximale Emissionsmenge wird somit nach oben hin begrenzt. Dies kann grundsätzlich wieder über zwei Wege – über Gebote und über Verbote - geschehen. Bei Verboten werden Emissionen völlig untersagt (Obergrenze liegt bei null), wohingegen bei Geboten nur eine bestimmte Höhe oder eine bestimmte Art von Emissionen untersagt wird (Kemper 1993, 114). Die Emission besonders schädlicher Treibhausgase wie Fluorchlorkohlenwasserstoff ist heute in vielen Anwendungsbereichen völlig untersagt (FCKWHalonVerbV k.a.Abk.), während die Emission anderer Treibhausgase wie Kohlenstoffdioxid durch diverse Gebote nur reduziert wird.

Auch die Mengenlösung besitzt einige Vorteile: Erstens besitzt eine restriktiv realisierte Mengenlösung eine höhere ökologische Treffsicherheit als eine Preislösung (Fees 2000, 508). Bei einer Preislösung kann die Preiselastizität der Nachfrage nach Emissionen nämlichen so niedrig sein, dass trotz höherer Preise nicht weniger emittiert wird. Auflagen dahingegen können auch bei niedriger Preiselastizität der Nachfrage die gewünschte Emissionsreduktion herbeiführen. Dafür müssen die Auflagen aber mit hohen Strafzahlungen belegt werden, um eventuell niedrige Entdeckungswahrscheinlichkeiten auszugleichen und die Akteure tatsächlich zu einem kooperativen Handeln zu bewegen. Nur auf diesem Weg kann gewährleistet werden, dass nur wenige Akteure gegen sie verstoßen und der vorgegebene Emissionsstandard tatsächlich eingehalten wird (Fees 2004, 30).

Dahingegen betreffen die Nachteile einer Mengenlösung vor allem ihre Anreizstruktur: Erstens ist die Mengenlösung, genauso wie die Preislösung, ökonomisch ineffizient. Das liegt daran, dass die Emittenten in der Regel unterschiedliche Kostenstrukturen haben. Einige Unternehmen können also eine bestimmte Schadensvermeidung kostengünstiger realisieren als andere. Indem aber alle Unternehmen gleichviel Emissionen einsparen müssen, wird verhindert, dass die Unternehmen mehr Klimaschutz betreiben, für die es am kostengünstigsten ist. Die angestrebte Umweltqualität wird also teuer als nötig erkauft. Kurzum: Es wird eine ökonomisch effiziente Lösung und somit auch eine Auflösung des Spannungsfeldes zwischen Ökonomie und Ökologie verhindert. Zweitens unterliegen die Emissionen oberhalb der Obergrenze überhaupt keinen Restriktionen. Es wird also kein Anreiz geschaffen, das Klima auch über die gesetzte Obergrenze hinaus zu schützen (Cansier 1996, 206). Drittens orientieren sich Auflagen immer am gegenwärtigen Stand der Technik (Wicke 1991, 176). Dies sorgt dafür, dass Unternehmen keinen Anreiz haben, in klimaschonende Technologien zu investieren, da dies zu höheren Auflagen führen könnte. In Folge können Unternehmen dazu motiviert werden, das umwelttechnische Know-How ihrer Fachleute nicht auszuschöpfen oder offenzulegen, da sie in Zukunft höhere staatliche Auflagen fürchten. Dieses Problem ist auch als „Schweigekartell der Oberingenieure“ bekannt (ebd, 177). Zusammen mit dem zuletzt genannten Problem zeigt sich, dass Mengenlösungen über die zu erfüllende Auflage hinaus nur eine geringe dynamische Anreizwirkung besitzen. Das Ziel von Umweltpolitik sollte aber mindestens eine höchstmögliche situative Effizienz der eingesetzten Instrumentarien sein, und diese scheint bei der Mengenlösung nicht gegeben zu sein.

Zusammengefasst besitzt die Mengenlösung gegenüber der Preislösung also den Vorteil einer höheren ökologischen Treffsicherheit, da nur durch sie die Emissionsmenge effektiv reduziert werden kann. Diese höhere ökologische Treffsicherheit erkauft sie sich jedoch mit dem Nachteil einer niedrigeren dynamischen Anreizwirkung. Denn bei der Preislösung ist es für den volkswirtschaftlichen Akteur auch nach Unterschreiten einer bestimmten Obergrenze noch lohnenswert, seine Emissionen zu senken, bei der Mengenlösung indes nicht.

7.2. Markt

Es mag nun nicht klar ersichtlich sein, wie der freie Markt eine Lösung des Allmendeproblems herbeiführen soll. Man könnte sich fragen: Ist das Allmendeproblem nicht an erster Stelle erst dadurch entstanden, dass sich ein pareto-optimales Ergebnis nicht automatisch eingestellt hat, dass also der freie Markt keine Maximierung des Gesamtnutzens garantieren konnte? Libertäre und klassische Liberale würden dem entschieden widersprechen. Wenn es nach ihnen geht, ist das Allmende ein typisches Beispiel dafür, was passiert, wenn Eigentumsrechte an öffentlichen Gütern verboten werden, wenn ein Markt also gerade verzerrt und damit nicht frei ist (Smith 1981, 439 – 468). Sie argumentieren, dass die Lösung des Allmendeproblems darin besteht, ein Recht auf Eigentum an dem Allmendegut zu schaffen, das heißt, es zu privatisieren. Auf diese Weise trägt ein Privateigentümer alle durch die Nutzung dieses Gutes entstehenden Kosten, das heißt, die externen Kosten werden internalisiert. Für den Privateigentümer herrscht fortan ein natürlicher Anreiz, das Allmendegut nicht zu überlasten.

Auf Hardins Hirtenbeispiel gemünzt, bedeutet dies in etwa Folgendes: Wenn Hirte 1 und Hirte 2 je die Hälfte des Weidelandes zugeschrieben bekommen, tragen sie von nun an auch die kompletten Kosten an der Überweidung ihrer Hälfte. Der ursprüngliche Anreiz, mehr als L/2 Schafe weiden zu lassen, da man nicht die kompletten Kosten seiner Handlung trägt, fällt also weg. Natürlich garantiert auch dieser Ansatz nicht, dass Hirte 1 seine Hälfte trotzdem überweidet, aber die dadurch entstehenden Kosten kann er jetzt nicht mehr auf Hirte 2 umwälzen. Das Problem der öffentlichen Allmende scheint somit tatsächlich behoben.

Jedoch lässt sich dieses Lösungskonzept nicht eins-zu-eins so auf das Klimaproblem übertragen. Denn erstens treten die externen Effekte bei einer Überlastung der Atmosphäre ja erst sehr viel später auf als bei einer Überweidung einer Wiese. Ein Teileigentümer der Atmosphäre könnte daher trotz Eigentumsrechte seinen Teil überlasten, weil er kurzfristige Gewinne bevorzugt und sich nicht um das Wohlergehen seiner Enkelkinder sorgt. Zweitens treten die externen Effekte einer Überlastung eines Teils der Atmosphäre auch dann noch für alle Menschen auf, wenn dieser Teil juristisch nur einem Menschen gehört. Die Marktakteure hätten aus diesen beiden Gründen bei einer einfachen eigentumsrechtlichen „Aufteilung“ der Atmosphäre keinen wirklichen Anreiz, die Atmosphäre nicht zu überlasten. Eine sinnvolle Umfunktionierung der Marktlösung bietet jedoch die Zertifikationslösung.

7.3. Commoning

Bei einer Zertifikationslösung werden Berechtigungsscheine zur Emission in Form von Zertifikaten herausgegeben, die dann unter den Wirtschaftssubjekten gehandelt werden können (Cap and Trade-Prinzip). Sie vereint damit die beiden Prinzipien der Mengen- und Preislösung miteinander. Denn einerseits wird durch sie die maximal mögliche Emission durch die Anzahl der Emissionszertifikate nach oben hin begrenzt (Cap), was einer Mengenlösung entspricht. Wenn zum Beispiel für einen Wirtschaftsraum eine Obergrenze von 50 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid festgelegt wird, werden entsprechend auch nur Zertifikate für eine Gesamtemission von 50 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid ausgegeben. Andererseits bildet sich durch die künstliche Verknappung der maximalen Emissionsmenge und dem erlaubten Handel der Zertifikate (trade) ein regulativer Marktpreis, was einer Preislösung entspricht. Wenn zum Beispiel ein Zertifikat für eine Tonne Kohlenstoffdioxid 50€ kostet, so werden sich die externen Kosten einer CO2-Emission im Marktpreis widerspiegeln und der Unternehmer wird dies fortan in sein betriebswirtschaftliches Optimierungskalkül miteinbeziehen.

Die Zertifikationslösung stellt aber nicht nur eine „Zwitterlösung“ zwischen Preis- und Mengenlösung dar, sie vereint auch die jeweils größten Vorteile aus beiden Lösungsansätzen:

(1) Die Zertifikationslösung besitzt die ökonomische Effizienz einer Preislösung. Das heißt sie berücksichtigt ebenso die unterschiedlichen Kostenstrukturen der Marktteilnehmer wie die Preislösung. Im Prinzip steht jedes am Zertifikationssystem beteiligte Wirtschaftssubjekt vor der Entscheidung, die Zertifikate entweder selbst zu nutzen oder aber am Markt zu verkaufen. Wenn der Marktpreis über den eigenen Vermeidungskosten liegt, wird das Zertifikat verkauft. Der Marktpreis ergibt sich aber – bei Unterschlagung der Transaktionskosten - aus den geringsten Vermeidungskosten der anderen Marktteilnehmer. Auf diese Weise wird garantiert, dass die Marktteilnehmer mit den geringsten Vermeidungskosten die Reduktion jener Marktteilnehmer übernehmen, für welche die Vermeidung relativ teurer wäre. Im Ergebnis führt dies alles dazu, dass (unter der Annahme vollständiger Konkurrenz) eine gewünschte Reduktionsmenge maximal kosteneffizient erzielt werden kann. Insbesondere ist die Zertifikationslösung auch administrativ effizient, da sie nur das ökologische Ziel der Emissionsvermeidung vorgibt, den Weg dahin aber den Marktkräften überlässt.

 (2) Die Zertifikationslösung besitzt die ökologische Treffsicherheit einer Mengenlösung. Da sie - anders als die Preislösung - eine Mengenreduktion nicht nur begünstigt, sondern über die maximal verfügbaren Emissionszertifikate erzwingt. Zusammen mit dem vorangegangenen Vorteil der ökonomischen Effizienz ergibt sich mit der Zertifikationslösung also eine Entspannung des Spannungsverhältnisses zwischen ökonomischer Effizienz und ökologischer Nachhaltigkeit, da die gewünschte Mengenbegrenzung (ökologische Treffsicherheit) zu den kleinstmöglichen volkswirtschaftlichen Kosten (ökonomische Effizienz) realisiert werden kann.

(3) Die Zertifikationslösung besitzt die dynamische Anreizwirkung einer Preislösung. Die Marktteilnehmer hegen ein natürliches Interesse daran, ihre Vermeidungskosten unter den Zertifikatspreis zu drücken, da sie so keine neuen Zertifikate einkaufen müssen oder alte Zertifikate verkaufen können. Die Obergrenze kann dabei bei der Einführung zunächst moderat eingesetzt werden, um auf dem entsprechenden Markt einen Preisschock zu verhindern. Anschließend kann sie dann aber sukzessiv gesenkt werden, indem beispielsweise Zertifikate vom Markt genommen werden. Auf diese Weise wird die Gesamtemission kontinuierlich zurückgefahren, bis ein gewünschter Zielwert erreicht ist. Die kontinuierliche Senkung der Obergrenze übt einen dynamischen Innovationsdruck auf die Marktteilnehmer aus, Investitionen in klimaschonende Technologien zu erhöhen und bewirkt damit das genaue Gegenteil eines „Schweigekartells der Oberingenieure“.

Die Zertifikationslösung besitzt also große theoretische Vorteile, ihre praktische Umsetzung ist derzeit aber noch als mangelhaft zu betrachten:

(1) Das EU-Zertifikatsystem ist preislich immer noch zu niedrig angesetzt. Zertifikate entsprechen in erster Linie einer Mengen- und erst in zweiter Linie einer Preislösung. Da durch die Emittierung der Zertifikate zuerst die Menge begrenzt und dann in Folge der Preis angepasst wird. Wenn die Emissionsgrenze aber unter dem aktuellen Emissionsniveau liegt, ist sowohl der Effekt als auch der Marktwert der Zertifikate gleich Null, da es keinen Käufer gibt und keine Emissionen eingespart werden. Dies war beispielsweise im EU-Emissionshandel während der ersten Phase zwischen 2005 bis 2007 der Fall (Schwan 2007). In den darauffolgenden Jahren wurden die herausgegebenen Zertifikate zwar um 40 bis 50 Millionen Tonnen Zertifikate pro Jahr reduziert, trotzdem herrscht Stand Februar 2017 immer noch einen Überschuss von circa 3 Milliarden Zertifikaten auf dem europäischen Markt (Matthes 2017). Dies hat zur Folge, dass der Zertifikatspreis gemäß dem Gesetz von Angebot und Nachfrage und entgegen den anfänglichen Erwartungen bei einem extrem niedrigen Niveau von etwa 5 Euro/Tonne liegt (Schäuble, Volkert et. al. 2014, 9). Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass auch wenn theoretisch kaum Markteffekte aufgrund dieses geringen Preises zu erwarten sind, praktisch zumindest für Deutschland nachgewiesen wurden konnte, dass dem Zertifikationszwang unterliegende Unternehmen ihre Emissionen schneller senken als der Durchschnitt (Wagner, Petrick 2014).

(2) Das EU-Zertifikatsystem bedingt keine Nettoreduktion der weltweiten Emissionen! Denn die durch die EU-Zertifikationslösung eingesparten Emissionen senken zunächst die weltweite Nachfrage nach fossilen Energieträgern. Die gesunkene Nachfrage macht die fossilen Energieträger dann aber in anderen Teilen der Welt, in denen teilweise deutlich klimaschädigendere Kraftwerke stehen, erschwinglich. Auf diese Weise kann das EU-Zertifikatsystem sogar zu einer Beschleunigung des weltweiten Schadstoffausstoßes führen! (Sinn 2007a, 45). Hans-Werner Sinn schreibt dazu: „Länder, die ihre Emissionen senken, subventionieren somit möglicherweise nur das Wachstum ihrer Wettbewerber, ohne dabei das Tempo der globalen Erwärmung zu reduzieren.“ (Sinn 2007b).

8. Fazit

Die irdische Atmosphäre stellt ein ökonomisches Allmendegut dar. Dementsprechend lässt sich der weltweite Klimawandel auch hervorragend als ein Allmendeproblem - und formal als ein n-Personen-Gefangenendilemma - analysieren. Diese Analyse ermöglicht ein besseres Verständnis des eigentlichen Klimaproblems, das in dem fehlenden Anreiz begründet liegt, das Klima als ein öffentlich-zugängliches Gut zu schonen. Die Zertifikationslösung wäre theoretisch eine optimale Lösung für dieses Problem, da sie sowohl die ökonomische Effizienz und dynamische Anreizwirkung einer Preislösung als auch die ökologische Treffsicherheit einer Mengenlösung hat und somit die Vorteile aus beiden Staatslösungen in sich vereint. Praktisch wird die Zertifikationslösung aber nur mangelhaft umgesetzt, weil sie erstens preislich zu niedrig angesetzt und zweitens lokal vor allem auf Europa begrenzt ist. Es wäre von daher wünschenswert, ein weltweites und preislich hinreichend hoch angesetztes Zertifikationssystem für Treibhausemissionen zu etablieren. Die bisherige Geschichte zeigt aber, dass derartige globale Klimaschutzmaßnahmen realpolitisch nur sehr schwer, und wenn überhaupt äußerst langsam und vielleicht nicht in der idealen Härte umgesetzt werden können. Schon aus diesem Grund können wir nicht auf einen globalen Zertifikationshandel warten, um mit ernsthaftem Klimaschutz anzufangen. Dementsprechend ist es gut, wenn die EU ein Zertifikatsystem installiert. Zumal das Anreizwirkungen für andere Staaten haben kann.

Wichtig ist bei alle dem, das man nicht in etwas verfällt, was man in der Argumentationstheorie als Argumentationsfehler der falschen Dilemmata bezeichnet. Ich habe in dem vorliegenden Artikel die Vorteile eines Zertifikationssystems dargelegt. Daraus folgt aber nicht, dass ein Zertifikationshandel das eine und einzige Allheilmittel für die Klimakrise ist. Mitnichten. Die Klimakrise ist komplex und es gibt nicht die eine Antwort auf sie. Es ist nicht entweder Zertifikatslösung oder andere Lösungen; entweder Staat oder Markt; entweder Verzicht oder technologische Innovation; entweder Bekämpfung oder Anpassung, usw. Wenn wir der Klimakrise Herr werden wollen, müssen wir ihr auf all diesen Wegen und mit allen diesen Mitteln begegnen - und das viel ambitionierter als bisher.

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