Nein, ich bin kein gebrochener Mann!

Ein Zwischenruf

Nein, ich bin kein gebrochener Mann!

Foto: Pixabay.com / Himsan

Über lange Zeit galt ich als „Vorzeigechrist“, wie man mich in meiner früheren Kirchengemeinde immer wieder bezeichnet hatte. Immerhin war ich schon als Kind für den Glauben engagiert, wenngleich ich damals wohl noch nicht wirklich verstand, weshalb ich mich zum Krippenspiel an Weihnachten in die Verkleidung eines Jesus schmiss. Viel eher fühlte ich im Kindergottesdienst eine vertraute Umgebung und eine Geborgenheit, die für mich im Alter von sechs oder sieben Jahren so wichtig war. Naiv betete ich die mir vorgelegten Texte herunter und versetzte mich in die Rolle eines Heilands, der jedes Jahr neu geboren wurde. Der „liebe Gott“ spielte lediglich dann eine Rolle, wenn ich etwas besonders gut oder schlecht gemacht hatte. Wie es mir vorgelebt wurde, tat ich Buße für meine Sünden – und dankte dem bärtigen Aufpasser im Himmel für seinen Beistand. Kurzum: Ich verließ mich nahezu blauäugig auf das, was mir in diesen Lebensjahren am einfachsten erschien. Auf etwas zu vertrauen, was nicht beweisbar war, machte es mir leicht, nicht kompliziert denken zu müssen.

Man könnte also zusammenfassen, dass ich im christlichen Glauben sozialisiert wurde, auch wenn ich von Seiten der Eltern keinen Druck verspürte, mich in der Kirche einbringen zu müssen. Im Gegenteil: Die Erziehung verlief liberal, weder Mutter noch Vater legten expliziten Wert darauf, dass ich sonntags den Gottesdienst besuchte oder später am Konfirmandenunterricht teilnahm. Es war meine eigene Faszination an den Versprechungen des Protestantismus, die mich lange Zeit dazu gebracht hatten, meine anfänglichen Berufswünsche aufzugeben und von einem Studium der Theologie zu träumen. Aufgrund dessen war es mir ein Anliegen, mich in der Oberstufe vermehrt in den Religionsunterricht einzubringen – und ab dem 14. Lebensjahr aktiv in der Gemeinde mitzuhelfen: In der Jugendarbeit, in der Gestaltung von Andachten oder bei der musikalischen Gestaltung von Festen – oftmals verbrachte ich ganze Nachmittage in der örtlichen Kirche und war überzeugt, mit meinem ehrenamtlichen Dienst auch etwas für mein eigenes Seelenheil zu tun.

Nachdem ich ab dem Jahr 2005 zunehmend erkrankte, wendete sich auch meine Sicht auf den christlichen Glauben. In meiner Gemeinde traf ich auf wenig verständnisvolle Worte – von Nächstenliebe spürte ich kaum etwas. Immerhin machte man mir bei vorgehaltener Hand deutlich, dass ich offenbar zu wenig reuig gewesen sei, ansonsten würde Gott solch einen schrecklichen Gesundheitszustand gar nicht erst zulassen, munkelte man. Bereits zuvor ließ man mich und mein freiwilliges Engagement in der Kirche wie eine heiße Kartoffel fallen. Es kursierte zunehmend das Gerücht, dass ich homosexuell sei, weil ich mit 21 noch immer keine Freundin in den Gottesdienst mitbrachte. Ob diese Mutmaßungen schlussendlich auch mit der zunehmenden Entfremdung gegenüber meiner Person in Zusammenhang standen, blieb mir bis zuletzt verborgen. Dennoch merkte ich deutlich, wie sich das Verhältnis zwischen meiner Gemeinde und mir zunehmend abkühlte. Und nicht nur die irdischen Probleme machten mir deutlich: In der Kirche war kein Platz mehr für mich.

Wer die Satzung eines Vereins nicht unterstützt, der kann ihm auch nicht mehr angehören

Dennoch musste der Entschluss des Austritts noch einige Jahre reifen. Ich fürchtete, in meinem Dorf noch stärker gemieden zu werden, wenn deutlich würde, dass ich die Kirchengemeinde verlassen hatte. Und so rang ich immer wieder mit mir, hatte aber auch geistlich vermehrt die Erkenntnis gewonnen, dass ich in der christlichen Überzeugung nicht die Antworten finden sollte, die für meine persönliche Situation befriedigend waren. Von einem „liebenden Gott“ zu sprechen, diese Zeit war längst vergangen. Denn die Windungen der Kirche um die mich jahrelang befassende „Theodizee“-Frage begnügten mich keinesfalls. Wie konnte ein allmächtiger Herrscher das Leid auf dieser Welt zulassen? Aus Verlegenheit schob das Christentum den Sühnetod Jesu vor, ließ ihn das schwere Kreuz tragen und erklärte damit die weltlichen Ungerechtigkeiten. Das alles konnte ich nicht verstehen – und wollte kein Glaubensbekenntnis mehr sprechen, von dem ich mindestens die Hälfte nicht länger akzeptierte.

In solch einem Moment war für mich entschieden: Wer die Satzung eines Vereins nicht unterstützt, der kann ihm auch nicht mehr angehören. Diesen Standpunkt vertrat ich fortan mit viel Selbstbewusstsein, war für mich doch der Entschluss gekommen, die Kirche zu verlassen. Und auch wenn ich anschließend nochmals für kurze Zeit in sie zurückkehrte, bin ich seit 2019 endlich frei von jeder christlichen Verbundenheit. Nicht allein der Umstand, dass ich davon ausgehe, wonach die Gemeinden in Deutschland nicht immer fair mit ihren Ehrenamtlichen umgehen, brachte mich dazu, ihnen den Rücken zuzuwenden. Viel eher fehlt mir jeglicher Glaube an einen Gott, der uns lediglich vertröstet und auf ein Leben nach dem Tod verweist, in dem vermeintlich alles besser werden soll. Wer den Menschen geschaffen hat, um ihn dann im Elend verkümmern zu lassen, ist für mich kein König, sondern eine bloße Fiktion des menschlichen Gehirns. Er mag für Halt und Zuversicht nützlich sein, insgeheim lügen wir uns mit einem Gottesglauben aber in die eigene Tasche.

Als ich kürzlich auf ein ehemaliges Gemeindemitglied traf, musste ich mir aufgrund meiner mittlerweile in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Einstellung zu Religion und Konfession anhören, dass ich den Protestantismus „verraten“ hätte und ohne meinen Glauben mittlerweile doch ein gebrochener Mann sei. Auch wenn ich eigentlich wenig Interesse habe, mich mit solch billigen Anfeindungen auseinanderzusetzen, nahm ich mir Zeit, der älteren Dame ein überzeugtes „Nein“ entgegenzuwerfen. Ich brauche keine Hoffnung, die auf einem äußerst spekulativen Fundament aufgebaut ist. Ich respektiere jeden, der sein Heil in der Überzeugung an einen Gott sucht. Dennoch gebieten unsere Freiheitsrechte – gerade in einem säkularen Staat – Toleranz für Humanisten und Freidenker. Und obwohl die Austrittszahlen der Kirchen eine andere Sprache sprechen, sind die Vorbehalte gegenüber denjenigen, die einen Gott als Schöpfer des Universums ablehnen, noch immer so groß, dass sie im Alltag nicht selten einer Diskriminierung ausgesetzt sind.

Der Mensch ist der Lenker seines eigenen Lebens, daran glaube ich. Darum ist es er selbst, der im Zentrum des individuellen Daseins stehen sollte. Nicht die Huldigung eines imaginären Gottes sollte uns leiten, sondern Solidarität und Mitmenschlichkeit für jedermann. Ich kann aus meiner Erfahrung berichten, wie hilflos der Mensch ist, wenn er sich blind auf Gebet und Vertrauen zu einem Theismus verlässt. Sich jemandem hinzugeben, der besonders in den schwierigsten Momenten weder antwortet noch trägt, muss für jeden Gläubigen eine bittere Pille sein. Es braucht viel Phantasie, sich die Unterstützung eines Gottes einzureden, dessen Existenz mit einfachsten Mitteln widerlegbar erscheint. Atheist wird man nicht aus Verlegenheit, sondern aus dem Wissen darum, dass man sich selbst und seiner Umwelt der Nächste ist. Das hat keinesfalls etwas mit Arroganz zu tun, sondern führt die verschwenderischen Gedanken an einen Übermächtigen wieder dorthin zurück, wo sie gebraucht werden.

Kommentare

  1. userpic
    Frank Herbrand

    Ich bin Atheist von Geburt an (keine Eltern, die auf Kirche eingeschworen waren) und in Dresden wohnend kein Umfeld, dass mich in der DDR in den Genuß christlichen Gemeinschaftsgefühls gebracht hat) . Jedoch bin ich tolerant der Situation gegenüber, dass eine andere Person ganz andere Erfahrung gemacht hat und dies mit einer Gottheit verbindet. Ich hätte keine Argumente, einem Gläubigen kritisch gegenüber zu stehen.

    Insofern ist für mich Dein Artikel ganz anderen Kalibers! Du hast selbst erfahren, wie abgrenzenden der Glaube an den ach so "lieben Gott" wird, wenn man physiologisch oder wie auch immer nicht mehr in das Schema der "ach so menschenliebenden Leute " passt, die an den "ach so lieben " Gott glauben.

    Ich lebe ein humanistisches Weltbild. Der Mensch ist das Bezugssystem in all seinen Facetten und nicht ein idealisiertes Überwiesen.

    Danke für den Artikel. Er hilft mir meine Position zu stärken!

    Frank

    Antworten

    1. userpic
      Peter F.

      Ich muss sagen, mir ging es in jüngeren Jahren ähnlich. Ich habe mich viel in der Kirche und der Jugendarbeit engagiert. Nicht, weil ich besonders gläubig war oder meine Eltern das wollten (auch hier eine weitere Ähnlichkeit, es gab nichts, was ihnen egaler war als mein Bezug zur Kirche). Sondern weil ich dort Freunde fand, ein soziales Umfeld, und eine Möglichkeit, meine Probleme auf etwas vermeindlich größeres zu beziehen. Doch irgendwann, als das Mobbing nicht aufgehört hat und sich der liebe Gott auch sonst in keinster Weise meinen oder den Problemen anderer gewidmet hat, habe ich mich von der Kirche abgewand.

      Ich finde den Glauben als Konzept nicht schlecht. Viele Menschen schöpfen nur dank im Hoffnung, und das ist gut so. Mich stört viel mehr die Kirche als Mittelsmann. Zwar hatte ich in meiner Heimat keine allzu schlechten Erfahrungen mit Pastoren, Diakonen und anderen dort Beschäftigten, doch im großen und ganzen zeigt sich doch immer wieder, dass die Kirche nur ein Unternehmen ist, dass sich trotz der eigentlich ziemlich klaren Werte, die es vertreten sollte, immer wieder durch Korruption und andere, schlimmere Skandale hervortut.
      Doch das wollen viele nicht hören. Gotteslästerung, Verrat der eigenen Werte, alles nur wegen dieser neumodischen Computerspiele, des Internets und scheinbar der Fähigkeit, selbst zu denken und nicht einfach nur zu folgen und zu hoffen, dass irgendwann vielleicht eine Beserung eintreten könnte, wenn man nur möglichst viel betet.
      Ich habe kein Problem mit Leuten, die religiös sind. Ich habe eins mit denen, die ignorant sind.

      Antworten

      Neuer Kommentar

      (Mögliche Formatierungen**dies** für fett; _dies_ für kursiv und [dies](http://de.richarddawkins.net) für einen Link)

      Ich möchte bei Antworten zu meinen Kommentaren benachrichtigt werden.

      * Eingabe erforderlich