Rechts ist in der Mitte

Im Deutschlandradio Kultur wurde im Rahmen des politischen Feuilletons am 27.03.2014 folgender Text von Herrn Prof. Dr. Kurt Möller verlesen:

 

"Rechts ist in der Mitte

Rund 20.000 aktive Rechtsextremisten gibt es in Deutschland. Sie sind für jährlich zwischen 700 und 1000 Gewalttaten verantwortlich. Demokraten sind beunruhigt. Doch der Sozialwissenschaftler Kurt Möller blickt auf ein ganz anderes rechtes Gefahrenpotenzial - in der politischen Mitte.

manche meinen 
lechts und rinks 
kann man nicht 
velwechsern. 
werch ein illtum!

Sie kennen Ernst Jandls konkrete Poesie aus dem Jahre 1966?

Vielleicht sollte man sie weiterschreiben. Ohne jegliche lyrischen Ansprüche, versteht sich. Vielleicht sollte man sie weiterschreiben, wenn man auf den grassierenden Rechtsextremismus unserer Tage schaut. Die ergänzte Strophe könnte dann heißen:

Ranche reinen

Mechts und ritte

Kann ran nicht

Vemwechseln

Welch ein immtur!

Ganz im Ernst - und nicht nur im Ernst Jandelschen: In Abwandlung eines berühmten Horkheimer-Zitats lässt sich sagen: Wer von rechts reden will, darf von der Mitte nicht schweigen.

Sicherlich: Unfassbar abscheulich, menschenverachtend, ja mörderisch ist der NSU-Terror. Aber die Böhnhardts und Mundlos kommen aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft. Wie bei ihnen - und übrigens auch bei Beate Zschäpe - sind die Eltern nicht selten studierte Leute.

Aber reicht die Empörung über die da Rechtsaußen? Nun gut: Man kann sie öffentlichkeitswirksam beklagen, man kann sie politisch-moralisch anklagen, man mag manche von ihnen gar verklagen oder nach Organisations- und Parteiverboten rufen. Und sicher: Sie politisch zu bekämpfen, ist Demokratenpflicht und dient der politischen Selbsthygiene.

Das eigentliche, viel größere Problem wurzelt anderswo. Und es wurzelt viel tiefer; nämlich dort, wo der Nährboden für braunes Gedankengut und rechtsextreme Exzesse liegt. Dieses Areal liegt nicht am Rande der Gesellschaft, es ist mittendrin. Die davon ausgehende Gefahr ist ungleich größer und tückischer.

Seriöse empirische Befunde weisen für die politischen Einstellungen bundesdeutscher Erwachsener aus: 

Mehr als ein Drittel der deutschen Jugendlichen ist ausländerfeindlich.

Rund ein Fünftel der Deutschen vertritt rechtsextreme Einstellungen. Nahezu genauso viele billigen Gewalt, um sie durchzusetzen. Etwa die Hälfte von ihnen besitzt sogar ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Diese fast zehn Prozent sind also sowohl rassistisch und fremdenfeindlich als auch antisemitisch gestimmt, propagieren autoritäre Führungsstrukturen und verharmlosen zugleich den Nationalsozialismus.

Ein Großteil der Rechtsstehenden fühlt sich selber allerdings keineswegs als Rechtsausleger, sondern in der politischen Mitte beheimatet. Menschen, die sich so positionieren, wollen offenbar ein Heil ohne Hitler. Bei Wahlen fallen sie nicht weiter auf. Denn schon seit Jahrzehnten zeigt sich: Wer rechtsextreme Auffassungen hat, wählt eher selten die NPD oder ähnliche Parteien. Ob man es wahrhaben will oder nicht - empirisch steht fest: Blickt man auf die Wahlbereitschaften, so sympathisiert das rechtsextreme Einstellungslager zu zwei Drittel bis drei Viertel mit den großen Volksparteien: CDU und CSU sowie SPD.

Wenn schon die Elterngeneration so tickt, wundern uns dann die politischen Haltungen der nachwachsenden Generation? Profunde Studien weisen aus: Rund 40 Prozent der deutschen Jugendlichen sind ausländerfeindlich, nahezu genauso viele muslimfeindlich.

Rechte sind nicht nur unter uns. Rechts ist in uns. Rechts ist in Dir und in mir!

Gibt es einen geeigneten Ort für Mahnwachen vor der Mitte? Am ehesten dürfte er jedenfalls vor den Bürogebäuden der Volksparteien liegen. Gängige Strategien der Bekämpfung des Rechtsextremismus zielen durchgängig auf die Anderen. CDU/CSU und SPD schreiben sich einerseits – wie andere Bundestagsparteien auch - den Kampf gegen Rechtsextremismus aufs Panier. Andererseits ist jeder Vierte bis Fünfte ihrer Anhänger und Sympathisantinnen selbst ausländerfeindlich und national-chauvinistisch eingestellt.

Kann konsequentes Einschreiten gegen Rechts funktionieren, wenn man den Balken im eigenen Auge nicht sehen will?

Gegen Rechts aufstehen wollen und zugleich der eigenen Mitte Absolution erteilen? Nicht nur Jandls Ernst weiß: Welch ein immtur!"

 

Prof. Dr. Kurt Möller, Jahrgang 1954, Erziehungswissenschaftler, Soziologe und Germanist, seit 1989 Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Esslingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Gewalt, Rechtsextremismus, Fremden- und Menschenfeindlichkeit, Männliche Sozialisation und Jungen- bzw. Männerarbeit, Politische Sozialisation, Jugendkulturen.

http://www.deutschlandradiokultur.de/extremismus-rechts-ist-in-der-mitte.1005.de.html?dram:article_id=281179

 

Dieser Text weist meines Erachtens nach auf ein zentrales Problem demokratischer Systeme, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland installiert sind, hin:

Die Tatsache, dass national-chauvinistische und rassistische Einstellungen sehr häufig nicht an der Oberfläche in den extremen Ecken zu suchen sind, sondern sich in der ganz "normalen" politischen Mitte verstecken und sich somit direkter Kritik und direktem Widerstand entziehen.

Auch aus meiner Sicht ist dies ein großes Problem, das sich statistisch z. B. dadurch belegen lässt, dass Jugendliche mit türkisch oder russisch klingendem Namen viel größere Probleme haben, bei gleichen Notenschnitten einen Ausbildungsplatz zu bekommen, als das für Jugendliche mit deutschem Namen gilt. 

Wie kann aus eben jener politischen Mitte heraus diesem Phänomen begegnet werden? Wie kann Politik und Lehre wirksame Mittel gegen die versteckten Formen von Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus entwickeln und einsetzen?

Kommentare

  1. userpic
    Gerhardw

    Dazu hatte ich letzens folgenden Gedanken. Der große "Erfolg" der CDU/CSU gegenüber der SPD könnte gar nichts mit der Politik der Parteien zu tun haben, sondern kommt vielleicht daher, dass in Deutschland (im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern) alles Rechts von der CDU/CSU von "normalen" Bürgern als unwählbar betrachtet wird, da sie Angst haben, ansonsten als rechtsradikale Neonazis zu gelten, während es links von der SPD inzwischen reichlich Alternativen gibt, deren Wahl inzwischen nicht mehr zu einer Gesellschaftlichen Ausgrenzung und Verweisung in die Spinnerecke führt. Durch diese Zerstückelung der Linken bei gleichzeitiger Stärkung der Konservativen durch reichlich "Leihstimmen" der Rechten haben wir nun seit Jahren eine Konservative Regierung am Hals, die sich einen sehr viel stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung einbildet, als sie wirklich hat. Und das einzige, was in absehbarer Zeit helfen würde, wäre eine gesellschaflich anerkannte Rechtsaußen Partei, die die Rechtsgesinnten Stimmen bei der CDU/CSU abziehen würde, und so ein realeres Abbild der Volksgesinnung ergeben würde, was paradoxer Weise die Cancen für eine weiter links stehende Regierung deutlich erhöhen würde.

    Alternativ wäre oder zusätzlich wäre es einen Gedanken wert, einen Teil des Bundestags nicht zu wählen, sondern 50% der Sitze unter allen Personen verlosen (als Pflichtdienst mit ganz wenigen Ausnahmen), die sagen wir mal Rechtsfähig, zwischen 18 und 62 sind und ihren ständigen Wohnsitz seit mindestens 5 Jahren in Deutschland haben.

    Antworten

    Neuer Kommentar

    (Mögliche Formatierungen**dies** für fett; _dies_ für kursiv und [dies](http://de.richarddawkins.net) für einen Link)

    Ich möchte bei Antworten zu meinen Kommentaren benachrichtigt werden.

    * Eingabe erforderlich