Kommentar zu „Kretschmann - Kirchensteuer bleibt“
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat in jüngster Vergangenheit immer wieder mit Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht, die für deutschlandweite Schlagzeilen gesorgt hatten. Unlängst hatte er sich in der Corona-Krise als ein strenger Hüter massiver Freiheitseinschränkungen hervorgetan und für die nächste Pandemie gefordert, dass man künftig von Beginn an noch stärker in das Alltagsleben der Menschen eingegriffen werden müsse. Er hatte dabei auch Notstandsgesetze ins Spiel gebracht, was für deutliche Kritik sorgte. Selbst das Bundesbildungsministerium stellte der Landesvater kurzzeitig in Frage – und nicht zuletzt in Sachen der anonymen Möglichkeit zur Anzeige von möglichen Steuersündern durch die Bürger, die sein Finanzminister lanciert hatte, gab er ein recht teilnahmsloses Bild ab. Nun meldet sich Kretschmann wieder zu Wort (Stuttgarter Zeitung vom 25.10.2021) und stellt unverhohlen fest, dass die nächste Koalition – sofern es denn eine „Ampel“ sei – die Kirchensteuer nicht abschaffen würde. Ob sich der baden-württembergische Grüne in dieser Angelegenheit mit seinen Parteivorsitzenden abgesprochen hat, bleibt zunächst unklar. Viel grotesker wirkt bei seiner Aussage auch die Begründung: Laizisten müssten laut Kretschmann ja gar keine Kirchensteuer zahlen, weshalb sie sich dann überhaupt aufregten – fragte er. Als konfessionsfreier Christ möchte ich meinem Ministerpräsidenten entgegenhalten: Es sind auch meine Steuergelder, die dafür eingesetzt werden, dass in unseren Finanzämtern Angestellte des Landes Mehrarbeit leisten, um Abgaben für die Religionsgemeinschaften einzuziehen. Jeder von uns finanziert diesen „Service“ für sie mit – egal, ob man deren Mitglied ist. Kaum ein Amtsträger hat in der jüngeren Vergangenheit eine derartige Verwobenheit zwischen der persönlichen Zuneigung zur Kirche und seinen politischen Forderungen gezeigt. Der Glaube ist die Privatsache eines Jeden. Sobald daraus aber die Absicht erwächst, eine im säkularen Gemeinwesen ohnehin schwierige Verknüpfung von weltanschaulichen Institutionen und der öffentlichen Hand krampfhaft zu verteidigen und zu befördern, wird daraus zurecht ein umstrittenes Politikum. Kretschmann vermischt nach meinem Empfinden seine christliche Verwurzelung mit der ihm als Mitglied eines Verfassungsorgans auferlegten Neutralität. Dieses Verhalten scheint mir deshalb durchaus bedenklich, weil er in seiner Funktion nicht zum ersten Mal eine offenherzige und einseitige Solidarität mit den christlichen Konfessionen erklärt. Religionsfreiheit steht auch ihm zu, sie wird in seinem Falle aber durch das Staatsfundamentalprinzip der religiösen Unabhängigkeit beschnitten. Amtsmüdigkeit wird allerdings nicht der Grund dafür sein, dass der Ministerpräsident in Sachen Christusverliebtheit die ihm gebotene Zurückhaltung manches Mal außer Acht lässt. Denn in dieser Hinsicht wandelte er stets über Grenzen.
Kommentare
Hallo,
ich stimme zu - aber für mich hätte die Kritik an Kretschmann bzw. der Verschränkung von Staat und Kirche deutlich schärfer ausfallen können.
Es würde mich interessieren, was Sie unter einem "konfessionsfreien Christen" verstehen.
Tatsächlich verschwimmen mir zusehends die Begrifflichkeiten und inhaltlichen Positionen bzw. Abgrenzungen hinsichtlich "Humanismus", "Konfessionsfrei", Säkularität, Wissenschaftlichkeit und und weltanschaulich-politischen Einschätzungen.
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