Richard Dawkins beantwortet Fragen von reddit.com. Das ist ein Transkript des Videos von der Englischen Seite.
Übersetzung von Daniela Bartl
1. Was halten Sie von Sam Harris‘ Idee, dass wir eines Tages die Neurowissenschaft dazu verwenden werden können, das Wohlergehen der Menschheit zu quantifizieren und mithilfe dieser Informationen ethische Fragen empirisch zu beurteilen?
Sam Harris hat ein neues Buch geschrieben, ein sehr interessantes Buch, es heißt „The Moral Landscape“. Und er befasst sich mit dem Klischee der Philosophie, dass die Wissenschaft über die Moral keine Aussage machen kann. Die Wissenschaft kann uns das „Wie“ erklären, aber sie kann uns nicht sagen, was gut und was schlecht ist.
Ich finde, dass Sam damit recht haben könnte. Er denkt, dass sie das sehr wohl kann. Und er meint, dass die Neurowissenschaft dazu verwendet werden kann, festzustellen, wann Leute wirklich leiden. Man muss unterstellen, dass es das Leid ist, worauf es ankommt. Man muss unterstellen, dass es das Ziel der Moralität ist, die Gesamtmenge an Leid zu verringern, etwa das Leid der Menschen oder das aller fühlenden Wesen.
Sobald man das getan hat, sobald man dies als das Ziel seiner Moralität akzeptiert hat, dann kann einem die Wissenschaft, und im speziellen die Neurowissenschaft, sagen, wann Menschen leiden, wann Lebewesen leiden. Daher finde ich, dass er hier wirklich recht hat, und ich kann sein Buch „The Moral Landscape“ sehr empfehlen.
2. Welche Ihrer persönlichen Überzeugungen beruht am wenigsten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen?
Ich glaube, dass, wenn wir jemals auf andere Lebensformen im Universum stoßen, wie seltsam und außerirdisch und eigenartig und fremdartig sie auch sind, dass es eines geben wird, dessen wir ziemlich sicher sein können: Und zwar, dass es Darwinische Lebensformen sein werden, dass sie durch etwas entstanden sind, das Darwins natürlicher Selektion ähnlich ist. Sie werden sich sicherlich graduell entwickelt haben und nicht plötzlich aus dem Nichts als komplizierte Lebensformen entstanden sein. Die einzige Art, wie die erstaunliche Komplexität entsteht, die das Leben ausmacht, ist mit langsamen, graduellen Änderungen. Also werden sie evolutionär entstanden sein.
Und jetzt würde ich meinen Hals riskieren und etwas sagen, dass noch schwerer zu beweisen ist: Ich glaube nicht, dass überhaupt eine andere Möglichkeit besteht als etwas, das der Darwinschen natürlichen Selektion gleichkommt, das heißt zufällige Variationen, gefolgt von nicht zufälligem Überleben.
3. Schulen in Amerika scheinen zum Thema Evolution zu schweigen, um sich nicht mit Vertretern der „Intelligent-Design-Theorie“ anzulegen. Warum hört man also nicht mehr von amerikanischen Wissenschaftlern zu dem Thema, und was kann man dagegen tun?
Dies ist eines der Dinge, an denen die Richard Dawkins Stiftung für Vernunft und Wissenschaft am meisten interessiert ist, nämlich Bildung, und da ich Evolutionsbiologe bin, bin ich natürlich besonders daran interessiert, dass die Evolution unterrichtet wird. Zur Frage, sich mit Vertretern des Intelligent Design anzulegen, nun, ich lege mich gerne mit Vertreten des Intelligent Design an und ich rufe die Lehrer dazu auf, es auch zu tun.
Ich war in Minneapolis auf einer Lehrerkonferenz, erst letzte Woche, und mein Sitznachbar beim Abendessen hatte eine Auszeichnung erhalten für seinen Evolutionsunterrichtet. Und seine Strategie war es gewesen, das Wort zu vermeiden. Er hatte es sogar vermieden, den Studenten zu sagen, dass es im Unterricht gerade um die Evolution ging. Er unterrichtete sie einfach. Und erst später weihte er sie in das Geheimnis ein, was genau sie da eigentlich gelernt hatten.
So würde ich es nicht machen. Wenn ich bemerken würde, dass es Schüler gibt – und er sagte sogar, dass manche seiner Kollegen Angst davor hatten, Evolution zu unterrichten, da sie, sobald sie dies in der Klasse ankündigten, von manchen Schülern angeschrien wurden – und meine Reaktion darauf wäre, sie hinaus zu werfen, weil sie die Zeit der anderen Schüler verschwenden. Aber ich konnte sein Argument schon verstehen.
Zur Frage, was die Wissenschaftler tun können, was die Richard Dawkins Stiftung für Vernunft und Wissenschaft tun kann: Ich glaube, dass wir die Ressourcen zur Verfügung stellen müssen, dass wir Rückhalt bieten müssen, Bücher bereitstellen, Unterrichtspläne, Filme, Videos – Ressourcen, die den Lehrern helfen, die in der Tat zentrale These ihres gesamten Faches zu unterrichten. Und sie ist faszinierend, sie ist der interessanteste Aspekt der Biologie, sie vereint alles. Sie erklärt, warum wir existieren – was könnte faszinierender sein?
4. Wie wird Ihrer Meinung nach der religiöse Fundamentalismus in 5, 10, 50 Jahren aussehen? Und wie die Wissenschaft in 5, 10, 50 Jahren?
Ich bin nicht sehr gut darin, Vorhersagen zu machen über die Zukunft des Zeitgeists. Daher kann ich nicht wirklich sagen, was mit dem religiösen Fundamentalismus passieren wird. Ich kann natürlich sagen, worauf ich hoffen würde, und das ist auch die Art, wie die Leute diese Fragen oft beantworten.
Was ich klarerweise hoffe ist, dass nicht nur der Fundamentalismus, sondern die Religion als Gesamtes tot sein wird. Aber das halte ich nicht für sehr realistisch.
Wie auch immer, ich glaube, dass ich im Laufe meines Lebens gelernt habe, dass, wenn Leute Vorhersagen machen, sie sehr oft falsch liegen. Wir werden sehr oft überrascht.
Was ich eher voraussagen würde ist, wo die Wissenschaft stehen wird. Die Wissenschaft wird immer mehr und mehr erstarken. Die Wissenschaft hat noch nicht alle Probleme im Universum gelöst, und wird das vielleicht auch nie tun, aber sie ist auf dem richtigen Weg. Und historisch gesehen ist das ein Trend, der sich wahrscheinlich fortsetzen wird. In meinem eigenen Fach, der Biologie, wird es wohl hauptsächlich darum gehen, die Details zu klären. In der Physik könnte es gut sein, dass die Physik entweder an ihr Ende gelangt, wenn alle Fragen gelöst sind, wenn wir eine „Große vereinheitlichte Theorie“ haben, eine Theorie von allem; und etwa die Hälfte der Physiker, die ich kenne, glaubt, dass dies geschehen wird. Die andere Hälfte glaubt oder weiß, dass es immer noch mehr zu entdecken gibt. Man überwindet einen Horizont, und das ist wundervoll, und doch öffnet es nur die Tür zu weiteren Problemen, die zu lösen sind. Und mir kommen diese beiden Möglichkeiten gleichermaßen spannend vor.
Es ist sehr spannend zu denken, dass die Physik eines Tages, vielleicht noch während unserer Lebenszeit, alle offenen Fragen beantworten wird. Aber es wäre genauso spannend, wenn sie das vielleicht nie schafft und es immer offene Fragen geben wird, tiefgründige Fragen, die auf eine Lösung warten. Aber die Zukunft der Wissenschaft ist rosig und spannend.
5. Was können Atheisten tun, besonders in Ländern, in denen die Religion dominiert, um den Einfluss der Religion zu verringern und die Gesellschaft säkularer und atheistischer zu machen?
Das ist eine sehr schwierige Frage – zu wissen, was man tun kann in diesen Ländern, in denen die Religion nicht nur dominiert, sondern wo vor allem auch die Religion die Politik dominiert, auf eine Art und Weise, die sogar für Leib und Leben sehr riskant werden kann, wenn man sich als Atheist outet; oder auch als Mitglied einer anderen Religion.
Ich glaube, dass wir Hoffnung in das Internet setzen können, dass wir Hoffnung in die Geschwindigkeit setzen können, mit der sich Ideen im heutigen Internet verbreiten.
Ich glaube, was Atheisten noch tun können, ist, die Wahrheit zu verbreiten, die wissenschaftliche Wahrheit, Vernunft, skeptisches und kritisches Denken, etwa im Internet. Man kann vielleicht Sprecher finden, die aus fremden Ländern kommen, wo Religion dominant und repressiv ist.
In Amerika sind wir, glaube ich, nahe an einem Wendepunkt, nahe an der kritischen Masse, wo, wenn sich nur noch ein paar Leute mehr als Atheisten outen, die Dämme brechen könnten. Das könnte eine richtige Welle solcher Bekenntnisse einleiten. Das, würde ich sagen, ist mein Ziel für Amerika. Eines der Ziele der Richard Dawkins Stiftung für Vernunft und Wissenschaft ist es also, auf diesen Wendepunkt hinzuarbeiten, auf diese kritische Masse.
6. Was sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten offenen Fragen in der Biologie?
Wie hat sich das Bewusstsein evolutionär entwickelt und was ist das Bewusstsein? Wie ist das Leben aus Nichtleben entstanden, was war der Ursprung des ersten selbst-replizierenden Moleküls, eigentlich das erste Gen? Das wäre die zweite Frage. Und die dritte wäre, warum haben wir Sex?
7.
Von all den Beweisen, die die Evolutionstheorie stützen, welches ist Ihrer Meinung nach das stärkste, das am wenigsten widerlegbare Beweisstück für die Richtigkeit dieser Theorie?
Es gibt eine enorme Menge an Beweisen, aus vielen unterschiedlichen Richtungen, und es ist schwierig, einen auszuwählen, der wichtiger ist als die anderen. Es gibt Fossilien, Beweise aufgrund der geographischen Verteilung, die rudimentären Organe. Der vielleicht für mich überzeugendste Beweis ist der Vergleich von heutigen Tieren, insbesondere der biochemische Vergleich, der genetische, molekulare Vergleich.
Wenn man zwei beliebige Tiere nimmt, und dasselbe Gen in den zwei Tieren identifiziert, was tatsächlich geht, denn die Buchstaben des DNA Codes sind bei allen Tieren gleich, dann kann man wirklich Gene finden, die dieselben sind. So haben etwa alle Säugetiere ein Gen namens FOX-P2, das mehrere tausend Buchstaben lang ist, und die meisten der Buchstaben sind bei allen Säugetieren dieselben. Es ist dasselbe Gen. Und dann kann man die einzelnen Buchstaben zählen, die unterschiedlich sind. Im Fall von FOX-P2 ist die Anzahl der Buchstaben, die bei Menschen und Schimpansen unterschiedlich sind, ungefähr neun. Bei Menschen und Mäusen sind hier ungefähr 30 Buchstaben anders. Frösche haben dieses Gen auch, da findet man ein paar Hundert unterschiedliche Buchstaben.
Also kann man zwei beliebige Tiere nehmen, Känguru und Löwe, Pferd und Katze, Mensch und Ratte, was immer man möchte, und die Unterschiede in den Buchstaben der einzelnen Gene zählen. Und wenn man das graphisch darstellt, sieht man, dass sie eine perfekte, verzweigte Hierarchie bilden. Es ist ein Baum. Was könnte das sonst sein, wenn nicht ein Familienstammbaum? Dann macht man dasselbe mit einem anderen Gen. Wenn man den Stammbaum von FOX-P2 hat, macht man mit einem anderen Gen weiter, und mit noch einem, und so weiter. Man erhält immer denselben Stammbaum. Derselbe Stammbaum kommt auch heraus, wenn man Gene nimmt, die nicht mehr funktionstüchtig sind, die rudimentär sind und keine Funktion haben. Sie sind wir Fragmente eines Dokuments auf der Harddisk, die nicht mehr verwendet werden, sie sind nicht mehr im Verzeichnis, man kann sie nicht mehr sehen.
Und wieder erhält man denselben Familienstammbaum. Das ist ein überwältigend starker Beweis. Die einzige Möglichkeit, die es gibt, um zu sagen, dass dies nicht beweist, dass die Evolution wahr ist, ist die Annahme, dass es der „intelligente Designer“ Gott absichtlich darauf anlegt, uns zu belügen, und uns absichtlich täuscht.
Kommentare
Sehr geehrter Herr Professor,
Ihre Fragen, wie sich das Bewusstsein evolutionär entwickelt hat und was das Bewusstsein ist, möchte ich folgendermaßen beantworten:
Bewusstsein ist das Wissen von der Welt und sich selbst, entstanden durch Beobachtung mittels Neuronennetzen. Die Außen- und die Innenwelt werden im Gehirn durch neuronale Netze abgebildet. Wenn diese von einem anderen, ›übergeordneten‹ Netz beobachtet werden, dann ist das Bewusstsein.
Bewusstsein ist vollständig an bestimmte Prozesse in unserem Gehirn gebunden und erfolgt stets mit gleichzeitiger Aktivierung sehr vieler Neuronen.
Es hatte (und hat) einen erheblichen Wert, die im Gehirn gespeicherte Welt anschauen zu können, sie entsprechend seinen Zielen umzuformen und dann zu versuchen, diese zu realisieren. Es erlaubt uns, symbolisch zu denken, also unsere Erfahrung zu abstrahieren und durch mentale Symbole auszudrücken, sowie die Welt hin und her zu schieben, neu zu verknüpfen, um Lösungen herbeizuführen. So entstand Bewusstsein, ein Vorteil gegenüber anderen Arten. Und da man nicht nur die Welt so sehen und abstrahieren kann, sondern auch sich selbst, hat man auch von sich selbst Bewusstsein: seinen eigenen Lauf erkennen, sich zu steuern, um damit besser umgehen, erfolgreicher sein zu können.
Der Zustand, der mit bewusster Wahrnehmung einhergeht, ist weit über das Gehirn verteilt und selbst organisiert, und die Netze ändern ständig die Gestalt. Es gibt viele Netze im Gehirn, die sich gegenseitig betrachten können.
Die Netze sind der ›Geist‹ - das Bewusstsein - des Menschen: Sie betrachten das Betrachten.
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Heinz Hermsch
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