Richard Dawkins über Terrorismus und Religion

Richard Dawkins ist derzeit auf einer kurzen Tour in den U.S.A. Das folgende Interview wurde von Scott Simon geführt.

Richard Dawkins über Terrorismus und Religion

Scott Simon, Moderator: Richard Dawkins, Wissenschaftler, Humanist und Religionskritiker, ist auf Tournee, mit einer Reihe von Auftritten zugunsten des Center for Inquiry unter anderem in Los Angeles, Boulder (Colorado), Washington D.C. und Miami. Der bahnbrechende Biologe ist nun Emeritus am New College in Oxford und der vielleicht weltweit bekannteste Atheist. Dr. Richard Dawkins ist zu Gast bei uns im Studio. Danke, dass Sie hier sind!

Richard Dawkins: Danke, dass ich hier sein darf!

Lassen Sie mich so anfangen. Ein fürchterliches Verbrechen diese Woche – in Manchester sprengte sich während eines Konzerts ein Selbstmordattentäter in die Luft; mehr als zwanzig Menschen starben, viele von ihnen Jugendliche. Die britische Regierung hat ihn identifiziert, der Islamische Staat die Verantwortung übernommen. Natürlich gehen die Untersuchungen weiter. Sie, Dr. Dawkins, äußern unverblümt und ungebeugt Ihre Überzeugung, dass Religion beim Terrorismus eine Rolle spielt.

Nun, ich denke, das tut sie offensichtlich. Jedes Mal, wenn so etwas passiert, wissen wir, was derjenige gesagt hat – üblicherweise „Allahu Akbar“. Es geschieht im Namen der Religion. Natürlich muss man dazusagen, dass nicht alle Muslime dem zustimmen. Gleichwohl ist es wahr.

Oder, wenn wir schon dabei sind, dass nicht jeglicher Terrorismus durch Religion inspiriert ist.

Das stimmt. Aber ein sehr großer Teil ist es. Und religiöser Glaube motiviert Menschen tatsächlich, schreckliche Dinge zu tun. Wenn du wirklich zutiefst glaubst, dass dein Gott dich als Märtyrer sehen will, der Leute in die Luft sprengt, dann wirst du es tun. Und du wirst überzeugt sein, es aus rechtschaffenen Gründen zu tun; du wirst glauben, ein guter Mensch zu sein.

Was ist mit gleichermaßen religiösen Menschen, die sagen würden, dass Attentäter nicht wirklich religiös sind...

Natürlich sind sie das.

... sondern die Religion völlig verdrehen.

Die weitaus größte Mehrheit religiöser Menschen würde nicht im Traum daran denken, so etwas zu tun. Dennoch, religiöser Glaube ist ein motivierender Faktor. er ist eines der wenigen Dinge, die stark genug sind, Menschen dazu zu bringen, so Furchtbares anzurichten.

Ich möchte... Schauen Sie, ich respektiere Atheisten und den Atheismus. Lassen Sie mich an eine Debatte anknüpfen, die wir alle paar Jahre mit Ihrem Freund Christopher Hitchens führten. Also, ja, Atheismus ist respektabel. Nun habe ich aber über eine Menge Kriege, Hungersnöte und Tragödien berichtet. Und wie mir schien, gab es an jedem dieser Schauplätze des Leids eine beherzte Nonne, einen Priester, Geistlichen oder sonstwie religiösen Menschen, der sehr selbstlos und tapfer am Wohl menschlicher Existenzen arbeitete. Aber mir begegnen keine organisierten Gruppen von Atheisten, die dasselbe tun.

Nun, vielleicht gibt es nicht genügend viele von ihnen. Ich streite nicht ab, dass es viele religiöse Menschen gibt, die Gutes tun, auch in den Wirren des Krieges. Es gibt eine Menge gute Menschen auf der Welt. Manche von ihnen sind religiös; manche sind es nicht.

Das Center for Inquiry, mit dem meine Stiftung assoziiert ist, leistet eine Unmenge dort, wo es geht. Zum Beispiel haben wir ein Programm namens
Secular Rescue, in dessen Rahmen wir buchstäblich Menschen aus Lebensgefahr retten, die bedroht werden, weil sie religiöse Abweichler oder blasphemisch sind.

Sehen Sie, es gibt weltweit viele Länder, in denen auf Apostasie oder Blasphemie die Todesstrafe steht. Ich denke, es wäre unfair, ein Ungleichgewicht anzudeuten zwischen der Menge des Guten, das von religiösen Menschen getan wird und jener Menge, die Nichtreligiöse verrichten.

Das würde ich nicht nahelegen wollen. Aber ich frage mich schon, ob mir irgendwie entgeht, dass hochmotivierte Atheisten in großer Zahl ihr Leben der Arbeit an einer besseren Welt widmen. Oder, wenn ich das so sagen kann, sind sie vielleicht mehr daran interessiert, intellektuell Recht zu haben?

Oh, das glaube ich nicht. Vielleicht, wenn Sie erlauben, haben Sie nicht genau genug hingesehen?

Hm, ja... wie gesagt, mir fällt eben auf, wie viele religiöse Menschen ich überall auf der Welt gesehen habe, die irgendwie versuchen, Leid zu lindern.

Religiöse Organisationen, Kirchen, sie haben eine große Infrastruktur. Sie haben Unmengen Geld. Sie haben die Macht und die Ressourcen, Leute an diese Orte zu schicken. Das ist, was wir bräuchten. Und das CFI und die Richard-Dawkins-Foundation versuchen, Geld aufzubringen, um die Ressourcen zu erwerben, solche Dinge zu tun.

Begegnet Ihnen heute mehr Verständnis in der Welt für das, was Sie tun, als vor zehn oder zwanzig Jahren?

Schwer zu beurteilen. Ich denke, dass wir uns sicherlich in die richtige Richtung bewegen, was die Anzahl säkularer, nichtreligiöser Menschen angeht. Pew Research und andere Umfragen in Westeuropa und Amerika zeigen das.

Derzeit gibt es in den USA mehr als zwanzig Prozent Ungläubige, das sind so viele wie in irgendeiner der religiösen Gruppierungen. Also, ja, was die statistische Antwort betrifft, sind wir auf dem richtigen Weg.

Dr. Richard Dawkins tritt am Samstagabend dieses Wochenendes im Olympia Theater in Miami auf. Dr. Dawkins, vielen Dank, dass Sie bei uns waren!

Ich danke Ihnen.

Transkript zur Verfügung gestellt von National Public Radio.

Übersetzung: Harald Grundner

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

  1. userpic
    George Reaseda


    F: Was sind Religionen?
    '
    A: Religionen sind Gesellschaftsentwürfe, die sich zu ihrer Legitimation auf eine, mehrere oder gar eine Vielzahl transzendenter Entitäten berufen.
    '
    Daneben gibt es säkulare Gesellschaftsentwürfe, wie etwa die Europäische Aufklärung, wenn sie auch ihre Herkunft aus dem Christentum („Dekalog“) nicht verleugnen kann, den Humanismus (dito), den Kapitalismus, die soziale Marktwirtschaft als seine domestizierte Variante, den Kommunismus/ Sozialismus , Nationalsozialismus, Demokratie, Liberalismus, den Libertinismus, Multi- Kulti u. a. Letztere meinen, ohne religiösen Überbau auskommen zu können. Äußerstenfalls akzeptiert man eine ungleiche Koexistenz, während dem säkularen GE die dominierende Rolle zukommt.
    '
    Ohne irgendeinen Gesellschaftsentwurf oder auch eine Mischung aus mehreren geht es aber nicht.- Was sollte das sein?
    '
    Ich kann aber nicht erkennen, warum säkulare Gesellschaftsentwürfe, man denke nur an den Nationalsozialismus, Kommunismus/ Sozialismus friedlicher und gewaltabstinentler sein sollten als die der ersten Kategorie. Darauf baut aber das gesamte Denkgebäude des Dr. Dawkins, n' est-ce pas, das ich wohl hiermit zum Einsturz gebracht habe!
    '
    Mit freundlichen Grüßen
    GR
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    „Jede Strategie reicht nur bis zur ersten Feindberührung, danach folgt nur noch eine Aufeinanderfolge von Aushülfen.“ v. Moltke d. Ä.

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    1. userpic
      Heinz-Walter Hoetter

      @George Reaseda

      Die Grundlage jeder menschlichen Gesellschaft sollte der Humanismus sein. Der Grundsatz müsste dann lauten: "Leben und leben lassen." Dieser Satz müsste dann auch auf alles Lebendige ausgedehnt werden (sofern möglich).

      Würden sich alle Menschen an diesen Grundsatz halten, bräuchten wir weder irgendwelche "Gesellschaftsentwürfe" noch irgendwelche Weltanschauungsideologien, wozu auch die sog. "Religionen" gehören (die ich für Schwachsinn halte).

      Der Mensch ist ein mit Bewusstsein ausgestattetes Tier. Das sein Bewusstsein die Grundlage seines Denkens ist, wird dieses Tier oft zur reißenden Bestie, die nicht einmal vor der Massentötung seiner Artgenossen zurück schreckt.

      *Anmerkung: Der "Mensch" ist meiner Ansicht nach keine "göttliche Schöpfung", sondern eine "Anomalie des Universums".

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