Seelen-Suche

Google als Fenster zu unseren privaten Gedanken

Seelen-Suche

Foto: pixabay.com / geralt

Was sind die seltsamsten Fragen, die du je gegoogelt hast? Meine könnten sein (für mein neuestes Buch): „Wie viele Menschen haben je gelebt?“ „Woran denken Menschen kurz vor dem Tod?“ und „Wie viele Bits würde man benötigen, um in einer virtuellen Realität jeden wieder auferstehen zu lassen, der jemals gelebt hat?“ (Es ist 10 hoch 10123). Mit Hilfe von Googles Autovervollständigung und Keyword Planner Tools hat das britische Internetunternehmen Digitaloft eine Liste von 20 der verrücktesten Suchanfragen erstellt, darunter „Bin ich schwanger?“ „Sind Aliens echt?“ „Warum haben Männer Nippel?“ „Ist die Erde flach?“ und „Kann ein Mann schwanger werden?“

Das ist alles sehr unterhaltsam, aber laut dem Ökonomen Seth Stephens-Davidowitz, der bei Google als Datenwissenschaftler arbeitete (er ist jetzt Autor für die New York Times), können solche Suchen als „digitales Wahrheitsserum“ für tiefergehende und dunklere Gedanken dienen. Wie er in seinem Buch „Everybody Lies: Big Data, New Data, and What the Internet Can Tell Us About Who We Really Are” (Dey Street Books, 2017) erklärt: „Im vordigitalen Zeitalter versteckten die Menschen ihre peinlichen Gedanken vor anderen Menschen. Im digitalen Zeitalter verstecken sie sie immer noch vor anderen Menschen, aber nicht vor dem Internet und insbesondere vor Seiten wie Google und PornHub, die ihre Anonymität schützen.“ Der Einsatz großer Datenforschungsinstrumente „erlaubt uns endlich zu sehen, was die Menschen wirklich wollen und tun und nicht das, von dem sie sagen, es zu wollen und zu tun“.

Z. B. können Leute Meinungsforschern sagen, dass sie nicht rassistisch sind und Umfragedaten legen nahe, dass bigotte Haltungen über Themen wie interkulturelle Ehe, Rechte der Frauen und gleichgeschlechtliche Ehe seit Dekaden unvermindert abnimmt und anzeigen, dass Konservative heute sozial liberaler sind, als es Liberale in den fünfziger Jahren waren.

Bei der Analyse der US-Präsidentschaftswahlen 2008 kam Stephens-Davidowitz jedoch zu dem Schluss, dass Barack Obama wegen des immer noch latenten Rassismus in den Hochburgen der Demokraten weniger Stimmen als erwartet erhielt. Zum Beispiel fand er heraus, dass 20 Prozent der Suchen, die das N-Wort (im Folgenden „N***“) enthielten, auch das Wort „Witze“ enthielten und dass in Obamas erster Wahlnacht etwa eine von 100 Google-Suchen mit „Obama“ darin „kkk“ oder „N***“ enthielt.

„In einigen Staaten gab es mehr Suchen nach '[N***] Präsident' als 'erster schwarzer Präsident'“, berichtet er - und die höchste Anzahl solcher Suchen kam nicht überwiegend von südrepublikanischen Bastionen, wie man vorhersagen könnte, sondern umfasste den Bundesstaat New York, West-Pennsylvania, Ost-Ohio, das industrielle Michigan und das ländliche Illinois. Dieser Unterschied zwischen öffentlichen Umfragen und privaten Gedanken, beobachtet Stephens-Davidowitz, hilft Obamas unterdurchschnittliches Abschneiden in Regionen mit vielen rassistischen Suchen zu erklären und beleuchtet teilweise die überraschende Wahl von Donald Trump.

Die moralische Sphäre erweitert sich

Doch bevor wir zu dem Schluss kommen, dass sich der Bogen des moralischen Universums auf Gomorrah zubewegt, eine Google Trends Suche zwischen 2004 und 2017 nach „N*** Witzen“, „Schlampenwitzen“ und „Schwulenwitzen“, die vom Psychologen Steven Pinker von der Harvard University geleitet wurde und in seinem aktuellem Buch „Enlightenment Now“ aufgeführt ist, zeigt nach unten absinkende Linien bei der Häufigkeit der Suche. „Die Kurven“, schreibt er, „legen nahe, dass die Amerikaner nicht nur beschämter darüber sind, Vorurteile zu bekennen, als sie es früher waren; sie finden es privat nicht lustig.“ Optimistischer beurteilt, könnte dieser Rückgang der Vorurteile eine Unterschätzung sein, wenn man bedenkt, dass die meisten Googler, als Google 2004 anfing, Aufzeichnungen über Suchanfragen zu führen, städtische und junge Leute waren, die bekanntermaßen weniger voreingenommen und bigott sind als ländliche und ältere Menschen, die die Suchtechnologie Jahre später übernahmen (als die bigotten Suchanfragen stark rückläufig waren). Stephens-Davidowitz bestätigt, dass sich solche intoleranten Suchanfragen in Regionen mit älterer und weniger gebildeter Bevölkerung häufen und dass im Vergleich zu landesweiten Suchanfragen die Wahrscheinlichkeit, dass sie „N***-Witze“ enthalten, siebenmal so hoch ist wie die Wahrscheinlichkeit, dass sie „Schwulenwitze“ enthalten. Außerdem fand er heraus, dass jemand, der nach „N***“ sucht, wahrscheinlich auch nach Themen der älteren Generation wie „Soziale Sicherheit“ und „Frank Sinatra“ sucht.

Was diese Daten zeigen, ist, dass der moralische Fortschritt nicht so glatt voranschreitet, wie wir es uns wünschen. Aber da die Menschen, die der Silent Generation (geboren 1925-1945) und der Baby Boomers (geboren 1946-1964) angehören, von der Generation X (geboren 1965-1980) und den Millennials (geboren 1981-1996) verdrängt werden, und da sich die Bevölkerung weiterhin vom ländlichen zum städtischen Leben verlagert und das postsekundäre Bildungsniveau weiter steigt, sollten solche Vorurteile abnehmen. Und die moralische Sphäre wird sich in Richtung größerer Inklusivität ausdehnen.

Übersetzung: Jörg Elbe

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