Ein Bilanzbericht
Für die katholische Kirche war der Oktober aufregend: nicht nur die Sammlung des „Peterspfennigs“ stand an - Spenden der Gläubigen weltweit für karitative Projekte des Papstes - sondern auch die Veröffentlichung der Finanzbilanz 2019. Trotz Verlusten, Miss- und Vetternwirtschaft verfügt der Vatikan noch über vier Milliarden Euro. Und auch den deutschen Kirchen geht es nach wie vor gut. Die Einnahmen sind solide, dank Kirchensteuer und historischer Staatsleistungen. Letztere sollen jetzt abgelöst werden - endlich.
Die Covid-19-Pandemie hatte dafür gesorgt, dass die Sammlung des Peterspfennigs - also die Spenden Gläubiger an den Heiligen Stuhl vor allem zur Umsetzung karitativer Projekte - vom traditionellen Zeitpunkt im Juni auf den 4. Oktober verschoben wurde. Bereits am Tag der Sammlung kamen kritische Stimme auf, vor allem, wofür die Spenden genutzt werden. So war bekannt geworden, dass Millionen dieser jährlichen Spende 2019 in ein dubioses Immobiliengeschäft in London geflossen waren.
Gegen einen der Hauptakteure des Immobilien-Deals, Kardinal Giovanni Angelo Becciu, Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, ermittelt seitdem nicht nur die vatikanische Finanzaufsicht, sondern auch ein Ausschuss des Europarates für die Bewertung von Maßnahmen gegen Geldwäsche. Becciu soll 2014 und 2018 Investitionen in Londoner Luxus-Wohnungen in Höhe von insgesamt 250 Millionen Euro genehmigt haben. Das Geld stammte zum großen Teil aus dem Peterspfennig. Dabei wurden allein Provisionen und Fondsgebühren von bis zu 60 Mio. Euro gezahlt. In die Immobilie (60 Sloane Avenue) investierte der Vatikan über einen Luxemburger bzw. in Malta registrierten Investment-Fonds. Diese hätten zu hohen Verlusten geführt. Der Papst kritisierte das Vorgehen seines Finanz-Personals, sah aber im Investitionsgeschäft grundsätzlich nichts Böses, schließlich könne man sein Geld nicht einfach „in die Schublade stecken“, sondern müsse es „gut verwalten, gut anlegen“. Unter dem Druck der Ermittlungen musste Giovanni Angelo Becciu Ende September zurücktreten. Herr, erbarme Dich seiner. Amen!
Wen wundert es, dass vor dem Hintergrund des aktuellen Finanz-Desasters die Einnahmen aus dem „Peterspfennig“, trotz weltweiter Aufrufe und diverser Möglichkeiten der Einzahlung - von der Abgabe bei der Gemeinde in bar bis zur Online-Überweisung - immer geringer werden: 2019 waren es 25 Millionen Euro im Vergleich zu 2018. Sorgen muss sich der Vatikan um seine Finanzen dennoch nicht: allein das Netto-Eigenkapital des Heiligen Stuhls beträgt circa 1,4 Milliarden Euro. Doch nicht nur dem Vatikan geht es trotz mancher Fehl-Investitionen gut.
Auch hierzulande hat sich das wirtschaftliches Erfolgsmodell „Katholische Kirche“ prächtig entwickelt. Die exklusive Geschäftspartnerschaft mit dem Staat nennt der Experte für Kirchenfinanzen, Carsten Frerk, „Membership Economy“. In der traditionell gefestigten Interessengemeinschaft, wird alles getan, um die Einnahmen der Kirchensteuer zu gewährleisten, was mithilfe des staatlichen Inkassos geschieht.
Der Staat als Inkasso-Unternehmen
Unsere Kirchensteuer: Einst vom Reichsfinanzminister (im September 1933) angeordnet, dass auf der Lohnsteuerkarte, ein Religionseintrag vorzunehmen sei. Das war zwar nach der Weimarer Reichsverfassung verfassungswidrig (Art. 136 Absatz 3). Dort heißt es: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren …“. Die Nationalsozialisten hat das jedoch nicht interessiert. 1949 wurden dieser Artikel der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommen - und so steht die Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte deutscher Kirchenmitglieder. Bis heute.
Alle Klagen dagegen sind bisher vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen worden, da es nur ein marginaler Eingriff in die Grundrechte sei - zudem für das das staatliche Inkasso notwendig. Ein finanzverfassungs-rechtliches Unikum: der Staat als Inkasso-Unternehmen, für eine nichtstaatliche Organisation. Auch wenn immer weniger bereit sind, die Kirchen mit dieser Abgabe zu alimentieren und aus der aus der Kirchen austreten - mehr als eine halbe Million Menschen im vergangenen Jahr –nahm die Katholische Kirche rund 6,76 Milliarden Euro und die Evangelische Kirche etwa 5,95 Milliarden Euro durch die Kirchensteuer ein. Für das staatliche Inkasso dürfen die Finanzbehörden rund 3 Prozent des Kirchensteueraufkommens einbehalten. Eine win-win-Situation.
Aber das ist noch nicht alles. Ein besonders strittiger Punkt sind die sogenannten „Staatsleistungen“. Wenn man Menschen - ganz gleich, ob gläubig oder ungläubig - versucht, die sogenannten „Staatsleistungen“ zu erklären, trifft man auf Kopfschütteln. Kaum jemand weiß davon. Es geht dabei nicht um staatliche Zahlungen, etwa für den Betrieb von Kindergärten, Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen, die ohnehin fast vollständig an Caritas oder Diakonie von öffentlichen Haushalten (also von allen Steuerzahlen) geleistet werden. Nein, die Kirchen bekommen das Geld als - salopp formuliert „Ausgleichzahlungen“ - aufgrund der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts. Zur Zeit der napoleonischen Kriege wurden die geistlichen Territorien und Kirchengüter des „Heiligen Römischen Reichs“ säkularisiert, das heißt, sie wurden der Hoheit der größeren weltlichen Landesfürsten unterstellt. Der Staat verpflichtete sich gegenüber den Kirchen im Gegenzug dazu, sie für ihre Verluste zu entschädigen und etwa den Unterhalt der Pfarrer sicherzustellen.
Ende mit 100 Jahre Verfassungsbruch?
Sowohl die Weimarer Reichsverfassung (1919) als auch das Grundgesetz (1949) verlangen, dass diese Staatsleistungen beendet, d.h. abgelöst werden. Ein frommer Wunsch. Keine Regierung der letzten Jahrzehnte, gleich ob christ - oder sozialdemokratisch, sah hier Handlungsbedarf. Die eherne Komplizenschaft von Staat und Kirche überdauerte selbst eine rot-grüne Ära. Nichts ist geschehen. Ein andauernder Verfassungsbruch. Hinzu kommt: Über die Jahre sind diese „Staatsleistungen“ kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2019 zahlten die deutschen Bundesländer mit Ausnahme von Hamburg und Bremen etwa 549 Millionen Euro an die Religionsgesellschaften.
Erst im März dieses Jahres haben Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke endlich einen gemeinsamen „Entwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen“ in den Bundestag eingebracht. Mit dem Entwurf erfüllten die Bundestagsfraktionen endlich einen seit über 100 Jahren bestehenden Verfassungsauftrag. Dieser sieht vor, dass die Bundesländer eine Ablösesumme von 10,23 Milliarden Euro zahlen. Die Ablöse kann demnach durch Einmal-Zahlungen oder in Raten erfolgen. Für eine genaue Regelung müssten die einzelnen Bundesländer Verträge mit den Kirchen aushandeln. Die drei Fraktionen schlagen vor, dass diese Verträge innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen werden.
Noch am gleichen Tag schrieb der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz, Sprecher für Religion und Weltanschauungen seiner Fraktion, in einer Mitteilung: „Das Gesetz ist aus einem langen Abstimmungsprozess hervorgegangen, in den sowohl die Koalitionsparteien als auch Vertreterinnen und Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen einbezogen waren.“ Was bleibt: Prinzip Hoffnung. Noch in diesem Jahr soll im Parlament darüber diskutiert werden. Die katholischen Bischöfe sehen jedenfalls durchaus „hilfreiche Anknüpfungspunkte“ im Entwurf. Ein Finanzdezernent der Evangelischen Kirche lässt verlauten, der Weg zur möglichen Einigung sei zwar nicht unmöglich, aber „lang und schwierig“. Noch einmal 100 Jahre?
Helmut Ortner, Jahrgang 1950, hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht, u.a. Der Hinrichter - Roland Freisler, Mörder im Dienste Hitlers, Der einsame Attentäter - Georg Elser und Fremde Feinde - Der Justizfall Sacco & Vanzetti. Zuletzt erschienen: Ohne Gnade und EXIT - Warum wir weniger Religion brauchen – Eine Abrechnung (Paperback).
Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt. Helmut Ortner ist Mitglied bei Amnesty International und im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung.
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