Strobl und die Atheisten

Dürfen Politiker im deutschen TV Atheisten unwidersprochen beleidigen?

Strobl und die Atheisten

Bild: Screenshot Youtube

Gestern Abend gab es im Fernsehen einen dieser Momente, in denen man sich als Atheist schäbig und bloßgestellt vorkommt, in eine Ecke mit der AfD gestellt. Der christliche Regierungssender ZDF lud bei Maybrit Illner zu illustrer Runde zum Thema „Kanzlerin der Flüchtlinge“. Ohne Widerspruch blieb dabei eine verbale Entgleisung des Gastes Thomas Strobl.

Als Landesvorsitzender der CDU Baden-Württembergs und einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundes-CDU gehört Thomas Strobl eher zu den ruhigeren Politikern. Zwar fragt man sich, warum ein Demokrat Mitglied einer pflichtschlagenden Studentenverbindung sein muss, da gerade diese die Mensur als wichtige Hilfe zur Persönlichkeitsbildung ansieht, aber die Geschmäcker sind verschieden. Auffälliger ist da schon eher Strobls diesjährige Äußerung bei der Bundestagsdebatte zum sogenannten „Asylpaket“ von CDU/CSU. Er sprach sich für Gesetzesänderungen im Asylrecht aus: „Die Gesetze macht bei uns in Deutschland nicht der Prophet, die macht bei uns in Deutschland das Parlament.“ Der Journalist Peter Zudeick nannte diese Weisheit satirisch überspitzt „den dämlichsten Satz der Woche“.

Der kretschmannsche Innenminister befürwortet natürlich Stuttgart 21. Als Landespolitiker, der die Verantwortung dafür mitträgt, muss er das wohl. Aber musste er dem prominentesten Gegner des Projekts, dem Schauspieler Walter Sittler, „mangelndes Demokratieverständnis“ unterstellen und ihn als jemand bezeichnen, „der in Wahrheit mit unserer Demokratie nichts am Hut hat“? Strobls Begründung: Sittlers Vater war einst Mitglied der NSDAP. Das nennt man Sippenhaft, wie die Südwestpresse vom 30. Oktober 2010 feststellte. Ein Ausrutscher in der Hitze des Gefechts? Nein. In einem Newsletter veröffentlichte Strobl ein Bild des Schauspielers mit der Behauptung: „Sein Vater war Nazi-Funktionär und arbeitete für Reichspropagandaminister Joseph Goebbels: Walter Sittler, Propagandist der S21-Bewegung.“ Der Beleidigte erwiderte, sein Vater sei kein Funktionär, sondern NSDAP-Mitglied gewesen und habe nicht für Goebbels, sondern für das Auswärtige Amt gearbeitet. Immerhin entschuldigte sich Strobl hinterher – nach einer Aufforderung.

Sollte aber Strobl nicht leiser sein mit derartigen Vorwürfen? In seiner Funktion als Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg zeichnet er verantwortlich für deren Liederbuch „Lied.Gut“. Er übersah dabei, dass darin auch das „Panzerlied“ aus der NS-Zeit enthalten war. Zwar distanzierte sich Strobl von dem Lied und wollte es aus der nächsten Auflage entfernen. Doch sein Vorgesetzter Oettinger entschied, das Büchlein kurzerhand einstampfen zu lassen.

Strobl erscheint also in der Öffentlichkeit als Mann der oberen politischen Mittelklasse, der hin und wieder unglücklich formuliert und historische Zusammenhänge durcheinanderwirft. In dieses Bild passt sein gestriger Auftritt. Er saß bei Maybrit Illner in ihrem ZDF-Polittalk. Flüchtlinge und Merkels Zukunft waren mal wieder das Thema. Das negative Highlight lieferte Strobl, als er sein Weltbild durchschimmern ließ. Es war einer dieser kurzen Blicke in die Innenwelt von einem, der in Deutschland Politik mitgestaltet.

AfD sei eine antieuropäische und antichristliche Partei

Neben ihm saß Matthias Manthei, der AfD-Vorsitzende Mecklenburg-Vorpommerns. Der war selbst einst CDU-Mitglied, bis er sich der „Alternative“ für Deutschland zuwandte. Als er die Flüchtlingspolitik der Regierung scharf kritisierte, lief Strobl zur Höchstform auf. Dass die AfD eine antieuropäische und antichristliche Partei sei, war sein noch moderater Beginn. Doch dann ging es richtig los. Strobl im Original: „Wenn wir überlieferte christliche abendländische Werte, wenn wir die behalten wollen, dann müssen wir sie auch leben. Und Christen machen nicht die Tür zu, wenn Menschen in Not zu uns kommen, die vor Tod, Vergewaltigung und Gewalt fliehen, sondern dann haben wir eine offene Tür und auch ein offenes Herz. Und wer sich da abschottet gegenüber solchen Menschen, der verrät abendländische Werte. Die christlich-demokratische Union – das sind Christen für Deutschland und die AfD sind Atheisten für Deutschland. Das sind nicht die Bewahrer des Abendlandes, das sind die Verräter des Abendlandes.“ Boing!

Aus christlich-abendländischen Motiven hat die CDU Flüchtlinge ins Land gelassen? Nicht aus Gründen der Solidarität, ethischer Prinzipien oder schlicht der Menschlichkeit? Und Atheisten sind dazu nicht imstande? Sie würden vor notleidenden Menschen die Tür schließen? Ein Talkgast, der Politologe und Redakteur Albrecht von Lucke, rückte das christlich-beweihräucherte Bild Strobls von der CDU-Politik gerade, nicht dessen Meinung zu Atheisten: „Wir haben keine Willkommenskultur, wir haben eine Abschottungskultur, wir haben eine Kultur der Begrenzung von Flucht, deshalb wird auch der ganze Pakt mit der Türkei geschlossen, der nur einen Zweck dient: keine Flüchtlinge mehr nach Europa kommen zu lassen.“

Was sind nun christlich-abendländische Werte? Flüchtlinge reinlassen oder nach Möglichkeiten fernhalten? Strobl rudert etwas zurück und relativiert: „Dass man bei uns, wenn man an Leib und Leben bedroht ist, Aufnahme findet, das ist richtig. Das ist die Genfer Flüchtlingskonvention, das hat etwas mit christlichen und abendländischen Werten zu tun. [...] Das müssen wir jetzt ordnen, bis dahin, dass wir denen, die unsere christliche Solidarität ausnutzen, die uns auf der Nase herumtanzen, dass wir denen sagen: Ihr könnt und ihr müsst auch wieder gehen. Hinter denen schließt sich dann auch die Tür sehr schnell.“ Kaum jemand wird in Abrede stellen, dass bedingungslose Aufnahme der Flüchtlinge nicht gefordert werden kann. Doch seltsam mutet schon an, dass geordnete Aufnahme christlich und schroffe Zurückweisung atheistisch sein sollen.

Atheisten kennen also laut Strobl überhaupt keine Hilfsbereitschaft Flüchtenden gegenüber? Kennen diese denn die Christen im übrigen Europa? Z.B. die Christen Polens oder Ungarns? Was ist mit den anderen Christen im christlichen Abendland? Strobl glaubt offensichtlich an Gott. Er glaubt an das Christentum, hält es für hilfsbereit Fremden gegenüber. Er entschied mit, dass der 31. Oktober 2017, der Höhepunkt des Luther-Jahres, in Baden-Württemberg ein gesetzlicher Feiertag wird. „Damit würdigen wir die historische wie die aktuelle Bedeutung der Reformation für unser Land. [...] Ich hätte übrigens nichts gegen einen bundesweiten einmaligen Feiertag.“ (Stuttgarter Nachrichten)

Wie wäre der Luther mit Flüchtlingen aus muslimischen Ländern umgegangen?

Er steht also zum Luther-Hype und damit – als evangelisch getaufter Christ – zu Luther selbst, der aus seinem ihm gewidmeten Jahrzehnt kaum wegzudenken ist. Wie wäre der Vorzeigechrist Luther mit Flüchtlingen aus muslimischen Ländern umgegangen? Seine Position dazu ist in vielen seiner überlieferten Schriften nachzulesen. Er sprach sich deutlich gegen den Irrglauben der Muslime aus, die er nicht einmal für wert befand, missioniert zu werden. Und selbst seine halbherzigen Versuche bei Juden führten zu einer bemerkenswerten Aussage, die vielleicht mehr vom christlichen Denken und dem christlichen Abendland verrät, als es Strobl lieb (oder bekannt?) ist: „Gottes Zorn ist so groß über sie [die Juden. Anmerkung BK], dass sie durch sanfte Barmherzigkeit nur noch schlimmer und schlimmer, durch Strenge aber kaum besser werden. Darum nur weg mit ihnen.“ (S. 255, Von den Juden und ihren Lügen, Alibri 2016)

Ist es zu gewagt, sich Luther heute eher als Sprecher der AfD vorzustellen, der sich lautstark und wirkmächtig für die Deportation aller Nichtchristen aus Deutschland starkmacht? Warum nur glaubt Strobl ausgerechnet in der Position der CDU „christliche Werte“ zu entdecken? Warum soll in seinem Weltbild eine rechtspopulistische Partei, die heute eher Luthers christliche Einstellung teilt und Fremde ausgrenzen will, ausgerechnet „atheistisch“ sein? Luther war schließlich kein Einzelfall, kein Betriebsunfall des Christentums. Sicher: Das von Strobl so vorbildlich gegenüber dem Atheismus gepriesene Christentum hat von Beginn an Heiden aufgenommen. Aber nur, wenn diese Jesus Christus als ihren Herrn anerkannten. Seit Paulus inkludiert das Christentum Konvertiten und exkludiert „halsstarrige und blinde“ (Luther) Anhänger anderer Religionen oder gar Gottlose, also Atheisten – vernichtend und deportierend. „Darum nur weg mit ihnen.“

Was treibt einen Politiker wie Strobl an, derart geschichtsvergessen zu argumentieren? Warum ist der Atheismus sein Feindbild? Warum verdächtigt er die erkennbar christlich gesteuerte AfD atheistisch zu sein? Das fiel sogar Matthias Manthei auf, der sich jedoch gegen den Vorwurf, Atheist zu sein, wehrte: „Ich bin auch gläubig.“ Doch ansonsten gab es keine Reaktionen in der Talkrunde. Maybrit Illner überging die atheistenfeindlichen Bemerkungen Strobls, obwohl sie ansonsten eher angriffslustig wirkte und z.B. bei der Frage zu Dublin III durchaus dem AfD-Landesvorsitzenden sachlich Paroli bot. Aber Atheisten werden wohl im ZDF nicht in Schutz genommen.

Politiker schicken gerne Flüchtlinge und Migranten in Integrationskurse. Deutschkurse stehen an oberster Stelle. Vielleicht wäre es hin und wieder angebracht, dass sich auch Politiker einen Kurs gegen Geschichtsvergessenheit antun: „Religionsgeschichte unter dem Aspekt des christlichen Abendlandes.“

Kommentare

  1. userpic
    Überschaubare Relevanz

    "Der christliche Regierungssender"?
    Ähh...??

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    1. userpic
      Eva Zeiger

      Ês ist eigentlich ganz einfach. Ein Staatsdiener hat weltanschaulich neutral aufzutreten, da er alle Gruppen der Gesellschaft vertreten soll. Sein Glaube, auch wenn er an den Satan glaubt, ist seine Privatangelegenheit.

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