Am Sonntag vor dem 1. Advent, am letzten Sonntag im Kirchenjahr, da begehen die Kirchen im Land den Totensonntag, den Ewigkeitssonntag.
Geprägt vom geistlichen Gedenken an die Verstorbenen des vergangenen Jahres, schließen die christlichen Konfessionen damit vor ihrem „Neujahr“ – um innerhalb von einer Woche aus tiefer Traurigkeit in die gespannte Erwartung auf die Ankunft von Jesus Christus in einem Monat überzugehen. Die Vorfreude denkt sich mit dem beginnenden Treiben auf den Weihnachtsmärkten und der heißen Phase für das Geschenkekaufen für den Heiligabend.
Eigentlich klingt das alles ziemlich religiös. Doch der Totensonntag ist mittlerweile weit mehr. Eine Woche nach dem Volkstrauertag wird es immer öfter auch bei uns ganz selbstverständlich, diesen Gedenktag zu verstaatlichen. Und nicht nur das: Selbst die säkulare Szene erkennt den Ewigkeitssonntag als eine Gelegenheit zur Erinnerung an die Toten. Viele humanistische Kreise bieten gar eigene Veranstaltungen an, um im weltlichen Rahmen von denjenigen Abschied zu nehmen, die innerhalb des letzten Jahres verstorben sind. Wie es heute Zeremonien zu Taufe, Konfirmation oder im Sterbefall auch für diejenigen gibt, die keiner religiösen Gemeinschaft angehören, so scheint die Tendenz deutlich zuzunehmen, die kirchlichen Rituale nachahmen zu müssen. Willkommensfeiern, Jugendweihe, Abschiedsfeiern – mehr als Wortneuschöpfungen verbirgt sich dahinter wohl kaum.
Doch ist das wirklich nötig? Und vor allem in dieser Art und Weise? Müssen Humanisten am Totensonntag der Toten gedenken, weil es die Christen eben auch tun? Oder gerade trotz dieses kirchlichen Gedenktages? Fördert eine freidenkerische Bewegung damit nicht eher die Selbstverständlichkeit, wonach religiöse Feiertage auch für jene Bedeutung gewinnen, die eigentlich völlig fern von Konfessionen sind? Generell tut sich im Verhältnis zwischen Kirche und Staat immer wieder die Frage auf, ob von Seiten der säkularen Interessen ein oppositionelles Dasein oder aber ein Miteinander versucht werden muss. Erreicht man, den Konfessionen ihre scheinbare Omnipräsenz im Alltag der Menschen dadurch zu entreißen, ihre Praxis lediglich zu kopieren – oder mit ganz anderen Akzenten zu verdeutlichen, dass man auch ohne christliche Vorlage eine eigene Weltanschauung darstellen kann, die nicht die Grundlage der Kirchen bedarf, um selbstständig eine Philosophie zu erarbeiten?
Humanistisches Selbstbewusstsein erforderlich
Wir debattieren auch darüber, ob eine humanistische Überzeugung überhaupt eine Ritualhaftigkeit braucht, um sich zu etablieren. Doch definieren wir uns als soziale Wesen nicht gerade durch das Zusammenkommen in Gemeinschaft, durch das Praktizieren einer verlässlichen Tradition, durch das Teilen unserer Emotionen zu besonderen Anlässen, die eine Zäsur in unserem Leben markieren? Viele sagen, man könne auch gut alleine durch den Alltag gehen. Letztlich scheint diese Meinung in den vergangenen Jahren zuzunehmen, weshalb die Abwägung von immer größerer Bedeutung wird. Doch völlig egal, wie man sich hierbei entscheidet, würde sich eine eigene und unabhängige Kreativität der säkularen Bewegung für eine Kultur des Trauerns, des Gedenkens und des Feierns anbieten, statt den Ideen hinterher zu rennen, die die Kirchen überlegen für sich proklamieren. Humanistisches Selbstbewusstsein zeigt sich nicht dadurch, wie anspruchsvoll wir am Totensonntag unsere eigene Gedenkfeier auszurichten in der Lage sind. Viel eher durch eine Auseinandersetzung damit, wie Trauer abseits von kirchlicher Zeremonie und ihrer Bedeutung verstanden werden kann und schlussendlich auch autonom umsetzbar ist.
Manchmal fehlt es in säkularen Kreisen an Mut für bewusst eigenes Denken. Kürzlich erst haben wir gelesen, wie ein humanistischer Landesverband auf eine Aktion der Kirchen Antworten gefunden hat, die eigenen Glaubenssätze auf einen Bierdeckel kurz zusammenzufassen. Heraus kamen dabei allgemeinverbindliche Aussagen, die wahrscheinlich jeder unterschreiben würde, der an Menschenrechte, Demokratie und Freiheit festzuhalten bereit wäre. Es fehlte an Konsistenz der aufgeschriebenen Schlagworte, weil auch hier auf die Religion lediglich re-agiert wurde. Daher eignet sich nicht nur der diesjährige Ewigkeitssonntag für einen Appell an alle, die nicht nur ein Abbild von einer hiesigen Religion sein wollen: Hetzen wir nicht den Kirchen und ihren Visionen hinterher, nehmen wir uns Zeit, gemeinsam über stichhaltige und authentisch bleibende Eigenkreationen nachzudenken, statt wie Getriebene zu erscheinen. Wir haben es nicht nötig, in unseren Überzeugungen, unseren Werten und unseren Riten nur Duplikate zu sein. Wir haben das Zeug zu einem ehrlichen Original!
Kommentare
Mir fallen spontan zwei Feiern ein, die nicht religiösen Ursprungs sind: Der Muttertag und der Geburtstag. In beiden Fällen haben sich eigenständige Rituale gebildet.
Ansonsten finde ich überhaupt nichts Schlechtes dabei, wenn man sich Rituale und Festtage bei Menschen abschaut, die andere Weltanschauungen haben. An die Toten zu denken ist ganz natürlich menschlich - das gehört weder Christen noch sonstwem. Lichter im Finstern haben einen guten Effekt, besonders im nebligen Herbst - ob mit oder ohne Heiligen Martin. Und die Kirchen machen inzwischen auch gerne beim Muttertag mit - es ist einfach eine gute Idee. Und Weihnachten ist auch ein ursprünglich heidnisches, nur christlich vereinnahmtes Fest. Na und? Es funktioniert. Selbst in der finstersten Nacht des Jahres feiern wir den Sieg des Lichtes. Das ist weder heidnisch noch christlich. Das ist universal.
Vielleicht fällt den Humanisten ja etwas Eigenständig-Originelles zum Thema Menschenrechte oder Wissenschaft ein. Aber ich rate davon ab, zwanghaft kreativ zu werden. Als Funktionär einer Kirche, die 2000 jahre Erfahrung mit Ritualen hat, seien sie selbsterfunden oder entliehen, rate ich: Man nehme etwas Bewährtes und mache etwas Eigenes daraus.
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Ich würde gerne darauf hinweisen, dass die Kirchen einige der von ihnen etablierten Feiertage nicht ganz zufällig auf bereits bestehende Festtage "draufgesetzt" haben - hier sei nur an Weihnachten erinnert, dass ganz "zufällig" auf die Wintersonnenwende fällt und an Ostern, das ebenfalls ganz "zufällig" auf den Frühlingsbeginn fällt.
Initiationsriten für Heranwachsende, die in den Kirchen als Firmung/Konfirmation daherkommen, findet man auch in sogenannten Naturvölkern, genauso wie Bestattungs- und Trauerrituale, die keinen konfessionellen Ursprung haben.
Also wer hier von wem abkupfert, können wir getrost offen lassen.
Rituale scheinen dem Menschen offenbar eine wichtige Orientierungshilfe in seiner Lebenswirklichkeit zu sein, sonst würden sich nicht auch viele Säkulare, die eigentlich Weihnachten und die Auferstehung inhaltlich ablehnen, in den Weihnachtsgeschenketrubel stürzen und Ostern bunte Eier bemalen.
Warum sollten Humanisten "Eigenkreationen" hervorbringen, nur um nicht als Duplikat wahrgenommen zu werden? Welche differenzierten "Eigenkreationen" könnten das vor allem sein? Soll hier das Rad neu erfunden werden? Oder läuft es letztlich nicht doch "nur" auf eine Umbenennung bereits religiös belegter Events hinaus? In froher Erwartung "neuer Originalität" !
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Ich persönliche wünsche mir humanistische/säkulare Rituale, um z.B. einschneidende Lebensereignisse zu begehen oder z.B. den Wandel der Jahreszeiten zu feiern. Aber christliche Feste und Bräuche einfach nur zu imitieren wäre mir zu einfallslos. Dabei gilt aber zu bedenken: Viele christliche Feste (z.B. Weihnachten, Ostern) sind nicht auf christlichem Mist gewachsen, sondern wurden auch schon in vorchristlichen Zeiten gefeiert. Warum nicht diesen Festen eine neue, zeitgemäße, humanistische Bedeutung geben?
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