Über die Verhaftung von Deniz Yücel

Zugegebenermaßen war auch ich wie so viele andere erschüttert darüber, als ich erfuhr, dass der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel sich seit dem 14. Februar 2017 in türkischer Polizeihaft befand.

Über die Verhaftung von Deniz Yücel

blu-news.org - Deniz Yücel

Seit Weihnachten 2016 hatte die Öffentlichkeit nichts mehr von ihm vernommen und seit diesem Zeitpunkt hatte auch seine Berichterstattung aus der Türkei für die Zeitung Welt aufgehört.

Als Rechtsanwalt mit jahrelanger Erfahrung im Bereich des Haftrechts war ich – was die Anordnung der Untersuchungshaft in diesem Fall betrifft – von Anfang an leider nicht besonders optimistisch und hatte damit gerechnet, dass diese angeordnet würde, wie dies am 27. Februar 2017 tatsächlich auch erfolgte.

Bevor ich darauf eingehe, weshalb dem so ist, möchte ich noch vorausschicken, dass ich nicht der Ansicht bin, dass die doppelte Staatsangehörigkeit Deniz Yücel zum Verhängnis wurde. Entgegen anderswo geäußerter Ansicht wäre die Untersuchungshaft meines Erachtens auch dann angeordnet worden, wenn er nur die deutsche Staatsangehörigkeit gehabt hätte. Das hat – etwas salopp ausgedrückt – damit zu tun, dass die deutsche Staatsangehörigkeit vor türkischer Untersuchungshaft nicht schützt. Vielleicht können sich die Leser in diesem Zusammenhang an den Fall von Marco Weiss erinnern, der als 17-Jähriger in türkische Untersuchungshaft kam, nachdem ihm vorgeworfen wurde, sich an einer 13-jährigen Britin sexuell vergangen zu haben. In diesem Fall gab es – was man bereits aus dem Namen des Jungen schließen kann – keine deutsche und türkische doppelte Staatszugehörigkeit. Das Fehlen einer türkischen Staatsangehörigkeit hätte Deniz Yücel wohl einen wirksameren diplomatischen Schutz gewährt. Daraus sollte aber keinesfalls geschlossen werden, dass dies einen Einfluss auf den Entscheid des Haftrichters gehabt hätte. Die diplomatische Vertretung eines Staates ist keine Partei im Haftverfahren und hat kein „Petitionsrecht“ oder etwas in dieser Art. Ihre Rolle im Strafverfahren beschränkt sich in der Regel darauf, dass sie auf ausdrücklichen Wunsch der beschuldigten Person hin über die Verhaftung informiert wird. In diesem Fall lässt sich die Vertretung immer wieder über die Haftbedingungen informieren, macht Gefangenenbesuche, hilft allenfalls eine Verteidigung zu organisieren und wickelt allfällige Rechtsgeschäfte ab (Erteilung von Vollmachten, Testamente etc.).

Auch in funktionierenden Rechtsstaaten, was die Türkei schon lange nicht mehr ist, haben damit weder ausländische Diplomaten oder Staatsfunktionäre noch die mit ihnen in Verbindung stehenden inländischen Behörden einen Einfluss auf den Entscheid des Haftrichters. Alles andere würde dem Gewaltenteilungsprinzip widersprechen. Einen Haftrichter beeindruckt die ausländische Staatsangehörigkeit der beschuldigten Person bei seinem Entscheid daher in aller Regel nicht, es sei denn das Interesse des Staates an der Strafverfolgung wäre derart gering, dass er sich für eine Freilassung entscheiden würde, um dem Staat unnötigen diplomatischen Ärger zu ersparen. Dies wären aber auch nur unausgesprochene Motive eines Haftrichters.

Es gilt gilt die Unschuldsvermutung

Angesichts dieser Tatsachen wäre es daher fatal, wenn sich Journalisten, die von der Türkei aus eine kritische Berichterstattung betreiben und keine türkische Staatsangehörigkeit besitzen, sich in falscher Sicherheit wiegen würden.

Ich komme nun zum Haftrecht. Diesbezüglich sollte der Leser zunächst erfahren, dass die Untersuchungshaft keine Strafe ist, obwohl sie natürlich wie eine Strafe wirkt und auch von vielen als Strafe wahrgenommen wird, insbesondere auch von Untersuchungshäftlingen. Vielmehr handelt es sich bei der Haft um eine Maßnahme in einem laufenden Strafverfahren. Ein Strafverfahren läuft so lange, bis ein Staatsanwalt dieses einstellt, oder ein Strafgericht (das nicht mit dem Haftrichter zu verwechseln ist) als Sachgericht ein Urteil spricht, das rechtskräftig und damit definitiv wird. Dieses Urteil ist in den meisten Fällen ein Freispruch oder ein Schuldspruch der beschuldigten Person (oder des Verdächtigen und später nach erfolgter Anklage des Angeklagten, wie diese im türkischen Strafprozessrecht genannt werden).

Bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, gilt bei allen Untersuchungshäftlingen die Unschuldsvermutung, die dann etwas eingeschränkt werden kann, wenn ein glaubhaftes und umfassendes Geständnis vorliegt. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass auch bei Deniz Yücel die Unschuldsvermutung gilt. Wie jeder andere Untersuchungshäftling sitzt er damit unschuldig im Gefängnis. Die Haft hat nämlich nichts mit Schuld oder Unschuld etwas zu tun.

Damit ein derart einschneidender Eingriff in die Grundrechte einer Person erfolgen kann, der als unschuldig gilt, muss die Untersuchungshaft eine spezielle gesetzliche Grundlage haben. Diese gesetzliche Grundlage ist in den meisten Rechtsordnungen die Strafprozessordnung. In der Türkei ist dies das „Ceza muhakemesi kanunu“ mit der Gesetzes-Nr. 5271 vom 4. Dezember 2004. Die das Haftrecht betreffenden Bestimmungen sind in den Artikeln 100-108 zu finden. Für den Haftentscheid sind sodann die Artikeln 100 und 101 von Bedeutung.

Als Grundvoraussetzung der Haft ist auch im türkischen Recht der Tatverdacht definiert, der stark sein müsse. Mit anderen Worten muss die beschuldigte Person in erheblicher Weise verdächtigt werden, eine oder mehrere Straftaten begangen zu haben, die mit einer Freiheitsstrafe bedroht sind, wofür es konkrete Beweise geben muss. Auf den Tatverdacht werde ich später nochmals eingehen, weil genau hier die Problematik der vorliegenden Angelegenheit liegt.

Nebst dieser Grundvoraussetzung müssen einer oder mehrere folgender Haftgründe erfüllt sein:

Der Verdächtige könnte sich durch Flucht oder durch Verstecken sich der Strafverfolgung entziehen. Diese sog. Fluchtgefahr ist insbesondere bei Personen mit einem nahen Bezug zum Ausland nahezu immer gegeben. Auch wird sie angenommen, wenn die beschuldigte Person schon einmal Handlungen unternommen hat, die man als Untertauchen betrachten könnte. Jedenfalls war dieses Kriterium der Haft im Fall von Deniz Yücel ungünstig für ihn. Im Haftprozess ist es für den Rechtsanwalt nicht einfach, die Fluchtgefahr zu beseitigen. Das einzige Mittel, das ihm diesbezüglich verbleibt ist der Antrag auf eine mildere Maßnahme, etwa in der Form einer Kaution oder einer Ausweis- und Passsperre. Bei Beschuldigten mit doppelter Staatsangehörigkeit ist die Gutheißung solcher Anträge meistens nicht erfolgreich.

Verdunkelungsgefahr: Der Beschuldigte könnte Zeugen beeinflussen, Beweise vernichten und durch Kontakte mit der Außenwelt das laufende Strafverfahren auf unzulässige Weise beeinträchtigen. Diese Gefahr wird zu Beginn von Strafuntersuchungen nahezu immer bejaht, außer der Beschuldigte kann beweisen, dass er mit der Tat nichts zu tun hat (beispielsweise hielt er sich anderswo auf etc.) oder er legt ein umfassendes Geständnis ab, weil in diesem Fall solche Einflussnahmen das Ziel der Strafuntersuchung nicht mehr gefährden können.

Im türkischen Haftrecht wird ferner ein Katalog von schweren Delikten aufgeführt, die beim Vorliegen eines Tatverdachts auch ohne Vorliegen der Flucht- oder der Verdunkelungsgefahr die Anordnung der Untersuchungshaft gebietet. Darunter fallen unter Anderem auch Delikte im Zusammenhang mit Terrorismus oder solche gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Sollten die Grundvoraussetzung und mindestens eine der vorgenannten besonderen Voraussetzung erfüllt sein, muss die Haft als Maßnahme verhältnismäßig sein, um angeordnet zu werden. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist bei Straftaten mit hoher Strafandrohung zu Beginn des Strafverfahrens meistens erfüllt.

Nachdem ich aufgezeigt habe, dass die besonderen Haftgründe und das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht für Deniz Yücel sprachen, möchte ich auf die Grundvoraussetzung nochmals zurückkommen. Wenn diese Grundvoraussetzung, namentlich der Tatverdacht, nicht gegeben ist, würde sich die Überprüfung der anderen Haftgründe und Voraussetzungen erübrigen, die ich vorhin genannt habe. Der Leser soll lediglich im Hinterkopf behalten, dass die weiteren Voraussetzungen in diesem Fall höchst ungünstig waren.

Weshalb die Untersuchungshaft von Deniz Yücel unrechtmäßig ist und verurteilt werden muss, hat damit zu tun, dass der Tatverdacht an den Haaren herbeigezogen ist, weil das strafrechtlich vorgeworfene und damit missbilligte Verhalten ganz offensichtlich keine strafbare Handlung darstellt. Damit fehlt es an der Grundvoraussetzung für die Untersuchungshaft. Deniz Yücel hat nichts anderes getan, als unabhängigen und kritischen Investigativjournalismus aus der Türkei zu betreiben. Diese Tätigkeit übte er für eines der größten und wichtigsten Verlagshäuser Deutschlands aus und nichts von dem, was er publiziert hat, wäre veröffentlicht worden, wenn es nicht den journalistischen Standards entsprochen hätte.

Da also ausgeschlossen werden müsste, dass die entsprechenden Handlungen schon ganz offensichtlich nicht strafbar sind und sich unter keinen Umständen unter die Straftatbestände subsumieren lassen, die vom Staatsanwalt geltend gemacht wurden, hätte hier der Tatverdacht unter normalen Umständen verneint werden müssen, womit die Haft aus meiner Sicht klar unrechtmäßig ist. Unter normalen Umständen, d.h. in einem funktionierenden Rechtsstaat, würde es aber auch einem Staatsanwalt nicht in den Sinn kommen, derartige Handlungen eines Journalisten vor den Haftrichter zu bringen und zu behaupten, die entsprechenden Straftatbestände seien vorliegend möglicherweise erfüllt, weshalb sich die Haft rechtfertige und selbst wenn dies geschehen sollte, würde ein Haftrichter eines Rechtsstaates einen solchen Antrag niemals gutheißen.

Was nämlich Deniz Yücel vorgeworfen wird, ist angebliche Terrorpropaganda für die PKK und für FETÖ (damit ist die Gülen Sekte angesprochen, die von der Türkei als Terrororganisation bezeichnet wird) und Volksverhetzung. Weitere Details können hier abgerufen werden. Jedenfalls sollen sich sämtliche Tatvorwürfe auf die Berichterstattung von Deniz Yücel in der Welt beschränken. Damit soll Deniz Yücel mit seiner Berichterstattung in der Welt Terrorpropaganda und Volksverhetzung betrieben haben.

Was ist von einem solchen Tatvorwurf zu halten?

Die Antwort, dass er absurd sei, reicht meines Erachtens nicht und hilft auch nicht weiter.

Wir haben es hier mit einer sehr bedenklichen Entwicklung zu tun, bei der der bereits überaus weite Terrorismusbegriff in der Türkei seit der denkwürdigen Nacht vom 15. Juli 2016 sukzessive und ganz erheblich ausgeweitet worden ist, wobei dies ungefähr wie folgt umschrieben werden kann:

1. Derjenige, der gegen das Verfassungsreferendum ist, gilt als Terrorist.
2. Wer sich gegen Erdoğan und/oder seine Umgebung ausspricht, ist freilich ein Terrorist.
3. Akademiker, die eine nationale Versöhnung anstreben und eine Friedensinitiative unterzeichnen, sind die allerschlimmsten Terroristen (das war freilich schon vor dem 15. Juli 2016).
4. Entlassene Lehrer, Staatsbeamte, Professoren, Richter: Selbstverständlich alles Terroristen!
5. Offiziere, Studenten, Feministinnen, Homosexuelle, Geschäftsleute: Terroristen, was sonst?
6. (…)

Jede oppositionelle Stimme, sei sie auch nur ganz leise, gilt in der heutigen Türkei mittlerweile als eine Form von Terrorismus, insbesondere als Terrorpropaganda. Selbst diejenigen, die Dollars und Euros haben und sich weigern, diese in Türkische Lira umzutauschen, sind Terroristen, wie Erdoğan angab!

Die willkürliche Anwendung des Terrorismusbegriffs und dessen massive Ausweitung – auch im Fall von Deniz Yücel – zeigt jedenfalls einmal mehr das Ausmaß des totalitären Staates, der in der Türkei entstanden ist. Die Bezeichnung als „Terroristen“ ist nämlich nichts anderes als die Identifikation der Regimekritiker als Staatsfeinde, die als solche bekämpft werden müssen. Deshalb würde ich es sehr begrüßen, wenn gewisse westliche Journalisten endlich damit aufhören würden, Fragen zu stellen wie etwa, ob die Türkei nun zu einer Diktatur werde, wie ich neulich im öffentlich-rechtlichem deutschen Fernsehen sehen konnte. Bei dieser Frage ist die Zeitform falsch gewählt. Die Frage sollte lauten, seit wann die Türkei eine Diktatur ist, welche Ausmaße diese totalitäre Diktatur mittlerweile erreicht hat und was die Zukunftsaussichten sind.

Die Zukunftsaussichten sehen für mich leider schlecht aus und ich befürchte, dass demnächst wesentlich mehr gewöhnliche Bürger als Terroristen verhaftet und eingesperrt werden könnten. Meines Erachtens sollten sich vor allem diejenigen, die in der Vergangenheit öffentlich Kritik gegenüber Erdoğan, seiner Umgebung und seiner Politik geäußert haben und sich immer noch in der Türkei aufhalten, spätestens jetzt einen Exit-Plan ausarbeiten. Ich habe die Türkei, wo ich geboren wurde und meine frühe Kindheit verbrachte, jedenfalls bereits seit dem vergangenen Jahrzehnt nicht mehr besucht, obwohl ich seit mehr als zwei Jahrzehnten keine türkische Staatsangehörigkeit mehr habe und damit weniger gefährdet sein müsste, wenn man der entsprechenden Meinung folgen würde, was ich dezidiert nicht tue. Ich habe mich in dem Moment dafür entschieden, mein Geburtsland erst dann wieder zu betreten, wenn Erdoğan und seine Clique nicht mehr an der Macht sind und diese Entscheidung traf ich in dem Zeitpunkt, an dem ich zum ersten Mal öffentlich Kritik gegen ihn ausüben wollte. Der Grund dafür ist, weil ich die Willkür, der Deniz Yücel gegenwärtig ausgesetzt ist, schon damals befürchtete und dies ohne Vorhandensein eines türkischen Passes.

Nachdem sich nun bestätigt hat, dass ich nicht paranoid bin, bitte ich daher hier ganz am Schluss meine lieben Landsleute, die sich in der Vergangenheit kritisch gegenüber dem Regime äußerten und sich immer noch in der Türkei aufhalten, auf ihre Freiheit achtzugeben.

Kommentare

  1. userpic
    Stefan Jarzombek

    Ich zweifle nicht, daß ein Gesetz ausdrücklich auf mich gemacht, verfaßt, mich zu verderben, sich gegen mich wird brauchen lassen. Wehe dem armen Opfer, wenn derselbe Mund, der das Gesetz gab, auch das Urteil spricht !

    Friedrich von Schiller

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