Ein Auszug aus Annabelle Gurwitchs neuem Buch „Wherever You Go, There They Are“ über Familien jeglicher Art
Wenn du durchblicken lässt, ungläubig zu sein, werden wohlmeinende Freunde Dinge sagen wie „Ich kann beweisen, dass es Gott gibt.“ Der Ehemann einer Freundin nahm kürzlich diese Herausforderung an. Er ist ein Musikproduzent, der nicht nur sein Leben nicht dem Studium der menschlichen Sinnsuche gewidmet hat; darüber hinaus ist er völlig unbelastet von seinem Mangel kultivierten Wissens. „Na los“ sagte ich, immerhin eine winzige Hoffnung hegend, er möge etwas Neues in der Tasche haben. Ich bin nicht der Typ „Hurra, es gibt keinen Gott!“ Ich bin der Typ „Es ist Mist, dass es keinen Gott gibt, aber ich habe mich damit abgefunden. Einen doppelten Espresso und das Neueste von Sam Harris bitte."
„Ok, wenn es keinen Gott gibt, warum ist das Zahlenverhältnis von Männern zu Frauen auf der Welt immer im Gleichgewicht? Selbst nach Kriegen, in denen viele Männer sterben, kehren die Zahlen immer zum gleichen Niveau zurück. Das ergibt doch keinen Sinn, wenn nicht Gott eingegriffen hat?"
„Ich melde mich zu dem Thema wieder“ sagte ich, denn vor einem Kommentar wollte ich angemessene Sorgfalt üben. Also bat ich die Physikerin Lisa Randall, Autorin von „Knocking on Heaven's Door“ („Die Vermessung des Universums“) und anderen unterhaltenden wie erhellenden Büchern um ihre Meinung.
„Wie hoch ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass Jeremy Wright, Musikproduzent aus Los Angeles, ein Welträtsel gelöst hat?"
„Reden wir über die Wahrscheinlichkeit vor dem Hintergrund aller Leute, die sich seit dem Beginn der Geschichtsschreibung dieser Aufgabe stellten oder nur dem unserer Generation? So oder so ist sie vermutlich nicht nur Null, sondern negativ. Wenn Mr Wright beweisen könnte, dass eine höhere Macht unser Universum am Laufen hält, nun, dann hätten wir den Beweis für Gottes Existenz. Er bringt aber nur ein weiteres 'Intelligent Design'-Argument, bei dem ein spezifisches wissenschaftliches Phänomen (in diesem Fall, wie menschliches Sperma eher männliche Nachkommen hervorbringt) als Erklärung einer völlig unverwandten Thematik benutzt wird, der Existenz Gottes nämlich.
Als „drei-minus-Schüler“, was die Wissenschaften betrifft, finde ich das Argument des „intelligenten Designs“ aus eher praktischen Gründen fehlerhaft. In einer wirklich intelligent designten Welt gäbe es keine Pädophilen, keine Diktatoren und man müsste keine Linsen essen. Es existierte weder AIDS noch Alzheimer noch Sportkleidung im Alltag. Wir hätten gleiche Bezahlung der Geschlechter, einen Mindestlohn, von dem sich leben lässt und die Leute hörten auf, „alles ist gut“ zu sagen. Antifaltencreme würde Falten beseitigen, das Glas von iPhones würde nicht springen, mit Unwahrheiten hausieren gehende Politiker würden durch Blitze niedergestreckt und Hot Pants wären gesetzlich verboten. Wenn jemand eine Theorie postulierte, die eine realistischere Beurteilung unserer Welt wiedergäbe, wäre ich geneigter, sie zu akzeptieren; skeptisch bin ich jedoch, dass „Gott liefert sein bestes Design“ auf große Begeisterung stieße. [1]
Ich fühlte nie die Verpflichtung, atheistische Gruppierungen ausfindig zu machen, bis zu jenem Tag, als mich ein Video über Bürger in seinen Bann zog, die im griechischen Legos freiwillig syrischen Flüchtlingen an Land halfen. Schon wollte ich den Namen der fördernden Organisation notieren, um mit ihr zwecks Beteiligung an den Rettungsbemühungen Kontakt aufzunehmen, als einer der Freiwilligen sich der Kamera zuwandte.
„Ich will nur, dass diese Leute gute Erfahrungen mit Christen machen."
Können wir Humanisten jemals hoffen, mit solchem Enthusiasmus zu Werke zu gehen und so wie glaubensbasierte Gruppen auf Katastrophen und Krisen zu reagieren? Menschen, die sich als „ungebunden“ bezeichnen, sind gemäß „Pew Research„ die am wenigsten vertrauenswürdige Gruppe in Amerika. Könnte ich daran teilhaben, diese Wahrnehmung zu ändern?
Hätte ich in meinen Zwanzigern ein bisschen weniger Zeit damit verbracht, mit Esoterikern über frühere Leben nachzusinnen, dann hätte ich gewusst, dass größere Geister als ich schon an der Organisation säkularer Gemeinschaften rund um die Welt arbeiteten.
Eine schnelle Suche im Web ergibt, dass die Humanisten in meinem Stadtviertel Naturburschen sind, gern auf den örtlichen Wanderwegen unterwegs. Eine gesunde Ader für Humor durchzieht viele ihrer Online-Profile:
„Ich bin Atheist, weil ich sonntags gern ausschlafe."
„Ich konnte wegen einer Pilzinfektion nicht zum Passahfest nach Hause; wenn das kein Grund ist, Gott aufzugeben, dann weiß ich auch nicht."
„Ich bin Agnostiker, Satiriker, Autor und Rasputin-Darsteller. Besucht mein Blog für Blödsinn und Quark, hauptsächlich Quark."
Dann erzählte mir ein Freund von der „Sunday Assembly“ in Los Angeles. Zwei britische Komiker, Sanderson Jones und Pippa Evans, hatten in England die Bewegung initiiert, als etwas wie „Kirche, aber völlig säkular“. Der Slogan „sei nützlich, staune mehr, hilf oft“ ist ihr Markenzeichen, übernommen von den siebzig weiteren Assemblies in acht Ländern, die seit 2013 aus dem Boden sprossen. Die Assembly-Website verkündet die Absicht, „radikal inklusiv“ zu sein; „wir machen nichts Übernatürliches, halten dich aber nicht davon ab“.
Das klang, als wären sie meinesgleichen; was mich an einem Sonntagmorgen aber auf den Weg zu ihnen brachte, war ihr Aufruf an Freiwillige, Feiertags-"Care-Pakete“ für die „Military Association of Atheists & Freethinkers“ (M.A.A.F.) zusammenzustellen. Des weiteren war der Titel des Vortrags in jener Woche für einen Science-Fiction-Fan wie mich unwiderstehlich: „Wo sich Wissenschaft und Science Fiction treffen.“ Ich lud meinen Mann ein, der zur Existenz einer Gottheit lieber unentschieden bis skeptisch bleiben möchte und stellte Live-Musik in Aussicht, aber er verachtet alles, das auch nur entfernt einem Gottesdienst ähnelt.
„Merke dir meine Worte, sie werden irgendwas von Mumford and Sons spielen.“ Deren schwungvollen, folkigen Sound schätzt er gering. Bands wie „Modest Mouse“ lassen ihn schaudern.
„Für einen Agnostiker bist du ganz schön allwissend, oder?"
Bei der Assembly angekommen, wurde ich von zwei äußerst freundlichen Herren willkommen geheißen. Gut in Form sahen sie aus, wie Fitnesstrainer – immerhin waren wir in Hollywood. Schriebe ich eine Filmszene, in der ein solcher Begrüßer offenbart, er sei Notfallsanitäter, der andere Vertreter für Alkoholika und dass beide sich nach einer Woche betrunkenen Gemetzels auf etwas Erbauliches freuen – jeder sein Geld werte Skeptiker würde sagen, dass ein solcher Zufall zu groß ist. Und dennoch hat genau das beide zur Sunday Assembly geführt. Der Schnapsvertreter war in einer kirchlichen Gemeinschaft aufgewachsen und fühlte sich als konfessionsloser Mensch nun „verwaist“, ein Wort, das ich an diesem Tag einige Male höre. Von Haus aus misstraue ich allzu großer Freundlichkeit und kehrte daher beinahe um, aber dass der Erfrischungsstand Espresso anbot statt glaubensbasierten Einheitsgebräus nahm ich als Zeichen, zu bleiben.
Es sollte vermutlich nicht überraschen, beim Betreten eines Auditoriums bekennender Freidenker „NPR ist für meinen Geschmack nicht links genug“ zu hören. Etwa zweihundert Leute liefen umher, Familien mit kleinen Kindern und eine kleine Schar uriger Hippies. Es gab in der Menge kein berühmtes Gesicht; ungewöhnlich für Los Angeles, aber erfrischend. Andererseits, wenn die prominente Twitter-Sphäre irgendeinen Hinweis gibt, dann den eines Hollywood, das fast so kirchlich ist wie meine Heimatstadt Mobile in Alabama; Tweets wimmeln üblicherweise von Beschwörungen von Seligkeit und an Gott gerichteten Dankesrufen.[2]
Es waren derart viele junge Männer dabei, dass man uns mit einer „Man Bun Convention“ hätte verwechseln können. Die Vielfalt der Frisurstile grenzte ans Übernatürliche, manche Formen so unwahrscheinlich wie eine unbefleckte Empfängnis. Knoten, Man Buns, doppelte Knoten, Reihen von Knoten, angeklatschte Knoten und ein Irokesenschnitt mit, ja, einem Knoten. Die meisten Männer trugen Bärte. Ich fand es eigenartig tröstlich, dass diese Jungs trotz ihrer Abneigung gegen Religion nicht durch und durch agnostisch waren; der Pflege und Wartung von Körperbehaarung sind sie tief verpflichtet.
Wir Ungläubigen sind lustig! Jemand in meiner Reihe nieste; ich sagte „God bless you... oh Verzeihung, Gesundheit“ und kicherte mit meinen Nachbarn links und rechts. Eine Ansage über die Lautsprecheranlage teilte uns mit, die Veranstaltung würde live übertragen und die (durchweg freiwilligen) Mitarbeiter prüften nun die Zusammenschaltung, denn wie wir wissen, kann man nichts dem Zufall überlassen. Der Meinung, den Dreh dieses säkularen Treffens herauszuhaben, machte ich eine Art Insiderwitz über unser dem Zufall unterworfenes Universum. Meine ganze Reihe gluckste. Wir sind komisch! [3]
Der Tag wurde mit dem „Eisbrecher“ eröffnet, der unter Fremden die Konversation in Gang bringen sollte. Anstatt dem Nächsten einen gesegneten Tag oder „Shabbat Shalom“ zu wünschen, wies man uns an, uns dem Nachbarn zuzuwenden und einen Moment der Stille einzuhalten. Peinlicherweise interpretierte ich das als die Theaterübung, bei der man den anderen anstarrt beim Versuch, durch stille Beobachtung so viel wie möglich über ihn herauszufinden. Nachdem sie zwei Minuten meinen unnachgiebigen Blick ertragen hatte, räusperte sich meine Nachbarin, rutschte unbehaglich ein Stück und drehte sich weg. Die anderen unterhielten sich locker; wahrscheinlich schmiedeten sie ein Komplott, mich höflich hinauszuekeln.
Ein Lied, dessen Text vor uns auf dem Bildschirm erschien, dröhnte aus den Lautsprechern:
„And I’ll kneel down... know my ground... paint my spirit gold... keep my heart slow."
Wir wurden ermutigt, aufzustehen und bei „I Will Wait for You“ von Mumford and Sons mitzusingen, danach bei „Float On“ von Modest Mouse. Es war nicht Jesu Wiederkehr, aber ich war im Himmel; das sind zwei meiner liebsten fetzig-folkigen Songs der neueren Sorte.
Nach dem musikalischen Intermezzo waren die Teilnehmer eingeladen, aufzustehen und über Meilensteine zu berichten, die sie in dieser Woche erreicht hatten. Einer feierte 35 Jahre Ehe, ein anderer eine Eins beim Hochschulabschluss, ein Kind hatte beim Boys & Girls Club of America einen Preis gewonnen und ein kleines Mädchen verkündete, sich großartig zu fühlen. Ich war bezaubert genug, um beinahe auszurufen: „Das ist für mich ein echt herzerwärmender Augenblick, ohne Wertung, obwohl ich sicher bin, später mit einer Spur Sarkasmus darüber zu schreiben.“ Aber die Vernunft siegte und ich widerstand der Versuchung.
Die Sprecher-Hauptrolle hatte Dr. Foad Dizadji-Bahmani, Mitglied der London School of Economics und Professor an der California State University; eines seiner Spezialgebiete ist die Philosophie der Wahrscheinlichkeiten. Unglaublich gutaussehend, schien es unwahrscheinlich, dass er keinen Abschluss in „Attraktivität“ hat. Er erklärte, sein Vortragsthema ähnele der Fernsehserie „Fringe – Grenzfälle des FBI“, die den chaotischen Brüchen folgt, die entstehen, wenn parallele Universen sich überlappen. [4] Ich war ein derartiger Fan der Serie, dass ich einen kompletten Nachtflug lang wach blieb, nur weil einer ihrer Stars an Bord war und ich mich getrieben fühlte, sie in ihrem Schlaf zu beobachten, was in jedem Universum als „Stalking“ durchgeht. Ich machte Notizen:
Kosmologische Inflation... es gibt potenziell irgendwo andere Ausgaben von uns... völlig bekloppt... Modo-Realismus... modale Philosophie... (unentzifferbare Graphiken auf dem Whiteboard)... Wahrheit wichtig wenn wahr... wenn etwas (?) etwas (?) sein könnte... mögliche Welt-Semantiken... Quantenereignisse... Unendlichkeitsuniversum... Infinity Pool (ein Sprung ins Kühle ist in Los Angeles stets willkommen)... die Quantenwelt erlaubt eine unendliche Vielfalt von Universen... Quanten von Quanten... hat er mit dem Wort „Quanten“ einen Lizenzvertrag geschlossen?
Marmeladenglas-Wasser
Birkenstocks
Ich erinnere mich nicht, was die Notizen über Marmeladengläser und Birkenstocks mit dem Vortrag zu tun hatten. Trank er aus einem Marmeladenglas? Vielleicht; andere in der Menge taten es, man sieht das derzeit oft. Schraubgläser haben im Hipster-Ethos Wasserflaschen verdrängt. [5] Trug er Birkenstock-Sandalen? Einige in meiner Reihe vielleicht. Dass seine Rede solche Spekulationen anregen sollte, glaube ich nicht, würde aber gern in einer Parallelwelt niemals erfundener Birkenstocks leben.
Ich bin sicher, Dr. Dizadji-Bahmani erreichte seine Abschlüsse auf untadelig akademischem Wege, aber es klang alles ein bisschen... nun... ach, es klang fast genauso wie die „gechannelten“ Weisheiten von freischwebenden Wesenheiten, in die ich als Mitglied jener UFO-Sekte in den Achtzigern eingeweiht war. Wahrscheinlich bringt sein Vortrag ihn bei den Machern des Sci-Fi-Kanals unter.
Wir gaben uns einem Augenblick stiller Reflektion hin, wie man das üblicherweise tut, und dann waren wir wieder in Gang, mit der Live-Band des Tages. Eine Folkgruppe aus Sedona hüpfte auf die Bühne, mit einem Lied aus ihrer jüngsten Veröffentlichung „Spirit Station“. Die gewandten jungen Musikanten erschienen mir so gepflegt und unbelastet von Selbstbetrachtung, dass es für Ungläubige beinahe ungehörig wirkte. Solltet ihr nicht mit dem Existentialismus ringen und eure Zwanziger im Leiden an der Welt verbringen?
Ihr Lied war erquicklich genug, aber ich verlor den Faden. War das hier ein Gott-freier Volkstanz? Mit diesem Gedanken rang ich, als eine Dame mittleren Alters sich dem Mikrofon näherte. Sie strahlte diese herzliche Offenheit des mittleren Westens aus, die „bitte raube mich am Bahnhof aus“ zu rufen scheint. Du kannst die Frau aus der Kirche holen, aber nicht die Kirche aus der Frau. Sie erzählte uns, wie sie nach dem Verlust eines Angehörigen ihre Lebenslust verloren hatte und dass die Versorgung Obdachloser zusammen mit anderen „Sunday Assemblers“ ihrem Leben wieder einen Sinn gab. So etwas ist stehende Einrichtung der Veranstaltung; drei bis vier Minuten Zeugnis ablegen darüber, „unser Bestes zu tun“.
Sie legte also Zeugnis ab und mir war mulmig. Ich finde auch, dass es depressive Stimmungen lindert, anderen von Nutzen zu sein, aber Herrgott, das wurde nun doch furchtbar kirchlich. Alle Lieder klangen ans Religiöse an. „Zähme mein Fleisch, richte meinen Blick, ein gebundener Geist, ohne Lügen zum Glück"? Ist Mumford and Sons Lied doch ein Ruf zur Religion? Und was, wenn man das musikalische Tagesgericht nicht mag? Das wäre ein Stimmungstorpedo. Aber es hat etwas Tröstliches, gar Vergnügliches, zur Andachtsstätte zu gehen im Bewusstsein, dass die gleichen alten Lieder vorbeikommen, selbst wenn man sie nicht mag. Sie vertiefen eine vertraute, wenn auch etwas peinliche „Spurrinne“ im Gehirn. Wenn jemand das Werbeliedchen für Enthaarungsmittel aus den Achtzigern singt, „who wears short shorts", kann ich nicht widerstehen, fröhlich einzustimmen.
Während sie sprach, dachte ich an meine Unterhaltung mit Ian Dodd, einem der Gründer der Sunday Assembly in Los Angeles. Ihn hatte ich angerufen, um zu fragen, wie er, ein Fernsehshow-Kameramann, dazu kam. Er erzählte, wie er die Gründer in einer Kneipe getroffen hatte und sich mitreißen ließ, eine lokale Assembly zu gründen. Unumwunden sprach er über die Schwierigkeit, ein geeignetes Format zu finden.
„Manche finden die Versammlung zu kirchlich; für andere kann sie nicht kirchlich genug sein."
Musik war ein Thema, gestand er. Jede säkulare Gemeinschaft versucht, von den ewigen „Imagine"-Versionen wegzukommen. Die Assembly in Los Angeles lädt häufig einen lokalen atheistischen Chor ein, die „Voices of Reason“, deren Erkennungsmelodie dieses Jahr „The Rhythm of Life“ war. Es stammt aus dem Musical „Sweet Charity“, in dem Daddy, einst gespielt von Sammy Davis Jr., ein unwahrscheinlich toller, hippiesker Guru, über die Gründung einer Kirche singt, in der seine Anhänger sich unterwürfig „zu Boden werfen und zu Daddy kriechen“. Stückeschreiber und Publikum wunderten sich, was dieses Lied in „Sweet Charity“ soll, und es sieht auch nicht wie eine erste Wahl für die Assembly aus, wenngleich mein Hinterfragen dieser Wahl mich als offiziellen Skeptiker ausweist.
Ian war Zeuge dessen, was man das „zweite atheistische Schisma“ nennt. Das erste war der Bruch mit Gott. Eine Sunday-Assembly-Fraktion in New York, wo er zu jener Zeit lebte, beschuldigte die Gründer Jones und Evans, eine zentralisierte humanistische Religion gründen zu wollen. Eher einer „Hardcore"-Vision folgend, gründeten sie eine Splittergruppe namens „The Godless Revival“. Sie nennen sich stolz „Atheisten“ und treffen sich in Spelunken.
Ich bin so froh, dass es nicht mein Job ist, all das auszuknobeln, dachte ich, als die Versammlung sich dem Ende neigte und man uns das volle „Tastes Like Chicken"-Programm religiöser Institutionen angedeihen ließ, die aufregende Neuigkeit nämlich: „Wir planen, Leute einzustellen, brauchen also Geld.“ Sunday Assemblies sind eine junge Erscheinung – war es ein Wink in diese Richtung, die Kollekte in einem Behältnis für Baby-Feuchttücher einzusammeln?
Während man die Mittel für weitere Veranstaltungen einsammelte, widmete ich mich dem Devotionalienstand, einem Kurzzeitmarkt für atheistischen „Killefit“. Ein Dinosaurier, der in einen Christenfisch-Autoaufkleber beißt. „Sin-O-Mint"-Atempastillen. Und Schuhe, deren Sohlenprofil den Satz „Ich bin Atheist“ wiedergibt. [6]
Uns Projekt-Freiwilligen händigt man die Schachteln aus, mit denen die Päckchen für die Mitglieder der M.A.A.F. geschnürt werden sollen, die rund um den Globus auf Militärbasen ihren Dienst leisten. Von den säkularen Hauptamtlichen kommen dafür Bücher von Dawkins und Sam Harris, Bonbons, Kaugummi und Brettspiele.
Wir Freiwilligen werden ermuntert, den Päckchen persönliche Notizen beizulegen. Mir war ein wenig kindsköpfig zumute, also versuchte ich, einen leichten Ton anzuschlagen und landete nach mehreren Versuchen bei:
„Lieber Dritter Schimpanse, fröhliches Allesmögliche, beste Wünsche an Jedermann!"
Das hielt ich für recht clever, bis ich meinem Nebenmann über die Schulter sah. Er schrieb einen mehrseitigen Brief. Den Text konnte ich nicht entziffern, aber er war voll von unterstrichenen Wörtern, Großbuchstaben und vielen Ausrufezeichen.
Alan, Kinder-Anästhesist, der als Sanitäter in Vietnam diente. Als sein Kommandant herausfand, dass er Atheist war, bekam er die schlimmsten Aufträge in seiner Abteilung. Mehr Küchendienst als seinem Anteil entsprach, Reinigung von Latrine und Messe. Während er sprach, sprühten seine Augen Gift.
„Atheisten werden beim Militär nicht offiziell anerkannt und müssen bei bestimmten zeremoniellen Ereignissen beten. Selbst für Wicca-Neuheiden gibt es Vereinigungen auf den Basen“ erzählte er mir, während seine Stimme vor Zorn anschwoll. Hatte ich meinen Feiertags-Gruß sensibel genug formuliert? Zweifel stellen sich ein, aber die Päckchen sind versiegelt und meinen Händen entrissen. Ich hatte versäumt, zu erwähnen, dass „Der dritte Schimpanse“ der Titel eines Buches von Jared Diamond ist, in dem er beschreibt, wie ähnlich menschliches Verhalten dem jenes Schimpansen ist, unserem engsten Verwandten. Ohne diesen Kontext könnte mein Brief als gegnerisch missverstanden werden. Nichtsahnende, in Konfliktzonen diensttuende Frauen und Männer könnten die Päckchen öffnen und Anstoß nehmen. War es möglich, dass Alan die Wichtigkeit dieser Care-Pakete übertrieb? Er erwähnte, langjähriger Fan der „Grateful Dead“ zu sein und er trug Birkenstock-Sandalen.
Ich machte mich auf den Weg nach Hause und ließ durch M.A.A.F.-Kanäle verlauten, an Gesprächen mit Päckchen-Empfängern interessiert zu sein. Daraufhin bekam ich Emails von Leuten wie Feldwebel Sawyer Braun, der vom Ausstieg aus seiner katholischen Erziehung berichtete. Bei einem Einsatz 2005 im afghanischen Bagram hatte er sich exzessiv George-Carlin-Videos angesehen und dabei ein Erweckungserlebnis. In Fort Campbell gründete er einen M.A.A.F.-Zweig, um Gleichgesinnte zu erreichen; aus einer Kleinstadt stammend, hatte er nie zuvor Ungläubige getroffen. „Das Militär begreift Humanismus nicht als Weltanschauung und wir können uns am Standort nicht offiziell als Gruppierung versammeln, also feiern wir den jährlichen Darwin-Tag in meinem Appartement.“ Sie suchen auch nach Alternativen zu „Imagine"; er hofft, seine Gruppe überzeugen zu können, sich „Let It Go“ aus dem Disney-Zeichentrickfilm „Frozen“ anzueignen. Ein Marineinfanterie-Unteroffizier, Cody Heaps, rief an, um mich wissen zu lassen, wie sehr er es schätzte, nach fünfzehn Monaten Stationierung in Bahrain sein Päckchen zu bekommen.
„Viele wohlmeinende Menschen schicken religiöse Propaganda; ich war so froh, etwas von 'meinen Leuten' zu bekommen. Und wissen Sie, was noch klasse ist an Ihren Geschenken? Sie sind nicht zu groß. Riesenladungen sind in einem Kriegsgebiet einfach unpraktisch.“ Ein Punkt für die Praxisorientierung der Skeptiker.
Ich hatte keine Vorstellung, auf welche Aufmerksamkeit diese kleine Geste stoßen würde; eine solche Marginalisierung meines Glaubens (oder auch dessen Abwesenheit) habe ich nie empfunden. Die Geschichten dieser Männer erinnerten mich an die Vereinsamung, die ich in meiner Jugend gespürt habe, wenn auch aus völlig anderen Gründen, aber aus diesem Gefühl der Solidarität mit den Soldaten heraus fand ich mich auf der National Mall stehend, vor einer Menge von zehntausend Freidenkern bei der „Reason Rally“ 2016. „Ich bin so froh, hier bei meiner Sippe zu sein“ platzte ich heraus, überwältigt von Gefühlen, bevor ich Oberstleutnant a. D. Thom Grey vorstellte, den Gründer der Humanistengruppe an der Offutt Airforce Base, einem Mitglied der M.A.A.F., mit dem ich Verbindung aufgenommen hatte. Nach seiner Rede zögerte ich keine Sekunde, in das mitreißende „Imagine“ einzustimmen, das über die ganze Zusammenkunft hinweg erscholl.
Übersetzung: Harald Grundner
Fußnoten:
[1] Viele Gelehrte wie auch Laien behaupten, die Mangelhaftigkeit unserer Welt sei Gottes Herausforderung an uns. Auf diese Art diskutierte Augustinus von Hippo die irritierenden Widersprüche in der Bibel hinweg. Des weiteren hintertriebe dieser ärgerliche freie Wille eine Welt des perfekten Lebens. Ich schlucke das „Intelligent Design"-Argument immer noch nicht.
[2] Wer organisierte Religion in die Tonne treten möchte, möge betrachten, dass Justin Bieber sich ein Kreuz aufs Gesicht tätowieren ließ. Vielleicht war ihm das als Tattoo lieber als die Telefonnummer des Tierheims, in dem der Kapuzineraffe OG Mally, den er in München zurückließ, seine Tage verbringt.
[3] Eines der Markenzeichen urbaner Volksstämme, Subkulturen und Familien ist eine charakteristische Gruppensprache, ein Soziolekt. So wie Familien Insider-Witze haben, hatten wir unsere Kürzel; wann immer jemand „Sam“ oder „Richard“ erwähnte, wussten wir, dass Harris und Dawkins gemeint waren.
[4] Leonard Nimoy (Spock) hatte eine Rolle in der Serie.
[5] Zuerst gab es Plastikflaschen, dann Edelstahl, dann Glas. Und jetzt kannst du dein Trinkgefäß nicht einfach kaufen, nein, du brauchst einen Wasserbehälter, der nach „Handwerk“ aussieht. Kaufen sie alle vielleicht so viel Marmelade, dass sie Gläser übrig haben? Ich bezweifle es.
[6] Gemäß einer von NPR überprüften Story konnten die deutschen Hersteller der Schuhe folgendes zeigen: Wenn bei Versand in die USA auf den Kartons der Firmenname „Atheist“ stand, verschwanden sie manchmal oder die Auslieferung dauerte länger als bei unbeschrifteten Päckchen.
Annabelle Gurwitch, vertreten auf der Bestsellerliste der New York Times, ist außer sich vor Freude, bei Richard Dawkins' Nordamerika-Tournee in Boulder (22. Mai 2017) an seiner Seite zu stehen. Sie schreibt über das Loslassen „magischen Denkens“ und über säkular-humanistische Gemeinschaften in ihrer neuen Essay-Sammlung „Wherever You Go, There They Are“, die kürzlich von Penguin/Randomhouse veröffentlicht wurde. Ihr „Openly Secular"-Video ist hier zu sehen.
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