Verstehen heutige Theologen die Bibel besser oder weniger gut?

Als die Kirchenväter bzw. als mittelalterliche Scholastiker

Verstehen heutige Theologen die Bibel besser oder weniger gut?

Foto: Pexels.com / Joël Super

Viele Christen, die mit mir diskutieren, meinen, die Bibel besser zu verstehen als die modernen Experten (Theologen). Das häufig, ohne die Bibel jemals komplett gelesen zu haben! Vor allem, ohne wenigstens die Basis-Literatur der Theologen dazu zu kennen. Kritische Werke hat man natürlich nie gelesen, wo käme man auch hin, wenn man etwas kritisch betrachten würde?

Ich könnte mir vorstellen, dass dies der rote Faden ist, der sich durch das Christentum zieht: Viele meinen, sie wüssten besser Bescheid als alle anderen. Alle vorher haben sich geirrt, und obwohl man auf denen aufbaut, weiß man es jetzt endlich besser! Das nennt man übrigens pessimistische Induktion. Man hält sich selbst für irrtumsfrei, obwohl man genau weiß, dass sich alle Menschen vorher geirrt haben. Weil man eigene Fehler nicht bemerkt, meint man, man sei frei von ihnen. Das ist in etwa so, als wenn ich sage: Ich weiß, dass es im menschlichen Auge einen blinden Fleck gibt. Ich weiß, dass alle Menschen den haben. Aber da ich meinen nicht sehen kann, habe ich auch keinen. Glasklare Logik, nicht wahr?

Die Bibelexegese ist mit Fallen gepflastert. Die eine Falle ist, dass man, obwohl verschiedene Autoren mit verschiedenen Ansichten die Texte verfasst haben, man versucht, sie zu harmonisieren. Man liest in sie hinein, dass alle Autoren dieselbe Meinung hatten, was zwar erkennbar falsch ist, aber man tut so als ob. Dann meint man, dass die Bibel über jede Kritik erhaben ist, weil man selbst zur Kritik unfähig ist. Obwohl schon die ersten Interpreten der Bibel diese nicht wörtlich verstanden haben, meint man, man könne sie wörtlich verstehen. Zumindest in Teilen, einige sind sogar der Ansicht, dies sei durchgehend der Fall!

Man versteht also Teile der Bibel als mythologisch, und meint, man habe die einzig richtige metaphorische Verstehensweise. Das ist purer Unsinn, zum einen dienen Mythologien dem Verständnis einer Sache. Man konnte sich nicht erklären, warum Menschen trotz eines perfekten Gottes nicht in einer perfekten Welt leben, also deutete man die Genesis-Geschichte als eine Erklärung. Es gibt aber einen riesigen Unterschied zwischen einer mythologischen Deutung und einer echten Erklärung. Beides schließt einander aus.

Dann ignoriert man etwas, was für das Verständnis eines jeden Textes wesentlich ist: die Autorenintention. Das ist die Frage: Was wollte der Autor den Lesern seiner Zeit mitteilen? Wer nicht wenigstens versucht, das zu verstehen, kann einen Text kaum verstanden haben!

Sowohl heutige Theologen, jedenfalls die kirchlich bestallten, als auch die Kirchenväter und Scholastiker, haben diese Frage meist komplett ignoriert. Erst die Radikalkritiker haben damit angefangen, sodass ich meine, dass diese generell ein viel besseres Verständnis der alten Texte haben. Diese haben auch herausgefunden, wie sehr die Bibel über die Zeit verändert wurde. Das kann man nicht bemerken, wenn man damit beschäftigt ist, die Texte zu harmonisieren.

Die historisch-kritische Methode

Ich meine, dass die heutigen Theologen ein etwas besseres Verständnis haben, seitdem man auf die historisch-kritische Methode umgeschwenkt ist. Dabei versucht man wenigstens, den historischen Kontext eines Textes zu erfassen. Damit ist man halbwegs dort angekommen, wo die Radikalkritiker schon vor über 100 Jahren standen.

Wer die Bibel nicht kritisch liest, kann sie nicht verstehen wollen. Er wird sie nur dazu benutzen wollen, seine eigene Meinung zu bestätigen (Bestätigungsfehler). Immerhin ist dies bei den meisten Theologen nicht von einer so durchgehenden Ignoranz geprägt wie bei den vielen Laienpredigern, die meinen, die Bibel besser zu verstehen als alle Theologen.

Dann gibt es noch einen Fundamentalirrtum beim Unterscheiden zwischen dem, was mythologisch gemeint sein soll, und dem, was man als historisch akkurat betrachtet. Man nimmt dazu sein heutiges Weltbild. Soweit man historische und wissenschaftliche Fakten anerkennt, ist die Bibel mythologisch gemeint, sonst ist sie wörtlich zu verstehen. Wir wissen durch die Archäologie, dass alle theologisch wichtigen Personen nie existiert haben, und dass alle theologisch wichtigen Ereignisse nie stattgefunden haben. Das wird weitgehend ignoriert, daher die Einschränkung: soweit man es anerkennt. Damit ist es oft nicht weit her. Theologen arbeiten nur teilweise wissenschaftlich, so wie Astrologen, die ja auch wissenschaftliche Beobachtung der Sterne benutzen, aber eine abstruse Theorie darüber setzen.

Es ist der Glauben, der die Betrachtung der Bibel komplett verzerrt. Man sucht nach Bestätigung seines speziellen Glaubens, etwas, wofür die Bibel nie geschrieben wurde! Kein Autor kannte den Glauben der heute lebenden Gläubigen, daher kann kein Autor darauf Rücksicht genommen haben. Daher kann man die Bibel auch nur frei vom Glauben überhaupt interpretieren, alles andere ist zum Scheitern verurteilt. Im Grunde heißt dies, wenn man die Bibel verstehen will, muss man entweder Atheist sein, oder sie wie ein Atheist betrachten. Sonst spielt einem der eigene Glaube Streiche.

Denn niemand kann ernsthaft behaupten, dass ein Gott, der diese Welt erschaffen hat, eine wilde Mixtur von mythologischen und wörtlichen Texten inspiriert hat, ohne zu erklären, was man wie warum zu verstehen hat. In der Bibel fehlt die Einleitung, die erklärt, wie die Bibel zu verstehen ist, wenn das von Gott stammt, war der strunzdumm und zu jeglicher Kommunikation unfähig. Dann kann man auch nicht behaupten, diesen „Schauderwelsch“ zu verstehen. Da die Interpretationen so weit auseinandergehen, ist das Beweis genug.

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Kommentare

  1. userpic
    Andreas der Holzwurm

    Der Artikel greift eine häufige Behauptung auf, dass viele Christen ihren Glauben über andere Experten oder die historische und kritische Methodik stellen, und kritisiert dabei die vermeintliche Unwissenheit und den Mangel an kritischer Auseinandersetzung von Gläubigen. Lassen Sie uns einige zentrale Punkte des Artikels untersuchen und eine differenzierte Antwort darauf geben.

    1. Wissen und Verstehen der Bibel:

    Es ist korrekt, dass nicht alle Christen über die gleiche Tiefe des theologischen Wissens oder kritischen Hintergrunds verfügen. Dennoch bedeutet das nicht notwendigerweise, dass ihre Interpretation der Bibel weniger gültig ist. Viele Gläubige stützen sich auf jahrhundertealte Traditionen und Interpretationen, die von führenden Theologen und Kirchenvätern entwickelt wurden. Diese Traditionen bieten eine fundierte Grundlage für das Verständnis der Schrift und sind oft in Übereinstimmung mit dem, was moderne biblische Wissenschaftler herausgefunden haben.

    2. Historisch-kritische Methode:

    Die historisch-kritische Methode ist zweifellos ein wichtiger Ansatz, um die Bibel im historischen und kulturellen Kontext zu verstehen. Diese Methode hat wertvolle Einsichten geliefert, die die Bibelauslegung bereichern. Doch sie ist nicht die einzige Methode, und ihre Ergebnisse müssen im Gesamtbild betrachtet werden. Viele biblische Theologen und Historiker integrieren sowohl historisch-kritische als auch andere hermeneutische Ansätze, um ein umfassenderes Verständnis der Bibel zu gewinnen.

    3. Harmonisierung der Bibel:

    Die Bemühung, verschiedene Bibeltexte zu harmonisieren, ist nicht notwendigerweise ein Zeichen von Unkenntnis oder Ignoranz. Viele Christen glauben, dass die Bibel eine zusammenhängende Botschaft vermittelt, die durch verschiedene Autoren, Zeiten und kulturelle Kontexte hinweg konsistent bleibt. Diese Ansicht ist nicht unbedingt naiv, sondern spiegelt den Glauben an die Inspiration und Kohärenz der Schrift wider.

    4. Mythologische versus wörtliche Deutung:

    Die Bibel enthält verschiedene literarische Genres, einschließlich mythologischer Erzählungen und wörtlicher Historie. Die Herausforderung besteht darin, zwischen diesen Genres zu unterscheiden und sie angemessen zu interpretieren. Die Fähigkeit, zwischen metaphorischen und historischen Aussagen zu unterscheiden, ist ein zentraler Bestandteil der biblischen Hermeneutik und erfordert sowohl kritische als auch theologische Reflexion.

    5. Autorenintention:

    Die Absicht der Bibelautoren zu verstehen, ist von großer Bedeutung. Historische Kritiker und Theologen arbeiten kontinuierlich daran, die Absicht und den Kontext der biblischen Texte zu erfassen. Dies umfasst das Verständnis, dass die Bibel über verschiedene kulturelle und historische Kontexte hinweg geschrieben wurde und dass diese Kontexte in die Auslegung einfließen müssen.

    6. Einfluss des Glaubens:

    Es wird behauptet, dass der Glaube die Interpretation der Bibel verzerrt. In Wirklichkeit beeinflusst jeder Leser, ob gläubig oder nicht, die Interpretation von Texten durch seine eigenen Überzeugungen und Perspektiven. Ein ausgeglichener Ansatz beinhaltet das Bewusstsein dieser Einflüsse und die Bemühung, sie zu reflektieren, während man gleichzeitig die theologischen und historischen Erkenntnisse ernst nimmt.

    7. Wissenschaftliche und archäologische Beweise:

    Die archäologische Forschung hat viele biblische Begebenheiten bestätigt, auch wenn einige Fragen noch offen sind. Es ist wichtig zu betonen, dass das Fehlen von Beweisen für bestimmte historische Ereignisse nicht automatisch deren Ungültigkeit bedeutet. Wissenschaftliche Entdeckungen sind fortlaufend, und das Fehlen von Beweisen zum aktuellen Zeitpunkt schließt nicht die Möglichkeit zukünftiger Bestätigungen aus.

    Zusammenfassend:

    Die Bibel ist ein komplexes und vielschichtiges Dokument, dessen Verständnis sowohl kritische als auch gläubige Perspektiven erfordert. Es ist entscheidend, dass sowohl Laien als auch Fachleute die Bibel mit Respekt und gründlicher Forschung betrachten. Die biblische Forschung profitiert von verschiedenen Herangehensweisen, und die Integration von historisch-kritischer Methode und traditionellem theologischen Verständnis kann zu einem umfassenderen Bild der Schrift führen. Die fortwährende Auseinandersetzung und Diskussion sind Teil des Prozesses, die Tiefe und Bedeutung der biblischen Texte zu erfassen.

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      Volker Dittmar

      Meine Meinung zu dem Kommentar:

      1. Wissen und Verstehen der Bibel:

      Zwei Denkfehler: Berufung auf Autorität und Berufung auf Tradition. Wenn man nicht viel weiß, gehört das zu den beliebtesten Fehlern, um zu einer Meinung zu kommen. Wobei man nicht einmal bemerkt, dass man sich die Tradition und Autorität nach Belieben ausgesucht hat, denn davon gibt es so viele sich widersprechende, dass man die Qual der Wahl hätte, wenn man sich nicht persönlichen kulturellen Einflüssen beugen würde. Der Glauben vieler Christen, sie könnten die Bibel richtig interpretieren, stammt aus einer Kombination von Hörensagen und biografischem Roulette.

      2. Historisch-kritische Methode:

      Die Theologen haben in der Geschichte viele verschiedene Methoden benutzt, um sich eine Meinung zu bilden bzw. ihre vorgefasste Meinung zu bestätigen. Die Vielzahl der Methoden, mit denen man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, ist aber ein Argument gegen die Validität der angewandten Denkweisen. Wenn Wissenschaftler verschiedene Methoden benutzen, dann um zu einer Konvergenz der Ansichten zu gelangen, bei den Theologen passiert genau das Gegenteil.
      Damit ist auch dieser Einwand irrelevant, sondern bestätigt, was ich dazu gesagt habe. Das wäre ein guter Grund, um skeptisch zu sein gegen jegliche Theologie.

      '3. Harmonisierung der Bibel:'

      Man glaubt, die Bibel sei harmonisch, und interpretiert sie dann harmonisierend, um seinen Glauben zu bestätigen. Wieder zwei Fehler: Man benutzt den Bestätigungsfehler, um einen logischen Zirkel zu konstruieren. Als Einwand taugt das nicht.
      Man muss diese zwei Fehler begehen, um die Bibel zu harmonisieren, was bedeutet: Die Bibel kann nicht harmonisch sein. Auch das bestätigt eher, was ich gesagt habe.

      4. Mythologische versus wörtliche Deutung:

      Vieles in der Bibel ist mythologisch gemeint, einiges wörtlich. Man kann daher eine solche Differenzierung vornehmen. Aber "wörtlich gemeint" heißt nicht, dass es nicht mythologisch ist (umgekehrt auch). Es ist die Beliebigkeit der dazu angewandten Methoden, die mich stört. Dass man es versucht hat, ist kein Argument dafür, dass es auch gelungen ist. Daher ist der Einwand irrelevant. Man kann keine klare Grenze ziehen, nicht einmal, wenn man die Autorenintention bemüht.

      5. Autorenintention:
      Mühe alleine genügt nicht. Wenn man die Basis einer jeden Textinterpretation ignoriert, wird die Mühe eher vergeblich sein. Ich kann nicht einmal erkennen, worin hier der Einwand besteht.

      6. Einfluss des Glaubens:

      Das ist sicher richtig, dass man sich der Einflüsse bewusst sein müsste. Ich sehe aber kaum eine bewusste Reflexion dessen, stattdessen sehe ich eine starke Überzeugung am Werk und viel Wunschdenken. "Die Überzeugung ist ein schlimmerer Feind der Wahrheit als die Lüge", wie Nietzsche so treffend sagte. Genau das sehen wir hier am Werk.

      7. Wissenschaftliche und archäologische Beweise:

      Nein, die archäologische Forschung hat vieles aus dem AT widerlegt. Es wird nur nicht zur Kenntnis genommen, da sehen wir erneut den Bestätigungsfehler am Werk. Was das NT angeht, dazu gibt es kaum archäologische Forschung, daher auch kaum Bestätigung. Ich denke z. B. daran, dass Nazareth zur Zeit von Jesus keine Stadt war, sondern ein Friedhof, oder dass es vor der Zerstörung des Tempels keine Synagogen außerhalb Jerusalems gab (außer in fernen Ländern). Dass also Jesus permanent in Synagogen gelehrt hat, mag für jemanden plausibel sein, der weit entfernt vom Ort der Geschehnisse lebt, wie die Evangelisten, oder für jemanden, der im 2. Jahrhundert gelebt hat. Aber wahr wird es dadurch nicht.
      Außerdem ist es ein weiterer Denkfehler, sich auf "zukünftige Bestätigungen" zu berufen - es könnte auch das Gegenteil der Fall sein. Wenn man es wüsste, wäre jede weitere Forschung überflüssig, aber man kann es nicht wissen. Man greift hier aber zu jedem noch so brüchigem Strohhalm.

      Zusammenfassend:

      Man braucht überhaupt keinen Glauben, um die Bibel zu verstehen. Das führt, wie ich gezeigt habe, bloß zu einer Reihe von Denkfehlern, wie der Verfasser des obigen Kommentars hinreichend bewiesen hat. Wahrheit kann nicht von dem abhängig sein, was jemand glaubt, daher ist die Berufung auf Glauben immer ein Fehler.
      Man bekommt kein umfassenderes Bild, wenn man verschiedene Methoden integriert, die nicht zu einer Konvergenz der Ansichten führen. Man bekommt genau die Art von Divergenz, die wir vor uns sehen. Das ist als Einwand also ebenfalls irrelevant, wie der gesamte Rest des Textes auch, der eher bestätigt, was ich dazu geschrieben habe, statt es zu widerlegen.
      Ich bin natürlich dankbar für jede Bestätigung, aber warum man damit den Anschein erwecken möchte, man habe mich widerlegt, ist mir unerfindlich. Denn wo man mir widerspricht, basiert das auf offenkundigen Denkfehlern.

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