Volksinitiative und Verhüllungsverbot

Kommentar zur Dokumentation des SRF

 Volksinitiative und Verhüllungsverbot

Foto: Pixabay.com / vadiv666

Nun ist es endlich soweit. Das Schweizer Volk wird im kommenden Frühling über die von SVP-Kreisen lancierte Volksinitiative „Ja zum Verhüllungsverbot“ befinden können. Unmittelbar nach dem Zustandekommen der Initiative, namentlich am 28. September 2017, hatte das Schweizer Fernsehen eine bemerkenswerte Dokumentation mit dem Titel „Hinter dem Schleier – Arabische Touristen in der Schweiz“ ausgestrahlt, auf die ich nachfolgend eingehen möchte.

Tendenziös und gegen die Volksinitiative

Der Grundtenor der Dokumentation war klar tendenziös und sie richtete sich eindeutig gegen die Volksinitiative. Sehr schnell wurde klar, dass die Autorin des Filmes, Marianne Kägi, die Absicht verfolgte, den Zuschauern die von ihr angenommene Schädlichkeit der Initiative mit wirtschaftspolitischen und finanziellen Argumenten nachzuweisen. Die Intention dahinter war zumindest für mich offensichtlich. Die Autorin wollte die Zuschauer auf der Geldebene ansprechen, weil Schweizer ihre Wirtschaft und den daraus entstandenen Wohlstand lieben und diesen bewahren möchten. Mit anderen Worten sollte der Zuschauer aus finanziellen Gründen gegen die Volksinitiative sein.

Um den Schweizern zu zeigen, was die direkt Betroffenen vom Ganzen halten, wollte Marianne Kägi zunächst vollverschleierte arabische Touristinnen auf der Straße interviewen, die in den letzten Jahren vor allem im Berner Oberland anzutreffen sind, insbesondere in der Gegend von Interlaken. Begleitet wurde sie von einem Arabischübersetzer, von dem sie erfahren hatte, dass sie die Frauen nicht direkt fragen dürfe und zunächst immer den Mann um ein Interview mit der Frau bitten müsse, was die Journalistin aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht hinterfragte, sondern einfach so als „kulturelle Eigenheit“ hinnahm. Die Erwartungshaltung von Marianne Käge war dabei ganz klar. Sie erwartete von den angesprochenen Frauen, dass sie angeben würden, sie würden das Ganze freiwillig tun. Diese „Freiwilligkeit“, die keine ist, ist nämlich bei der kommenden Abstimmung für gewisse Kreise ein besonders ausschlaggebendes Argument.

Dann geschah aber etwas Bemerkenswertes. Entweder winkten bereits die Männer der Frauen ab, die hätten interviewt werden sollen, oder es waren die Frauen, die von ihren Männern durchaus gefragt wurden, ob sie zu einem Interview bereit wären, die ablehnten. Sie hätten „Wir tun das freiwillig und stehen dazu!“ oder „Das ist unsere Tradition! Bitte respektiert sie!“ sagen können, aber sie taten es nicht. Ein Bekenntnis zur Vollverschleierung erfolgte deshalb nicht, weil diese Frauen, selbst wenn sie sie befürworten, keine Meinung haben, die öffentlich zum Ausdruck gebracht werden kann und darf und dies aus dem einfachen Grund, weil sie Frauen sind und sich so etwas nicht schickt.

Damit hatte Marianne Kägi unfreiwillig und wohl auch ohne, dass sie es gemerkt hat, mit ihrem Film etwas offenbart, was viele Europäer bis zum heutigen Tage nicht verstanden haben. Diese Frauen haben überhaupt keine Meinung zu haben, nicht einmal eine pro-wahhabitische und die Vollverschleierung befürwortende, weil solche Frauen ganz grundsätzlich keine Meinung über irgendetwas haben können. Damit erübrigt sich auch jede Nachfrage über die angebliche „Freiwilligkeit“ der Vollverschleierung. Jedenfalls ist das Offensichtliche der Autorin der Dokumentation nicht aufgefallen und sie hat darauf verzichtet, das Ganze zu hinterfragen.

Keine vollverschleierte Frau war bereit zu sprechen

Nachdem die Autorin keine einzige vollverschleierte Frau fand, die dazu bereit war, mit ihr zu sprechen, fand sie schließlich zumindest eine Familie von offensichtlich orthodox lebenden Scharia-Muslimen aus dem arabischen Raum. Was diese über die Vollverschleierung sagten, war auch nicht unbedingt im Sinne der Filmemacherin, die nach Munition gegen die Volksinitiative suchte. Der Familienvater meinte im Interview, dass die Töchter der Familie ab einem bestimmten Alter freilich den Hijab tragen mussten, was man von ihnen durchaus erwartet habe. Diese Vollverschleierten hingegen seien extrem. Auch diese Angabe veranlasste die Filmemacherin nicht dazu, darüber nachzudenken. Hier sprach ein offensichtlich muslimischer Mann, der in einem muslimisch geprägten Land nach den Regeln der Scharia lebt, die Vollverschleierung als zu extrem ab, nachdem der Filmemacherin nicht gelungen war, mit einer vollverschleierten Frau ein Interview zu führen, obwohl sie selbst eine Frau war und damit die Hemmschwellen doch deutlich tiefer sein müssten.

Da Marianne Kägi nicht in der Lage war, Menschen zu finden, die gewillt waren, in ihrem Film mitzumachen, wandte sie sich, obwohl der Film sich gegen das Vollverschleierungsverbot richtete, in das Paralleluniversum der arabischen Soap Operas, die auch in der Schweiz gedreht werden. In diesen idyllischen und romantischen Filmen kommen zwar Vollverschleierte nicht vor, aber das machte ja nichts. Wenn die Initiative angenommen würde, würden die Araber die Schweiz, die sie in ihren Filmen idealisieren, nicht mehr lieben und auf Besuche verzichten, so die Suggestion der Filmemacherin. Auch hier verzichtete sie darauf, sich einige Überlegungen über diese Filme zu machen, die allesamt eine Sehnsucht darstellen, und zwar eine Sehnsucht ohne Zwänge der islamischen Orthodoxie und damit der Vollverschleierung, die Marianne Kägi mit ihrem Film zu verteidigen versuchte.

Dann folgte ein nicht weniger absurder filmischer Exkurs auf Influencerinnen aus dem arabischen Raum, welche unter anderem auch die Schweiz besuchen und Tausende von Followerinnen in den Golfstaaten haben. Auch hier wurde nicht klar, was das mit der Vollverschleierung zu tun hatte, zumal diese jungen Frauen nicht verschleiert, sondern ganz im Gegenteil so stark geschminkt waren, dass sie – man möge mir verzeihen – an Prostituierte erinnerten. Auch hier merkte die Filmemacherin nicht, dass diese Frauen gerade weil sie nicht verschleiert waren, derart populär waren und ebenfalls die Sehnsucht vieler Menschen im arabischen Sprachraum nach Freiheit offenbarten, Freiheit davor, von der islamischen Orthodoxie erdrückt zu werden.

Ganz am Schluss kam die große Erleichterung für Marianne Kägi. Nach langer Suche und Verhandlungen hatte sie eine Vollverschleierte gefunden, die gegen die Initiative Werbung machen konnte. Die Filmemacherin ließ sie sprechen und der Film ging dann zu Ende.

Unter diesem Link ist die Dokumentation abrufbar, die ich gerne weiterempfehlen möchte.

Emrah Erken ist ein Schweizer Rechtsanwalt. Er ist ein prominenter Kritiker des politischen Islams und der türkischen AKP-Herrschaft unter Erdoğan. Auf Facebook gründete er die Gruppe „Before Sharia Spoiled Everything“, die Bilder vom Alltag aus der Zeit vor der iranischen Revolution zeigt. Ein Alltag, der wenig von der Religion geprägt war und vielfach säkularen Ländern glich, bis die Scharia Einzug hielt.

Hier geht's zum Originalartikel...

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