Vom Neuen Atheismus zum Dialog

Eine neue Phase

Vom Neuen Atheismus zum Dialog

Foto: Pixabay.com / geralt

Der Neue Atheismus hatte auch eine positive Konsequenz. Vor kurzem schrieb ich darüber, dass er zu einer antitheistischen Traditionslinie gehört, die allerlei Mythen über Religion verbreitet. Das stimmt auch und es ist mir einerseits ein wenig peinlich, dazu beigetragen zu haben. Andererseits hatte der Neue Atheismus kulturell auch einen positiven Effekt: Wir haben das Tabu zerstört, Religion öffentlich kritisieren zu dürfen. Nun befinden sich christliche Apologeten und atheistische Philosophen in einem öffentlichen Austausch auf höchstem Niveau.

Nach einer Phase des wüsten Eindreschens auf den Glauben haben wir nun den Punkt erreicht, wo religiöse Apologeten und Agnostiker/Atheisten regelmäßig und wie selbstverständlich miteinander reden. Wir können das sehr schön anhand christlicher und atheistischer YouTube-Channels nachvollziehen. Von einer ausgeprägten Feindseligkeit ausgehend haben sich Aktivisten von beiden Seiten inzwischen angefreundet und laden sich regelmäßig gegenseitig ein.

Einer der größten Channels für christliche Apologetik ist Capturing Christianity vom Moderator Cameron Bertuzzi. Der junge agnostische Philosoph Joseph Schmid, eine Art Wunderkind, lud ihn jüngst zu seinem Channel Majesty of Reason ein. Auf beiden Channels gibt es regelmäßig Dialoge zwischen einigen der wichtigsten Philosophen, die sich auf Seiten des Atheismus/Agnostizismus und der christlichen Philosophie mit Religion befassen. Ich bin immer wieder erstaunt, dass teils wirklich bedeutende Autoren von Fachartikeln ihre Zeit auch gerne mal auf YouTube verbringen.

What has Cameron learned from @Capturing Christianity?

Michael Jones vom christlichen Channel Inspiring Philosophy tauscht sich auch gerne mit Atheisten aus, zum Beispiel mit Michael Shermer von der Skeptic Society und mit Tim O’Neill von History for Atheists. Sie machten sich zusammen darüber lustig, welchen Unsinn wir Neuen Atheisten verbreitet hatten. Und so führen wir Menschen zusammen!

Stephen Woodford vom großen atheistischen Channel Rationality Rules veröffentlichte eine Kritik am Kausalitätsprinzip im Zusammenhang mit dem Kalam-Argument für Gottes Existenz. Beteiligt waren auch Joe Schmid und der sehr einflussreiche christliche Philosoph Joshua L. Rasmussen.

Auch der wohl berühmteste christliche Apologet unserer Zeit, William Lane Craig, sowie der bedeutende atheistische Philosoph Graham Oppy tauchen gerne auf den Channels auf, reden miteinander und mit anderen.

Es kommen einem fast die Tränen. Genau das war mein Ziel: Indem das Tabu entfernt wird, den Glauben kritisch zu untersuchen und kritisieren zu dürfen, können verschiedene Ideen in den Austausch treten und die besten Ideen können gewinnen. Das Tabu ist Geschichte. Werdet Zeuge des wunderschönen Ergebnisses.

Und nun greifen wir die intolerante Woke-Ideologie an, bis auch im Bereich der Gesellschaftspolitik verschiedene Ideen in den freien Austausch treten und sich die besten durchsetzen können. Der Neue Atheist Sam Harris verbringt einen guten Teil seiner Zeit damit, gelegentlich auch Richard Dawkins und natürlich ich selbst.

Wir prügeln auf ungehobelte Ideologien so lange ein, bis sie sich benehmen und in einen zivilisierten Austausch treten in unserer freiheitlichen Demokratie. Wenn das mal kein gemeinnütziges Engagement ist.

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Kommentare

  1. userpic
    Norbert Schönecker

    "Wir prügeln auf ungehobelte Ideologien so lange ein, bis sie sich benehmen und in einen zivilisierten Austausch treten".
    Selbst im übertragenen Sinn halte ich das für pädagogisch fragwürdig. Auch bei Erwachsenen.
    Schade, dass am Ende dieses ansonsten so erfreulichen Artikels dieses Satz stehen muss.

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    1. userpic
      Losian

      Da stimme ich Ihnen zu, Herr Schönecker.

      Ausserdem frage ich mich, wer denn entscheidet, welche Ideologie denn "ungehobelt" sein soll. Ideologien basieren auf persönlicher Weltanschauung und individuellen Wertungen, sind somit für den einen ungehobelt, für den anderen recht und billig. Ein möglichst breit abgestützter gemeinsamer Nenner zu finden, dürfte eine Herausforderung darstellen.

      Eine faszinierendes Thema ist m.E. der "Anatheismus" (übersetzbar mit "Wiederglauben", Begriff und Konzept stammen vom Kanadischen Philosophen Richard Kearney), welchen der tschechische Soziologe, Religionsphilosoph sowie römisch-katholische Priester Tomáš Halík in seinem Buch "Der Nachmittag des Christentums" erwähnt. Danach entdecken viele Menschen im gesetzteren Alter ihren vernachlässigten Glauben neu, aber in einem tieferen und reiferen Sinn - und mit grossem Verständnis für atheistische Argumente und Sichtweisen.

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    2. userpic
      Stefan Räbiger

      Frage. Von welchem Unsinn, den Atheisten verbreitet haben sollen, ist hier die Rede?
      Auch wenn ich nichts von auf andere eindreschen halte, ist das nach Jahrhunderten des Unrechts und der Verbrechen gegen Menschen ohne Glauben, doch eine kausale Folge der Handlungen der Anhänger des christlichen Glaubens.

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