Warum man dumme Entscheidungen trifft, obwohl einem Experten etwas anderes raten

Der Graben zwischen Experten-Analyse und öffentlicher Meinung scheint von Tag zu Tag breiter zu werden.

Warum man dumme Entscheidungen trifft, obwohl einem Experten etwas anderes raten

EPA / Andy Rain

In Amerika gibt es signifikante Unterstützung der Öffentlichkeit für die Politik Donald Trumps, die, gelinde gesagt, von der überwältigenden Mehrheit der Experten als fragwürdig betrachtet wird. In Großbritannien herrschte unter Ökonomen ein breiter Konsens, der vor den desaströsen Folgen der Wahl eines Austritts aus der EU warnte und dennoch votierten die Briten für den Brexit. Die globale wissenschaftliche Gemeinschaft warnt unaufhörlich vor den katastrophalen Gefahren des Klimawandels, aber viele Mitglieder der Bevölkerung halten durch den Menschen beeinflussten Klimawandel für einen Schwindel.

Das sind nur drei Beispiele eines sich immer weiter ausbreitenden Phänomens: gut informierte Experten veröffentlichen aufgrund der besten verfügbaren Beweise eine Ansicht zu einem Thema und die öffentliche Meinung springt in eine völlig andere Richtung. Warum passiert das?

Eine mögliche Antwort ist, dass die Allgemeinheit einfach dumm ist. Um es etwas verträglicher zu formulieren, die Öffentlichkeit hat nicht den IQ, die Bildung oder die richtigen Informationen, um die Argumente akkurat abzuwägen. Diese Erklärung mag Experten gefallen, deren Meinung ignoriert wird, aber sie ist nicht korrekt. Die meisten Menschen haben genug reine Intelligenz um grundlegende Argumente abzuwägen. Der allgemeine Bildungsstandard war nie höher - und nahezu jede Information ist problemlos für jeden verfügbar, der einen Internetzugang hat.

Die zweite Antwort ist, dass das allgemeine Vertrauen in Experten abnimmt. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass dem nicht so ist. Das jährliche Edelman Vertrauensbarometer zeigt, dass Akademikern und Experten der Industrie noch immer von 70% der Öffentlichkeit vertraut wird. Im Vergleich hierzu landen Unternehmenschefs bei 43% und Regierungsangehörige bei 38%.

Schnelle Entscheidungen

Um die wahren Gründe zu finden, warum Menschen die Ansichten von Experten zu wichtigen Themen zu ignorieren scheinen, müssen wir uns die Art ansehen, wie wir Informationen verarbeiten. In The Stupidity Paradox, einen aktuellen Werk mit Mats Alvesson, haben wir die die Frage gestellt, warum wir in einer Welt immer schlauer werdender Leute so oft unglaublich dumme Entscheidungen treffen.

Ein Grund sind unsere inhärenten kognitiven Verzerrungen. Wir treffen oft schnelle Entscheidungen über komplexe Themen auf Basis unserer bisherigen Überzeugungen oder sogar zufälligen Assoziationen. Nachdem wir diese Entscheidungen getroffen haben - was oft nur in Millisekunden geschieht - beginnen wir mit dem mühevollen Prozess uns selbst zu beweisen, dass wir Recht haben. Wir suchen gezielt Informationen, die unsere bereits gefällte Entscheidung rechtfertigt. Weite Teile der Öffentlichkeit haben sich über Trumponomics, Europa oder den Klimawandel bereits eine Meinung gebildet. Ihr gesamter Fokus liegt nun darauf Informationen zu finden, die diese Sekundenbruchteil Entscheidungen bestätigen. Informationen, die Überzeugungen in Frage stellen, werden geflissentlich ignoriert; sie könnten unangenehm sein und weitere Überlegungen nötig machen.

Und es ist wahr, dass es unangenehm sein kann den Beweisen der Experten Aufmerksamkeit zu schenken. Es gibt schwierige Widersprüche, die zu peinlichen Rückziehern führen können. Menschen neigen dazu, das was Psychologen kognitive Dissonanzen nennen, um jeden Preis zu vermeiden. Wenn Fakten nicht zu unseren Überzeugungen passen, ändern wir gern die Fakten, nicht die Überzeugungen. Bei unseren eigenen Nachforschungen stellten wir fest, dass hochrangige Führungskräfte Beweise ignorierten, die zeigten, dass teure Veränderungen des Unternehmens fehlgeschlagen waren, um an der Überzeugung festhalten zu können, sie hätten kostbare Unternehmensressourcen sinnvoll eingesetzt. Eine Studie über den Niedergang des Handyherstellers Nokia zeigt diesen Prozess sehr deutlich.

Ein weiterer Grund warum wir Experten ignorieren, ist, dass ihre Ratschläge zu befolgen zu unangenehmen Situationen im sozialen Umfeld führen können; sie können zu peinlichen Diskussionen mit Kollegen oder Freunden führen. Um solchen Situationen aus dem Weg zu gehen, wählen Menschen oft den Weg, sich auf die Meinung Ihrer Umgebung zu verlassen. Kurzfristig lässt dieses Verhalten die soziale Interaktion störungsfrei verlaufen und man bleibt ein akzeptiertes Mitglied der Gruppe. Langfristig kann das zu einer Art erdrückenden Gruppenbewusstsein führen - wie auch zu einigen ziemlich erfolgreichen und mächtigen Rivalen, so wie es bei Nokia geschehen ist

Zahlenspiele

Ökonomen haben in der Regel kaum Einfluss auf die öffentliche Meinung zu wichtigen Themen. Forschungen zeigen, dass die einzigen Gelegenheiten, bei der Wirtschaftswissenschaftler in der Lage sind die Öffentlichkeit zu überzeugen, bei technischen Themen ist. Ist die Meinung zu sehr symbolischen Themen gefragt, wie zum Beispiel bei der EU, neigt die Öffentlichkeit zum ignorieren des Rats der Ökonomen. Setzt man Teile der Öffentlichkeit den Meinungen der Ökonomen aus, die ihren Überzeugungen entgegenlaufen, werden sie noch streitbarer in ihren Ansichten. Sie suchen aktiv nach Informationen, die den Experten widersprechen und ignorieren solche, die diese unterstützt.

Im besten Fall bedeutet dies, dass die Öffentlichkeit die Meinungen der Experten schlicht ignoriert, wenn sie ihrer eigenen widerspricht. Im schlimmsten Fall wird eine Gegenreaktion ausgelöst, in der die Expertenmeinungen die öffentliche Meinung in die exakt gegensätzliche Richtung bewegt. Dies geschah im Fall der Impf-Gegner: je mehr Expertenmeinungen es gab, desto lautstärker verteidigten die Befürworter der Anti-Impfungs-Bewegung ihre Überzeugungen.

Wir verstärken unsere Ansichten entgegen dem Experten-Konsens, wenn Machthaber sich über ein Thema uneins sind. Eine Studie von drei amerikanischen Politikwissenschaftlern fand heraus, dass durch die fortschreitende Uneinigkeit der politischen Parteien in den letzten 25 Jahren, die Menschen dazu übergingen, tiefe Überzeugungen zu Themen zu entwickeln, die von ihrer Seite befürwortet werden, für die es aber recht wenig substanzielle Beweise gibt.

Es ist nicht nur die arme, dumme Öffentlichkeit. Die Art in der Experten über komplexe Themen denken ist genauso nebulös. Sie sind oft nicht bereit, Ansichten von außerhalb des eigenen kleinen Kreises ihrer Profession zuzulassen. Eine Studie zeigte, dass Ökonomen in ihren Arbeiten fast ausschließlich von den Ideen anderer Wirtschaftswissenschaftler inspiriert waren. Das ist ein deutlicher Unterschied zu anderen Sozialwissenschaften, die sich eher aus anderen Disziplinen bedienen. Weiterhin ist der Abstand zwischen Ökonomen und der Bevölkerung am größten - teilweise bis zu 35% Abweichung, wenn zwischen den Experten eine hohe Einigkeit herrscht.

Seien Sie also nicht überrascht, wenn die Experten ihre Warnungen über Trump, den Brexit und den Klimawandel verdoppeln und scheinbar den gegenteiligen Effekt auf die öffentliche Meinung haben. Ob wir nun alle dumm sind oder nicht, ist hierbei nicht der Punkt, aber wir können ganz sicher auch sehr stur angesichts der überzeugendsten Beweise sein.

Übersetzer: Björn Rodemund, Jörg Elbe

André Spicer ist Professor für „Organisational Behaviour“ an der Cass Business School an der City University London. Er ist Autor von „The Stupidity Paradox“.

Auf Twitter folgen: https://twitter.com/andre_spicer

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Kommentare

  1. userpic
    Norbert Schönecker

    Ein sehr vernünftiger Artikel, der auch die Welt der Experten selbstkritisch betrachtet.

    Ein Problem besteht auch noch darin, dass man zu absolut jeder Meinung auch einen bestätigenden Experten finden wird. Und wenn er der weit und breit einzige ist, der diese Meinung vertritt, dann ist er - je nach Perspektive - entweder "ein kompletter Außenseiter" oder "unabhängig".

    Der Artikel hat völlig recht: Es ist schwer, Menschen alleine mit Argumenten von ihrer Meinung abzubringen.

    Grundlegend wäre die Aufgabe, Menschen von ihrer Sturheit zu heilen, von ihrer Abhängigkeit vom sozialen Prestige (besonders schwer, weil soziales Ansehen ja an sich eine positive Sache ist), von ihrer Trägheit.
    Danke für den interessanten Artikel!

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