Das Problem negativer Existenzaussagen
Was es gibt (Originaltitel: „On what there is“) ist ein vielfach rezipierter Aufsatz aus der Feder des US-amerikanischen Philosophen Willard V. O. Quine. Wie der Titel bereits vermuten lässt, widmet sich Quine in ihm einer Reihe von ontologischen Themen, insbesondere der Universalienfrage und dem Problem negativer Existenzaussagen. Dies ist u.a. deshalb bemerkenswert, da ontologische Themen zu jener frühanalytischen Zeit (1950er), in der Quine den Aufsatz schrieb, philosophisch verpönt waren und insbesondere von den Sprachphilosophen als Scheinprobleme abgetan wurden.
Gleich zu Beginn bringt Quine die Grundfrage der Ontologie auf ihre vielleicht prägnanteste Formulierung: „Was gibt es?“ und liefert gleich hinterher eine noch bündigere Antwort: „Alles“ bzw. „Alles das, was es gibt“. Diese Feststellung mag einem noch trivial erscheinen. Während der Lektüre des nachstehenden Aufsatzes erschließt sich einem dann aber ihre Bedeutung, insbesondere dann, wenn man die Antwort so liest, dass es nur die Dinge gibt, die auch verwirklicht sind.
1. Problem negativer Existenzaussagen
Zuerst behandelt Quine das Problem negativer Existenzaussagen. Er konzipiert diesen Teil seines Aufsatzes als dialektisches Zwiegespräch zwischen ihm, Quine, und seinem fiktiven Gegenredner McX. Der Diskurs beginnt mit der Frage, was es bedeutet zu sagen: „Pegasus existiert nicht.“ (negative Existenzbehauptung)
McX meint, dass Pegasus in irgendeiner Form existieren müsse, denn wie sonst könnten wir ihm seine Existenz erst absprechen? Quine nennt dieses Problem Platons Bart. Es wird insbesondere dann relevant, wenn man wie folgt argumentiert: Pegasus ist zwar kein verwirklichter, doch wohl aber ein möglicher Gegenstand.
Feinsinnig untersucht Quine nun derartige Wege, auf denen Entitäten wie Pegasus eine Art „reduzierte Existenz“ (Subsistenz) zugesprochen werden könnten. Einer dieser Wege besteht darin, Pegasus zumindest als Idee im Geist für existent zu halten. Jedoch besteht bei gewöhnlichen Dingen, wie etwa dem Pantheon, eine große Differenz zwischen dem Ding selbst und der bloßen Idee von ihm. Es ist also problematisch zu behaupten, etwas, bspw. Pegasus, sei existent, nur weil es eine Idee von ihm gibt.
Gegen die explizite Vorstellung, manche Dinge existieren als rein mögliche und nicht verwirklichte Gegenstände, greift Quine auf das Ockhams Rasiermesser (O.R.) zurück: Das O.R. fordert uns dazu auf, nur solche Dinge zu postulieren, die man auch zu theoretischen Erklärungszwecken benötigt. Die Annahme der Existenz von möglichen Gegenständen verletzt das durch das O.R. geäußerte Sparsamkeitsprinzip, es vervielfacht den Bereich der existierenden Dinge auf unnötige Weise, und ist deshalb, so Quine, zurückzuweisen.
Außerdem führe das Postulat nicht-aktualisierter Gegenstände noch zu einer Reihe „unordentlicher Elemente“ in unserer Sprache: Sitzt auf dem Stuhl, auf dem ich gerade sitze, auch noch ein möglicher anderer Mensch? Existiert er am selben Ort wie ich? Steht in der Ecke meines Zimmers ein mögliches Känguru, das aus einem möglichen Göttinger Zoo ausgebrochen ist? Das sind alles Fragen, die es zumindest komisch erscheinen lassen, ernsthaft von möglichen Gegenständen reden zu wollen.
So oder so versagen mögliche Gegenstände aber dann, wenn wir sie auf schwierigere Beispiele als das von Pegasus anwenden. Wie sieht es zum Beispiel aus mit „die runde, quadratische Kuppel von Berkely existiert nicht“? Eine runde und zugleich quadratische Kuppel von Berkely ist nicht nur nicht verwirklicht, sondern auch nicht möglich. An negativen Existenzaussagen scheitert sodann auch das sowieso schon fragwürdige Postulat von negativen Existenzaussagen. Die Idee, logisch unmögliche / paradoxe Ausdrücke als sinnlos abzutun, verwirft Quine indes: Dann wäre die Beweistechnik des indirekten Beweises nicht mehr zulässig, denn für ihn müssen widersprüchliche Annahmen gemacht werden können.
2. Exkurs: Die Kennzeichnungstheorie
Nun unterbreitet Quine seine eigene Lösung auf das Problem negativer Existenzaussagen. Dafür bedient er sich an der Kennzeichnungstheorie Bertrand Russels (On Denoting). Ganz im Sinne der idealen Sprache möchte die Kennzeichungstheorie Sätze wie:
- Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahl
in eine logische Form bringen, in welcher kein Kennzeichnungsausdruck mehr vorkommt und welche immer entweder wahr oder falsch ist:
- Es gibt genau ein Objekt X, das König von Frankreich ist, und dieses Objekt ist kahl.
∃x [(x ist K.v.F) & ∀y [y K.v.F. à y = x) & (x ist kahl)]
Gemäß dieser Theorie ist nun die Aussage: „Die runde quadratische Kuppel von Berkeley existiert nicht“ zu analysieren als „Es gibt nicht genau ein (also kein oder mehr als ein!) Objekt X, das die Kuppel von Berkeley ist und für das gilt, dieses Objekt ist rund und quadratisch. Der glasklare Vorteil dieser Formulierung besteht darin, dass sie nicht mehr auf ein Einzelgegenstand zu referieren und damit auch keine (vorgestellte) Form der Existenz mehr zu implizieren scheint.
Da Russels Theorie jedoch nur auf Kennzeichnungen anwendbar ist, also auf Ausdrücke der Form „der/das A“, sieht sich Quine im weiteren Verlauf veranlasst, den Eigennamen „Pegasus“ durch eine allgemeine Kennzeichnung auszutauschen. Hierfür kreiert er ad-hoc das Wort „pegasiert“ und aus „Pegasus“ wird „das Objekt, das pegasiert“. Dass Quine dabei singuläre Terme durch generelle Terme (Prädikatoren) ersetzt habe, ist unwahr, Kennzeichnungen sind auch singuläre Terme.
3. Ontologische Verpflichtung
Nach getaner Substitution der Eigennamen durch Kennzeichnungen setzt eine Aussage die Existenz von Gegenständen nicht mehr implizit voraus, sondern muss in ihr explizit behauptet werden! Folglich wird eine Existenzbehauptung nur noch vermittels von Quantoren und die durch sie gebundenen Variablen ausgedrückt. Oder wie es Quine so schön formulierte: „to be is to be the value of a [bound] variable“.
Nach Quine muss unterschieden werden zwischen der Benennung und der Bedeutung eines Begriffes. Die Benennung eines Gegenstandes macht nur dann Sinn, wenn man sich auf einen konkreten Gegenstand beziehen kann. Damit geht man eine konkrete ontologische Verpflichtung ein. Sprich: Mit der Benennung Pegasus wird angenommen, dass es tatsächlich geflügelte Pferde (mindestens das eine, Pegasus) gebe. Der Kunstgriff liegt nun darin, die Benennung in eine gebundene Variable umzuwandeln und die ontologische Verpflichtung dadurch kontextuell einzuschränken, nämlich auf den Bereich, für den man hier und jetzt etwas aussagen will.
Dies ist vor allem für die Theorien der Wissenschaften von Belang. Jede wissenschaftliche Theorie muss ontologische Annahmen treffen, die über ihren eigenen Gegenstandsbereich hinausgehen. Mit gebundenen Variablen kann sie dann jedoch so eingegrenzt werden, dass die Theorie nur noch auf jene Entitäten verpflichtet ist, die die gebundenen Variablen bezeichnen müssen, damit die Behauptungen, die in der jeweiligen Theorie gemacht werden, wahr sind.
Quines kreative Sprachanalyse ist arttypisch für die Analytische Philosophie. Sein Versuch, Aussagen der Alltagssprache in eine formale Sprache zu übersetzen, um ihren logischen Gehalt transparent zu machen, ist überdies charakteristisch für einen Zweig der Analytischen Philosophie, namentlich der Philosophie der idealen Sprache.
Nicht zuletzt liefert uns Quine mit „Was es gibt“ auch einen gewichtigen Beitrag zur sprachphilosophischen Diskussion um Eigennamen: Wenn es ihm wirklich gelungen ist, Eigennamen durch Satzparaphrasierungen aufzulösen, so sind diese nur ein irreführendes Merkmal der Alltagssprache. In einer idealen Sprache würde ich dann nicht mehr als „Johannes“, sondern womöglich als „Objekt, das johannesiert“ bezeichnet werden. Komisch.
4. Universalienstreit
Wie zu Anfang bereits angedeutet befasst sich Quine auch mit dem Universalienproblem, namentlich der Frage, ob es abstrakte Gegenstände (wie z.B. Zahlen) gibt. Die Bejaher dieser Frage, die sog. Platonisten, könnten beispielsweise argumentieren, dass rote Häuser und rote Sonnenuntergänge etwas gemeinsam haben, und diese Gemeinsamkeit ein abstrakter Gegenstand ist, nämlich die Farbe Rot. Quine hält diese Ausdrucksweise von der Gemeinsamkeit für irreführend und glaubt, dass die Tatsache, dass sowohl Häuser als auch Sonnenuntergänge rot sind, für irreduzibel. „Okkulte“ Postulate wie der abstrakte, allen roten Objekten gemeinsame, Gegenstand Rot seien keine zufriedenstellende Erklärung für diese Phänomene.
Auch Bedeutungen sind in Quines Augen keine abstrakten Gegenstände. Für ihn gibt es überhaupt nur zwei Kontexte, in denen sinnvoll von „Bedeutung“ geredet werden kann, nämlich bei den Fragen: (1) ob ein Ausdruck Bedeutung habe und (2) ob zwei Ausdrücke die gleiche Bedeutung besäßen. Aber selbst in diesen Kontexten sei es nicht notwendig von Bedeutungen zu sprechen oder deren Existenz anzunehmen: (1a) Statt der ersten Frage könne man auch die Frage stellen, ob ein Ausdruck bedeutsam (significant) sei, (2a) und alternativ zur zweiten Frage könne man fragen, ob zwei Ausdrücke Synonym seien. In keinen der beiden Fälle muss die Existenz von Bedeutung als abstrakten Gegenstand angenommen werden.
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