Demenzforschung bei nicht einwilligungsfähigen Patienten
Gesundheitsminister Gröhe wird im Augenblick hart angegangen. Sein Vorschlag, demenzkranke Patienten, die nicht mehr einwilligungsfähig sind, für die weitere Erforschung der neurodegenerativen Störung zu nutzen, stößt auf viel Kritik. Der eigentlich als christlich-konservativ geltende Politiker erhält besonders aus evangelikalen und katholischen Reihen vehementen Widerspruch, andererseits sind viele freidenkerische Vertreter offen für die Überlegung. Besonderen Anstoß findet der Gedanke, dass die Erkrankten selbst keinen Nutzen mehr von den Erkenntnissen haben, die durch die Forschung an ihnen gewonnen werden. „Fremdnützige“ Vorteile bemängeln auch Grundrechtsorganisationen – und fordern die Bundestagsabgeordneten auf, einem etwaigen Gesetz nicht zuzustimmen. Weitergehende Vorwürfe an Gröhe, seine Pläne erinnerten an Zeiten des Nationalsozialismus‘ oder ähnelten tierischen Versuchslaboren, wies dieser vehement zurück.
Zunächst einmal sind Studien an und mit Menschen völlig gängig. Ohne sie wäre die Medizin nicht in der Lage, Krankheiten zu erforschen und Therapien weiterzuentwickeln. Doch die Personen, die an solchen Untersuchungen teilnehmen, können bewusst einwilligen, abbrechen oder auch widersprechen. Sie haben also die komplette Kontrolle über das, was mit ihnen geschieht. Dürfen wir also auch mit Menschen „arbeiten“, denen diese Fähigkeit nicht mehr gegeben ist? Und stellen wir uns mit diesem Wunsch nicht über die Integrität des Einzelnen, der auch im Falle von fehlender Zustimmung das Anrecht darauf hat, unangetastet gelassen zu werden? Ein anderer Aspekt scheint mir unsere Haltung zu Personen mit Demenz im Allgemeinen. Wenn wir uns nun darüber empören, dass Forschungen mit und an ihnen unethisch seien, sprechen wir ihnen dann nicht das Menschsein ab? Sind sie nicht mehr „tauglich“, um einen Beitrag für die Medizin – und damit für uns alle – zu leisten, weil möglicherweise ihre kognitiven, ihre psychischen und neurologischen Fertigkeiten dafür nicht ausreichen? Welches Bild haben wir von denen, die oftmals herablassend als die „Umhergeisternden im Altersheim“ beschrieben werden?
Demenzerkrankungen sind trotz ihrer Omnipräsenz weiterhin ein heikles Thema, ein mehr oder minder bewusstes Tabu, mit dem Viele von uns nicht so richtig wissen, wie sie damit im Alltag umgehen sollen. Da helfen auch Filme, die versuchen, die Krankheit auf eine lustige und gleichsam nachdrückliche Art und Weise darzustellen, nur bedingt. Denn eigentlich sind wir beschämt über unsere Ohnmacht. Und deshalb scheinen wir auch so allergisch zu reagieren, wenn es um die Würde der Betroffenen geht. Eine Reaktion des übermäßigen Schutzes, allein deshalb, weil wir denken, es handele sich bei den Erkrankten um diese „Armen“, denen man reflexartig zur Seite springen müsse, weil sie sich nicht mehr selbst wehren könnten.
Aber das müsste so nicht sein: Wer Menschen mit Demenzerkrankungen kennt, der lernt rasch, wie ihr Leben tickt. Eben gerade nicht so, wie wir es von unserem gewohnt sind. Da läuft tatsächlich Vieles anders im Kopf – und doch sitzt uns weiterhin ein Individuum mit Emotionen, mit Gedanken und Bedürfnissen gegenüber, das eine uneingeschränkte Würde besitzt. Und so wäre es falsch, aus peinlicher Bescheidenheit manches Verhalten einfach schmunzelnd abzutun und es allein der Krankheit unterzuordnen. Und gleichsam ist es aber auch nicht richtig, wenn wir Maßstäbe anlegen, die für uns „normal“ sind. Welche Form von Demenz auch immer – sie ist eine schwerwiegende körperliche und seelische Einschränkung. Und sie krempelt nicht nur das Dasein des Betroffenen, sondern mindestens ebenso das der Angehörigen um.
Demenzkranke wollen ernst genommen werden
Weggucken und darauf hoffen, dass alles vorüber geht, das hilft wahrlich nicht. Im Umgang mit den Erkrankten müssen wir Entscheidungen treffen – beispielsweise, unsere Liebsten nicht als leere Plastikhüllen ohne Wille oder Seele wahrzunehmen. Und wir sind dabei aufgefordert, menschliches Verständnis und gleichsam für jeden von uns notwendig erarbeitetes Hintergrundwissen in unsere Abwägungen einzubeziehen, Mitleid ist kein passender Ratgeber. Denn auch Demenzkranke wollen ernst genommen werden. Der verniedlichende Vergleich mit einem heranwachsenden Kind mag zwar in der Außenwahrnehmung zutreffen. Doch jeder an Alzheimer leidende Mensch kommt aus einem meist langen Leben, in dem er Herr seiner Sinne war und Eigenverantwortung getragen hat. Hier sind wir aufgerufen, anders zu agieren als bei jemandem, der seine Mündigkeit noch gar nicht erreicht hat.
Hinter vielen psychischen Symptomen der Demenzerkrankung steckt Angst. Sie ist Ausdruck des Bewusstseins darüber, dass uns die Kraft über uns selbst entgleitet. Gerade in den Anfängen dieses oftmals lang andauernden Prozesses empfindet der Betroffene zutiefst, wie er von seinen bislang gewohnten kognitiven, motorischen und funktionalen Fähigkeiten plötzlich und nicht selten rasant verlassen wird. Die Persönlichkeit ändert sich schlagartig. Das, was bisher vertraut war, wird plötzlich fremd. Und das, was man fest in Händen hielt, gerät auf einmal aus allen Fugen. Dass solch ein Wandel nicht spurlos an gestandenen Personen vorübergeht, ist eine Tatsache, die auch Außenstehende begreifen müssen, wenn sie sich hilflos fühlen im Miteinander.
Der Spagat zwischen Würdigung der besonderen Situation und dem Versuch, ein Weiterleben mit möglichst viel Gewohnheit zu ermöglichen, ist eine Herausforderung ungeahnten Ausmaßes. Und dafür die ausgeglichene Mitte zu finden, dafür braucht es ein selbstbewusstes Auftreten gegenüber den Betroffenen, denen man durchaus zumuten kann, sich schon in früheren Jahren zu entscheiden, was mit ihnen bei einer Demenz geschehen soll. Um die Fähigkeiten von Demenzkranken tatsächlich zu erfahren, dient uns allein die Praxis, an der wir am besten teilhaben können, wenn wir uns nicht verunsichert umdrehen, sondern interessiert und mutig auf Menschen mit Demenz zugehen, die uns täglich begegnen – wenn wir denn wollen. Im Angesicht dessen, dass die Dringlichkeit zur Auseinandersetzung mit altersbedingten Erkrankungen beständig wachsen dürfte, sind wir besser heute als morgen angehalten, die Welt einmal mit anderen Augen wahrzunehmen.
Es braucht stets eine medizinische Begleitung
Und genau deshalb sind wir angehalten, den Demenzbetroffenen der Zukunft schon heute zu ermöglichen, selbstbestimmt für eine eventuelle Zeit der tatsächlichen Hilflosigkeit Entscheidungen zu treffen. Wir haben in Deutschland glücklicherweise das verlässliche Instrument der Patientenverfügung entwickelt. Es liegt in der Abwägung jedes Einzelnen, wie in Situationen der fehlenden Kräfte mit ihm umgegangen werden soll. Genau für solche Umstände wird im Zustand voller geistiger Reife festgelegt, was passieren darf – und was eben nicht. Warum kann dort also nicht künftig auch vermerkt werden, ob bei zunehmender Altersdegeneration eine Forschungsteilnahme erlaubt ist? Mit der konkreten Zustimmung zu solchen Maßnahmen in einer Verfügung, die explizit benannt und eingeschränkt werden können, wird mehr Sicherheit geschaffen. So können bestimmte Tests gleichermaßen auch abgelehnt und der Wille des Betroffenen schon weit im Voraus eindeutig festgelegt werden.
Gleichwohl ist es nicht einfach, sich heute vorzustellen, wie es ist, im Zustand einer Demenz auf etwaige Untersuchungen zu reagieren, an deren Einwilligung man sich nicht mehr erinnert. Ebenso bleibt schwierig zu klären, ob es moralisch erträglich ist, Forschung an Menschen zu betreiben, die genau darüber nicht länger Bescheid wissen, praktisch hilflos sind und nicht reagieren können, wenn ihnen plötzlich etwas doch missfällt, wozu sie noch vor Jahren eingestimmt haben. Deshalb kann und darf solch ein Studienleben nicht so erfolgen wie das bei einem einwilligungsfähigen Menschen. Es braucht stets eine medizinische Begleitung, die die Zumutbarkeit prüft, gegebenenfalls auch einen rechtlichen Beistand, der das Einhalten der Verfügung garantiert. Kriterien sind nötig, um sicherzustellen, dass ethische Grenzen nicht überschritten, die Gesundheit des Probanden nicht gefährdet und der erklärte Wille des Patienten nicht ausgenutzt werden.
Ja, Demenzkranke im weit fortgeschrittenen Stadium werden vermutlich von den Ergebnissen der Forschung an ihnen nicht mehr profitieren können. Wer hier den „Fremdnutzen“ kritisiert, der argumentiert zutiefst egoistisch. Die Oma, die für ihren Enkel Lotto spielt, wird vom Geld auch nicht mehr viel haben. Aber sie tut es trotzdem, für die Nachwelt. Und derjenige, der sich einen Organspendeausweis besorgt, weiß auch, dass er mit seiner Bereitschaft zur Hergabe seiner Niere nichts mehr für sich, aber für Andere tun kann, die ebenso das Recht auf ein möglichst gesundes Leben haben, auch wenn ich tot sein werde. Es kommt einer völligen Arroganz gleich, mit den Überlegungen von fehlenden Vorteilen Gröhes Vorstoß abzutun. Wir existieren nicht nur für uns allein, sondern wir haben eine Verantwortung. Und wenn wir dazu beitragen können, der nächsten Generation Leid zu nehmen, dann ist es unsere menschliche Pflicht, nicht allein das eigene Ich in den Mittelpunkt zu stellen, sondern solidarisch an die zu denken, die noch kommen werden. Denn auch ich habe möglicherweise von der Wissenschaft meiner Zeit Vorteile genossen, dann sollen es auch die Nächsten tun.
Man kann und muss mit den Gedanken des Bundesgesundheitsministers ringen. Aber ich meine, es gibt gute Lösungen, um die Ängste auszuräumen, die nun aufgebaut werden. Wir leben heute in einem verantwortungsvollen Rechtsstaat, der überhaupt nichts mit dem gemeinsam hat, was in den grausamsten Momenten der deutschen Geschichte geschah. Es geht nicht um Eigennutz, es geht nicht um Willkür. Forschung soll nicht quälen, sie soll helfen. Ich bin überzeugt, dass dies behutsam geschehen kann, wenn wir die richtigen Regeln dazu aufstellen. Für mein Verständnis ist es ein humanistisches Soll, an einem Gesetz zu arbeiten, das Demenzkranken der Zukunft Schwermut und Lasten erspart.
Kommentare
Sofort Stoppen, Verantwortungsvollen Rechtsstaat lächerlich wo ist heute die Gesundheitfürsorge geblieben wer schaut in den Einrichtungen wo heute Demenzerkrankte leben minnimalistische Pflege an ihre Lebensgewohnheiten angepassten, Angehörige die den Zustand nicht aushalten können, Hinweise das Pflegefachkräfte fehlen zummal die für dieses Krankheitsbild speziellen Ausbildung benötigen nicht nur Krankenschwester die in den Heimen arbeiten, wer übernimmt die Verantwortung dafür das die Medizinische und rechtliche Beistand übetprüft das die ethische Grenzen eingehalten wird, wo bleibt die Menschenwürde
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Ich lese aus diesem Artikel viel Liebe für Demenzkranke heraus.
Die Idee mit der Patientenverfügung ist ganz ausgezeichnet, zumal Demenz ja normalerweise nicht etwas ist, was man von heute auf morgen bekommt. Es bleibt dem Betroffenen Zeit, bei klarem Verstand darüber nachzudenken.
Auch der Hinweis, dass der Demenzkranke später von seiner eigenen Verfügung womöglich/wahrscheinlich nichts mehr wissen will, ist gut beobachtet. Das wird wahrscheinlich ein ernsthaftes Problem, weil ja - wie Herr Riehle zutreffend schreibt - der Patient weder ein recht- noch ein willenloses Wesen wird, sondern seine Menschenwürde behält.
Zur Zeit brauchen Demenzkranke vor allem liebevolle, zeitaufwändige Zuneigung. Das schließt mediziniche Forschung nicht aus, darf aber nicht hintangestellt werden.
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