Wo Vertrauen in die Demokratie fehlt, entsteht Demokratie-Verachtung

Der Verlust von Zukunftsglauben ist ein Problem für die Demokratie.

Wo Vertrauen in die Demokratie fehlt, entsteht Demokratie-Verachtung

Foto: Pixabay.com / geralt

Sie lebt auch von der Hoffnung, dass Dinge besser werden. Daran aber glauben immer weniger. Kein guter Zustand, denn wo Vertrauen in die Politik schwindet, grassiert Demokratie-Verachtung sagt unser Autor Helmut Ortner.

Bert Bosch-Rossacher (BBR): Nicht zuletzt die jüngsten Wahlerfolge rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien in Deutschland und Österreich beruhen zu einem guten Teil darauf, dass die liberale Demokratie offenbar zunehmend vielen Menschen eher als Mangel denn als Gewinn erscheint. Ist unsere Demokratie ernsthaft gefährdet?

Helmut Ortner (HO): Wir leben in turbulenten Zeiten. Die Hoffnung auf eine fortschreitende globale Demokratisierung und eine dauerhafte Weltfriedensordnung, die noch vor Jahren als Möglichkeit erschien, hat sich aufgelöst. Stattdessen weltweit Krieg, Flucht, Hunger. Dazu das menschgemachte Klima-Desaster. Die Hoffnung, diese Probleme lösen zu können, schwindet. Vor allem der Verlust von Zukunftsglauben diese Probleme zu lösen, ist ein Problem, denn Demokratie lebt auch immer von der Hoffnung, dass Dinge besser werden. Doch daran glauben viele Menschen nicht mehr. Demagogen, Populisten und Autokraten aller Couleur erkennen das und nutzen diese Ängste, um die Demokratie schwächen. Und viele Menschen folgen ihnen allzu bereitwillig. Wo Vertrauen fehlt, entsteht Enttäuschung, Teilnahmslosigkeit und Verachtung.

BBR: Der Eindruck, die Entwertung der Demokratie schreitet voran - ist dieses Bild falsch?

HO: Eindrücke basieren ja nicht unbedingt auf Fakten. Sie formen sich aus subjektiven Wahrnehmungen und Erlebnissen, die unsere Sicht auf die Welt bestimmen. Die demokratischen Parteien haben allesamt massiv an Vertrauen verloren.

BBR: Das Parteien-System, die liberale Demokratie insgesamt steht auf dem Prüfstand. Gerät sie gerade in Schieflage?

HO: Demokratie ist eine fragile Konstruktion. Es braucht Transparenz und Vertrauen. Das ist die Währung der Demokratie. Mangelt es daran, schafft es ein Klima des Misstrauens, der Angst, der Aggression. Notwendig aber ist ein kollektives Einverständnis, eine breite Zustimmung „ein gesellschaftlicher Konsens“. Und es braucht die Bereitschaft des Einzelnen, sich zu „vergemeinschaften“, sich aktiv einzubringen und zu engagieren. Unser demokratisches Gemeinwesen lebt von Teilnahme und Teilhabe, von Verpflichtung und Verantwortung, Vom ICH zum Wir - das ist die Formel, die sich eine demokratische Gesellschaft im besten Falle selbst auferlegt - und lebt.

BBR: Was ist zu tun gegen die Erosion demokratischer Errungenschaften? Was gegen die grassierende Demokratie-Verachtung?

HO: Die Wahlergebnisse in Deutschland und in Österreich, wo die AFD und die FPÖ nahezu 30 Prozent der Stimmen bekommen haben, zeigen, dass sich viele Menschen von den traditionellen Partien abwenden, weil sie ihnen nicht mehr vertrauen, deutlicher: ihnen misstrauen. Nun gibt es Stimmen, die sagen: Solange gewählt wird, haben wir eine intakte Demokratie. Und dabei sei es egal, wer am Ende gewählt wird. Ich mag dem nur bedingt zustimmen.

BBR: Aber freie Wahlen repräsentieren den Willen der Bürgerinnen und Bürger. Sie sind der Souverän.

HO: Ja, selbstverständlich. Ergebnisse von freien, gleichen und geheimen Wahlen sind zu respektieren. Wenn man solche Ergebnisse vermeiden möchte, sollte man eine Politik machen, dass solche Wahlergebnisse erst gar nicht zustande kommen. Aber mir fällt es schwer zu begreifen, wie jemand einer rechtsradikalen, zum Teil faschistischen Partei wie der AFD oder der FPÖ seine Stimme gibt, die Gesetze und Instrumente unseren Rechtsstaat aggressiv dazu nutzen - ihn zu beschädigen und zu verhöhnen. Wer Anti-Demokraten wie Kickl wählt, ist für mich ein Demokratie-Verächter.

BBR: Demokratie-Kritik ist keine Demokratie-Verachtung, sondern deren essentieller Bestandteil. Wo verläuft die Grenze? Ist jede Stimme für radikale Parteien schon ein Angriff auf unsere parlamentarische Demokratie?

HO: Nein, in einem Rechtsstaat klären das Gerichte - und gegen deren Urteile kann man Rechtsmittel einlegen. Doch unübersehbar ist, dass die radikalisierte Peripherie der Gesellschaft auch von Menschen der bürgerlichen Mitte besiedelt wird. Populismus und Demokratie-Verachtung greift nicht nur an den Rändern, sondern zunehmend auch auf dem Golfplatz. Wir müssen da aufpassen, was den demokratischen Himmel verdunkelt: Gesellschaften können Zivilität lernen - und verlernen. Es gibt einen Prozess der Ent-Demokratisierung, der nur schwer reversibel ist. Das sollte uns bewusst sein.

BBR: Aber notwendig sind Kritik und Gegenrede - auch laute, radikale und „system-ablehnende“.

HO: Unbedingt. Eine Demokratie lebt von Auseinandersetzung, Disput und Gegenrede. Das ist der Sauerstoff für die Demokratie. Es geht aber auch darum, unsere offene Gesellschaft gegen ihre falschen Freunde und richtigen Feinde zu verteidigen. Gleich ob von rechts oder links. Gegen politischen Fanatismus und religiösen Wahn. Mein Buch versteht sich als ein Plädoyer zur Verteidigung der offenen Gesellschaft, aber auch als Ermunterung zum produktiven Streit.

Interview: Bert Bosch-Rossacher

Helmut Ortner, Jahrgang 1950, hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht. Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt. Helmut Ortner ist Mitglied bei Amnesty International und im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung. Eine Answahl seiner Bücher: Der Hinrichter - Roland Freisler, Mörder im Dienste Hitlers, Der einsame Attentäter - Georg Elser und EXIT: Warum wir weniger Religion brauchen - Eine AbrechnungWiderstreit: Über Macht, Wahn und WiderstandVolk im Wahn - Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit und Das klerikale Kartell.

Sein neues Buch Heimatkunde - Falsche Wahrheiten. Richtige Lügen erscheint am 15. Oktober 2024.

Über das Buch

Es geht um verdrängte deutsche Vergangenheit und kontaminierte Gegenwart, um religiöse Anmaßung und säkulare Verteidigung, um populistische Politik und Demokratie- Verachtung. Um Autonomie und Konformismus. Kurzum: Es geht um unsere Demokratie. Wir brauchen den produktiven Streit, die Gegenrede und die öffentliche Debatte. Demokratie, sagt Helmut Ortner, ist nicht unbedingt Gemeinschaft, Demokratie ist vor allem Gesellschaft, also das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Interessen, Sichtweisen und Meinungen. Seine Essays verstehen sich als Plädoyers für eine offene, reflektierte Streitkultur.

Helmut Ortner: Heimatkunde - Falsche Wahrheiten. Richtige Lügen.

Politische Essays - Edition Faust - 208 Seiten, 22 Euro - 15.10.2024

Kommentare

  1. userpic
    uwe hauptschueler

    "GG Art 20
    (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke ... und Abstimmungen ... ausgeübt."
    Als die AfD einen Gesetzentwurf für direkte Demokratie eingebracht hat, haben alle anderen Parteien des Bundestages ohne Gegenentwurf dagegen gestimmt.
    ht*tps://www.abgeordnetenwatch.de/bundestag/20/abstimmungen/einfuehrung-von-bundesweiten-volksentscheiden#poll-content
    Ein Land, ohne die Möglichkeit von Volksabstimmungen, ist keine Demokratie.

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    1. userpic
      RPGNo1


      Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 20
      (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

      Es ist nicht empfehlenswert, nur selektiv zu zitieren. Das lässt schnell den Verdacht aufkommen, dass es nicht um die Sache an sich geht, sondern eine aktivistische Agenda verfolgt wird.

      Und der letzte Satz ist einfach nur Unsinn, denn Deutschland ist eine repräsentative Demokrati bzw. genauer plebiszitäre Demokratie.

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      1. userpic
        hjvl

        Vielen Dank für diese überfällige Aufklärung. Denn nichteinmal der basisdemokratischste Mensch möchte auch noch über jedes Verkehrsschild abstimmen müssen! Statistisch repräsentative, geloste Bürgerräte zu Themenbereichen sind geeignetere Möglichkeiten innovativer Demokratien, um dem Bürgerwillen gerecht zu werden.

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