Der Rat der Stadt Werl hat einen Antrag auf Umbenennung der Straße „Kleinsorgenring“, die 1961 nach Angaben der Stadt nach der Familie Kleinsorgen, einer angeblichen Patrizierfamilie, benannt wurde, abgelehnt.
Aus der Familie Kleinsorgen stammen Hexenjäger, die in Werl und im kurkölnischen Herzogtum Westfalen ihr mörderisches Unwesen trieben. Mit der Beibehaltung des Straßennamens konterkariert der Werler Bürgermeister sein Versprechen für eine „würdige Gedenkkultur“ der Opfer der Werler Hexenverfolgung. Statt „würdiger Gedenkkultur“ für die Opfer des Hexenwahns ehrt die westfälische Klein- und Wallfahrtsstadt Werl eine angebliche „Patrizierfamilie“, aus der „Hexenjäger“ und einer der schrecklichsten Massenmörder in der Geschichte der deutschen Hexenverfolgung hervorgegangen sind, mit einem Straßennamen.
Die am Stadtrand gelegene Straße in einem Wohngebiet mit wenigen Ein- und Zweifamilienhäusern wurde 1961 auf Vorschlag des kath. Prälaten Rudolf Preisinger vom Rat der Stadt Werl nach der „Patrizierfamilie“ Kleinsorgen benannt. Ob der kath. Geistliche das Wirken der „Hexenjäger“ aus der Familie bei seinem Vorschlag im Blick hatte, ist nicht bekannt. Ebenso wenig ist bekannt, ob er die Existenz von Hexen leugnete.
Gerhard Kleinsorgen, kurfürstlich kölnischer gelehrter Rat, kam nach Studium der Rechtswissenschaften um 1556 nach Werl, nach dem seine Familie, die am Katholizismus festhielt, aus dem protestantischen Lemgo geflüchtet war. Die westfälische Kleinstadt, geprägt durch Landwirtschaft inmitten der Soester Börde (Ackerbürger), wurde wegen ihrer Salzgewinnung aus Solequellen von reichen Sälzerfamilien (Erbsälzer) dominiert.
Der „Saufbruder“ Kleinsorgen
Lizentiat G. Kleinsorgen wurde in Werl Vorsitzender des Offizialgerichts, das für „geistliche und weltliche Angelegenheiten“ zuständig war. Als „Kalandsherr“, Mitglied einer Bruderschaft, die sich „Wohltätigkeiten“ für Arme und Bedürftige verschrieben hatte, gelangte er, wie viele seiner Mitbrüder, zu Reichtum. Die kalendarisch, daher der Name dieser Bruderschaften, festgelegten Treffen, arteten nicht selten in Sauf- und Fressgelage aus. In protestantischen Gebieten wurden die Bruderschaften aufgelöst oder als Saufbrüder verspottet: „Er calendert die ganze Woche hindurch“. Als der „Patrizier“ und kath. Geistliche G. Kleinsorgen „Frau von Brandis“, eine Frau aus dem Werler Erbsälzer Patriziat, das die alleinigen Rechte zur Salzgewinnung aus einer damals noch reichlich fließenden Solequelle in Werl hatte, heiratete, gab er sein geistliches Amt auf. Er wurde kurfürstlicher Rat für das Herzogtum Westfalen und mehrte seinen Reichtum. Schenkungen oder Lehen wurden ihm in Werl und Umgebung übertragen.
Geschichtsfälscher?
Als Geschichtsschreiber machte er sich bis 1583 als Verfasser der Westfälischen Kirchengeschichte einen Namen. Ob er immer der Urheber der Schriften war, ist strittig. Dass er seine persönliche Geschichte, insbesondere als Vorsitzender des Offizialgerichts und der damit zusammenhängenden Urteile, mindestens zurückhaltend beschrieben haben dürfte, ist kaum zu bezweifeln. Von „Hexenprozessen“ mit Verurteilungen vom Werler Gerichtsstuhl, von dem aus das Gericht seine Urteile fällte, ist aus der Amtszeit R. Kleinsorgens wenig bekannt. Dass solche Prozesse auch in der Amtszeit von G. Kleinsorge geführt wurden, geht schon allein aus den wenigen, aber dokumentierten, „Hexenprozessen“ mit Freisprüchen hervor. Da das Werler Offizialgericht für das Herzogtum Westfalen zuständig war, war Werl mit seinen Honoratioren (den Patrizierfamilien der Erbsälzer) die „Hochburg“ der „Hexenprozesse“. Schätzungen gehen davon aus, dass durch Werler „Hexenkommissare“ bis zu 800 Menschen ermordet wurden.
Der Massenmörder mit „Exstirpationsprogramm“
Einer der Massenmörder kommt aus der „Patrizierfamilie“ Kleinsorgen. Der Sohn des Gerhard Kleinsorgen, Dr. Christian Kleinsorgen, war einer der Nachfolger auf dem Gerichtsstuhl des Offizialgerichts , der in der Werler Propsteikirche St. Walburga bis heute in Ehren gehalten wird.
Dass ab 1628 die Opferzahlen in Werl explodierten, dürfte auch damit zusammen hängen, dass der „Patrizier“, Dr. Christian Kleinsorgen, seinen Reichtum zu mehren gedachte. Für ein sogenanntes vom Kurfürsten angeregtes „Exstirpationsprogramm“ zur Lösung der „Hexenfrage“, wurde ihm alleinige Entscheidungsgewalt übertragen. Vergleiche mit „Endlösungsfragen“ in der deutschen Geschichte verbieten sich und sollen auch hier nicht gestellt werden. Mit dem „Exstirpationsprogramm“ sollte auch die Kostenfrage für “Hexenprozesse“ generell geregelt werden. Mit einer Verordnung von 1628 sollten die Angeklagten und deren Angehörige für die Prozesskosten aufkommen. Ihr Hab und Gut konnte eingezogen werden!
1628 hatte Werl ca. 1500 bis 2000 Einwohner. Dr. Christian Kleinsorgen wütete unter der Werler Bevölkerung, die innerhalb von 2 Jahren allein in Werl mindestens 73 namentlich bekannte Opfer zu beklagen hatte! Die Namen der Opfer und Auszüge aus einem Prozessprotokoll sind hier aufgeführt.
Kaum vorstellbar, welcher Horror von solchen „Patrizierfamilien“ und ihren Helfern und Vollstreckern aus Kirche und Staat über die kleine Ackerbürgerstadt gebracht wurde. Man fragt sich, welcher Verdrängungsmechanismus noch heute eine Distanzierung und Ächtung von solchen „Patrizierfamilien“ verhindert, dass man meint, sie mit Straßennamen ehren zu müssen?
Weitere Verfolgungswellen durch Werler „Patrizierfamilien“ im Verbund mit Staat und Kirche hat es nachweislich bis Ende des 17. Jahrhunderts in Werl gegeben.
Marienverehrung und Hexenwahn
Auch die Werler Marienwallfahrt zum Gnadenbild der „Trösterin der Betrübten“, die 1661 begann, ist eng mit der „Hexenverfolgung“ verbunden, wie der Werler Kirchenforscher Dr. Rudolf Fidler untersucht hat. Mit der Überführung einer Madonnenstatue mit Jesuskind aus der Kirche „Maria zur Wiese“ in Soest, deren Gemeinde zum Protestantismus übergetreten war, nach Werl, glaubte man, die „Gottesmutter“ zur Fürbitte für die Stadt gewinnen zu können. Werl war nicht nur im 30jährigen Krieg wiederholt durch Belagerung, Epidemien und Feuersbrünste in Mitleidenschaft gezogen worden, für die im Hexenwahn auch „Hexen und Zauberer“ verantwortlich gemacht wurden. Maria hilf! Zum 350. Wallfahrtsjubiläum hatten wir auf die Problematik der Werler Marienwallfahrt im Zusammenhang mit der „Hexenverfolgung“ hingewiesen und eine Rehabilitierung der Opfer und deren würdiges Gedenken, zumal 73 aus Werl namentlich bekannt sind, gefordert. Alle Versuche, das Thema in Werl öffentlich zu machen, scheiterten damals am Widerstand der örtlichen Presse, die in den Folgejahren das Thema halbherzig und lückenhaft behandelte. Zu Wort kamen Beschwichtiger und Abwiegler.
Opfergedenken mit Öffnungszeiten
Ende 2011 entschloss sich der Werler Bürgermeister, auch im Gedenken an die durch die Nazis aus Werl verfolgten und vertriebenen Juden, eine „würdige Gedenkkultur“ auch für die Opfer der „Hexenverfolgung“ zu schaffen. Werl hat es nicht nur in der „Hexenverfolgung“, sondern auch in der Judenverfolgung zu trauriger Berühmtheit gebracht. Die sogenannte „Werler Schandsäule“, eine drei Meter hohe Säule, die 1938 auf dem Werler Marktplatz die Werler Juden verhöhnte und zum Verlassen der Stadt aufforderte, zeugt davon. Nachdem für das Gedenken an die aus Werl vertriebenen Juden 5 Jahre ins Land gingen, wurde das Gedenken an die Opfer der Hexenverfolgung in das örtliche Heimatmuseum versteckt. Öffnungszeiten, täglich, außer montags, von 15.30 Uhr bis 17.30 Uhr.
Wer meint, hier würde der Opfer in „würdiger Gedenkkultur“ gedacht, sieht sich getäuscht. Kein „Gruselkabinett“ habe man schaffen wollen und meint, sich in der Lokalpresse (Soester Anzeiger) stolz vor einem „Scheiterhaufen“ präsentierend, dass „Hexenverfolgung“ Gesetz war und (nur?) „von Fanatikern in Kirche und Staat in Gang gesetzt“ und „übereifrig karriere- und vermögensfördernd, unmenschlich umgesetzt und ausgeführt“ wurde, wie Inschriften an den Wänden des „Hexenraumes“ belehren? In einem Videoclip läuft in Endlosschleife ein Beitrag aus einem drittklassigen Film mit Laiendarstellern über Folter und „Hexenverbrennung“.
Die „Lehrinhalte“ der Wandsprüche sprechen für sich. Den Tätern wird lediglich ihre Motivation sowie die Art und Weise der Umsetzung ihres gesetzmäßigen Handelns vorgeworfen. Dass der Opfer, selbst wenn sie im Raum namentlich benannt und die Geschichte der Werler „Hexenverfolgung“ und die Verfolgung in Deutschland und Europa in Auszügen und für den Besucher erschlagend dargestellt werden, weder „würdig“ gedacht wird noch eine seriöse geschichtliche Aufarbeitung erfolgt, geht offenbar weder dem Bürgermeister noch den Machern auf.
Straßenschild als Schandsäule
Diese Stadt, die sich 2014 den Titel „Wallfahrtsstadt“ zugelegt hat, setzt sich mit der Ehrung einer Hexenjägerfamilie mit einem Straßennamen – „Kleinsorgenring“ eine erneute „Schandsäule“, die in ihrer moralischen Verkommenheit an die „Judenschandsäule“ erinnern könnte. Dass die Opfer erneut vergessen und die Täter geehrt werden, schien der Mehrheit der Ratsmitglieder des Werler Stadtrats offenbar nicht aufzugehen, als über die Beibehaltung des Straßennamens „Kleinsorgenring“ in der Ratssitzung Ende 2016 abgestimmt wurde. Man wolle die gesamte Familie Kleinsorgen nicht in „Sippenhaft“ nehmen, wurde aus Nazisprech weinerlich in einer vorausgegangenen Ausschusssitzung von einer Grünen Abgeordneten, von der man einen solchen Vortrag zuletzt erwartet hätte, vorgetragen.
Durch welche, alles Handeln der „Hexenjäger“ überstrahlenden, glorreichen Taten und Leistungen sich die „Patrizierfamilie“ für die Stadt hervorgetan haben könnte, durch die heraus eine Ehrung der Familie zu fordern wäre, blieb in den Sitzungen im Dunkeln.
Zu wenige Häuser? Dass auch dieser erneute, sich gegen die Opfer der Werler „Hexenverfolgung“ richtende Akt der Mehrheit des Werler Rates (eine Gegenstimme) der Öffentlichkeit weitgehend verborgen blieb, hängt ebenfalls mit der Werler Lokalpresse zusammen, die nicht bereit war und offensichtlich auch weiterhin nicht bereit zu sein scheint, das Thema auch nur ansatzweise objektiv zu behandeln, von kritischer Betrachtung erst gar nicht zu sprechen.
Wie in der Öffentlichkeit mit der Thematik umgegangen wird, zeigt sich auch am Umgang eines großen Hamburger Nachrichtenmagazins mit dem Vorgang in Werl, für den sich dessen NRW Landesredaktion zunächst scheinbar interessiert zeigte.
Letztlich wurde das Thema nicht aufgegriffen, da, wie eine Reporterin des Magazins aus der Düsseldorfer Redaktion mitteilte, „die Meldung nun doch nicht mitgegangen (sei), eine Straße mit so wenigen Häusern erschien meinem Ressortleiter nun doch nicht so relevant“, so die Reporterin. Noch Fragen?
In den Konflikt, Straßen oder Plätze mit mehr oder weniger Häusern, die nach dem von Kritikern des „Lutherjahrs 2017“ als Menschenfeind, Judenhasser und „Hexenverfolger“ bezeichneten Martin Luther benannt wurden, umbenennen zu müssen, kommt die Stadt Werl nicht. Entsprechende Initiativen, wie sie von der Giordano-Bruno-Stiftung im „Lutherjahr 2017“ unterstützt werden, laufen in Werl ins Leere. In der vom Katholizismus geprägten Stadt war weder für Straßen oder Plätze der Name Martin Luther je vorgesehen noch vorgeschlagen worden. Lediglich ein Evangelischer „Martini Kindergarten“ versteckt Luther als „Martini“ in der Namensgebung.
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