Der weltliche Ehrengast der Woche: Gott auf Facebook (God on Facebook)

Die Richard Dawkins Stiftung für Wissenschaft und Vernunft hatte das Glück, ein Interview mit Gott selbst führen zu können. Nun, mit Gott auf Facebook. Hinter dem lustigen Mem lernten wir einen Menschen kennen, dem es ein Anliegen ist, anderen zu helfen und kritisches Denken voranzutreiben.

*Wichtiger Hinweis*
Als Teil des Interviews wurde der Richard Dawkins Stiftung die Identität von Gott auf Facebook bestätigt sowie die Angaben seines letzten Spendenaufrufs, dass seine Mutter kürzlich verstorben ist und sein Vater offene Schulden hat.

RDF: Sie sind also der Mann hinter Gott, wie kam es dazu? Wie ich höre, haben Sie eine Menge Fans, die nicht nur mögen, was Sie schreiben, sondern tatsächlich selbst Hilfe brauchen.

Gott auf Facebook: Das stimmt. Nun, es hat damit begonnen, dass ich Menschen zum Lachen bringen wollte, ich wollte Komödien schreiben; das war schon immer mein Traum. Und im Laufe der Zeit bekam ich eine Menge Hassbriefe von wütenden Christen und dergleichen, und ich antwortete ihnen auf lustige oder höfliche Art. Manchmal zog ich Bibelsprüche hervor und hielt sie ihnen vor die Nase, und dann postete ich diese Gespräche. Die Leute liebten das, denn das ist unglaublich komisch.

Das alles geschah im ersten Jahr der Facebook-Seite. Und dann gelangte ich an einen gewissen Punkt, wo mir jemand schrieb und sagte: „Ich glaube, ich werde heute Nacht Schluss machen, ich möchte nicht weiterleben…“

RDF: Oh Gott, und was geschah dann?

Gott auf Facebook: Ich schrieb zurück und sagte: „Bitte, tu das nicht…“, und mit der Zeit wurde mir klar, dass das Gesetz von einem verlangt, dass man diese Menschen auf Hilfsquellen hinweist, die sie nutzen können. Eine Zeitlang sagte ich nur: „Bitte, tu das nicht, es gibt so viel, wofür es sich zu leben lohnt“, und versuchte, es ihnen auszureden, und dann wurde mir eines klar. Wissen Sie, ich schreibe ja nur Komödien, und es geht nur um Kommunikation auf Facebook – und doch half es den Leuten zu wissen, dass jemand, von dem sie ein Fan waren, ihnen antwortete. Wenn ich mich umbringen möchte, und George Carlin würde mit mir reden und mir sagen, ich soll es nicht tun, das wäre doch stark.
Aber was noch stärker hilft, ist, wenn diese Menschen das Gespräch mit einem professionellen Therapeuten suchen; mit jemandem, der das täglich macht. Also begann ich damit, die Telefonnummer der nationalem Selbstmord-Hotline zu verteilen und einen wirklich guten Link, auf den ich gestoßen war, und ich sagte: „Lies zuerst das, wenn du Selbstmordgedanken hast“. Diese Website ist wirklich fantastisch. Das war also meine Standardantwort zu diesem Zeitpunkt. Ich bekomme Hunderte Nachrichten jeden Tag, und 90% davon lauten „Ich liebe das, was du hier machst, mach weiter“, und manche lauten vielleicht „Mein Kätzchen ist gestorben und ich bin traurig“, das ist das untere Ende des Spektrums an Leuten, die Hilfe brauchen. Was ich hauptsächlich mache, ist, dass ich die Nachrichten überfliege, um vielleicht auf jemanden zu stoßen, der sagt: „Ich will alles beenden“, weil das die Leute sind, denen geholfen werden muss, das sind diejenigen, die jemanden brauchen, der ihnen antwortet.

Manchmal, wenn ich genug Zeit habe, antworte ich auch anderen Leuten; gestern war da ein Kerl, der sagte, dass er die Lyme-Krankheit hat und wahrscheinlich eine Belastung für seine Familie ist, und ich antwortete ihm mit dem Gedicht von Dylan Thomas, „Do Not Go Gentle Into That Good Night“, und dann postete ich diese Unterhaltung, wobei ich natürlich seinen Namen und sein Bild verdeckte. Und ich sagte: „Hallo alle zusammen, zeigen wir doch Jeff unsere Unterstützung“. Und die Leute auf meiner Seite sind einfach unglaublich, es kamen über tausend Kommentare von Menschen, die ihm Mut zusprachen. Und nicht nur das, manche von ihnen, die in derselben misslichen Lage waren, posteten informative Links und Namen von Ärzten und ähnliches.

Später schrieb ich ihm noch einmal und sagte: „He, Jeff, sieh dir doch diesen Link an und lies auch wirklich jeden Kommentar. Du solltest versuchen, mit diesen Ärzten zu reden“, und er war so dankbar, weil es wirkliche logistische und informative Hilfe war, die ihm zur Verfügung stand.

RDF: Sie haben einen Spendenaufruf für Ihren Vater gemacht… aber im Grunde ist es eine Spendenaktion, um die Arbeit zu unterstützen, die Sie hier kostenlos machen. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, Ihrem Vater einen Urlaub zu spendieren, anstatt Geld für die Krebsforschung oder dergleichen aufzutreiben?

Gott auf Facebook: Vor einem Monat, eine Woche vor Thanksgiving, starb meine Mutter überraschend an Herzstillstand, und ich fuhr zum Begräbnis, und danach musste ich wieder heim. Am Tag vor Thanksgiving rief mich mein Vater an und sagte, dass es keine Lebensversicherung gab. Er hatte geglaubt, dass er der Anspruchsberechtigte der Versicherung meiner Mutter sei. Wir hatten gedacht, diese schreckliche Sache ist passiert, aber immerhin wird er es überstehen… Dann fand er heraus, dass sie ihre Lebensversicherung vier Monate zuvor aufgelöst hatte… Er klang, als ob er sterben würde, er weinte sich die Augen aus, also startete ich wie benebelt diese Kampagne, um ihn mit dem Geld vielleicht wieder aufzumuntern. Meine Frau versuchte, mich davon abzuhalten, aber ich tat es trotzdem. In der ersten Nacht gingen 5.000 Dollar ein und innerhalb von 24 Stunden über 20.000 Dollar.

RDF: Das ist erstaunlich, herzlichen Glückwunsch. Wie ich sehe, liegen die Spenden jetzt bei über 36.000 Dollar, hoffentlich beteiligen sich noch viele von uns, um Ihnen zu helfen.

Gott auf Facebook: Ich wollte jedenfalls, dass die Kampagne nicht weiter bekannt gemacht wird, weil sie das ursprüngliche Ziel von 5.000 Dollar weit überschritten hat, aber wenn eine Indiegogo-Kampagne einmal gestartet ist, kann man sie nicht mehr beenden… Und ich widme das Geld ja wohltätigen Zwecken, ich gebe es meinem Vater, der ein Fall für die Wohlfahrt ist, und die Leute, die gespendet haben, wissen das. Viele sagten, der Grund, warum sie gespendet haben, ist, weil ich ihnen in der Vergangenheit geholfen habe.

Es ist für mich ein wundervoller Moment in meinem Leben, ich hatte nicht mit dieser Reaktion gerechnet, aber das Gesamtbild ist: Ich habe mir jeden Tag große Mühe gegeben, denen zu helfen, die Hilfe brauchen, und es ist toll, wie das zurückkam. In meinen wildesten Träumen hätte ich nicht geglaubt, dass mir Menschen schreiben würden: „Du hast vor zwei Monaten mit mir geredet, als ich mitten in der Scheidung war, und es hat mir wirklich geholfen“, und noch tausende solcher Kommentare. Es hat mir ziemlich weh getan, dass manche mich beschuldigt haben, ein Betrüger zu sein. Ich wünschte, ich könnte mit diesem Reporter reden und ihm persönlich all die Fakten darlegen, ihm die Todesanzeige zeigen und dergleichen, um der Welt zu zeigen, dass alles stimmt.

RDF: Warum senden Sie es nicht mir, ich werde es vertraulich behandeln und Ihnen helfen, alles zu bestätigen?

Gott auf Facebook: Liebend gerne. Meine Agentin wird verlangen, dass Sie eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschreiben, denn sie ist verantwortlich dafür, dass meine Identität geschützt bleibt. Aber es würde mich sehr freuen, denn es gibt nichts, was ich lieber machen würde. Es ist merkwürdig verletzend, wenn ich diese Kommentare lese. Ich würde meinen, dass 99% der Leute wissen, dass es wahr ist. Seit zwei Jahren mache ich das jetzt, und jetzt plötzlich passiert so etwas. Sie sind klug genug, mich einschätzen zu können, den Menschen dahinter. Sie kennen meinen Schreibstil und so weiter…

RDF: Ich verstehe. Es stört Sie dieses ärgerliche eine Prozent...

Gott auf Facebook: Ich habe Verständnis dafür, dass sie skeptisch sind; ich möchte nur ihre Skepsis ausräumen.

RDF: Ich möchte Sie zu Ihrer Haltung Gott gegenüber fragen. Mir ist aufgefallen, dass Gott mitunter schmutzige Gedanken hat. Inwiefern spricht Ihr Humor Leute an?

Gott auf Facebook: Ich bin etwas hin- und hergerissen. Denn einerseits habe ich absolut keinen Beweis für Gott oder dergleichen und bin jemand, der Beweise möchte; ich glaube absolut nicht an irgendeine Religion. Jede Religion ist offensichtlich von Menschen erfunden und aufgeschrieben worden, wahrscheinlich also auch das Konzept von Gott. Wie auch immer, ich glaube an die Prämisse hinter dem Film „Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger“, kennen Sie den?

RDF: Sicher, der Gedanke ist, dass, wenn die Täuschung schön ist, und besser als die Wahrheit… Ich persönlich stimme dem nicht zu, aber…

Gott auf Facebook: Ich sage nicht, dass ich es glaube, aber ich kann es verstehen…

RDF: „Ich kann es verstehen“, ähnlich wie wir Menschen verstehen, die versuchen, mit dem Rauchen aufzuhören – es ist schwierig, aber man muss kein Raucher sein, um es zu verstehen?

Gott auf Facebook: Mehr als alles andere fühle ich da Mitleid…

RDF: Ich hoffe, Sie fühlen eher Empathie als Mitleid, für die Leute, die hineingezogen werden.

Gott auf Facebook: Ja, vielleicht ist das das bessere Wort.

RDF: Wissen Sie, die Leute machen sich oft über Tom Cruise lustig, weil er Scientologe ist, aber das ist eine Sekte, die einen hineinzieht. Es ist nicht wirklich die Schuld der Sektenmitglieder.

Gott auf Facebook: Das ist genau das gleiche; aber den Verlust eines Elternteils zu erleben, war im vergangenen Monat für mich als agnostischer Atheist besonders schwer, weil ich nicht an den Himmel glaube und ich mir denke, dass der Glaube daran es für Leute einfacher macht, damit umzugehen.

Mein Vater - er ist jetzt in Pension - war früher Pfarrer, ein sehr guter sogar. Kein ideologischer, aufwieglerischer, sondern eher einer der theologischen Denkschule. Daher habe ich dieses Thema gewählt, weil man über etwas schreiben muss, das man kennt, und das Thema war schon immer Teil meines Lebens und quälte mich in meinen Gedanken.

„Vater, bitte erkläre dies oder das“, und dann kam eine Scheiß-Antwort… Ich fühlte, dass er es immer wusste… Ich sehe den Zwiespalt, beide Seiten einer Sache, und ich muss daran denken und den Leuten Empathie entgegen bringen, diesen armen Seelen, die davon umgeben sind und deren IQ vielleicht nicht so hoch wie Ihrer oder meiner ist, und die die Variablen nicht kennen, die man braucht, um alles zu verstehen und sich für den Atheismus zu entscheiden. Vielleicht ist es ihre Sekte, oder ihr ganzes Umfeld, das religiös ist, und es fällt ihnen schwer, auszudrücken, was sie wirklich denken. Manche sind vielleicht arm, und beten ist ihre einzige Möglichkeit zur Befreiung. Es gibt eine Million Gründe dafür, warum manche zu Atheisten werden und andere nicht.

Länder, in denen der Bildungsstand höher ist, haben einen viel höheren Anteil an Atheisten, und das ist definitiv interessant…

RDF: Gibt es noch etwas, worüber Sie gerne reden würden?

Gott auf Facebook: Ich möchte die Leute zum kritischen Denken anleiten, ob sie es mitbekommen oder nicht. Viele religiöse Menschen lieben meine Seite, und ob sie es bemerken oder nicht, ich beeinflusse sie in Richtung einer logischeren Sichtweise.

RDF: Es ist eine wirklich gute weihnachtliche Botschaft an uns Atheisten, dass wir den Gläubigen Güte und Toleranz entgegen bringen sollen, weil es nicht wirklich ihre Schuld ist. Vielleicht sind sie ein wenig bekloppt, aber wisse Sie was? Wir sind alle ein wenig bekloppt. Ich wiege fast 200 Pfund und glaube trotzdem, dass irgendwann jemand mit mir ausgehen will, also bin ich auf meine Art ein wenig bekloppt.

Gott auf Facebook: Genau.

RDF: Wir sind alle irgendwie bekloppt.

Gott auf Facebook: Das sind wir, und es gibt Gutes und Schlechtes auf beiden Seiten. Ich verstehe, warum man von Atheisten oft sagt, dass sie herablassend sind. Ich verstehe, dass manche stereotyp sagen, religiöse Menschen sind… Welches Wort nehme ich? Wo fange ich überhaupt an?

Und das ist das Schöne an meiner Seite. Es macht nichts, wenn man Atheist ist, es macht nichts, wenn man religiös ist; egal, was man ist: Wenn du ein guter Mensch bist, bist du gut. Das ist alles. Tu Gutes und du fühlst dich gut.

 

Man findet Gott auf: facebook.com/TheGoodLordAbove

Übersetzung von: Daniela Bartl

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