Zur Debatte um Matauranga Maori

Fakten, Daten und Belege

Zur Debatte um Matauranga Maori

Foto: Pexels.com / Charl Durand

Ich habe während der nächsten Wochen und Monate einige Termine für meinen Vortrag zum WOKE-Phänomen. Hier geht es zu der etwas ausführlicheren Variante, die ich auf Einladung der Richard Dawkins Foundation am 16.1.2024 in Bremen halten durfte: Dr. Andreas Edmüller - Das Woke-Phänomen.

Damit ich bei Rückfragen kompakt auf die Daten- und Beleglage verweisen kann, fasse ich diese hier zusammen. Außerdem füge ich ein paar neue Belege hinzu, vor allem Dokumente der Regierung Neuseelands. Dieser Beitrag ist vergleichsweise lang und umfangreich. Das folgt aus der Zielsetzung.

Warum ist das wichtig?

„Team Hümmler“ verbreitet unverdrossen in einem so unsäglichen wie für sein Argumentationsniveau typischen Video vom 5.12. mit dem Titel Wieder GWUP: Wie man den Wokies das Feld überlässt die These, meine Darstellung der Debatte in Neuseeland zur Frage, ob Matauranga Maori in den Unterricht der wissenschaftlichen Fächer wie Physik, Biologie und Chemie integriert werden soll, sei falsch:

- Ich, Andreas Edmüller, würde meinem Publikum ins Gesicht lügen oder hätte sehr schlecht recherchiert. In Wirklichkeit ginge es bei der ganzen Diskussion um Trivialitäten, z.B. darum, die Textaufgaben an Schulen zu optimieren: Für Schüler mit Maori-Hintergrund sollten Begriffe aus deren Sprache und Konzepte aus deren Erfahrungswelt eingebaut werden. Kurz: Ich hätte ein klassisches Strohmannargument aufgebaut. (Im Video beginnt der Austausch zu meinem Vortrag bei 1.08.00 bzw.1.21.00).

Dieser Vorwurf gilt ipso facto natürlich auch für die sieben Professoren („Die 7“), die mit ihrem offenen Brief im Juli 2021 zum Status Matauranga Maoris eine öffentliche Debatte anstoßen wollten. Und er trifft deren Unterstützer wie Richard Dawkins, Jerry Coyne, Lawrence Krauss, Steven Pinker und sehr viele weitere Wissenschaftler und Experten, deren Interpretation der Debatte ich mich im Grunde angeschlossen habe.

Die Behauptung „Team Hümmlers“ ist schlicht und einfach kompletter Unfug - ich habe das in meinem Beitrag vom 19.12.2023 bereits ausführlich belegt.

Mittlerweile hat der Wissenschaftsrat der GWUP die Argumente und Belege geprüft, sich voll hinter mich gestellt und sich entschuldigt; gleiches gilt für einen Teil des Vorstandes der GWUP.

Das scheint aber „Team Hümmler“ und dessen Anhänger nicht sonderlich zu beeindrucken - das fragliche Video ist immer noch im Netz und in diversen Foren wird immer noch fleißig herumgepöbelt:

- Ich empfinde meinerseits diese Hetze als unverschämt und unfair, denn der Beleg dafür, dass Maoris mehr als Respekt für ihr Denken erwarten steht immer noch aus. Edmüller bezieht sich auf „„Die 7“” - mehr als ein „was wäre wenn” ist da nicht, Aufklärungstechnisch. Das finde ich bösartig, denn diese Behauptungen entsprechen nicht der Realität. (Weshalb ja auch die Royal society of new zealand den „7” energisch widersprochen hat.) [1]

Die beste Vorgehensweise angesichts der leider anhaltenden Kampagne gegen meinen Vortrag und mich dürfte sein, geduldig einen weiteren Versuch zu starten, den Vorsitzenden der GWUP, Herrn Dr. Hümmler, sein Team und deren Anhänger dabei zu unterstützen, den Weg zurück in die Realität zu finden. Irgendwann wird das schon mal irgendwie klappen … ich bin Optimist!

Was behaupte ich im Vortrag in Bezug auf den Anlass des offenen Briefes „Der 7“?

Ich stelle unter Berufung auf „Die 7“ fest, dass im Rahmen der Umsetzungsdebatte zu Vision Matauranga die Forderung erhoben wurde, Matauranga Maori gleichberechtigt mit Physik, Chemie, Biologie an Schulen (und Universitäten) zu etablieren. Das ist absolut korrekt. Zum Einstieg die Textstelle aus dem Regierungsbericht (Seite 3), auf den „Die 7“ sich konkret beziehen:

Mana ōrite mō te mātauranga Māori
3. Mana ōrite mō te mātauranga Māori means equal status for mātauranga Māori in NCEA and is particularly important when deciding what TMoA subjects to support at NCEA Levels 1-3. Our goal is to ensure parity for mātauranga Māori with the other bodies of knowledge credentialed by NCEA (particularly Western/Pākehā epistemologies). This parity needs to span English-and Māori-medium settings. The Ministry is committed to ensuring mātauranga Māori is explicitly and equitably valued in NCEA and that mātauranga Māori pathways are acknowledged and supported equally in NCEA.

Hier der (aktuelle) Link dazu; seltsamerweise hat die Regierung diesen schon mehrfach geändert.

Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Forderung schon seit langer Zeit im Raum steht. Die Forderung im Regierungsbericht ist keineswegs inhaltlich neu oder eine Besonderheit. Das zeigt ein Blick auf die Vorgeschichte.

Zum Hintergrund der Debatte um Matauranga Maori

Die Debatte, ob Matauranga Maori erkenntnistheoretisch den Naturwissenschaften gleichzustellen sei, wird in Neuseeland seit vielen Jahren geführt. Diese Debatte bzw. deren Ergebnis ist natürlich wichtig:

- Vom Ergebnis hängt die Stellung Matauranga Maoris im Schulunterricht und an den Universitäten ab.

Handelt es sich bei Matauranga Maori tatsächlich um „science“ bzw. ein zu den Naturwissenschaften epistemisch gleichwertiges System der Welterklärung, dann sollte sich das natürlich in den Lehrplänen für Schulen und seiner Stellung an den Universitäten zeigen.

Man kann das mit der Homöopathiefrage vergleichen: Sollte sich herausstellen, dass Homöopathie erkenntnistheoretisch respektabel und gleichwertig mit etablierten Ansätzen in der Medizin ist, dann sollten entsprechende Lehrstühle in wissenschaftliche bzw. medizinische Fakultäten integriert werden. Gleiches gilt für die Schulen: Sollte sich herausstellen, dass - wie von der Astrologie behauptet - kosmische Energien tatsächlich unser Schicksal beeinflussen, dann spricht nichts dagegen, diese Kräfte im Physikunterricht zu behandeln.

In dieser Überblicksdarstellung auf Seite 7 führt Professor Matthews durch die Historie der Debatte. Daraus geht klar hervor, dass die Frage nach dem wissenschaftlichen Status Matauranga Maoris schon sehr lange diskutiert wird.

Zwei sehr interessante Aufsätze aus den Jahren 2015 bzw. 2016 sind typisch für die Debatte; beide finden sich im Archiv der Royal Society - das ist die neuseeländische „Akademie der Wissenschaften“: Mātauranga Māori—the ūkaipō of knowledge in New Zealand und Mātauranga Māori, tino rangatiratanga and the future of New Zealand science. Beide Arbeiten stehen dem Gedanken positiv gegenüber, Wissenschaft und Matauranga Maori als epistemisch gleichwertig einzustufen.

Im Archiv der Royal Society findet der interessierte Leser weitere Aufsätze auf akademischem Niveau zur Klärung der epistemischen Wertigkeit Matauranga Maoris.

In einer Sondernummer der Zeitschrift New Zealand Science Review aus dem Jahr 2020 wird sehr ausführlich und aus verschiedenen Blickwinkeln der Frage nachgegangen, ob es sich bei Matauranga Maori um Wissenschaft handle. Ich bin der Meinung, dass diese Frage klar zu verneinen ist.

Schließlich haben bereits im Jahre 2019 drei Professoren „Der 7“ eine umfangreiche Argumentation vorgelegt, um den Nachweis zu führen, dass es sich bei Matauranga Maori nicht um Wissenschaft handle. Damals gab es allerdings keinen größeren Aufruhr.

Mein Fazit

- Der offene Brief „Der 7“ vom Juli 2021 ist integraler Bestandteil einer Debatte, die seit vielen Jahren in der akademischen Welt und der allgemeinen Öffentlichkeit Neuseelands geführt wird.

- In dieser Debatte geht es nicht um die Formulierung von Textaufgaben an Schulen oder Universitäten.

 -Es geht dabei glasklar um die erkenntnistheoretische Wertigkeit Matauranga Maoris und seine daraus abzuleitende Stellung im Bildungssystem.

- Der offene Brief enthält keine „neuen“ Argumente und hätte inhaltlich auch schon vor zwei oder drei Jahren „in die Landschaft gepasst“.

- Damit ist eine der Kernaussagen meines Vortrages schon jetzt belegt.

Warum hat der offene Brief so einen Wirbel verursacht?

Die Forderung nach Gleichstellung Matauranga Maoris ist zwar wie eben nachgewiesen altbekannt, taucht aber 2021 meines Wissens zum ersten Mal als konkrete Empfehlung in einem Bericht der Regierung auf (siehe oben). Deshalb, so meine Vermutung, wollten „Die 7“ eine öffentliche Debatte zum Status Matauranga Maoris anstoßen: Die Regierung bzw. das Bildungsministerium scheint tatsächlich Matauranga Maori den Wissenschaften gleichstellen und in die Lehrpläne der wissenschaftlichen Fächer an den Schulen einbauen zu wollen. Die Debatte zeitigt also zum ersten Mal wichtige Folgen für die Schulen Neuseelands.

Natürlich hat niemand an dieser Stelle der Diskussion behauptet, dass es Inhalte aus Matauranga Maori im naturwissenschaftlichen Unterricht bzw. dem Curriculum dazu bereits gebe: Der Regierungsbericht sollte ja gerade die Ausarbeitung entsprechender Lehrpläne vorbereiten bzw. anstoßen. Genau in diesem Sinne - es geht um Inhalte und nicht um die Formulierung von Textaufgaben - haben die Kritiker „Der 7“ auch reagiert.

Hier der offene Brief der Kritiker „Der 7“ (Juli 2021), der von mehr als 2000 Wissenschaftlern unterzeichnet wurde und die Pläne der Regierung bezüglich Matauranga Maoris verteidigt: An open response to ‘In defence of science’ New Zealand Listener.

Hier die Stellungnahme der stellvertretenden Kanzlerin (vice chancellor) der Universität Auckland, Dawn Freshwater: Vice-Chancellor comments. Sie stellt sich ebenfalls gegen „Die 7“.

Eine sehr gut recherchierte Überblicksdarstellung der Affäre mit vielen interessanten Links verdanken wir den Professoren Lillis und Schwerdtfeger; sie verteidigen „Die 7“: The Recent Controversy

Mein Fazit

- Die Kritik am offenen Brief „Der 7“ zeigt in aller Klarheit, dass allen Beteiligten der Debatte bewusst ist, worum es geht: Ist Matauranga Maori erkenntnistheoretisch gleichwertig mit den „klassischen“ Wissenschaften - oder nicht?

- Niemand missversteht die Initiative der Regierung bzw. des Bildungsministeriums als Reformvorschlag für die Formulierung von Textaufgaben. Unter dieser Prämisse wäre die ganze Debatte komplett unverständlich und geradezu hanebüchen. Aber, wir wissen ja: Es gibt da die GWUP und „Team Hümmler“.

- Also: Bereits jetzt sind meine Aussagen aus dem Vortrag zu Anlass und Hintergrund der Debatte wasserdicht belegt.

Was hat die Regierung tatsächlich geplant?

Die Regierung bzw. das Bildungsministerium hat trotz aller Kritik die Empfehlung zur Gleichstellung Matauranga Maoris mit den Wissenschaften im Unterricht umzusetzen versucht. Die Schritte dazu waren die klassischen: Es wurden Lehrpläne für ein Pilotprojekt entworfen, den betroffenen Lehrern vorgestellt, mit ihnen diskutiert, revidiert und dann an Pilotschulen im konkreten Unterricht umgesetzt. Das war keine Nacht-und-Nebel-Aktion, sondern geschah unter Einbeziehung der Öffentlichkeit. Das zeigen die folgenden Artikel und Belege in aller wünschenswerten Klarheit:

In ihrem kompakten Artikel fassen Professor Stewart und Angelo Tedoldi wenige Wochen nach Erscheinen des offenen Briefes „Der 7“ die Ergebnisse des Feedbacks des Lehrpersonals zu den neuen Lehrplänen zusammen. Sie sagen klar, dass aktuell (Oktober 2021) das Pilotprojekt an einigen Schulen laufe und skizzieren, welche drei Schlüsselkonzepte Matauranga Maoris in den Unterricht der Fächer Biologie und Chemie eingebaut wurden.[2] Zudem geben sie Ratschläge, wie die Umsetzung an Schulen funktionieren kann: Bringing Māori concepts into school science: NCEA.

- This commentary article discusses the inclusion of Māori knowledge in senior school science in the context of some new senior school science qualifications that are currently being trialled. These proposals raise challenging questions and are provoking intense debates among secondary science teachers in Aotearoa New Zealand. We introduce the proposals and their rationale and summarise the main objections raised by science teachers. We focus on three specific Māori concepts used in the proposals and comment on the possibilities. (Abstract)

Die beiden Autoren schlagen bei dieser Gelegenheit auch vor, gleich noch das Gaia-Konzept in den wissenschaftlichen Unterricht zu integrieren:

- This is an opportunity to introduce the Gaia concept of the earth itself as a ‘living thing’ (Lovelock, 1987). The typically negative response by the science teacher to the Māori concept also shows the simplistic nature of school science, since the boundaries of the scientific category of ‘living’ are more blurred than the mnemonic suggests.

Ich befürchte, bei der GWUP bzw. deren aktuellem Vorstand würden sie damit auf viel Verständnis und Wohlwollen stoßen. Apropos GWUP: Alleine die Lektüre dieses sehr leicht über Google zu findenden kurzen Artikels sollte der ganzen Pfuschertruppe „Team Hümmlers“ die Schamesröte ob ihrer Ausführungen zur Debatte in Neuseeland ins Gesicht treiben.

Im nächsten Aufsatz geht Professor Stewart konkret auf die Einwände des Lehrpersonals ein, versucht sie zu entkräften bzw. zu relativieren: Mātauranga Māori and secondary science teaching.[3]

Falls der eine oder andere Leser sich für die Details des Pilotprojektes interessieren sollte, gibt es auch noch - auf den Webseiten der Regierung Neuseelands - die unkommentierte Zusammenstellung des Feedbacks aller befragten Lehrer zu den Lehrplänen. Man sieht erneut in aller Klarheit (und in diesem Fall auch Deftigkeit), dass es darum geht, das göttlich-mythologische Vitalismuskonzept Matauranga Maoris, Mauri, als Erklärungsansatz in den Chemie- und Biologieunterricht zu integrieren.

Gebrauchsanweisung: Bitte den Text inklusive der Anführungsstriche kopieren, in das Textfeld des Browsers eingeben und dann die Dokumente über Amazon Web Services herunterladen.[4]

‘Chemistry and Biology NCEA Level 1 Phase 1 Survey - Raw Feedback’

Hier geht es für sehr neugierige Zeitgenossen zu der Antwort der Expertengruppe des zuständigen Ministeriums auf das Feedback: Subject Expert Group Response To Feedback On The Phase 1 Materials.

Und hier findet sich der formelle Bericht der Regierung dazu; Gebrauchsanweisung: Bitte den Text kopieren, in das Textfeld des Browsers eingeben und dann die Dokumente über Amazon Web Services herunterladen:

Review of Achievement Standards Level 1, Phase 1 Feedback Report Chemistry and Biology

Als Motivationszuckerl hier zwei Zitate aus der Sammlung der Rückmeldungen:

- Finally, I wish to comment on the SEG’s use of the term ‚mauri‘. I think it shows a misunderstanding of the idea as it relates to science, and this is a risk to the quality of the materials as a whole. The definitions provided through links in the Course Outlines and in the Glossary variously define mauri as „a force that interpenetrates all things and binds them together… the bonding element creating unity in diversity“, or as „the vital essence, life force of everything: be it a physical object, living thing or ecosystem.“ These definitions are accurate, but they really do hit home the fact that mauri is simply not a scientific concept. A fundamental axiom of science is the rejection of this kind of essentialism of ‚life force‘ as a useful concept to explain the empirical world. It is axiomatic because it used to be a widespread view among scientists, but the experimental evidence conclusively proved that it does not, empirically, exist. Mauri, of course, has a different cultural origin than Aristotelian essentialism or European alchemy. Like these, it does not hold up to the scrutiny of evidence, but unlike these, it was never intended to. Of course, mauri is a very useful concept for us to make decisions about upholding the rights of individuals, or when allocating resources to biodiversity, conservation and environmental management. Students in Aotearoa should know about it. However, mauri is not and has never attempted to be a scientific concept. Nor should it: it derives its value from its cultural utility rather than its explanatory power as a scientific concept. Thus it properly belongs in subject areas other than science and its disciplines.

- I have a major issue with Big Idea 4 - in particular the concept that all particles have mauri. The issue with this is that it seems to be a way to use a Maori world view to explain a concept that did not exist as part of matauranga - namely the particle nature of matter. Using mauri as a way to explain attractive forces seems to be a step backwards and introducing a level of pseudoscience to this concept. Furthermore, as a Maori chemist, I find this to be almost an offensive level of cultural appropriation.

Mein Fazit

- Die Datumsangabe der Dokumente der Regierung zeigt klar und deutlich, dass die ersten Schritte des Pilotprojektes ungefähr zeitgleich mit dem Regierungsbericht, wahrscheinlich sogar schon vor dessen Finalisierung, initiiert wurden. Es braucht ja Zeit, Lehrpläne zu erstellen, durch die üblichen Feedbackschleifen der Bürokratie zu schicken, die Meinung der Lehrer einzuholen.

- Die ganzen in aller Regel sehr leicht zu findenden Aufsätze und Dokumente belegen unmissverständlich, dass es ganz handfest um die Integration mythologischer Konzepte wie Mauri und Whakapapa in den Unterricht der Fächer Biologie und Chemie geht.

- In den ganzen Aufsätzen und Dokumenten spielt an keiner Stelle die Frage nach der Formulierung von Textaufgaben eine Rolle.

- Also, „Team Hümmler“ und seine Internetspürnasen: Setzen, Note 6!

Was hat die Regierung tatsächlich gemacht?

Die Antwort ist mittlerweile allgemein bekannt: Es wurde für die Pilotphase ein Lehrplan formuliert und an einigen Pilotschulen zur Gestaltung des Unterrichts verwendet.

Beispiel 1

In den Lehrplan (Curriculum) für den Biologie- und Chemieunterricht wurde als Lehrinhalt das Vitalismuskonzept Matauranga Maoris, Mauri, aufgenommen. Grob gesagt geht es dabei um eine Lebenskraft, die alle belebten und unbelebten Entitäten durchströmt und permanent von den beiden Gottheiten Rangi und Papa abgestrahlt wird. Dabei handelt es sich um eine der zentralen Lehren des Maori-Weltbildes.

Paul Kilmartin, Chemieprofessor an der Universität Auckland, hat am 18.2.2022 zu einer Vorlesung via Zoom eingeladen, in der er seine Meinung zu diesem Teil des Lehrplans klar kommuniziert hat. Im sehr lesenswerten Blogessay von Nick Matzke sind alle Einzelheiten und Links dazu enthalten.

Es finden sich darin auch Screenshots bzw. Auszüge des Curriculums der Regierung. Das ist wichtig, weil im aktuellen Lehrplan für Biologie/Chemie das Thema Mauri nicht (mehr) auftaucht. Anhand der Änderungshistorie konnte ich nicht rekonstruieren, wann genau es entfernt wurde. Im März 2023 war es jedenfalls noch „da“ (siehe Beispiel 2). Meine Vermutung: Es hat spätestens die zweite Pilotphase an den Schulen - Professor Kilmartin erwähnt die erste im folgenden Podcast - nicht überstanden.

Sehr zu empfehlen ist außerdem der sehr ausführliche Podcast Michael Goldmans mit Professor Kilmartin zu Matauranga Maori bzw. Mauri. Er erklärt ausführlich, warum er als Naturwissenschaftler die Erweiterung des Curriculums um Mauri entschieden ablehnt.[5]

Beispiel 2

Hier sehen wir, dass Mauri noch im Jahr 2023 im Chemieunterricht als Grundprinzip vermittelt werden soll. Der Screenshot stammt aus einer Anleitung zur Unterrichtsgestaltung mit Datum vom 23.3.2023.

Der Lehrplan und die Big Ideas

Ich habe dem Wissenschaftsrat der GWUP ein sehr umfangreiches Dokument mit Lehrplänen zur Debatte um Matauranga Maori zur Verfügung gestellt. Zur Erläuterung: Lehrpläne enthalten in Neuseeland als Kernelemente einige wenige „Big Ideas“ als inhaltliche Dreh- und Angelpunkte für den Unterricht. Dann folgen Umsetzungsempfehlungen, bei denen den einzelnen Schulen sehr viel Freiheit und Eigeninitiative zugestanden wird.

Im folgenden Auszug für das Jahr 2022 sieht man klar, dass es eine der Kernideen ist, den Schülern im Unterricht Existenz und Wirken Mauris beizubringen. „Taiao“ kann in etwa als „Natur“ verstanden werden; „Kaitiakitanga“ ist ein Begriff, der wesentlich in ein religiöses Genealogiekonzept eingebettet ist:[6]

Das zeigt deutlich ein aus meiner Sicht sehr schwerwiegendes Zusatzproblem im Rahmen der Integration Matauranga Maoris in den Unterricht der Wissenschaften auf: Matauranga Maori ist ein holistisches System, bei dem letztlich alle Begriffe an einen Schöpfungsmythos und dessen Götter angebunden sind. Eine Abtrennung der mythologischen Aspekte macht keinen Sinn; man bekommt immer nur „das ganze Paket“.

Zwei Beispiele aus der öffentlichen Debatte

Öffentliche Plädoyers für die Gleichstellung gehören zum Alltag der Debatte und überraschen niemanden mehr: The place for mātauranga Māori is alongside science.

Auch noch im Sommer 2023 erfahren die Leser vom Unbehagen vieler Lehrer ob der neuen Inhalte des Lehrplans aus Matauranga Maori: 'I don't know enough' - Science teacher concerned about integrating mātauranga Māori. Mit anderen Worten: Das Integrationsprojekt lief tatsächlich auch noch 2023 - vermutlich in erneut revidierter Form.

Mein Fazit:

- Es gab ganz offensichtlich eine Pilotphase anhand der integrierten Lehrpläne.

- Ein wesentliches Element für den Unterricht in Chemie und Biologie war das mythologische Vitalismuskonzept Mauri.

- Zusätzlich tauchen immer wieder weitere Begriffe auf, die nicht ohne ihre mythologische Anbindung bzw. Einbettung verstanden werden können.

- Natürlich ist anzunehmen, dass dafür auch der eine oder andere Schulbuchtext an den Lehrplan angepasst werden musste: Vorher wurde ja z.B. Mauri nicht besprochen.

- Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es in der Debatte auch nur am Rande oder gar in erster Linie um diese Reformulierungsaspekte geht.

Welche Rolle spielt die Royal Society?

In einigen Foren stolpert man immer wieder über „Argumente“ wie das folgende:

 -Die Royal Society habe sich klar und entschieden gegen „Die 7“ gestellt. Diese Institution ist über jeden Zweifel erhaben und ein sicherer Indikator dafür, dass mit den Argumenten „Der 7“ etwas nicht stimmen kann.

Es stimmt, dass die Royal Society sofort Front - besser: Stimmung - gegen „Die 7“ gemacht hat. Bedauerlicherweise hat sie ihrem Ruf damit massiv geschadet. Sie hat nämlich z.B. mit eklatanten Falschdarstellungen operiert. Richard Dawkins hat das gar nicht gefallen: Mythen gehören nicht in den naturwissenschaftlichen Unterricht.

Gegen dieses skandalöse Verhalten der Royal Society haben auch 70 Fellows protestiert und einen Misstrauensantrag eingebracht: 70 fellows express concerns at Royal Society’s handling of complaints.

In Folge musste die Royal Society zurückrudern und sich entschuldigen: He Pānui Statement („Team Hümmler“: Aufgepasst!).

Der interne Kampf um die Wiederherstellung der Integrität und Glaubwürdigkeit der Royal Society hält an, interessiert für unsere Fragestellung aber nicht weiter.

Ich fasse zusammen

- Die Debatte um den Status Matauranga Maoris und dessen daraus resultierende Stellung an Schulen und Universitäten läuft seit vielen Jahren.

- Der Wirbel um den Offenen Brief „Der 7“ ist vermutlich entstanden, weil es zum ersten Mal die Integrations- und Gleichstellungsforderung in Bezug auf Matauranga Maori offiziell von Seiten der Regierung gab.

- Diese Forderung wurde mit Hilfe neuer Lehrpläne mit zentralen Elementen aus der Mythologie des Matauranga Maori im Rahmen eines Pilotprojektes geplant und umgesetzt.

- Dabei ging es eindeutig um die Fächer Biologie und Chemie.

 -Allen Beteiligten an der Debatte ist klar, worum es geht: Es geht um die Stellung Matauranga Maoris an Schulen und Universitäten.

- Gerade aus (sprach)philosophischer Perspektive ist klar, dass eine Integration einzelner Aspekte bzw. Begriffe Matauranga Maoris aufgrund dessen holistischer Konzeption scheitern muss: Entweder nimmt man das ganze religiös-mythologische System in den Wissenschaftsunterricht auf oder lässt es außen vor. Tertium non datur.

- Die Royal Society hat mit ihrem unredlichen und unwürdigen Verhalten gegenüber „Den 7“ massiv an Integrität und Glaubwürdigkeit eingebüßt.

- Mir ist im Rahmen der gesamten Debatte kein einziges Mal die These untergekommen, es gehe in Wirklichkeit gar nicht um die Stellung Matauranga Maoris, sondern um die Neu- oder Umformulierung von Textaufgaben. Diese absurde und lächerliche Position wird meines Wissens nach ausschließlich vom Vorstand der GWUP bzw. durch „Team Hümmler“ vertreten.

- Auch Michael Goldwater, der mit seinem exzellenten Podcast The Shape of Dialogue die Debatte von Anfang an extrem kompetent begleitet, kennt niemanden in Neuseeland, der diese Position vertreten würde. Er findet den Einfall aber ziemlich lustig.

- Das Einzige, was man aus den Ausführungen „Team Hümmlers“ über meinen Vortrag lernen kann ist, dass der Ladykracher auch ohne Anke Engelke funktioniert.

Meine Fragen an den Vorstand der GWUP

- Welche Belege hat „Team Hümmler“ für die Behauptung, es gehe bei der Debatte in Neuseeland eigentlich nur um die Neuformulierung von Textaufgaben?

- Welche Belege hat „Team Hümmler“ für die Behauptung, es gehe bei der Debatte in Neuseeland gar nicht um die Integration Matauranga Maoris in den Unterricht der Naturwissenschaften?

- Welche Belege hat „Team Hümmler“ für die Behauptung, es habe nie jemand ernsthaft versucht, mythologische Elemente wie Mauri in den Wissenschaftsunterricht zu integrieren?

- Welche Belege hat „Team Hümmler“ für die Behauptung, ich habe in meinem Vortrag (in Nürnberg) unglaublich schlecht recherchiert oder mein Publikum angelogen?

- Welche Belege hat „Team Hümmler“ für die Behauptung, ich habe im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften in Nürnberg einen Vortrag auf Stammtischniveau gehalten und sei dafür zu Recht und angemessen kritisiert worden?

Ich habe volles Verständnis für Amardeo Sarma

Wir haben uns bisher nicht persönlich kennengelernt - leider. Ich habe aber die größte Hochachtung für Herrn Sarmas Lebenswerk, seine persönliche Kompetenz, Integrität und Führungsqualitäten. Deshalb kann ich sehr sehr gut verstehen, wie es jetzt angesichts des Scherbenhaufens, den „Team Hümmler“ bzw. der neue Vorstand in wenigen Monaten aus der GWUP gemacht hat, in ihm aussehen mag.

Following the course taken by the new #GWUP leadership, I have taken a painful decision that marks the end of an era for me.

I shall withdraw from the activities of the GWUP. GWUP is no longer the rational, science-committed organization many of us founded with global support 37 years ago.

The spirit of friendship central to its effective work and achievements for a long time is gone.

The atmosphere under the new Board majority has become increasingly toxic and intolerable. I cannot accept the indifference with which the new leadership treats longstanding members and the GWUP Scientific Council.

I feel honoured to have been able to make my contribution to the GWUP for almost four decades. It has been a cause close to my heart. I’m grateful for the many enriching experiences and friendships I will remember with pleasure.

So l am all the more shocked by the cultural disruption and the disrespectful treatment of these people. I respect them both professionally and personally; dedicated people to whom the organization owes so much.

In the future, I will focus my efforts on a wide range of scientific issues. I am confident that science, critical thinking and skepticism will continue to flourish. I will continue to work for this, for example, in ECSO, the global skeptical movement, and the science-based NGO WePlanet.

The #SkepKon in May 2024 may be my last, and I hope to meet many long-time companions who have helped build the most prominent and oldest skeptical organization in the German-speaking world. (Amardeo Sarma, 20.2.24 auf X)

Ich habe volles Verständnis für Ulrich Berger

Meine Hochachtung gilt auch Herrn Berger. Es braucht Zivilcourage, in einer so aufgeheizten und irrationalen Atmosphäre kühlen Kopf zu bewahren, Verantwortung zu übernehmen und konsequente Schadensminimierung zu betreiben.

Fußnoten

[1] In diesem „Beitrag“ wird übrigens ein klassischer Fehler gemacht: Nein, es geht nicht um „Maori gegen alle anderen“. Maori finden sich wie Nicht-Maori auf beiden Seiten der Debatte, in allen Lagern.

[2] Dabei verschweigen sie diskret, welche mythologische Rolle zwei dieser Begriffe im Gedankengebäude Matauranga Maoris, Mauri und Whakapapa, tatsächlich spielen: Bei der Bundeswehr läuft das unter Tarnen und Täuschen.

[3] Georgina Tuari Stewart ist eine der bekanntesten Maori-Aktivistinnen und eine treibende Kraft hinter den Bemühungen um Gleichstellung Matauranga Maoris mit Physik, Chemie und Biologie.

[4] Als ich diese Dokumente im letzten Jahr aufrief, konnte man sie noch direkt durch Anklicken auf einer Website der Regierung öffnen.

[5] Es werden übrigens auch die Rückzieher der Royal Society besprochen, die zu Beginn der Debatte die Stellungnahme „Der 7“ in wichtigen Teilen falsch bzw. stark verzerrt wiedergegeben und die ganze Diskussion unnötig emotionalisiert hatte. Dazu später mehr.

[6] Understanding kaitiakitanga

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

  1. userpic
    Is doch egal

    Entgegen meiner früheren Behauptung, glaube ich jetzt doch an die Möglichkeit das der Flügelschlag eines Schmetterlings in Neuseeland, ein kleines Erdbeben in Deutschland auslösen kann.

    Antworten

    1. userpic
      Andreas Edmüller

      Viel wichtiger als irgendwelche Vereinsgeschichten ist die Erkenntnis, wie fragil die Aufklärung immer noch ist - und dass wir immer noch für sie und ihre Werte kämpfen müssen! Die Richard Dawkins Foundation ist dabei sehr wichtig - Danke!

      Antworten

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