Ein offener Brief an Ben Affleck

Anfang Oktober 2014 beschimpfte der Schauspieler Ben Affleck in der Sendung "Real Time with Bill Maher" den Moderator und den amerikanischen Philosophen Sam Harris als Rassisten, weil diese sich kritisch zum Islam geäußert hatten. Er erstickte damit eine wichtige Diskussion im Keim, die auch hierzulande bekannt ist. Dabei stehen sich zwei Fraktionen gegenüber, die sich gegenseitig als Islamophob bzw. Gutmenschen bezeichnen. Die pakistanisch-kanadische Bloggerin, Zeichnerin und Kinderbuchautorin Eiynah verfasste aus diesem Anlass einen offenen Brief an Ben Affleck.

Ein offener Brief an Ben Affleck

Du hast dein Herz am rechten Fleck, aber…

Lieber Ben,

Ich schreibe dir heute als eine Frau, die im Islam geboren und aufgezogen wurde. Ich sah deine Diskussion mit Bill Maher und Sam Harris und ich muss sagen, dass du mir an diesem Tag einen Bärendienst erwiesen hast. Du hast dein Herz natürlich am rechten Fleck, und es war lieb von dir aufzustehen und „meine Leute“ zu verteidigen.

Was du jedoch wirklich getan hast, vermutlich unbeabsichtigt, war eine Unterhaltung verstummen zu lassen, die nie richtig anfing. Zwei Leute versuchten ein Gespräch zu beginnen und du hast nicht einmal zugehört. Warum sollten irgendwelche Ideen über der Kritik stehen, Ben?

Warum sind Muslime in einer Art Zeitkapsel vergangener Jahrhunderte „konserviert“? Warum ist es in Ordnung, dass wir in einer Welt weiterleben, in der Frauen mit Süßigkeiten verglichen werden, die darauf warten verspeist zu werden? Warum ist es in Ordnung, wenn Frauen im Rest der Welt für Freiheit und Gleichberechtigung kämpfen, während wir unsere beschämenden Leiber verhüllen müssen? Kannst du nicht sehen, dass wir davon abgehalten werden dem Elite Club beizutreten, der als das 21. Jahrhundert bekannt ist?

Edle Liberale wie du stehen immer für die fehlinterpretierten Muslime und gegen die Islamophoben auf, was toll ist, aber wer steht an meiner Seite und den anderen auf, die sich durch die Religion unterdrückt fühlen? Jedes Mal, wenn wir unsere Stimme erheben, wird einer von uns getötet oder bedroht. Ich bin eine Bloggerin und Zeichnerin, keine Bedrohung für irgendjemanden, Ben, außer für diejenigen, die Angst vor Worten und Zeichnungen haben. Ich möchte die Freiheit haben, mich selber auszudrücken, ohne die sehr reale Gefahr, dafür getötet werden zu können. Ist das zuviel verlangt?

Als ich ein Kinderbuch schrieb, welches eine Botschaft für die Vielfalt und Dazugehörigkeit für jeden beinhaltet, änderte sich mein Leben. „Mein Chacha (Onkel) ist schwul“ hat eine unschuldige anti-homophobe Botschaft, „Liebe gehört allen“. Das passte vielen meiner muslimischen Brüder und Schwestern nicht.

Seit diesem Projekt wurde ich zu einer „Feindin Gottes“ erklärt und als tötenswert befunden. Alles, weil ich helfen wollte, dass südasiatische Kinder ihre eigenen Geschichten erzählt bekommen damit sie wissen, dass Liebe in allen Formen daher kommen kann und dass dies in Ordnung ist. Meine muslimischen Brüder und Schwestern wurden von diesem Werk hart getroffen, weil es die Homophobie in unserer eigenen Gemeinschaft angesprochen hat. Es ist nichts, was wir als „westliche Sittenlosigkeit“ abtun können. Ebenso wie sie es verleugnen, dass es Probleme mit der Doktrin des Islams gibt, wird geleugnet, dass es Homosexualität unter guten, „moralischen“ Muslimen gibt. Genauso wird die Existenz von Millionen von Menschen verleugnet. Bitte verteidige Menschen, die so denken nicht und lass mir dir sagen, Ben, viele „gute“ Muslime denken so.

Dadurch, dass du „Rassist“ gerufen hast, beendetest du eine Unterhaltung, die viele von uns gerne gehabt hätten. Du hast denen geholfen, die die Probleme verleugnen möchten, verleugnest sie. Du wurdest sofort zum Helden, ein Verteidiger des Islam. Das ist wirklich freundlich. Ich verstehe es, weil ich auch von den Problemen geplagt und betroffen bin, die die aktuelle Islamophobie mit sich bringt. Ich habe einen muslimischen Namen und braune Haut, meine friedliebenden Verwandten werden in der U-Bahn ohne Grund geschubst und als „Terroristen“ bezeichnet.

Ich habe das verstanden.

Wir müssen zwischen der Kritik an einer Ideologie und dem Hass gegenüber eine Gruppe von Menschen unterscheiden. Ich denke, die Probleme innerhalb des Islams müssen zweigleisig angepackt werden. Sie müssen auf die Tagesordnung gebracht werden, aber gleichzeitig müssen wir betonen, dass diese Probleme nicht Einzelnen auferlegt werden können.

Dadurch, dass man politisch korrekt und „liberal“ sein möchte, lassen wir die Millionen verstummen. Ich wende mich an dich, weil du hilfreich dabei warst, dieses Gespräch zu starten. Diejenigen unter uns, die Reformen möchten, werden von Extremisten zum Schweigen gebracht, ebenso von den Liberalen, die uns im Namen des Multikulturalismus verraten.

ISIS zeichnet ein schreckliches Bild, daher verstehe ich die reflexartige Reaktion, jede Verbindung zu leugnen. Die meisten Muslime ziehen es vor, die Schriften in friedvoller Weise zu interpretieren, aber dass heißt nicht, dass das Ausgangsmaterial nicht den Pfad zur Gewalt hergibt.

Können wir nicht für einen Moment über die doppelten Standards und Verletzung von Menschenrechten sprechen? Moscheen werden überall in westlichen Ländern gebaut, üblicherweise ohne große Probleme. Aber am Nabel, im Herzen des Islam, in Saudi-Arabien, ist nur Muslimen offiziell erlaubt ihren Glauben zu praktizieren. Es gibt keine Kirchen, Tempel oder Synagogen, weil Saudi-Arabien keine nichtmuslimischen Gebetsorte erlaubt. Wer will sie für diese Ungerechtigkeit zur Rechenschaft ziehen, wenn wir jeden zum Schweigen bringen, der etwas gegen den Islam sagt?

Was ist so falsch dran, in das gegenwärtige Jahrhundert zu treten? Das sollte keine Schande sein. Es ist nicht abzustreiten, dass Gewalt, Frauenfeindlichkeit und Homophobie in allen religiösen Texten vorhanden sind, aber der Islam ist bis heute die einzige Religion, die daran so wortwörtlich festhält.

In deiner Kultur hast du den Luxus, Menschen, die solche wortwörtlichen Auslegungen vertreten „Verrückte“ zu nennen, wie z. B. die Westboro Baptist Church. In meiner Kultur werden solche Werte von mehr Menschen unterstützt als man glauben mag. Viele werden versuchen, es abzustreiten, aber du kannst mir glauben, es sind keine Randerscheinungen. Es ist offensichtlich durch die Abwesenheit der Muslime, die sich gegen das archaische Schariagesetz aussprechen. Die Bestrafungen für Blasphemie und Abtrünnigkeit vom Glauben etc. sind Instrumente der Unterdrückung. Warum wird das nicht einmal von den friedliebenden Leuten angesprochen, die nicht fanatisch sind und nur ihre Sandwiches haben und fünf Mal am Tag beten wollen? Diese Sandwich essenden, friedliebenden Leute verteidigen nicht diejenigen, die im Namen des Islams leiden, Ben, und darin liegt unser Problem.

Vielleicht wären die Argumente von Maher und Harris einfacher zu verdauen gewesen, wenn sie aus der Gemeinschaft selber gekommen wären, ich würde das begrüßen. Daher schreibe ich dir als jemand, der sich persönlich von der fehlenden Würdigung dieser Probleme verletzt fühlt.

Wenn Muslime nicht ihre eigenen Gräueltaten kritisieren, dann werden es Außenstehende tun und ihre Botschaft wir nicht erhört werden, einfach aufgrund dessen, wer sie sind. Es ist ein Teufelskreis, der nur durchbrochen werden kann, wenn, wie Harris sagte, wirkliche Reformer an die Macht kommen.

Ich bitte dich und jeden, der dies liest, Anstrengungen zu unternehmen, diese Reformer innerhalb unserer Gemeinschaft zu suchen und sie in jeder Weise zu unterstützen.

Wenn es mir erlaubt wäre, unbegleitet einen Mann zu treffen, der nicht mein Vater, Bruder oder Ehemann ist, würde ich es gerne bei ein paar Drinks (was ich auch nicht darf) mit dir diskutieren. Du siehst also, die Dinge müssen sich ändern.

Mit aufrichtigen Grüßen,

Eiynah

Eiynah ist eine pakistanisch-kanadische Bloggerin/Zeichnerin, die über Sexualität in Pakistan schreibt. Sie träumt von einem fortgeschrittenen Mutterland und ist auch Kinderbuchautorin. Sie bloggt unter www.nicemangos.blogspot.com, twittert als @Nicemangos und ist bei Facebook unter facebook.com/eiynah.nicemangos zu finden.

Übersetzung: Jörg Elbe, Elisabeth Mathes

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

  1. userpic
    Bernd Kammermeier

    So, ich habe mir jetzt zu dem sehr guten offenen Brief von Eiynah die Originalsendung angeschaut.

    Was sich hierbei zeigt, ist das klassische Phänomen, dass Kritik am Islam immer bestimmten, kleinen Splittergruppen zugeordnet werden sollte (so Ben Afflecks Credo), während das Positive dieser Religion dem gesamten Islam zugute kommen sollte. Diese Idee ist natürlich aus dem modernen Toleranzempfinden geboren, das Negatives individualisiert, während Positives generalisiert wird. Das hat ja auch was für sich: Böse waren irgendwann nicht mehr DIE Deutschen im 3. Reich, sondern böse waren EINIGE Deutsche. Generalverdacht wurde in der erwachsener werdenden Diskussion zunehmend geächtet.

    Warum aus dieser löblichen Einstellung dann aber abgeleitet wurde, dass positive Eigenschaften generalisiert werden dürfen, geht mir nicht auf. Diese sind ebenso an ein Individuum gekoppelt, wie das Negative. Würde man die Diskussion mit dieser Prämisse der Gleichbehandlung führen, dann wäre es gleichgültig, ob es in einer Gesellschaft gute oder schlechte Menschen oder eine "mittelmäßige" Mehrheit gibt. Diskutiert würde dann, wie es Maher und Harris tun, ob eine bestimmte Gesellschaft eine gewisse Tendenz zu überproportional negativem Verhalten zeigt und wenn ja, worin dafür die Gründe zu suchen sind.

    Und da - neben all den desinteressierten oder ängstlichen Muslimen (die deshalb friedlich wirken) - in islamischen Gesellschaften bestimmte freiheitsfeindliche Ansichten herrschen, die von noch weniger Personen in grauenhafte Taten umgesetzt werden, muss sich die Ideologie "Islam" einer kritischen Prüfung unterziehen.

    Als die Deutschen glaubten, Juden und andere missliebige Mitbürger ausrotten zu dürfen, andere Länder zu überfallen und ideologisch letztlich die ganze Welt zu vereinnahmen, war dies auch keine Eigenschaft des Deutschen an sich, sondern Ergebnis der herrschenden Ideologie. Es ist doch nicht rassistisch (um Ben Afflecks Wort zu benutzen), wenn man zu dem Ergebnis kommt, der Nationalsozialismus sei eine abzulehnende Ideologie.

    Warum also sollte man bei einer ähnlich gewalttätigen und intoleranten Ideologie, wie dem Islam, nicht ähnlich vorgehen? Die negativen Auswirkungen sind doch wohl unübersehbar und werden auf ideologischer Ebene nicht dadurch geschmälert oder relativiert, wenn man Muslime findet, die nicht töten, unterdrücken, beleidigen oder ausgrenzen. Die gab es damals in Deutschland in Bezug auf den Nationalsozialismus auch, was in keiner Weise - ich denke, darüber bin ich mit jedem Demokraten einig - dazu führen darf, das Nazi-Regime zu relativieren (so, wie dies Eva Hermann teilweise tat).

    Kritik am Islam kann also kein Rassismus sein, weil Islam keine Rasse ist ("Muslim sein" übrigens auch nicht).

    Rassismus wohnt vielmehr den intoleranten Ideologien, wie monotheistischen Religionen, Faschismus, Kommunismus etc., inne. Wobei das Christentum z.B. den damals noch nicht existenten Begriff des Rassismus mit "Ablehnung der Heiden" gefüllt hat. Das war zwar - ähnlich wie der Antijudaismus Luthers - "heilbar", weil Heide oder Jude sein keinen dauerhaften Makel darstellte, sondern eine "Irreleitung" des Menschen, der durch Wasserbespritzen und Zauberspruch zu einem vollwertigen (Christen)menschen mutieren konnte.

    Doch in diesem Gedanken steckt bereits der Keim des Rassismus, denn natürlich ist es rechtsstaatlich und ethisch undenkbar, einen Menschen dazu zwingen zu wollen, seine Überzeugung aufgeben zu müssen, um als Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden oder gar am Leben zu bleiben.

    Wenn darüberhinaus andere Gruppen (Homosexuelle, Geschiedene, Frauen, Atheisten, Humanisten, Wissenschaftler, Kritiker und Comiczeichner) sogar zur Aufgabe ihrer Lebensweise gezwungen werden, weil die IDEOLOGIE es verlangt, dann MUSS diese Ideologie auf den Prüfstand der Kritik - und nicht die Kritik an der Ideologie.

    Bei dieser Prüfung, bei allem Wohlwollen spirituellen Gedanken gegenüber, haben die drei Monotheismen auf ganzer Linie versagt. Sie sind reformunwillig, reformunfähig und durchdringen ihre jeweiligen Gesellschaften mit dem bösen Gift der Intoleranz. Dass nicht jeder auf dieses Gift reagiert und manche sogar immun dagegen sind, macht das Gift an sich nicht besser.

    Das ist es im Wesentlichen, was Ben Affleck nicht versteht. Aber ich will ihn nicht überfordern. Er ist ein Schauspieler, der dann einen intelligenten Mann spielen kann, wenn ihm ein intelligenter Drehbuchautor einen intelligenten Dialog geschrieben hat...

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