Neuer GWUP-Vorstand verspricht Rückkehr zu kritischer Forschung
Am 11. Mai 2024 war die Aufregung unter den Skeptikern groß, als die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) einen neuen Vorstand und einen neuen Vorsitzenden wählte, wobei ein knappes Rennen erwartet wurde. André Sebastiani setzte sich mit 138 Stimmen gegen die 106 Stimmen von Holm Hümmler durch, bei fünf Stimmenthaltungen. Hümmler, der die Organisation ein Jahr lang leitete, wurde während seiner Amtszeit für seinen autoritären und ausgrenzenden Führungsstil kritisiert. Sebastiani und der neu gewählte Vorstand haben sich verpflichtet, die Organisation wieder in Richtung Inklusivität und Meinungsvielfalt zu lenken.
Die Wahl, die am dritten Tag der jährlichen SkepKon-Konferenz stattfand, folgte weitgehend ruhigen und sachlichen Debatten, die von Axel Ebert mit viel Gespür moderiert wurden. Das war überraschend angesichts der hitzigen und langwierigen Auseinandersetzungen, die diesen außergewöhnlichen Neuwahlen vorausgegangen waren (siehe „Das deutsche Dilemma“ und „Das deutsche Dilemma geht weiter“). Nun scheinen beide Seiten erleichtert zu sein, dass der jahrelange Streit um die künftige Ausrichtung des Vereins beigelegt ist.
Eine Rückkehr zu etablierten Normen
Der Sieg Sebastianis wird weitgehend als Wiederherstellung des alten Stands für Deutschlands größte Skeptikerorganisation gesehen. Die GWUP öffnet sich nun wieder für die kritische Untersuchung pseudowissenschaftlicher Behauptungen unabhängig von ideologischen Hintergedanken, einschließlich der Critical Studies und ihrer verschiedenen Unterdisziplinen. Sebastiani versichert jedoch, dass Critical Studies nicht pauschal als Pseudowissenschaft abgetan werden sollen. Stattdessen wird das Feld einer gründlichen, transparenten, fairen und unvoreingenommenen Bewertung unterzogen. Die Mitglieder der GWUP werden nicht gezwungen, bestimmte Überzeugungen über Critical Studies anzunehmen, und sie werden auch nicht zum Schweigen gebracht, wenn sie mit der Mehrheitsmeinung nicht einverstanden sind. „Ich hoffe, dass der Verein eine Plattform für eine sachkundige Debatte bieten kann“, sagt Sebastiani.
Amardeo Sarma, der die GWUP bis zu seinem Rücktritt im Jahr 2023 jahrzehntelang leitete, ist besonders erleichtert über das Wahlergebnis. „Das neue Team ist eines der besten, das die GWUP je hatte“, merkt er an. Sarma betont, dass der Verein am wirkungsvollsten sein wird, wenn er sich auf Wissenschaft, Beweise und kritisches Denken als ehrlicher Vermittler konzentriert. „Das bedeutet, dass wir weder die Informationen, die durch unsere Kanäle fließen, beschönigen, noch unseren Geltungsbereich definieren und einschränken, um externe Interessen zu befriedigen, woher auch immer sie kommen mögen“, fügt er hinzu.
Hümmler zeigte sich enttäuscht über den Wahlausgang: „Manche Leute denken, wir hätten verloren. Aber nein, sie haben uns verloren.“ Er kündigte seinen Austritt aus dem Verein an und spekulierte, dass andere prominente Mitglieder seinem Beispiel folgen könnten, was möglicherweise zu einem Verlust an Sichtbarkeit für die Organisation führen könnte. Der neue Vorstand bestätigte, dass er seit der Wahl einige Austrittserklärungen erhalten hat, während einige Mitglieder, die unter Hümmler ausgetreten waren, dem Club wieder beigetreten sind.
Neuer Vorstand, neuer Plan
Der neue GWUP-Vorstand, der nun von Sebastiani geleitet wird, besteht aus vier weiteren Männern und vier Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen. Die beiden stellvertretenden Vorsitzenden sind Judith Faessler, Extremismusexpertin und Forscherin beim Bundesamt für Verfassungsschutz, und Stefanie Handl, Tierärztin aus Wien. Schatzmeister ist der Steuerberater Stefan Soehnle, Vertreter des Wissenschaftsrats der GWUP ist die Erziehungswissenschaftlerin Barbro Walker. Die weiteren Vorstandsmitglieder sind Rouven Schäfer, langjähriges Mitglied seit 2000, der Psychologe Timur Sevincer, der Astrophysiker Stefan Uttenthaler und Stefanie Weig, die ihre Zuschauer auf YouTube über Pseudowissenschaft und Esoterik aufklärt.
Der neue Vorstand hat bereits einen Plan für seine ersten 100 Tage im Amt vorgelegt. Dazu gehören die Schaffung eines Rahmens für Online-Umfragen und -Wahlen, die Ausweitung digitaler Inhalte mit einem neuen Podcast sowie die Einführung eines Programms zur Förderung des kritischen Denkens in Schulen. Der Plan verspricht auch Maßnahmen zur Verbesserung der internen Kommunikation, zur Steigerung der Vernetzung und der Medienpräsenz sowie zur Erweiterung der Mitgliederbasis durch die Anwerbung von Community-Botschafter.
All diese Maßnahmen entstammen der umfassenderen Vision den wissenschaftlichen Skeptizismus für die Gesellschaft relevant und nützlich zu machen, erklärt Sebastiani. Er erläutert: „Als gemeinnützige Nichtregierungsorganisation ist es unsere Aufgabe, der Öffentlichkeit zu dienen. Wir, der neu gewählte Vorstand, nehmen diesen Auftrag ernst. Unser Ziel ist es, eine integrative, tolerante und einladende Organisation für alle soziokulturellen Gruppen zu schaffen. Wir wollen wissenschaftlichen Skeptizismus und kritisches Denken zum Wohle aller fördern“. Darüber hinaus betont er, dass sie sich dafür einsetzen werden, dass der Skeptizismus auch in Zukunft relevant bleibt, indem sie junge Mitglieder durch digitale Inhalte und die Zusammenarbeit mit bekannten Künstlern ansprechen und eine skeptische Jugendorganisation gründen.
Eine weitere relevante Entwicklung ist der Wechsel in der Leitung des GWUP-Zentrums für Wissenschaft und kritisches Denken. Nikil Mukerji, ein Wissenschaftsphilosoph und CSI-Fellow, trat die Nachfolge von Martin Mahner als Direktor an. Mahner leitete das Zentrum seit dessen Gründung im Jahr 2002. Ursprünglich als Drehscheibe für die Verwaltung von Informationen, öffentlichen Anfragen und Bildungsressourcen zur Förderung des wissenschaftlichen und kritischen Denkens eingerichtet, schlägt das Zentrum nun unter Mukerjis ehrgeiziger Vision ein neues Kapitel auf, das sich gut mit den Plänen des neuen Vorstands deckt. „Wissenschaftlicher Skeptizismus ist ein ernsthaftes akademisches Unterfangen, das für Wissenschaftler und Philosophen gleichermaßen von Interesse ist. Es sollte Universitätskurse und Forschungspublikationen zu diesem Thema geben, die vor allem bei denjenigen Interesse wecken, die die Grenzen unseres Wissens erweitern“, sagt Mukerji. Dementsprechend plant er, die Rolle des Skeptizismus an den Universitäten im gesamten deutschsprachigen Raum zu stärken und den wissenschaftlichen Skeptizismus und das kritische Denken in allen akademischen Bereichen zu fördern.
Steter Tropfen höhlt den Stein
Auch wenn der heftige Konflikt, der zu den vorgezogenen Neuwahlen führte, für einige einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen haben mag, ist es doch beruhigend zu sehen, dass der neu gewählte Vorstand mit so ehrgeizigen Plänen und so viel Enthusiasmus ans Werk geht. Der Kampf der Skeptiker für kritisches Denken ist wichtig und kann, wenn er mit Beharrlichkeit und Hingabe geführt wird, zu richtigen Ergebnissen führen. Das beweist die gute Nachricht, die die deutschen Skeptiker gerade rechtzeitig zu ihrem Jahrestreffen auf der SkepKon erreichte: Die Bundesärztekammer gab bekannt, dass sie sich nun offiziell gegen die Homöopathie ausspricht, ein Ziel, das die GWUP seit Jahrzehnten vertritt. Doch der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Das Abstimmungsergebnis - 116 Stimmen für ein Verbot der Homöopathie, 97 dagegen - zeigt, dass die deutschen Ärzte noch weit davon entfernt sind, sich auch nur auf grundlegende wissenschaftliche Prinzipien zu einigen, und dass es noch viel zu tun gibt.
Johannes C. Zeller studierte Linguistik und Medienwissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz. Als erfahrener Journalist übt er sich gerne in kritischem Denken und bietet Einblicke in den Mediendiskurs - zum Beispiel in seinem Blog auf icallbs.substack.com.
Übersetzung: Jörg Elbe
Kommentare
Danke für diesen Bericht. Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass zu der Mitgliederversammlung viele Menschen von weit her angereist sind, um den 'Putsch' auf der letzten Versammlung wieder ins rechte Lot zu bringen. So viele Menschen waren noch nie auf einer Mitgliederversammlung erschienen.
Wie sehr das Ergebnis vielen Anwesenden am Herzen lag, konnte man an den lang anhaltenden 'standing ovations' erkennen, die Amardeo Sarma erhielt, als er kurz vor Ende der Versammlung unerwartet im Saal war und sich zu Wort meldete.
Es war klar, dass es Austritte geben würde, so oder so. Vermutlich war es sinnvoller für die GWUP, dass zur alten Ausrichtung zurück gefunden wurde.
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Ich weiß von einigen Personen, die nach der Wahl für Team Sebastiani wieder in die GWUP zurück gekehrt sind oder es demnächst tun wollen, da sie wieder Chancen für echten Skeptizimus und offene DIskussionen im Verein sehen, der durch das toxische Verhalten und autoritäre Vorstellungen des alten Vorstands abhande zu kommen drohte.
Austritte und (Wieder-)eintritte werden mindestens in Waage halten.
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