Das Selbstbestimmungsgesetz – eine legislative Fehlleistung (4+5/5)

Eine ausführliche Betrachtung

Das Selbstbestimmungsgesetz – eine legislative Fehlleistung (4+5/5)

Foto: Pixabay.com / LunaSun

Teil 4

In Teil 3 habe ich die These begründet, dass es eigentlich keinen Sinn macht, von einer „Abweichung der Geschlechtsidentität vom Geschlechtseintrag“ zu reden und zu fordern, die Vornamenswahl am Geschlechtseitrag auszurichten.

In Teil 4 zeige ich, dass die umfangreichen Ausnahmeregelungen im SBGG zusammen mit dem Offenbarungsverbot wahrscheinlich zu einer so beachtlichen wie inakzeptablen Rechtsunsicherheit für viele Bürger führen.

Die Ausnahmeregelungen im SBGG

Das SBGG benennt zahlreiche Ausnahmen, d.h. Situationen oder Lebensumstände, in denen unabhängig von der Geschlechtsidentität das biologische Geschlecht juristisch relevant ist bzw. sein soll. Zumindest scheint das gemeint zu sein, gesagt wird es nicht. Diese Ausnahmen finden sich vor allem in den Paragraphen 6, 7 und 8:

„§ 6 Wirkungen der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen

(1) Der jeweils aktuelle Geschlechtseintrag und die jeweils aktuellen Vornamen sind im Rechtsverkehr maßgeblich, soweit auf die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung oder die Vornamen Bezug genommen wird und durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Betreffend den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen bleiben die Vertragsfreiheit und das Hausrecht des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers sowie das Recht juristischer Personen, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln, unberührt.

(3) Die Bewertung sportlicher Leistungen kann unabhängig von dem aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden.

(4) Auf den aktuellen Geschlechtseintrag kommt es bei allen gesundheitsbezogenen Maßnahmen oder Leistungen nicht an, sofern diese im Zusammenhang mit körperlichen, insbesondere organischen Gegebenheiten stehen.

§ 8 Anwendbarkeit von Rechtsvorschriften

(1) Gesetze und Verordnungen, die Regelungen zu Schwangerschaft, Gebärfähigkeit, künstlicher Befruchtung sowie zu Entnahme oder Übertragung von Eizellen oder Embryonen treffen, gelten unabhängig von dem im Personenstandsregister eingetragenen Geschlecht der jeweiligen Person,

1. die schwanger oder gebärfähig ist,

2. die schwanger oder gebärfähig werden will,

3. die ein Kind geboren hat oder stillt oder

4. bei der eine künstliche Befruchtung durchgeführt wird oder der Eizellen oder Embryonen entnommen oder übertragen werden.

Gleiches gilt für Gesetze und Verordnungen, die Regelungen im Kontext von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillen treffen.

(2) Gesetze und Verordnungen, die an die Entnahme oder Übertragung von Samenzellen oder die Verwendung von Samenzellen zur künstlichen Befruchtung, an die Stellung als leiblicher Vater oder daran anknüpfen, dass ein Mann der Mutter eines Kindes während dessen Empfängniszeit beigewohnt hat, gelten unabhängig von dem im Personenstandsregister eingetragenen Geschlecht der jeweiligen Person,

1. die zeugungsfähig war oder ist,

2. die ein Kind gezeugt hat oder hätte zeugen können oder

3. die Samenzellen spenden will, gespendet hat oder der Samenzellen entnommen werden.

§ 9 Zuordnung zum männlichen Geschlecht im Spannungs- und Verteidigungsfall

Die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bleibt, soweit es den Dienst mit der Waffe auf Grundlage des Artikels 12a des Grundgesetzes und hierauf beruhender Gesetze betrifft, für die Dauer des Spannungs- oder Verteidigungsfalls nach Artikel 80a des Grundgesetzes bestehen, wenn in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem die Änderung des Geschlechtseintrags von „männlich“ zu „weiblich“ oder „divers“ oder die Streichung der Angabe zum Geschlecht erklärt wird. Unmittelbar ist der zeitliche Zusammenhang während eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls sowie ab einem Zeitpunkt von zwei Monaten vor Feststellung desselben.“

In diesen drei sehr langen Paragraphen wird der naheliegende Ausdruck „biologisches Geschlecht“ bei der Formulierung der Ausnahmen nicht verwendet. Es ist lediglich die Rede davon, dass sie „unabhängig von dem im Personenstandregister eingetragenen Geschlecht der Person“ gelten sollen. Was genau herangezogen wird oder herangezogen werden soll, um den Status der betroffenen Personen zu bestimmen, bleibt im SBGG offen!

Abgesehen davon, dass dieses Herumschwurbeln so kindisch wie komisch ist, schafft es vermutlich eine enorme Rechtsunsicherheit: Auf Grundlage welcher Kriterien bzw. Argumente kann z.B. ein Frauenhaus, der Veranstalter eines „Ladies Only“ – Events oder der Besitzer einer Sauna mit Zeiten, die ausschließlich für (biologische) Frauen reserviert sind, Trans-Frauen, also biologische Männer ausschließen?

Im SBGG wird durch die Aufwertung der Geschlechtsidentität zu einer juristisch relevanten Kategorie, die Vermeidung des Bezugs auf das biologische Geschlecht und die vage formulierten Ausnahmeklauseln genau für solche Situationen Rechtsunsicherheit erzeugt. Konkret: Hier wird eine beachtliche Grauzone mit hohem Risiko für die Bürger geschaffen, in zeit- und geldintensive gerichtliche Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Damit verstößt das SBGG gegen die fünfte Minimalbedingung: Ein gutes Gesetz lässt in dem Bereich, den es normativ abdecken soll keine Lücken, die massive Rechtsunsicherheit nach sich ziehen.

Diese legislativ und normativ unbefriedigende Situation wird dadurch verschärft, dass das biologische Geschlecht einer Person durch Änderung des Geschlechtseintrages in zahlreichen Dokumenten verschleiert wird (§10 Änderung von Registern und Dokumenten) und laut Paragraph 13 nicht ausgeforscht werden darf:

„§ 13 Offenbarungsverbot

(1) Sind Geschlechtsangabe und Vornamen einer Person nach § 2 geändert worden, so dürfen die bis zur Änderung eingetragene Geschlechtsangabe und die bis zur Änderung eingetragenen Vornamen ohne Zustimmung dieser Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden. Satz 1 gilt nicht, wenn

1. amtliche Register oder amtliche Informationssysteme personenbezogene Daten zu dieser Person enthalten und im Rahmen der jeweiligen Aufgabenerfüllung von öffentlichen Stellen die Verarbeitung von Daten nach Satz 1 nach anderen Rechtsvorschriften erforderlich ist,

2. besondere Gründe des öffentlichen Interesses eine Offenbarung der Daten nach Satz 1 erfordern oder

3. ein rechtliches Interesse an den Daten nach Satz 1 glaubhaft gemacht wird.“

Das führt sofort zu dieser Frage: Wie soll z.B. das Hausrecht im konkreten Fall durchgesetzt werden, wenn das biologische Geschlecht einer Person, die abgewiesen werden soll, erstens für die betreffende Regelung relevant ist, zweitens aber weder ausgeforscht noch offenbart werden darf?

Diese und ähnliche Überlegungen erhärten den Schluss aus dem letzten Kapitel, dass das SBGG gegen Bedingung Nummer vier verstößt: Ein gutes Gesetz muss in sich stimmig sein. Die zahlreichen Ausnahmen können und werden vermutlich zusammen mit dem Offenbarungsverbot zu vielen Unklarheiten und Rechtsrisiken für die Bürger führen.[1]

Teil 5

In Teil 4 habe ich argumentiert, dass die umfangreichen Ausnahmeregelungen im SBGG zusammen mit dem Offenbarungsverbot zu einer so beachtlichen wie inakzeptablen Rechtsunsicherheit für viele Bürger führen.

Im abschließenden Teil 5 zeige ich, dass im SBGG der für unser Rechts- und Gerechtigkeitsverständnis enorm wichtige Schutz von Kindern und Jugendlichen aus den Augen verloren wurde.

Das SBGG und der Schutz von Kindern und Jugendlichen

Das SBGG hebelt aus meiner Sicht konsequent den eigentlich selbstverständlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen durch den liberalen Rechtsstaat aus. Damit verstößt es gegen Minimalbedingung zwei, den Leitgedanken unseres Rechts- und Verfassungsverständnisses, nämlich die Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Um das klar herauszuarbeiten, ist ein Blick auf andere Gesetze und die im März 2025 beschlossene Leitlinie zur Behandlung von Trans-Kindern und -Jugendlichen hilfreich.

Das Umfeld des SBGG

Konversionstherapien für homosexuelle Personen gelten zu Recht als unwissenschaftlich und moralisch höchst fragwürdig; sie haben viel Schaden und Leid angerichtet. Deshalb sind sie bei uns gesetzlich verboten. Das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen vom 12.6.2020 bezieht allerdings ausdrücklich Behandlungen zur Veränderung oder Unterdrückung der „selbstempfundenen geschlechtlichen Identität“ in das Verbot mit ein.

Wissenschaftlich betrachtet ist das nicht haltbar: Sexuelle Orientierung ist etwas ganz anderes als die „selbstempfundene geschlechtliche Identität“.[2] Tatsache ist, dass Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie bei Kindern und Jugendlichen sogar in der großen Mehrheit der Fälle nach der Pubertät wieder verschwinden.[3] Warum es verboten sein soll, diesen Prozess therapeutisch zu begleiten ist für mich unverständlich. Aber: Für unseren Fall heißt das, dass eine ergebnisoffene bzw. explorative Behandlung oder Beratung von Trans-Kindern und Trans-Jugendlichen praktisch nicht möglich ist: Welcher Therapeut würde schon so ein Risiko eingehen?

Flankierend dazu gilt seit März 2025 die neue S2k-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter. Leitlinien sind keine Gesetze, aber die wichtigsten und juristisch relevanten Behandlungsempfehlungen im medizinischen Bereich. Diese höchst umstrittene Leitlinie orientiert sich so klar wie unsinnig am affirmativen Behandlungsmodell, das die selbstempfundene Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen als gesetzt und valide akzeptiert und therapeutisches Prüfen und Hinterfragen praktisch ausschließt. Es ist mehr als erstaunlich, dass so eine Leitlinie bei uns noch beschlossen werden konnte, während das darin propagierte affirmative Behandlungsmodell in zahlreichen Ländern gerade eingeschränkt, zurückgeschraubt oder sogar ganz verboten wird! Aber: Für unseren Fall heißt das, dass damit eine weitere Barriere für eine ergebnisoffene Beratung von Trans-Kindern und -Jugendlichen errichtet wurde.[4]

In Folge dieses Umfeldes, in das hinein das SBGG beschlossen wurde, gibt es wohl kaum genug seriöse Angebote für eine professionelle ergebnisoffene Beratung für Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsinkongruenz bzw. -dysphorie.

Beratung im SBGG

Paragraph 3 klärt die Anwendung des SBGG auf Kinder und Jugendliche:

„§ 3 Erklärungen von Minderjährigen und Personen mit Betreuer

(1) Eine beschränkt geschäftsfähige minderjährige Person, die das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen (§ 2) nur selbst abgeben, bedarf hierzu jedoch der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters. Stimmt der gesetzliche Vertreter nicht zu, so ersetzt das Familiengericht die Zustimmung, wenn die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht. Mit der Versicherung nach § 2 Absatz 2 hat die minderjährige Person zu erklären, dass sie beraten ist. Die Beratung kann insbesondere erfolgen durch

1. Personen, die über eine psychologische, kinder- und jugendlichenpsychotherapeutische oder kinder- und jugendpsychiatrische Berufsqualifikation verfügen, oder

2. öffentliche oder freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe.

(2) Ist die minderjährige Person geschäftsunfähig oder hat sie das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, kann nur der gesetzliche Vertreter die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen (§ 2) für die Person abgeben. Die Erklärung bedarf des Einverständnisses des Kindes, wenn es das fünfte Lebensjahr vollendet hat. Ein Vormund bedarf hierzu der Genehmigung des Familiengerichts; das Familiengericht erteilt die Genehmigung, wenn die Erklärung unter Berücksichtigung der Rechte des Mündels aus § 1788 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dem Wohl des Mündels nicht widerspricht. Mit der Versicherung nach § 2 Absatz 2 hat der gesetzliche Vertreter zu erklären, dass er entsprechend beraten ist.

(3) Für eine geschäftsunfähige volljährige Person, für die in dieser Angelegenheit ein Betreuer bestellt ist, kann nur der Betreuer die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen nach § 2 abgeben; er bedarf hierzu der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Das Betreuungsgericht erteilt die Genehmigung, wenn die Erklärung einem nach § 1821 Absatz 2 bis 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu beachtenden Wunsch oder dem mutmaßlichen Willen des Betreuten entspricht.“

Das Thema Beratung wird in Paragraph 3 an mehreren Stellen relevant:

- Bei Änderung des Geschlechtseintrages muss die minderjährige Person erklären, dass sie beraten ist. Diese Forderung ist im Grunde zahnlos: Wir haben oben gesehen, dass und warum es bei uns extrem schwierig ist, tatsächlich eine fundierte Beratung zu erhalten. Zudem wird die Erklärung des Beratenseins nicht auf ihre Seriosität hinterfragt. Unter diesen Bedingungen wäre es ehrlicher, auf diese Forderung ganz zu verzichten.

- Stimmt der gesetzliche Vertreter dem Änderungswunsch zum Eintrag nicht zu, dann entscheidet laut SBGG das Familiengericht und orientiert sich dabei am Kindeswohl. Für mein Verständnis benötigt das Gericht dafür allerdings medizinische Gutachten – und damit taucht genau die oben skizzierte Problematik zum Thema Konversionstherapie und Leitlinie wieder auf. Gleiches gilt für die Forderung aus Absatz (2), die Erklärung dürfe dem Wohl des Mündels nicht widersprechen. Deshalb liest sich die im SBGG geforderte Orientierung am Kindeswohl für mich wie eine Farce.

Also: Das SBGG ist mit dem Gesetz zur Konversionstherapie und den neuen Leitlinien stimmig – und genau deshalb nicht akzeptabel: Wenn schon Beratung gefordert wird, dann sollte deren Seriosität und wissenschaftliche Belastbarkeit sichergestellt, zumindest ermöglicht werden. Schließlich haben wir es mit Kindern und Jugendlichen zu tun, einer besonders vulnerablen Personengruppe.

Da Beratung als Entscheidungshilfe für Kinder, Jugendliche und deren Eltern praktisch ausfällt, ruht sehr viel Gewicht auf der erkenntnistheoretischen und moralischen Belastbarkeit der Entscheidung von Kindern und Jugendlichen bezüglich ihrer Geschlechtsidentität.[5] Das Gesetz geht in Paragraph 3 davon aus, dass Kinder und Jugendliche diese klar und deutlich genug „erkennen“ oder „wissen“ können, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. „Kontrollinstanz“ sind im Grunde nur noch die gesetzlichen Vertreter, also im Normalfall die Eltern. Das wirft die nächste Frage auf: Ist diese Annahme plausibel?

Die Datenlage zu Kindern und Jugendlichen

Nicht ohne gute Gründe haben wir klare Gesetze zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Ihre noch in der Entwicklung befindliche Entscheidungsfähigkeit und Reife, begrenzte Lebenserfahrung und Fähigkeit zur Weitsicht und nicht zuletzt die Hormonstürme der Pubertät machen das nötig. Natürlich kommt es immer auf den konkreten Einzelfall an – aber da unsere Gesetze allgemein gelten sollen, brauchen wir klare Altersangaben als Richtlinie. Das SBGG scheint davon auszugehen, das Kinder und Jugendliche ab 14 Jahren ihre Geschlechtsidentität so sicher erkennen können, dass sie die Änderung des Eintrages vornehmen können (mit Einverständnis der gesetzlichen Vertreter). Erschwerend kommt wie gesehen hinzu, dass auf Beratung praktisch verzichtet wird.

Wie plausibel ist diese Annahme? Vor dem Hintergrund meiner Ausführungen zum Begriff der Geschlechtsidentität möchte ich den Leser bitten, folgende Aspekte zu berücksichtigen:

- Die Datenlage zeigt, dass bei weit mehr als der Hälfte der Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie diese die Pubertät nicht überdauert. Mit anderen Worten: Die vermeintliche Gewissheit, „im falschen Körper geboren zu sein“ oder „trans zu sein“, verliert sich in der großen Mehrzahl der Fälle mit und nach der Pubertät.[6]

- Die Datenlage zeigt, dass bei Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie sehr oft signifikante weitere Herausforderungen vorliegen. Konkret geht es immer wieder um Essstörungen, Depressionen, sexuellen Missbrauch, schwierige Familienverhältnisse. Überdurchschnittlich oft wird Autismus diagnostiziert. Dazu kommen natürlich Fälle von krisenhaft erlebter und durchlebter Homosexualität.[7] Deshalb drängt sich diese Frage auf: Wie sollen Ursachen von Symptomen unterschieden werden, wenn ausschließlich affirmativ beraten, also die „Ursache Trans“ als gesetzt betrachtet wird und andere Modelle als „Konversionstherapie“ verboten sind?[8]

- In den letzten Jahren hat es einen enormen Anstieg an selbsterklärten Trans-Jugendlichen gegeben. Dabei handelt es sich vorwiegend um weibliche Teenager. Ein plausibler Erklärungsansatz dafür basiert auf dem Phänomen der sozialen Ansteckung vor dem Hintergrund des offenbar sehr hohen Drucks, gewissen weiblichen Idealen entsprechen zu müssen. Wie stellt das SBGG vor diesem Hintergrund sicher, dass es sich im konkreten Fall bei „trans zu sein“ nicht um eine leichte und attraktive Fluchtmöglichkeit aus diversen psychischen Problemen oder sozialem Druck handelt? Motto: Das Leben als Mann ist doch viel einfacher und unkomplizierter![9]

Man könnte jetzt einwenden, dass mit der Änderung des Geschlechtseintrags ja „eigentlich“ nichts passiert. Es handle sich dabei lediglich um einen von mehreren Bausteinen der sozialen Transition. Medizinische Interventionen wie die Gabe von Pubertätsblockern sind ein davon unabhängiger, nächster Schritt. Zudem könne man laut SBGG nach einem Jahr den Geschlechtseintrag erneut ändern.

Aber, so einfach ist das nicht. Die Datenlage zeigt eindeutig, dass mit Pubertätsblockern der Weg zur Transition beschritten wird. Früher als „Pausetaste“ verharmlost, gelten sie heute als Auftakt des medizinischen Weges. Ich befürchte, dass durch die sehr unkomplizierte und praktisch beratungsfreie „juristische Transition“ bereits der erste Schritt auf diesem Weg erfolgt.

Mein Fazit

Bitte denken Sie an Ihre eigene Lebenserfahrung, aktivieren Sie Ihre Menschenkenntnis: Kinder und Jugendliche, die ihren Geschlechtseintrag ändern und damit nicht nur sozial, sondern eben auch „offiziell juristisch“ transitionieren, brauchen viel Mut, Energie und Zivilcourage und ein ganz besonderes soziales Umfeld, um das im Fall der Fälle noch rechtzeitig (!) als Irrtum zu erkennen und wieder zurückzurudern. Meine Befürchtung: Es entsteht durch die im SBGG sehr einfache „juristische Transition“ beachtlicher Druck auf die Jugendlichen, bei der einmal getroffenen Entscheidung zu bleiben – und das im oben skizzierten Umfeld.

Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Jugendlichen vor und während der Pubertät für eine Entscheidung von derartiger Tragweite reif genug ist. Dazu kommt, dass der zentrale Begriff, Geschlechtsidentität, keinerlei intersubjektive Anwendungskriterien zur Kontrolle aufweist und das Gesetz eine solche auch nicht ernsthaft vorsieht. Die ganze in meinem Essay skizzierte Gemengelage setzt meines Erachtens Kinder und Jugendliche einem enormen Schadensrisiko aus, vor dem der Gesetzgeber sie eigentlich konsequent schützen sollte. Genau für solche Fälle haben wir doch unsere Gesetze zur eingeschränkten Geschäftsfähigkeit Jugendlicher und zu deren Schutz! Warum sollten wir gerade bei der Trans-Thematik von diesem wertvollen Leitgedanken abweichen?

Ich fasse zusammen

Akzeptable Gesetze dürfen nicht gegen die Erkenntnisse der Naturwissenschaften verstoßen, sollen die Würde des Menschen achten, auf unklare, schwammige und mehrdeutige Begriffe und Formulierungen verzichten, in sich stimmig sein und Rechtsunsicherheit abbauen. Das neue SBGG verstößt klar und deutlich gegen jede einzelne dieser fünf eigentlich selbstverständlichen Anforderungen.

Deshalb betrachte ich meine Forderung, dieses Gesetz so schnell wie möglich wieder zurückzuziehen als solide begründet und völlig berechtigt: Weg mit diesem Unsinn!

Als klassischer Liberaler stehe ich Staat und Gesetzen prinzipiell eher skeptisch gegenüber. Jedes Gesetz muss auf Basis der Kernaufgaben des Staates begründet werden: Schutz der Sicherheit und der individuellen Freiheits- und Eigentumsrechte eines jeden Bürgers. Meine erste Frage: Welchen Beitrag leistet das Personenstandregister bzw. die Erfassung des biologischen Geschlechts der Bürger dazu? Meine zweite Frage: Warum versuchen wir nicht, einen anderen Weg zu gehen und ganz ohne Eintrag des biologischen Geschlechts in ein zentrales Personenstandsregister auszukommen? Ich weiß nicht, ob das funktionieren kann – aber was spricht gegen eine ernsthafte Prüfung?

Fußnoten

[1] Zudem sollte man immer das Risiko im Auge behalten, mit derartigen Gesetzen und den daraus resultierenden Streitigkeiten das Vertrauen in unser Rechtssystem und die Justiz zu schwächen und Raum für Lächerlichkeiten zu schaffen. Das ist keine leere Befürchtung: https://queernations.de/marla-svenja-liebich-selbstbestimmungsgesetz/

[2] Damit hätten wir ein weiteres inakzeptables Gesetz identifiziert.

[3] Hier eine kurze Zusammenfassung: https://www.spektrum.de/news/geschlechtsinkongruenz-bei-jugendlichen-verschwindet-oft-wieder/2234002

[4] https://queernations.de/neue-transleitlinie-kann-jungen-menschen-schaden/

[5] Auch die Eltern bräuchten kompetente Beratung; das Thema ist ja komplex und kaum durch Alltagserfahrung alleine zu bewältigen.

[6] Alexander Korte: Hinter dem Regenbogen. Stuttgart 2024. Korte liefert wie ich noch einmal betonen möchte einen sehr gut lesbaren und zuverlässigen Überblick zum Stand unseres Wissens.

[7] Das beschreibt auch der Cass-Review: https://webarchive.nationalarchives.gov.uk/ukgwa/20250310143933/https://cass.independent-review.uk/home/publications/final-report/

[8] Zudem stellt das affirmative Modell im Konzert mit dem Verbot der Konversionstherapie praktisch sicher, dass deren Vorliegen bzw. Relevanz oft unerkannt bleibt, sie also unbehandelt bleiben.

[9] https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0202330 Der Hintergrund für diese Problematik bräuchte selbst eine längere Abhandlung. Die Leser sollten sich zudem vor Augen halten, dass sich in den sozialen Medien ein regelrechter Trans-Hype entwickelt hat.

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

  1. userpic
    Andreas Edmüller

    Der Autor bedankt sich herzlich bei der Richard Dawkins Foundation für die Übernahme meines langen Blog-Essays.

    Auch der jahrelange, konsequente und hartnäckige Einsatz von Richard Dawkins und seinem Team für Wissenschaft und die Werte der Aufklärung sollte immer wieder gewürdigt werden: Steter Tropfen höhlt den Stein!

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      RPGNo1

      Was im Zusammenhang mit dem SBGG auch interessant ist. Die Ex-Grüne und ehemaliges Mitglied des Bundestages (2009 - 2017) Valerie Wilms hat sich vor kurzem als transsexuell geoutet. Sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit das erste transsexuelle Mitglied des deutschen Bundestages gewesen und nicht Tessa Ganserer oder Nyke Slawik, wie es seit der Bundestagswahl 2021 wieder und wieder über die Medien kolportiert wurde.

      Valerie Wilms lehnt es anders als die o.g. Slawik und Ganserer ab, über ihre Transsexualität definiert zu werden, sondern möchte aufgrund ihrer Tätigkeit und Erfolge als Bundestagsabgeordnete anerkannt werden. Sie hält das SBGG für "woke Gender-Ideologie" und hat auch aus diesem Grund ihre Autobiografie "Meine zwei Leben" veröffentlicht.

      https://www.nzz.ch/feuilleton/valerie-wilms-ueber-ihre-transsexualitaet-und-die-gender-ideologie-ld.1879688

      Von Seiten der Transaktivisten ist dieses Outing bzw. ihr Buch mit heftiger Schnappatmung in Form eines "Moralspektakels" (siehe das Buch von Philipp Hübl) registert worden. Valerie Wilms wird aus er Aktivistenecke (wie sollte es aus anders sein?) als transphob tituliert.

      https://www.queer.de/detail.php?article_id=53339
      https://www.amazon.de/Moralspektakel-richtige-Haltung-Statussymbol-besser/dp/3827501563

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        Andreas Edmüller

        Hallo RPGNo1,

        Wilms hat auch ein anderes Verständnis der Abgeordnetenrolle als Ganserer und Slawik: Volksvertretung versus Aktivismus für eine spezielle Interessengruppe.

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      2. userpic
        Andreas Edmüller

        Hier ein sehr interessantes Podcast-Interview mit V. Wilms. Es hört sich ganz so an, als würde sie meine Kritik am SBGG teilen. Gleiches gilt für die Rolle der Trans-Aktivisten, die ich mit Till Randolf Amelung in Teil 3 unseres Interviews für RDF thematisiert habe: https://denkfabrik-r21.de/r21-podcast-als-transfrau-im-bundestag/

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        1. userpic
          RPGNo1

          @Andreas Edmüller

          Darf ich gratulieren? Nora Eckert hat Sie, Andreas Erdmann [sic!], auf dem angeblich reichweitenstärksten LGBTI-Onlinemedium queer.de wegen ihres Artikels "Das Selbstbestimmungsgesetz – eine legislative Fehlleistung" zu ihrem Gegner erkoren. Till Amelung und Jan Feddersen vom IQN bekommen aber auch ihr Fett fett.
          😉
          https://www.queer.de/detail.php?article_id=53427

          Ironie beseite: Der Artikel ist eine Peinlichkeit sondergleichen. Versetzt mit aktivistischen und ideologischen Versatzstücken und ohne echte Beweise für Eckerts Annahmen zu präsentieren, zelebriert er eine Opfenmentalität

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          1. userpic
            Andreas Edmüller

            Dieser Erdmann ist mir schon öfter als transphob aufgefallen. Der reitet permanent auf so Nazibegriffen wie Menschenwürde, Rechtsstaat und Wissenschaft herum - noch dazu total provokant in nicht geschlechtergerechter Sprache.

            Bei Google findet man aber nichts - ich glaube, der schreibt unter Pseudonym. Ist wahrscheinlich so eine radikale Feministinnen-TERF. Man sollte ihn aber auf jeden Fall bei der Meldestelle der Antonio-Amadeu-Stiftung wegen seiner ständigen argumentativen Mikroaggressionen melden; so kann das nicht weitergehen.

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