Ideologische Angriffe auf die Biologie

Im Gespräch mit Jerry Coyne and Luana Maroja

Die deutsche Übersetzung des Skeptical Inquirer Essays: Die ideologische Unterwanderung der Biologie.

In „Die ideologische Unterwanderung der Biologie“, dem Titelthema der Juli/August-Ausgabe 2023 des Skeptical Inquirer, warnen Jerry A. Coyne und Luana S. Maroja eindringlich und provokativ vor den Gefahren des Versuchs, die wissenschaftliche Realität den politischen Strömungen anzupassen. Es ist ein absolutes Muss für jeden, der der Meinung ist, dass Wissenschaft objektiv und empirisch sein muss - und nicht ideologisch.

Jerry A. Coyne und Luana S. Maroja, moderiert von Robyn E. Blumner, CEO und Präsidentin des Center for Inquiry. Sie werden erörtern, wie der Bereich der Evolutions- und Organismenbiologie „durch Ideologie behindert oder falsch dargestellt wurde“, wie die Aushöhlung der freien Forschung in der Wissenschaft durch die progressive Ideologie sowohl intellektuell als auch materiell Schaden anrichtet, und vor allem, was dagegen getan werden kann. Wenn sich die Dinge nicht ändern, warnen sie, „wird die Naturwissenschaft in einigen Jahrzehnten ganz anders aussehen als heute. In der Tat ist es zweifelhaft, dass wir sie überhaupt als Naturwissenschaft erkennen würden.“.

Jerry Coyne ist emeritierter Professor des Department of Ecology and Evolution an der University of Chicago, wo er sich mit der Genetik der Artenbildung befasste und sich dabei auf Fruchtfliegen spezialisierte. Er schloss sein Studium am College of William and Mary ab und promovierte an der Harvard University. Neben 125 wissenschaftlichen Veröffentlichungen war Coyne Mitverfasser eines naturwissenschaftlichen Buches über sein Forschungsgebiet (Speciation) und zweier Fachbücher, Why Evolution is True und Faith versus Fact: Why Science and Religion are Incompatible. Er wurde mit einem Guggenheim-Award und dem Richard-Dawkins-Award ausgezeichnet, war Präsident der Society for the Study of Evolution und ist Mitglied der American Academy of Arts and Sciences.

Luana S. Maroja ist Evolutionsbiologin und Professorin am Williams College.  Sie erwarb ihren Bachelor- und Master-Abschluss an der Federal University of Rio de Janeiro, Brasilien, und ihren Doktortitel an der Cornell University.  Sie interessiert sich für Populationsökologie, Phylogenie, Artenbildung, Populationsgenetik und Phylogeographie und hat umfangreiche Feldforschung in Brasilien, Panama und den USA betrieben. Maroja arbeitet an einer Vielzahl von Organismen, darunter kleine Säugetiere, Grillen, Schmetterlinge und Pflanzen, und hat mehr als 35 wissenschaftliche Veröffentlichungen publiziert.

Dieses Gespräch fand am 6. Juli 2023 um 19:00 Uhr EDT statt (Englisch).

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Kommentare

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    Uwe Lehnert

    Die DARWINsche Evolutionstheorie war in den Augen der Kirche Teufelswerk, wurde schließlich aber im Jahr 1996 von der katholischen Kirche als wissenschaftliche Erklärung für die Entwicklung der Arten und letztlich des Menschen anerkannt. Diese Anerkennung erfolgte allerdings nur unter der Bedingung, dass Gott die Entwicklung auf den Menschen als Ziel gelenkt und ihm im Gegensatz zum Tier eine unsterbliche Seele verliehen habe.

    Zwischenfrage: Ab wann eigentlich verfügte der aus dem Tierreich sich entwickelnde »ebenbildliche« Mensch über eine Seele? Schon vor einer Million Jahren, erst als Neandertaler oder noch später, als der Homo sapiens auf der Weltbühne erschien? Und die Entwicklung auf ein Ziel »hinzulenken« missversteht die Evolution gründlich, da der Einfluss des Zufalls auf die jeweils folgende Entwicklung geradezu wesensbestimmend ist für das evolutionäre Geschehen.

    Rückblickend betrachtet hat die Kirche in ihren Auseinandersetzungen mit der Wissenschaft ein Rückzugsgefecht nach dem anderen angetreten und stets endgültig verloren. Der damalige Papst BENEDIKT XVI. war vorsichtiger geworden. In einer Rede im September 2006 in der Universität Regensburg über Glauben und Vernunft beanspruchte er für Gott nur noch die Rolle als Erstbeweger und Sinnstifter.

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      Losian

      Ja, Herr Lehnert, die (sehr menschliche) Kirche hat zweifellos Fehler gemacht und Schuld auf sich geladen. Dies scheint in den Augen vieler Humanisten und Atheisten ein "Abonnement ohne Kündigungsmöglichkeit" zu sein. Sie hat aber Fehler eingesehen und wissenschaftliche Erkenntnisse akzeptiert; dass sie diese an die Glaubenserkenntnis adaptiert, dürfte absolut legitim sein. Benedikt XVI. ist m.E. nicht "vorsichtig" geworden, sondern hat neue Glaubenserkenntnisse berücksichtigt. (Ja, auch der Glaube entwickelt sich tatsächlich weiter!)

      Zwischenfrage: Wann wurde eigentlich darwinistisch-evolutionär der Affe zum Menschen? Ja, das "missing link" wurde noch nicht gefunden oder nachgewiesen. Diese Schwelle der evolutionären Menschwerdung dürfte etwa so schwierig zu beantworten sein, wie der Zeitpunkt der Seelengabe.

      Der Mathematiker John Lennox hat die Wahrscheinlichkeit berechnet, wonach die DNA "zufällig" hätte entstanden sein sollen. Die erforderliche Zeitdauer des entscheidenden Erstschrittes umfasst 5 bis 10 mal das Alter unseres Universums von 13.7 Milliarden Jahren. Der Zufall bot einfach nicht genug Zeit für die Entwicklung der DNA, geschweige denn der Gene usw.

      Soeben habe ich das Buch Gerd Ganteförs "Das rätselhafte Gewebe unserer Wirklichkeit und die Grenzen der Physik" zu Ende gelesen. Darin macht er auf John Wheelers ("It from Bit") und Anton Zeilingers Spekulation aufmerksam, wonach der kosmologische "Urstoff" nicht etwa Materie bzw. Energie, sondern Information sein könnte, welche getreu dem Informationserhaltungssatz auf quantenphysikalischer Ebene - konkret Spin und Impuls - unzerstörbar ist (vgl. auch Diskussion Hawking - Susskind). Information und Geist sind verwandte Begriffe bzw. benötigen einander sogar. Ganz neue Argumente für die Seele und für Gott als Erstbeweger bzw. "Erstinformant".

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        Norbert Schönecker

        S.g. Losian!
        Haben Sie beim Thema "Urstoff=Information" auch sofort an Joh 1,1 denken müssen: "Im Anfang war das Wort"?

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          Losian

          Lieber Herr Schönecker

          Ja, sofort!

          Ausserdem kamen mir während der Lektüre noch viele andere biblische Formulierungen in den Sinn, welche auf bildhafte Weise quantenphysikalischen und -mechanischen Fakten gleichen.

          Der Autor Gerd Ganteför schliesst denn auch nicht aus, dass sich Naturwissenschaften und Glaubensinhalte ergänzen.

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          Uwe Lehnert

          Herr Losian,

          zum ersten Absatz Ihrer Reaktion: Diese Fehler der Kirche haben nur einigen Millionen Menschen das Leben gekostet. Schade, aber ist halt passiert!

          Zu meiner Zwischenfrage: Sie weichen aus, weil Sie natürlich dazu nichts sagen können. Die Wahrheit dürfte sein, dass es diesen Zeitpunkt gar nicht gibt, weil es eine Seele nicht gibt, folglich auch keine solche übergeben werden kann.

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            Dr. Andreas Beyer

            Wann wurde eigentlich darwinistisch-evolutionär der Affe zum Menschen(...)<<
            Unsinn, direkt aus mehreren Gründen
            Hier steckt typologisches Denken hinter: Früher war's ein Affe, und irgendwann - rumms! - war's auf einmal, mit EINER bestimmten Mutation, ein Mensch. Das ist völlig daneben - so verläuft Evolution nicht. Daher gibt es auch nicht DAS Missing Link (das z.B. obenrum schon Mensch und untenrum noch Affe war).
            Die Aussage, es gäbe keine "Links" zwischen uns und unseren Vorfahren, ist darüber hinaus schlicht falsch (wenn nicht eine gezielte Irreführung): Wir kennen mittlerweile ein halbes Dutzend Autstralopithecinen, verschiedenste frühe Homo-Spezies und bei Homo habilis und rudolfensis gibt es keine abschließende Einigkeit, ob man sie noch als Autralopithecus, oder schon als Homo ansprechen soll. Wieviel Übergang hätten die Kreas denn jetzt NOCH gerne gehabt?
            "Seele" ... da jene empirisch nicht fassbar ist, kann sie auch kein Thema einer empirischen Wissenschaft sein. Ergo mögen Theologen und Philosophen unter sich ausmachen, was die Seele ist, wo sie herkommt und wo sie hingeht.

            >>Der Mathematiker John Lennox (...)<<
            Soweit ich weiß, hat Lennox eine Menge Bücher geschrieben (das können und dürfen Sie auch!), es aber nie geschafft, diese "Berechnungen" wissenschaftlich zu publizieren - eben weil sie nicht wissenschaftlich sind Nebenbei bemerkt: Die primordiale Genetik beruhte auf RNA; nicht DNA. letztere war immer schon ein biologisches Produkt.
            siehe https://www.youtube.com/watch?v=eJCmerK0DjQ

            >>(...) der kosmologische ‚Urstoff(...)<<
            Oh weh ... was für ein Durcheinander.
            Es gibt mehrere Definitionen von "Information", die in jeweils unterschiedlichem Kontext anzuwenden sind. Und der quantenmechanische taugt eben nur für die Quantenwelt. Es gibt dann noch die statistische, die algorithmische, die Shannon'sche Informationstheorie (die sich partiell überlappen) etc. Und die wiederum beschreiben auch den Zerfall bzw. Verlust von Information (was u.a. mit dem 2.HS der Thermodynamik zusammenhängt). Und was Kreationisten immer vergessen zu erwähnen: Es gibt weder eine "reine" Information, noch eine "reine " Energie - beides ist stets an Materie gekoppelt. Und natürlich sind Information und Geist KEINESWEGS verwandte Begriffe.... "Information" lässt sich empirisch-wissenschaftlich fassen und beschreiben, Geist nicht. Und, ach ja: Information kann nicht denken und fühlen...

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            Losian

            Herr Lehnert

            Ja, wie auch die Atombombe, biologische Kampfstoffe und andere Errungenschaften der Wissenschaft. Tja, der Preis des Fortschritts, nicht wahr?

            Nein, ich hatte nicht die Absicht auszuweichen. Ich wollte verdeutlichen, dass in der Frage des Zeitpunktes der "Menschwerdung" sowohl die Evolution wie auch der Glaube gleichermassen im Dusteren tappen.

            Es gibt keine Seele? Selbst in den Naturwissenschaften beginnt sich die Auffassung zu etablieren, dass sich Leben, Bewusstsein und Geist nicht selbständig aus der Materie entwickelt haben kann.

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              Dr. Andreas Beyer

              Selbst in den Naturwissenschaften beginnt sich die Auffassung zu etablieren, dass sich Leben, Bewusstsein und Geist nicht selbständig aus der Materie entwickelt haben kann<<
              Das ist schlicht unwahr - s.o. (oder ein entsprechender urbaner Mythos stumpf reproduziert. Wer's behauptet, nenne bitte ein paar wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema (bitte keine obskuren www-Quellen, Zeitungen oder Sach"bücher)

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                Dr. Andreas Beyer

                Ja, wie auch die Atombombe, biologische Kampfstoffe und andere Errungenschaften der Wissenschaft. Tja, der Preis des Fortschritts, nicht wahr?<<
                Oh weh ... es ist TRIVIAL, dass man alles nutzbare GEBRAUCHEN wie auch MISSBRAUCHEN kann. Die Missbrauchsliste der Religionen (und übrigens atheistischer Weltanschauungen ebenso!) ist ellenlang.

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                Uwe Lehnert

                Herr Losian,
                wer die Evolutionstheorie wirklich verstanden hat, braucht keine weitere Erklärung für die Entwicklung des Menschen, die bekanntlich aus dem Tierreich heraus erfolgte. Die entsprechenden Stellen in der Bibel sind aus heutiger Sicht schlicht falsch. Damals als die Bibel verfasst wurde, wusste man es allerdings nicht besser und versuchte eine Erklärung, die auf Gott zurückgriff, wie in vielen anderen Fällen, bei denen man keine natürliche Erklärung kannte oder sich vorstellen konnte.

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                  Losian

                  Herr Lehnert

                  Die evolutionistische Entwicklung des Menschen stelle ich keineswegs in Abrede; auch nicht, dass der Mensch denselben Stammbaum hat wie der Proconsul, der (mutmasslich) erste Menschenaffe. Überhaupt erachte ich die Evolutionslehre als eine grossartige Errungenschaft der Wissenschaft - soweit ich mir das zutrauen darf.

                  Dennoch hat in meinen Augen Gott als der Schöpfer seine Hand im Spiel gehabt beim Erwachen des Selbstbewusstseins, bei der Seelengabe. Die entsprechenden Stellen in der Bibel sind m.E. symbolisch zu verstehen. (Ich bin immer wieder überrascht, wie fundamental Atheisten/Humanisten die Bibel auslegen.)

                  Die Evolution verstehe ich als einen immanenten Mechanismus der Schöpfung.

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                    Uwe Lehnert

                    Lieber Herr Losian,
                    der zweite Absatz Ihrer letzten Antwort ist reiner Glaube, um nicht zu sagen: bloße Behauptung. Insofern kein wissenschaftliches Argument. Von daher will ich darauf nicht antworten.

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