Kann es unter Voraussetzung von Übernatürlichem empirische Belege geben?

Besprechung des Buches „Welt ohne Gott“ - Teil 6

Kann es unter Voraussetzung von Übernatürlichem empirische Belege geben?

Foto: Pixabay.com / Qimoni

Warum die Methodologie der Naturwissenschaften einen metaphysischen Naturalismus[1] erzwingt.

Kreationisten behaupten, man könne unter Voraussetzung übernatürlicher Entstehungsszenarien genauso gut Wissenschaft betreiben wie aus naturalistischer Sicht. Markus WIDENMEYER, der Autor des Buchs Welt ohne Gott?, führt sogar empirisches Wissen ins Feld, um den Schluss auf ein Handeln Gottes als Schluss auf die beste Erklärung zu rechtfertigen (s. die Teile 3 und 4 unserer Besprechungsreihe). Und selbst manch atheistischer Philosoph scheint zu glauben, die Wissenschaft gäbe die Suche nach Wahrheit auf, ließe sie nur naturalistische Erklärungen zu. Im aktuellen Teil unserer Analyse setzen wir uns mit derlei Behauptungen auseinander. Wir zeigen, dass das Zulassen von Übernatürlichem zu einem erkenntnistheoretischen Paradoxon führt, die Methoden der Wissenschaft somit Fremdkörper unter Vorgabe von Schöpfung sind. Der Schluss auf Übernatürliches muss prinzipiell als gescheitert gelten.

Der unhaltbare Nicht-Interventionismus

Ein großes Problem des Supranaturalismus besteht darin, dass er keine objektiv begründeten Annahmen darüber vertreten kann, wie, wo, wann und wie oft das Übernatürliche (etwa Gott) in den Lauf der Welt eingreift. Dies zeigt sich an der konsequentesten Variante des Supranaturalismus, dem so genannten Okkasionalismus des französischen Philosophen Nicolas MALEBRANCHE (1638–1715), der eine dualistische Antwort auf das Leib-Seele-Problem gab: Nach MALEBRANCHE gehören Körper und Geist zwei getrennten ontischen Reichen an, wonach weder die Materie direkt auf den Geist, noch der Geist direkt auf die Materie wirken könne. Es bedürfe einer zwischen Körper und Geist vermittelnden Handlung des mutmaßlichen Schöpfergottes. Der Einfluss der Umwelt sowie der körperlichen Vorgänge auf unser Denken und unsere Wahrnehmung existiert dem Okkasionalismus zufolge also nur scheinbar. Vielmehr sei es Gott, der ein physisches Ereignis (z. B. das Verbrennen der Hand an einer heißen Herdplatte) registriere und daraufhin ein passendes Gefühl (Schmerz) sowie eine adäquate Handlung (Schutzreflex) auslöse. Damit unterlägen all unsere Wahrnehmungsprozesse supranaturalistischer Manipulation, denn die materielle Welt könne zwar über die Sinnesorgane mit unserem Gehirn in Wechselwirkung treten, nicht aber unsere Wahrnehmungswelt bestimmen (und umgekehrt).

Seit Jahrhunderten kreisen Diskussionen von Erkenntnistheoretikern um die Frage: Warum nehmen wir die Welt so wahr, dass wir in ihr überleben? Wie die früheren Okkasionalisten so glaubt auch unser Autor Markus WIDENMEYER, die einzig mögliche Antwort sei Gott, der als Schöpfer der Seele der Garant dafür sei, dass unser Geist die Wirklichkeit adäquat erfasse. Und im Gegensatz zu naturalistischen Konzepten hält WIDENMEYER den Okkasionalismus sogar noch heute für vertretbar:

„Konzepte wie der Okkasionalismus erscheinen heute vielen intuitiv nicht sehr plausibel. Sie wurden aber lange Zeit von etlichen Philosophen vertreten. Jedenfalls wären sie, anders als die naturalistischen Theorien, logisch und sachlich möglich.“ (ebd., 179)

WIDENMEYER scheint aber sehr wohl zu realisieren, dass er eine Position wie den Okkasionalismus, wonach Gott ständig in die Welt und in die Wahrnehmung eingreift, eigentlich nicht vertreten kann. In einer solchen Welt könnte man nämlich nicht mehr sinnvoll Wissenschaft betreiben und mit empirischem Wissen argumentieren, denn alle Beobachtungen und Experimentaldaten verlören ihren Status als Belege (MAHNER 2012). Wir wären außerstande zu beurteilen, welche Wahrnehmungen als Ergebnis natürlicher Ursachen und welche als Resultat übernatürlicher Manipulation zu werten wären. Auch die von WIDENMEYER energisch verfochtene Selbstbestimmtheit des Willens wäre Illusion; denn wie kann der Wille selbstbestimmt sein, wenn er teils durch Gott fremdbestimmt wäre? Ein naiver Christ kann vielleicht noch annehmen, dass der liebe Gott die Vertrauenswürdigkeit unserer Wahrnehmungen garantiert, weil er uns nicht täuscht. Wer aber den Christen-Gott zulässt, muss auch den Teufel, Lügengeister, zahlreiche Engel und alle weiteren Gestalten, über die in der Bibel berichtet wird, zulassen.[2] Im Prinzip kann ein Supranaturalist unendlich viele übernatürliche Entitäten einfordern, etwa auch solche, die den einschlägigen Märchen- und Horror-Genres entstammen.

Um diese Klippe zu umschiffen, ist WIDENMEYER gezwungen, stillschweigend eine ontologisch-naturalistische Annahme in seinen Supranaturalismus einzubauen, den so genannten Nicht-Interventionismus (der eigentlich ein Partial-Interventionismus ist) (vgl. MAHNER 2007, 86; 2012, 1443). Gemäß dieser Zusatzannahme setzen Supranaturalisten voraus, dass Experimente, Beobachtungen und der Wahrnehmungsapparat natürlich funktionieren, dass also weder Messapparaturen noch Wahrnehmungsprozesse noch unsere Methodologie supranaturalistischer Manipulation unterliegen, weil wir sonst keiner Beobachtung und keiner Theorie trauen könnten. Damit steht WIDENMEYER vor dem Problem, dass er zwar den ontologischen Naturalismus überwunden haben möchte, jedoch auf eine ontologisch-naturalistische Annahme angewiesen ist, die es ihm erlaubt zu argumentieren, Wissenschaft zu betreiben, auf Erfahrungswissen zurückzugreifen und einen selbstbestimmten Willen anzunehmen.

MAHNER (2007, 86) hält den Nicht-Interventionismus für eine willkürliche Erfindung, mehr noch: für eine unprüfbare Ad-hoc-Hypothese. Denn offenbar geht der Supranaturalist davon aus, dass immer dann, wenn wir Experimente durchführen, „alles Übernatürliche schnell weg schaut“. wogegen es sich dort, wo es um heilsgeschichtliche Zusammenhänge sowie um kosmische und erdgeschichtliche Entstehungsprozesse geht, ungehemmt austobt. Wer aber annimmt, dass etwas Übernatürliches existiert, das nicht nur den Kosmos und die Naturgesetze hervorbrachte, sondern auch die Sterne und Planeten, das Leben, Bewusstsein und den Geist erschuf, das Gebete erhört, Sünden bestraft, den Geist irgendwie mit der neuronalen „Hardware“ interagieren lässt und ihn gelegentlich sogar „verstockt“ macht, der hat keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass dieses Wesen ausgerechnet dort halt macht, wo es ums Experimentieren, Erkennen, Denken und Schlussfolgern geht. Der Nicht-Interventionismus ist somit eine willkürliche Chimäre aus supranaturalistischer und naturalistischer Metaphysik. Nur dem Nicht-Interventionismus zufolge kann der Supranaturalist Evidenz (empirische Belege) haben und Schlüsse ziehen, doch müsste man diesen erst einmal belegen, bevor man ihn ernst nehmen könnte. Wie aber sollte das funktionieren?

Brauchen die Realwissenschaften einen methodologischen oder einen ontologischen Naturalismus?

Dies führt uns zu der Frage, ob die Realwissenschaften zum Beschreiben und Erklären der Wirklichkeit einen methodologischen oder einen ontologischen Naturalismus brauchen. Was ist überhaupt der Unterschied zwischen beiden? Ein methodologischer Naturalismus würde sich auf die Regel beschränken: „Greife zur Erklärung der Welt nicht auf übernatürliche Ursachen zurück, weil diese nicht überprüfbar sind“. Über die Existenz übernatürlicher Wirkungen sagt ein solcher Naturalismus nichts aus. Der ontologische (metaphysische) Naturalismus hingegen postuliert, dass es überall in der Welt mit rechten Dingen zugeht. Nun scheint sich eingebürgert zu haben, dass der methodologische Naturalismus als politisch korrekte Haltung der Wissenschaft angesehen wird, weil er sich Religion gegenüber neutral verhält, solange sie nicht mit den Faktenaussagen und der Methodologie der Realwissenschaften kollidiert. Wir haben aber gesehen, dass selbst kreationistische Wissenschaftler allgemeine Annahmen über das Sein und Werden der Welt – mit anderen Worten also metaphysische Annahmen – treffen müssen, die naturalistisch sind. Würde z. B. ein Wissenschaftler nicht strikt davon ausgehen, dass Gärhefen in einer Nährlösung nur deshalb kein Kohlendioxid produzieren, weil sie abgestorben sind, sondern in Erwägung ziehen, dass Gott das Kohlendioxid hat verschwinden lassen oder die Messwerte vorgibt, dann könnte er nicht vernünftig Biologie betreiben.

Die Realwissenschaften sind also keineswegs metaphysisch neutral; vielmehr erzwingt ihre Methodologie einen ontologischen Naturalismus (vgl. auch FRY 2012).

Kann es Indizien für etwas Übernatürliches geben?

Nun hat ausgerechnet der atheistische Philosoph Bradley MONTON mit der Behauptung gekontert, dass Wissenschaftler die Suche nach der Wahrheit aufgäben, wenn sie nur naturalistische Erklärungen zuließen (MONTON 2009, 58). Wäre, so MONTON, Wissenschaft dem Naturalismus verpflichtet, bestünde ihr Ziel nicht darin, wahre Theorien zu bilden. Er übersieht dabei ganz offensichtlich, dass das Sprechen über Wahrheit Evidenz erfordert und dass Evidenz nicht philosophisch voraussetzungsfrei zu haben ist, sondern den metaphysischen Naturalismus voraussetzt. Machen wir uns dies anhand einiger fiktiver Szenarien klar:

- Szenario 1: Nehmen wir an, etwas, das aussähe, wie ein Engel, schwebte vom Himmel herab und erweckte einen Toten zu neuem Leben.

- Szenario 2: Man stelle sich vor, Gebetsstudien wären methodisch sinnvoll durchführbar, und es könnte gezeigt werden, dass von sterbenskranken Menschen, für die gebetet würde, ein höherer Prozentsatz zur Genesung käme als von jenen, für die nicht gebetet würde.

- Szenario 3: Biologen entdeckten eine DNA-Sequenz, die für den Satz codierte: „Alles Leben wurde von Gott, dem Allmächtigen, erschaffen.“

- Szenario 4: Wissenschaftler fänden heraus, dass Leben ausschließlich in einem Universum existieren könnte, dessen Naturkonstanten exakt jene Werte besäßen, die sie heute haben.

Ohne zu zögern, würden viele Menschen solche Phänomene als Indizien für das Übernatürliche werten. Warum? Weil sie derzeit nicht naturalistisch erklärbar wären und biblischen Erwartungen entsprächen. Aber so einfach liegen die Dinge nicht!

Szenario 1 sieht zwar aus wie ein Prima-facie-Beweis für Übernatürliches, aber man müsste zunächst einmal die Frage klären, ob ich einen realen Sachverhalt beobachten würde oder einer Halluzination erläge. Würde ich etwas Reales beobachten, müsste weiters sichergestellt sein, dass meine Hirnprozesse nicht von dem vermeintlich Übernatürlichen beeinflusst würden (MAHNER 2012, 1449). Auch bei dem Totenerweckungserlebnis müsste man ja voraussetzen, dass das Phänomen und unsere Wahrnehmung natürlich zustande kämen; nur dann wären sie Grundlage für einen empirischen Beleg. Dies führt zu dem Paradoxon, dass man, sobald man das Übernatürliche akzeptieren würde, nicht mehr ausschließen könnte, dass unsere Wahrnehmung manipuliert wäre, wodurch das Totenerweckungserlebnis wieder seinen Status als Prima-facie-Beweis für Übernatürliches verlöre. Anders gesagt: Die wissenschaftlichen Methoden, die man zur Erlangung empirischer Belege benötigt, setzen die Abwesenheit dessen voraus, was man hier belegen möchte, nämlich die Abwesenheit von Übernatürlichem. Hier zeigt sich deutlich: Der Naturalismus ist eine notwendige Vorbedingung für Prüfbarkeit! 

Außerdem würde sich die Frage stellen, von welcher Natur die Ereignisse wären: Ein übernatürliches Engel-Szenario ließe sich grundsätzlich nicht unterscheiden von einem solchen, in dem uns hoch entwickelte Außerirdische, die so natürlich wären wie wir, lediglich etwas vorgaukelten. Die übernatürliche „Erklärung“ erschiene manchen nur deshalb plausibler, weil sie Teil der christlichen Lehre ist, deren Wahrheitsgehalt sich aber nicht intersubjektiv nachvollziehbar belegen lässt.[3]

Es kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Um übernatürliche Entitäten wie Engel überhaupt beobachten zu können, müssten sie sich teilweise selbst natürlich verhalten (MAHNER 2012, 1448); sie müssten wie materielle Gegenstände mit uns interagieren. Damit wären sie erst recht nicht mehr als übernatürlich klassifizierbar. Das Übernatürliche wäre von einer ganz anderen Kategorie, wie etwa die unbefleckte Empfängnis, der mutmaßliche Schöpfungsakt oder die Verbalinspiration – die Beeinflussung der Bibelautoren durch das Wort Gottes. Solche Wunder kann man nur glauben, ohne je Indizien zu erlangen, die für sie sprächen.

Im Gegensatz zu Szenario 1 beruhen die Szenarien 2 bis 4 auf indirekter Evidenz; dementsprechend gäbe es noch mehr Alternativen zum Übernatürlichen. Ein wissenschaftlich erwiesener Zusammenhang zwischen Gebeten und der Genesung Todkranker könnte beispielsweise durch eine telepathische Verbindung zwischen dem Betenden und dem Sterbenskranken und einer dadurch bedingten Stärkung der Selbstheilungskräfte erklärt werden. Wie wollte man eine derartige natürliche (wenngleich immaterielle) Ursache von einer übernatürlichen Wirkung unterscheiden? Das scheint unmöglich zu sein. Deshalb würde auch in diesem Fall der Schluss auf das Übernatürliche als Schluss auf die beste Erklärung scheitern.

Ähnlich liegen die Dinge im Fall der Szenarien 3 und 4: Die Gensequenz, die für den Satz „Alles Leben wurde von Gott, dem Allmächtigen, erschaffen“ kodierte, könnte genauso gut von einem Wissenschaftler oder einem Außerirdischen in das Genom der betreffenden Art eingeschleust worden sein. Für letzteres gäbe es zwar keinerlei Indizien (es sei denn, wir fänden Hinweise auf eine außerirdische Kultur), doch der Gedanke an eine übernatürliche Planung wäre nicht weniger absurd.

Am wenigsten rechtfertigte Szenario 4 den Schluss auf das Übernatürliche, denn er gründet auch auf einen Fehler im Analogieschluss: Komplexe, funktionale Systeme aus der Technik, wie Autos, Computer, Uhren und dergleichen, sind das Produkt planvollen Handeln, sodass Supranaturalisten folgern, etwas derart Komplexes wie das Netz der „feinabgestimmten“ Naturkonstanten müsse erst recht auf einen (übernatürlichen) Schöpfer zurückgehen. Im Gegensatz zu technischen Konstrukten können bei Natursystemen Komplexität und Funktionalität aber auch Ergebnis eines Selektionseffektes sein; planerische Effekte sind dort gar nicht erst naheliegend.[4] Es böten sich auch andere natürliche Erklärungen für ein solches Phänomen an (siehe Teil 3 unserer Besprechungsreihe zur „Feinabstimmung der Naturkonstanten“). Und selbst wenn keine der natürlichen Erklärungen befriedigend ausfallen würde, bedeutete dies noch lange nicht, dass übernatürliche Einflüsse im Spiel wären. Denn jenseits der Grenze des (derzeitigen) Wissens beginnt nicht das Übernatürliche, sondern schlicht das Nichtwissen.

Kommen wir auf die Ausgangsfrage zurück: Kann es prinzipiell Indizien für etwas Übernatürliches geben? Die Antwort lautet: Nein, denn es gibt zumindest derzeit keine fruchtbare Methodologie, wonach sich ein solcher Schluss als evident erweisen könnte. Man kann die Antwort aber auch positiv formulieren:

Würde es WIDENMEYER gelingen, das oben erwähnte Paradoxon des Nicht-Interventionismus zu lösen, eine ordentliche Theorie des Übernatürlichen anzubieten sowie Befunde wie Totenerweckungen usw. vorzulegen, lägen intersubjektiv nachvollziehbare Indizien zugunsten der Existenz des Übernatürlichen vor, die jeder akzeptieren würde. Aber solche Versuche sind in den letzten Jahrhunderten grandios gescheitert. Es ist nicht ansatzweise gelungen zu zeigen, wie man aufgrund der Annahme transzendenter Schöpfungsereignisse zu einem evidenzbasierten, fruchtbaren Paradigma kommt.

Ist der Naturalismus eine A-priori-Setzung – ein Dogma?

Aus den genannten Gründen gilt bis heute der Grundsatz: Die Erkenntnis der Natur führt nicht über sie hinaus. Solche Feststellungen führen schnell zu dem Vorwurf, der Naturalismus werde a priori und somit dogmatisch vorausgesetzt. Dass dem nicht so ist, lässt sich leicht anhand eines Gedankenexperiments verdeutlichen: Was wäre, wenn alle Bemühungen, bestimmte Naturphänomene natürlich zu erklären, scheitern würden; wenn Steine beliebig und ohne erkennbaren Grund in alle Richtungen davon flögen; wenn sich Dinge in unberechenbarer Weise in nichts auflösten; wenn Dämonen, Feen und Hexen ein- und ausgingen; wenn es zuginge wie in Filmen des Märchen- und Horrorgenres? In solchen Fällen wäre der Naturalismus obsolet, er wäre wohl gar nicht erst von Philosophen formuliert worden. Jeder Versuch, wissenschaftliche Theorien und Erklärungsansätze zu formulieren, die sich heuristisch wechselseitig befruchten und bestätigen und die die Naturwissenschaften als ein florierendes Unternehmen ausweisen, wäre schon im Ansatz stecken geblieben.[5]

Wäre das Übernatürliche in einer Welt, in der wir ständig Anomales beobachten würden, nicht doch der Schluss auf die beste Erklärung? Leider nein, denn um einen solchen Schluss zu rechtfertigen, müsste man sich wissenschaftlicher Methoden bedienen. Wissenschaftliche Methoden funktionieren nur dort, wo es mit rechten Dingen zugeht; bei allem anderen würde man feststellen, dass Anomales geschähe, könnte die Ursachen aber nicht konkretisieren (MAHNER, pers. Mitteilung). Ist das Anomale Folge einer Halluzination, einer außerirdischen Manipulation, einer immateriellen Kraft oder eine Folge des Übernatürlichen? Man würde es nie herausfinden, fände man nicht doch eines Tages ein Naturgesetz oder einen Mechanismus, der die Beobachtung erklärt. In diesem Sinn sagt KANITSCHEIDER (2014, 246):

„Entitäten, die keine irgendwie geartete Rolle im Erklärungszusammenhang der wissenschaftlichen Theorien spielen, werden als nicht vorhanden betrachtet, allerdings nur so lange wie sich nicht doch eine Funktion für dieses Agens findet. Damit ist die Wissenschaft also immer auch offen für ontologische Neuankömmlinge. Wenn sich dereinst in den erfolgreichen Theorien ein nicht eliminierbarer Bezug auf eine Seelenwanderung ergäbe, müssten wir dies nach der Unvermeidlichkeitsargumentation akzeptieren.“

Diese Unvermeidlichkeitsargumentation gilt für Übernatürliches schon per Definition nicht, weil es sich gerade durch das Fehlen eines natürlichen Mechanismus oder einer natürlichen Handlungsweise sowie durch das Fehlen von (innerweltlichen) Gesetzmäßigkeiten auszeichnet, die differenzierte Erklärungen und überprüfbare Vorhersagen ermöglichen. Somit kann der Schluss auf Übernatürliches nie der Schluss auf die beste Erklärung sein, und zwar nicht deshalb, weil die „bösen“ Naturalisten etwas dagegen hätten, sondern weil sich der Supranaturalismus aus logischen Gründen diese Möglichkeit selber verbaut (s. hierzu auch die Teile 1–3 unserer Besprechungsreihe).

Zu guter Letzt scheint es in unserer Welt nicht einmal Anomales zu geben: Wir leben in einem Kosmos, der genauso aussieht und sich genauso verhält, wie einer, der von Naturgesetzen beherrscht wird, die sich nicht um unser Wohl und Wehe kümmern. Ob wir an einen Gott oder an Wunder glauben, spielt für das Leben auf der Erde und für unsere Standortbestimmung im Kosmos keine Rolle. Auf emotionaler Ebene mag der religiöse Glaube eine große Rolle spielen, auf der faktischen Ebene nicht. Der Glaube an etwas Übernatürliches führt weder über das Verständnis der Natur hinaus, noch vermag er etwas zu erklären, was natürliche Theorien nicht können.

Dank

Für wertvolle Hinweise und Argumente danke ich herzlich Dr. Martin MAHNER, Leiter des Zentrums für Wissenschaft und kritisches Denken der GWUP.

Dipl.-Ing. Martin Neukamm ist Chemie-Ingenieur an der TU München und geschäftsführender Redakteur der AG Evolutionsbiologie im Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland. Er ist Herausgeber mehrerer Bücher darunter „Darwin heute: Evolution als Leitbild in den modernen Wissenschaften“.

Hier geht es zu: Besprechung des Buches „Welt ohne Gott“ - Teil 7

Literatur

FRY, I. (2012) Is science metaphysically neutral? Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences 43, 665–673.

KANITSCHEIDER, B. (2014) Normen, Fakten und Brückenprinzipien. In: NEUKAMM, M. (Hg.) Darwin heute: Evolution als Leitbild in den modernen Wissenschaften. WBG, Darmstadt.

KANITSCHEIDER, B. (2015) Ansgar Beckermann und die Feinabstimmung. Aufklärung & Kritik 1, 194–195.

MAHNER, M. (2007) Unverzichtbarkeit und Reichweite des ontologischen Naturalismus. In: KLINNERT, L. (Hg.) Zufall Mensch? Das Bild des Menschen im Spannungsfeld von Evolution und Schöpfung. WBG, Darmstadt, 77–90.

MAHNER, M. (2012) The role of metaphysical naturalism in science. Science & Education 21, 1437–1459.

MONTON, B. (2009) Seeking god in science: An atheist defends Intelligent Design. Broadview Press, Toronto.

NEUKAMM, M. (2005) Die kreationistische Grundtypenbiologie in der Kritik: Warum es keine empirisch-wissenschaftliche Schöpfungsforschung geben kann. Skeptiker 18, 144–150.

WIDENMEYER, M. (2014) Welt ohne Gott? Eine kritische Analyse des Naturalismus. SCM Haenssler, Holzgerlingen.

Fußnoten

[1] Der metaphysische oder auch: ontologische Naturalismus besagt, dass es in dieser Welt keine übernatürlichen Wirkungen (unerklärliche „Wunder“) gibt. Es geht im Kosmos also überall mit „rechten Dingen“ zu. Die Gegenthese zum Naturalismus ist der Supranaturalismus.

[2] Wie seltsam: Die Bibel berichtet an mehreren Stellen von willkürlichen Spielchen, in denen Gott Menschen „verstockt“ macht, um sie anschließend mit drakonischen Strafen zu schlagen, oder ihnen Kraft der von ihm entsandten Lügengeister falsche Sachverhalte vorspiegelt, um sie zu Fehlentscheidungen zu animieren, die im Desaster enden (z. B. Ex 11,10 und 1 Kön 22, 20.22). Falsche menschliche Entscheidungen sind gemäß der Bibel also mehrfach durch supranaturalistische Manipulation bewirkt worden. In einer derart unberechenbaren Geister- und Wunderwelt könnten wir weder unseren Entscheidungen noch unseren Wahrnehmungen vertrauen; weder gäbe es einen selbstbestimmten Willen, noch wäre das Betreiben von Wissenschaft sinnvoll.

[3] Dies ist einer der Gründe dafür, weshalb z. B. auch das so genannte Grundtyp-Modell der Kreationisten keine wissenschaftliche Schöpfungsforschung begründen kann: Die Erkenntnis, dass Arten ein begrenztes Variationspotenzial besitzen und sich in miteinander kreuzbare Schöpfungsarten („Grundtypen“) eingruppieren lassen, würde das Schöpfungsparadigma selbst dann nicht stützen, wenn es durch die Bibel nahegelegt würde. Dieser Schluss setzte die Richtigkeit dessen voraus, was es zu belegen gälte: die Wahrhaftigkeit des Schöpfungsberichts (s. NEUKAMM 2005). Ein Beispiel zum Vergleich: Die Hypothese, dass außerirdische Intelligenzen für Sternexplosionen (Supernovae) verantwortlich sind, wäre auch dann nicht plausibel, wenn dies durch einen Roman nahegelegt würde, wir zudem keine natürliche Erklärung dafür hätten, wir aber aus Erfahrung wüssten, dass irdische Explosionen meist intelligente Ursachen voraussetzen. Ein Bezug zu den Außerirdischen wäre erst evident, wenn wir unabhängig von dem Roman um deren Existenz sowie um deren Fähigkeiten, Sterne zum Explodieren zu bringen, wüssten. 

[4] Die Tatsache etwa, dass wir auf einem Planeten leben, der eine Vielzahl von Bedingungen erfüllt, die es für Leben braucht, lässt nicht den Schluss zu, dass die Erde „gemacht“ wurde, damit wir existieren. Da eine ungeheure Zahl von Fixsternen mit eigenen Planeten existiert, ist es vielmehr naheliegend, „den scheinbaren Zufall, dass wir auf einem lebensfreundlichen Planeten leben, dem Selektionseffekt zuzuschreiben, dass wir nur auf einem solchen Planeten diese Beobachtungen machen. Während der Großteil von Trabanten der Fixsterne ohne Leben auskommen muss, gibt es eine kleine … Untermenge von Wandelsternen, die gerade die richtigen Oberflächenkonfigurationen und chemischen Baustoffe für Leben besitzen, so dass sich erkenntnisfähige Organismen bilden können. Diese Gedankenkette kann man auch auf das Universum übertragen, nur mit dem Unterschied, dass anders als die Exoplaneten die anderen Welten nicht direkt beobachtet, sondern nur indirekt … bestimmt werden können.“ (KANITSCHEIDER 2015, 194). 

[5] Der Naturalismus ist also gerade keine A-priori-Setzung, denn die Erklärungserfolge der Wissenschaften stiegen in dem Maß, in dem supranaturalistische Bezüge aus ihnen verschwanden. Der Erfolg oder Misserfolg der naturalistischen Wissenschaften ist ein Indikator dafür, ob der Naturalismus Wahres behauptet.

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