Warum sich in der Natur kein „intelligentes Design“ offenbart
Das Design-Argument - Eine Kritik Teil 2
E. Das Argument der Konstruktionsfehler
Ein weiteres Argument gegen Intelligent Design betrifft sinnlose Umwege der Individual- Entwicklung und funktionelle Mängel, die mit einer Herabsetzung der Fitness ihrer Besitzer einhergehen. In einigen Fällen sind sie lebensgefährlich. So erfolgt die Geburt just durch den nicht zu erweiternden Beckenring, der eine Steißgeburt ohne medizinischen Beitrag zur tödlichen Komplikation werden lässt. Die Kreuzung von Luft- und Speiseröhre birgt die Gefahr der Aspiration mit potenziell tödlichem Ausgang. Die, gemessen am aufrechten Gang, verkehrt positionierten Abflusswege der Nasennebenhöhlen verursachen Entzündungen und erhebliche gesundheitliche Risiken. Und ein perforierter Wurmfortsatz gehörte bis ins Mittelalter zu den häufigsten Todesursachen.
Ein anderes Beispiel: Der dioptrische Apparat ist alles andere als der Paradefall eines clever entworfenen Organs. Mindestens 40% der Erwachsenen sind auf eine Brille angewiesen, da die Bildebene jenseits der Netzhaut liegt. Zudem sind bei den Wirbeltieren die Sehzellen dem Licht abgewandt (invers), während die Nervenzellen, die zum Gehirn führen, nach außen gerichtet sind (Abb. 7). Die Folgen sind ein blinder Fleck auf der Netzhaut sowie Blutgefäße und Nerven-Verdrahtungen vor (!) den Sehzellen. All dies verlangt erhebliche Kompensationsleistungen von Auge und Gehirn.
Abb. 7 Links: Aufbau der Netzhaut (Retina). Beachten wir ihren inversen Bau: Die Sehzellen befinden sich auf der dem Licht abgewandten Seite, während die Nervenzellen dem Licht zugewandt sind. Dies ist kein cleverer Schachzug der Natur. Das Licht muss ein Netz aus Blutgefäßen und Nervenzellen passieren, bevor es die Sehzellen erreicht. Dies geht mit Einbußen der Sehschärfe einher, und an der Austrittsstelle des Sehnervs entsteht ein „blinder Fleck“.
Nun existieren Anpassungen, welche die Folgen des konstruktiven Mangels abmildern. Eine besteht darin, dass die Gefäßzweige der Netzhaut den Bereich des schärfsten Sehens bogenförmig umrunden. Ferner entdeckten Forscher, dass die sogenannten MÜLLER-Zellen der Netzhaut das Licht an den streuenden Zellschichten vorbei leiten (rechts im Bild). Aber wer, wie ULLRICH (2014), meint, die MÜLLER-Zellen würden die Netzhaut als Paradebeispiel einer zweckorientierten Struktur rehabilitieren, irrt: Es handelt sich um eine Behelfslösung, die bei unvorteilhafter Gesamtsituation den Sehvorgang optimiert (FRANZE et al. 2007). Doch den eigentlichen strukturellen Mangel beseitigen sie nicht. Das Auge ist maximal optimiert – und zweitklassig. Dass es besser geht, belegen die Kopffüßer: Bei ihnen sitzt die Netzhaut funktionell passend im Augenbecher. Auch die Blutversorgung ist eleganter gelöst (MYERS 2010).
Weshalb ist unsere Netzhaut ein Argument für ihre nicht zielgerichtete Entstehung? Weil es triftige historische Gründe für die inverse Lage der Netzhaut bei den Wirbeltieren gibt, aber keine prinzipiell konstruktiven. Genauer gesagt finden sich die Gründe in ihrer embryonalen Differenzierung in Kombination mit ihrer gemeinsamen Stammesgeschichte.
Beim plattenförmigen Nervensystem an der Körperoberfläche einfacher Deuterostomier (etwa der Seesterne) zeigen die Sinneszellen zweckmäßigerweise zum Licht. Durch Einrollen ins Körperinnere entsteht aus der Neuralplatte das Neuralrohr als erste embryonale Entwicklungsstufe des zentralen Nervensystems höherer Tiere. Dies bewirkt ein „Umkrempeln“ des Gewebes, sodass die lichtempfindlichen, primären Sinneszellen im Innern des Neuralrohrs liegen (FRANZE & GROSCHE 2008, S. 701).
Das Neuralrohr tritt bereits bei augenlosen Chordatieren auf, den Vorfahren der Wirbeltiere. Bei den Wirbeltieren bilden sich aus dem Neuralrohr später Gehirn, Rückenmark und Augen. Unter der Herrschaft des PAX-6-Mastergens quellen aus dem hinteren Bereich des Vorderhirns Wülste hervor, die sich zum Augenbecher umformen (MÜLLER & HASSEL 2018, S. 475). Aufgrund dieses Entwicklungszwangs (engl.: developmental constraints) wird die Netzhaut der Inversion unterzogen (Abb. 8).
Abb. 8 Entwicklung der inversen Netzhaut, ausgehend vom platten Nervensystem einfacher Deuterostomier (z. B. Seesterne) zum ins Körperinnere eingesenkten Neuralrohr als Anlage des Gehirns und Rückenmarks. Umgezeichnet nach FRANZE & GROSCHE (2008, S. 701).
Jene embryogenetische Weichenstellung, die die Inversion der Netzhaut herbeiführt, haben also schon die Vorfahren der Chordatiere „getroffen“. Sie geht auf eine Zeit zurück, bevor sich die Entstehung von Wirbeltieraugen abzeichnete. Diese „Vorentscheidungen“ ließen später keine Alternativen mehr zu. Denn ihr genetisches Erbe zu modifizieren, bis die Sehzellen „richtig“ im Augenbecher liegen, machte es erforderlich, die embryonale Anlage des Nervensystems von Grund auf umzugestalten.
Für Prozesse, die keinen Plan kennen, ist das nicht leistbar, und die ersten Wirbeltierembryos, die Augen entwickelten, konnten nicht vorübergehend „wegen Umbaus schließen“. Also blieb die Differenzierung von Stammzellen des Neuralrohrs in ihrer besonderen topographischen Lage zu den Sinneszellen wie sie war.
Dagegen lässt sich nicht ansatzweise erklären, warum sich ein Designer Entwicklungszwängen unterwarf, die ihren Ursprung in historisch älteren Bauplänen haben. Er soll doch in der Lage sein, überlegt zu handeln, die Merkmale planvoll, zielgerichtet - 28 - und „frei“ zu kombinieren. Warum soll er die Vorläufer-Sinneszellen erst ins Neuralrohr wandern lassen, um sie dann invers aus dem hinteren Bereich des Vorderhirns hervorquellen zu lassen? Das ergibt nach gegenwärtiger Sachlage keinen Sinn.
Merke: Anand biologischer Konstruktionsfehler lassen sich zwei Argumente entfalten:
(1) Intelligent Design kann die unvorteilhafte Gesamtsituation nicht zwanglos erklären, sondern ist auf willkürliche Zusatzannahmen angewiesen.
(2.) Die Mängel deuten auf einen nichtintendierten Entwicklungsprozess hin.
Die Entwicklungsbiologen MÜLLER & HASSEL (2018, S. 627) resümieren:
„Die (nahezu) perfekte Konstruktion bestimmter Augen verleitet manche Menschen zu der Annahme, dass ein intelligentes Wesen diese Augen geschaffen haben müsse, natürliche Evolution könne sie nicht hervorgebracht haben. Zunehmendes Wissen um Homologie auf molekularem Niveau, um Zwischenstufen in der Konstruktion wie auch um suboptimale Lösungen (z. B. inverses Auge der Wirbeltiere, schlechte optische Qualität des dioptrischen Apparates) machen Annahmen über ‚intelligentes Design‘ aber keineswegs zwingend. Im Gegenteil unterstützen die Daten … die Sicht, dass bekannte Mechanismen der Evolution letztlich eine Vielfalt brauchbarer Lösungen hervorbrachten.“
E.1 Einwände der Autoren
WIDENMEYER & JUNKER kontern mit folgenden Einwänden:
„Erstens zeigt eine Reihe von Untersuchungen, dass bei genauerer Kenntnis betreffender Organe nennenswerte Mängel nicht nachweisbar sind. Dem Argument der Konstruktionsfehler liegt oft nur ein Mangel an Kenntnissen über den betreffenden Gegenstand zugrunde – und, wie es scheint, weltanschaulich motivierte Vorurteile.
Zweitens enthalten solche Argumente bestimmte (theologische) Annahmen über einen hypothetischen Schöpfer, z. B., dass ein möglicher Schöpfer gute, wenn nicht zwingende Gründe gehabt haben müsste, perfekte Strukturen (in unserem Sinne) hervorzubringen. Diese meist stillschweigend gemachten Annahmen werden meistens nicht einmal versucht zu begründen (vgl. DILLEY 2013)“ (S. 9).
Bei JUNKER (2005) lesen wir, Unvollkommenheiten seien „kaum empirisch nachweisbar, sondern … evolutionstheoretisch begründete Vermutungen, deren Plausibilität mit der evolutionstheoretischen Voraussetzung steht oder fällt.“ Wie er zu dieser Auffassung kam, ist unklar, jedenfalls ist sie falsch: Wenn wir die immanenten Funktionen der betreffenden Systeme verstehen, sind wir in der Lage, qualifizierte Urteile über ihre Mängelstrukturen zu fällen (KOJONEN 2016, S. 159). Dafür braucht es keine evolutiven Annahmen.
Konstruktive Mängel lassen sich an der verminderten Fitness von Organismen festmachen. Zum Beispiel kommt es aufgrund des Überkreuzens von Luft- und Speiseröhre, insbesondere bei Kleinkindern, regelmäßig zur Aspiration von Fremdkörpern und zum Ersticken. Und der entzündete Wurmfortsatz des Blinddarms erhöhte früher die Sterblichkeit deutlich, wobei die vermeintlichen Vorteile des Organs den Nachteil nicht wettmachen. Allein aus medizinisch-technischer Sicht erweisen sich die Merkmale als nachteilig, reparaturbedürftig und alles andere als ein Ausweis an Planmäßigkeit.
Auch die Behauptung, dem Argument der Konstruktionsfehler läge ein Mangel an Kenntnissen über den betreffenden Gegenstand zugrunde, trifft meist nicht zu. Die inverse Retina gestaltet das Sehen suboptimal, wenngleich sie das unter den Umständen Beste aus dem Sehvorgang macht.(11) Beim Blinddarm lässt sich sogar beweisen, dass sein Besitz mehr schadet als nützt (BURDA & BEGALL 2013, S. 350).
WIDENMEYER & JUNKERs zweiter Einwand läuft ebenfalls ins Leere. Auch wenn sie sich auf den Philosophen Stephen DILLEY (2013) berufen: Einwände gegen Design, wie das Argument der Konstruktionsfehler, setzen nicht zwangsläufig theologische Annahmen voraus. Zumindest benötigen wir keine, die Design-Vertreter nicht selber ins Spiel bringen.
Hier gilt es, zwei Spielarten des Arguments der Konstruktionsfehler zu unterscheiden: Die sparsamere Variante setzt nicht voraus, ein Schöpfer habe zwingend perfekte Strukturen hervorgebracht. Sie besagt nur, dass sich bestimmte Merkmals-Klassen mit Design nicht erklären lassen, solange der Design-Ansatz nicht spezifiziert wird. Ersteres ist ein theologisches Argument, letzteres ein methodologisches.
Die zweite, stärkere Variante des Arguments nimmt zwar auf das behauptete Schöpferwirken Bezug. Doch sie gebraucht keine theologischen Annahmen; vielmehr orientiert sie sich an den ureigenen Thesen des intelligenten Designs. Erinnern wir uns: Design- Vertreter führen die „Zweck-Mittel-Beziehungen“ und „funktionale Komplexität“ biotischer Strukturen als Design-Merkmale an. Sie vergleichen das vermeintliche „Knowhow“ mit Meilensteinen aus Medizin und Technik. Daher liegt es in der Natur der Sache, dass Elemente, welche die Zweck-Mittel-Beziehungen stören, ihr Argument schwächen: Teilstrukturen, die aus medizinisch-technischer Sicht nicht von Zweckmäßigkeit zeugen, erwecken nicht den Anschein intelligenter Planung.(12)
Zwar ist es richtig ist, dass mit dem unspezifischen Design-Ansatz jegliche Art von Pfusch verträglich wäre (Abschnitt C.4). Es gibt unintelligente Designer, und schlechtes Design wäre trotz allem Design (LUSKIN 2006). Aber Intelligent Design stellt höhere Ansprüche an die Qualität biotischer Strukturen als der allgemeine Design-Ansatz, der ja auch stümperhaftes und evolutionäres Design einschließen könnte!
KOJONEN (2016, S. 152f) bemerkt, dass schlechtes Design logisch mit einem Designer kompatibel wäre. Doch im Weiteren stellt er fest, dass dieser Einwand nicht das Problem löst, dass schlechtes „Design“ besser zum unserem evolutionären Verständnis von der Welt passen könnte als zu planvollen, überlegten Prozessen.
Auch RAMMERSTORFER (2006) sieht das Problem. Suboptimale Strukturen oder „banale Fehler“ würden den Design-Ansatz schwächen, denn:
„Stümperhaftes Design passt insgesamt (wie oben besprochen) hervorragend zu Prozessen, die keinen Plan kennen. Damit würde auf dieser Ebene (‚Design-Fehler‘) ein gutes Argument für Evolution und gegen Planung existieren“ (S. 90).
Das ist der Punkt. Machen wir uns klar: Würde ein Ingenieur die Strukturen des Auges auf ein optisches Instrument übertragen, müsste er den Lichtsensor verkehrt in das Gerät einbauen. Die ableitenden Kabel lägen im Strahlengang. Dann müsste er ein Loch durch den Sensor bohren, um das Kabelgewirr hinter die optische Anordnung zu führen. Das ist, um mit RAMMERSTORFER zu sprechen, ein „banaler Fehler“, der „hervorragend zu Prozessen“ passt, „die keinen Plan kennen“.
Wie befreit sich RAMMERSTORFER aus diesem Dilemma? Zunächst, indem er leugnet, dass sich die inverse Retina nachteilig auf die Funktion des dioptrischen Apparats auswirkt. Er zitiert Leute, die ernsthaft glauben, die Gesamtsituation sei vorteilhafter. So würden die Netzhaut effektiver mit Blut versorgt, Stoffwechselabfälle besser entsorgt (S. 71f). Als ob das ein Argument wäre: Die Netzhaut scharf sehender Vögel ist aus gutem Grund nicht vaskularisiert. Trotzdem ist die Nährstoff-Versorgung effektiv.
In einer anderen Schrift (RAMMERSTORFER 2004, S. 3) behauptet er, aufgrund mangelnden Wissens über Entwicklungsbiologie sei derzeit „keine Urteilsbasis gegeben“, um auf Suboptimalität zu schließen. Merkmale, die aus technischer Sicht wie Pfusch aussehen, könnten aus entwicklungsbiologischer Sicht den bestmöglichen Kompromiss darstellen. Denn die Ontogenese ist komplizierter als das „Verschrauben“ von Einzelteilen. Bei technischen Dingen entsteht die Funktion erst am Ende des Fertigungsprozesses. Dagegen muss der Embryo in jedem Stadium seiner Entwicklung „funktionieren“. Und er muss die Voraussetzungen für die jeweils nächsten Entwicklungsschritte schaffen. Alles hängt mit allem zusammen. Daher ist es vorstellbar, dass ein Designer kurios anmutende Strukturen in Kauf nahm, weil alternative Entwicklungswege gravierende Probleme an anderer Stelle aufgeworfen hätten. Aber dieser Einwand muss scheitern.
Mit der Frage, ob derzeit eine entwicklungsbiologische „Urteilsbasis“ existiert, steht und fällt auch das Design-Argument: Gibt es sie nicht, wissen wir auch nicht, ob die Teile eines Systems „hochgradig speziell ausgeführt sind“ und inwieweit sie „einer Zweck- Mittel-Beziehung“ entsprechen. Ähnlich argumentiert KOJONEN (2016, S. 159). Außerdem ist die Vermutung, dysfunktionale Strukturen seien die bestmöglichen Kompromisse, eine Schutzhypothese mala fide. Um beim Auge zu bleiben: Wir wissen, dass elegantere Alternativen existieren. Der Augenbecher des Oktopusses quillt nicht aus seinem Gehirn, sondern entsteht durch Einstülpung der embryonalen Außenhaut. Dann versorgt ihn das Gehirn mit Nervenzellen. Daraus folgt, dass das Problem nicht konstruktionsbedingt ist. Das Problem ist, dass Embryos „unnötig erscheinende Reminiszenzen an die evolutive Vergangenheit“ zeigen (MÜLLER & HASSEL 2018, S. 506).
WIDENMEYER & JUNKER erheben den Einwand, auch die Evolutionstheorie würde keine Erklärungen für Dysfunktionalität liefern. Stattdessen würden
„lediglich spekulative und pauschale evolutionstheoretische Szenarien postuliert, durch die es zum betreffenden fehlkonstruierten Organ gekommen sein könnte – denen aber erklärende … Inhalte und Belege weitgehend fehlen“ (S. 10). Doch die Güte kausaler Erklärungen hat mit unserem Argument nichts zu tun! Wie erwähnt geht es darum, dass „stümperhaftes Design“ gut zu planlosen Prozessen passt. Es bestätigt die Erwartungen natürlicher Evolution, passt aber nicht ohne weiteres zu planmäßigem Handeln. Daher benötigen die ID-Vertreter passende Hilfsannahmen: Sie mutmaßen, es könnte embryogenetische „Sachzwänge“ geben, die alternative Entwicklungsrouten ausschließen. Manche postulierten, der Designer arbeite wie ein Züchter im Rahmen historisch limitierter Evolutionsprozesse (KOJONEN 2016, S. 157). Solche Einwände haben Ad-hoc-Charakter. Zudem steht der Letztgenannte, wie KOJONEN bemerkt, nur jener Minderheit an ID-Vertretern offen, die gemeinsame Abstammung akzeptieren.
Wir sehen: Sobald Analogien nicht ins Design-Konzept passen, leugnen sie die IDVertreter. Dann behaupten sie, Imperfektes sei Ausdruck einer Kompromisslösung. Sie legen nahe, das Imperfekte läge im Ermessensspielraum des Designers. Oder sie behaupten, Suboptimalität lasse sich nicht nachweisen. Wir haben gezeigt, dass es sich um schwache Versuche von Kritikimmunisierung handelt.
Merke:
(1) Urteile über konstruktive Mängel bedürfen keiner evolutionären Interpretation. Mängelstrukturen verursachen Fitness-Einbußen und erhöhte Mortalität. Sie zeigen Merkmale, die aus technischer Sicht unsinnig erscheinen und der Idee der Planmäßigkeit im Weg stehen.
(2) Das Argument der Konstruktionsfehler setzt keine theologischen Annahmen voraus. Seine sparsamere Variante besagt lediglich, dass sich Mängel- Strukturen nur mit natürlichen Prozessen zwanglos erklären lassen.
(3) Die starke Variante des Arguments nimmt zwar auf das behauptete Schöpferwirken Bezug. Dafür wendet sie jedoch die Thesen des Intelligent Designs an: Da ID-Vertreter mit Technik-Analogien arbeiten, ist es legitim, sich diesen Analogien zu stellen und zu prüfen, ob sie das Planmäßigkeits- Argument schwächen. Denn: „Stümperhaftes Design passt … hervorragend zu Prozessen, die keinen Plan kennen“ (RAMMERSTORFER 2006, S. 90.)
(4) „Die Planmäßigkeitsanaloge streicht den Sinn in der Natur heraus und übersieht den Unsinn. Auf gleiche oder ähnliche [= intelligente] Ursachen darf nicht geschlossen werden“ (MAHNER 1986, S. 79).
Dipl.-Ing. Martin Neukamm ist Chemie-Ingenieur an der TU München und geschäftsführender Redakteur der AG Evolutionsbiologie im Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland. Er ist Herausgeber mehrerer Bücher darunter „Darwin heute: Evolution als Leitbild in den modernen Wissenschaften“.
Fußnoten
(11) Eine weitreichende Kompensation der Sehschärfe-Einbußen ermöglichen auch die erwähnten MÜLLER- Zellen nicht. Andernfalls wäre die Gefäßarmut im Bereich des schärfsten Sehens unbegründet. Zahlreiche Vögel verzichten auf eine vaskularisierte Netzhaut. Über ihren Fotorezeptoren winden sich keine Blutgefäße, dadurch sehen sie schärfer. Zudem haben die MÜLLER-Zellen einen gravierenden Nachteil: Sie neigen zur Hypertrophie, zur Bildung von Verdickungen und vermehrten Fortsätzen (BRINGMANN & REICHENBACH 2001). Die sogenannte „Gliose“ führt unbehandelt zur Degeneration der Netzhaut bis hin zum völligen Sehverlust.
(12) Krass, dass die Autoren ihren Widerspruch nicht bemerken: Auf der einen Seite unterstellen sie Design- Kritikern, sie würden „theologisch“ argumentieren, wenn sie feststellen, Suboptimalität spräche gegen Design. Andererseits schreiben sie auf S. 2f, das „Merkmalsmuster“ geistig hervorgebrachter Gegenstände sei „hochgradig speziell“ ausgeführt, „damit es (möglichst optimal) [sic!] entsprechende Funktionen ausüben kann, also einer Zweck-Mittel-Beziehung entspricht“.
Hier hat KOJONEN (2016, S. 157) Recht, wenn er sagt: “Wenn ID-Vertreter tatsächlich manchmal auf die Güte, Schönheit und auf den Grad der Perfektion der natürlichen Ordnung abheben, wäre es inkonsistent, sich nicht auch dem Problem des schlechten Designs zu stellen“ (ins Deutsche M. N.).
Kommentare
Hallo Martin,
als Augenoptikermeister möchte ich gerne einige umfangreichere Gedanken äußern.
Dein Zitat: „Zudem sind bei den Wirbeltieren die Sehzellen dem Licht abgewandt (invers), während die Nervenzellen, die zum Gehirn führen, nach außen gerichtet sind (Abb. 7). Die Folgen sind ein blinder Fleck auf der Netzhaut sowie Blutgefäße und Nerven-Verdrahtungen vor (!) den Sehzellen.“
Der Blinde Fleck (Papille) ist die Austrittsstelle des Sehnervs aus der Hülle des Augapfels. In diesem Bereich laufen die Nervenfasern zusammen und bilden den Sehnerv (Nervus Opticus, ca. 1 Mio. Ganglienzellaxone). Hier befinden sich keine Lichtrezeptoren, womit dieser Bereich lichtunempfindlich, also „blind“ ist (Quelle: Wikipedia, Netzhaut, Der blinde Fleck).
Dein Zitat: „Die inverse Retina gestaltet das Sehen suboptimal, wenngleich sie das unter den Umständen Beste aus dem Sehvorgang macht.“
Nun ist aber Retina nicht gleich Retina. In der Stelle des schäften Sehens, der Fovea centralis (Durchmesser ca. 1,5 mm) liegen an die 7 Mio. Zapfen. Diese sind für das Tagessehen zuständig (Stäbchen sind dagegen für das Dämmerungs- und Nachtsehen zuständig). Die Zapfen sind sehr dicht gepackt (147 000 pro Quadratmillimeter), in der peripheren Netzhaut finden sich weniger, etwa 5000 pro Quadratmillimeter. Jedem Zapfen ist eine Bipolarzelle und dieser je eine retinale Ganglienzelle zugeordnet, es findet keine Konvergenz (ein Neuron enthält Signale von mehreren Zapfen) statt. Damit ist das rezeptive Feld einer Ganglienzelle im fovealen System minimal.
Das ist der Grund, warum in der Fovea centralis das höchste Auflösungsvermögen und somit die größtmögliche Sehschärfe (Visus) erreicht wird (Quelle: Wikipedia, Fovea centralis).
Wie ich später noch anmerken werde, haben Greifvögel 2-8 mal dichter gepackte Sehzellen auf der Netzhaut, was für deren hervorragende Sehschärfe hauptverantwortlich ist.
An diesem Beispiel wird ersichtlich, worauf es bei der zentralen Sehschärfe hauptsächlich ankommt - auf die Anatomie der Retina. Die inverse Lage der Sehzellen spielt nur eine untergeordnete Rolle (die Lichtdurchlässigkeit wird dadurch zwar etwas gemindert, da das Licht erst z. B. Bipolar- oder Ganglienzellen passieren muss, bevor es auf den lichtempfindlichen Teil der Zapfen bzw. Stäbchen trifft, in dem dann der chemische Sehvorgang stattfindet).
Nicht nur die Anatomie der Netzhaut spielt für die Sehschärfe (Visus) ein Rolle, sondern auch die Abstimmung der Brechkraft des Auges bzw. die Baulänge des Auges.
Ursache der Mypoie ist meist eine vergrößerte Achsenlänge des Auges (Achsenmyopie im Gegensatz zur Brechungsmyopie). Ist das kurzsichtige Auge einen Millimeter länger gebaut als das Auge eines Normalsichtigen (Emmetropie), entspricht dies etwa einer Myopie von drei Dioptrien (Quelle: Kurzlehrbuch Augenheilkunde, Gesa-Astrid Hahn, 2012, S. 248).
Je mehr ein Kind Zeit im Freien verbringt, desto geringer ist das Risiko, kurzsichtig zu werden. Die Naharbeitstheorie spielt eine geringere Rolle (Quelle 1: https://www.youtube.com/watch?v=3URLu5WSOlM, ab Minute 25:49).
Welche Rolle spielt die Genetik? Ein Kind mit zwei kurzsichtigen Eltern, welches sehr wenig Zeit draussen verbringt, hat ein Risiko von 60%, ebenfalls kurzsichtig zu werden. Wenn es zwei Stunden täglich im Freien verbringt, sinkt das Risiko für das selbe Kind auf nur noch 20% (Quelle 1, ab Minute 27:20).
Warum ist der Aufenthalt im Freien gut? Es wird vermutet, dass Tageslicht die Entwicklung von Kurzsichtigkeit hinauszögern kann (Quelle 1, ab Minute 30:20). Man weiss noch nicht genau, wie viel Lux dazu notwendig ist (Quelle 1, ab Minute 31:55). Unterschiedliche Lichtwellenlängen haben unterschiedlich positive Effekte auf das Auge (Quelle 1, ab Minute 33:30). Ist das Licht zu schwach und eher rotlastig, fällt der Dopamin-Spiegel ab und das Auge verlängert sich (Quelle 1, ab Minute 35:34).
Dein Zitat: „Konstruktive Mängel lassen sich an der verminderten Fitness von Organismen festmachen.“
Werner Bunselmaier spricht bezüglich der Kurzsichtigkeit von einer „evolutionär bedingt fehlenden Anpassung“ (Quelle: Google Sucheingabe: „Warum wir nicht perfekt konstruiert sind“; Pdf-Datei, Springer, Werner Buselmaier, S. 52). Damit hätte die Kurzsichtigkeit und nicht die inverse Lage der Sehzellen Einfluss auf die Fitness, solange mit Fitness Angepasstheit an die Umwelt gemeint ist. Da sich Kinder heute hauptsächlich in Innenräumen aufhalten, ist dies eine Fehlanpassung.
Sollte mit Fitness allerdings der Fortpflanzungserfolg gemeint sein, kann ich mir nicht vorstellen, inwiefern die inverse Lage der Sehzellen bzw. die Kurzsichtigkeit denselbigen beeinflussen sollte. Die progressive maligne Myopie (bei 1-3% der Bevölkerung) (Quelle: https://www.ratgeber-makula.de/pathologische-myopie/pm-verstehen/was-ist-pm/) ist sehr selten und hätte durchaus ernst zu nehmende Auswirkungen auf das Sehvermögen (bis hin zur Netzhautablösung) (Quelle: Kurzlehrbuch Augenheilkunde, Gesa-Astrid Hahn, 2012, S. 248). Ob ein Betroffener deshalb auf Nachwuchs verzichtet bzw. verzichten muss, kann ich nicht so recht vorstellen, auch wenn ich es nicht mit Bestimmtheit sagen kann.
Dein Zitat: „Wie befreit sich RAMMERSTORFER aus diesem Dilemma? Zunächst, indem er leugnet, dass sich die inverse Retina nachteilig auf die Funktion des dioptrischen Apparats auswirkt.“
Rammerstorfer dürfte möglicherweise mit der „Funktion des dioptrischen Apparats“ die Lage des Netzhautbildes - je nach Fehlsichtigkeit - gemeint haben.
Auf die Gesamtbrechkraft des Auges haben folgende Fehlsichtigkeiten Einfluss:
Bei der Mypoie liegt das Bild vor der Netzhaut, bei Hyperopie dahinter, beim Astigmatismus entsteht ein Strumsches Konoid. Diese gängigen Fehlsichtigkeiten haben Einfluss auf den dioptrischen Apparat - die Höhe der jeweiligen Fehlsichtigkeit wird nämlich in Dioptrien angegeben!
Dein Zitat: „Die Netzhaut scharf sehender Vögel ist aus gutem Grund nicht vaskularisiert. Trotzdem ist die Nährstoff-Versorgung effektiv.“
Es gibt noch ganz andere Gründe, warum Greifvögel eine so hohe Sehschärfe haben. Greifvögel haben fünf verschiedene Typen von Farbsehzellen in ihren Augen, der Mensch dagegen nur drei. Einer der daraus folgenden Effekte dürfte sein, dass z.B. ein Gerfalke in seinem zumeist schneebedeckten Lebensraum ein uns weiß vor weißem Hintergrund erscheinendes Schneehuhn als deutlich andersfarbig wahrnimmt und dadurch besser erkennen kann.
Das zweite Beispiel betrifft den bei uns häufigen Turmfalken. Er ist im Gegensatz zum Menschen in der Lage, Teile des ultravioletten Lichtspektrums zu sehen und damit Kot- und Urinspuren von Kleinnagern zu erkennen. Das ermöglicht es ihm, über besonders lohnenswerten Stellen einer Wiese zu jagen, was ihm wiederum hilft, Zeit und damit Energie zu sparen. In den kalten und nahrungsarmen Wintermonaten mit ihren kurzen Helligkeitsphasen ist dies unter Umständen lebenswichtig.
Die Angaben zur tatsächlichen Sehleistung von Greifvögeln differieren sehr stark voneinander und es gibt noch viel Forschungsbedarf auf diesem Gebiet. Man hat aber bereits herausgefunden, dass die Dichte der Sehzellen auf den relevanten Stellen der Netzhaut 2-8 mal höher ist, als beim Menschen. Hinzu kommt, dass die Sehzellen auf der Greifvogelnetzhaut im Vergleich zum menschlichen Auge gleichmäßiger verteilt sind. Dadurch nehmen Greifvögel einen wesentlich größeren Bereich ihres Blickfeldes scharf und farbig wahr.
Weiterhin vermutet man innerhalb der Augen verschiedener Greifvogelarten unterschiedliche „Systeme“ zur zusätzlichen Vergrößerung des auf die Netzhaut geworfenen Bildes.
Das Vogelauge kann sich zudem erheblich schneller auf verschieden weit entfernte Objekte scharf stellen, als das Menschliche. Bei Vögeln als fliegenden Lebewesen ist dies auch nicht verwunderlich.
Auch das zeitliche Auflösungsvermögen des Vogelauges übertrifft das des Menschenauges um ein Vielfaches: Uns genügt bereits eine Folge von 25 Bildern pro Sekunde, um sie als „Film“ wahrzunehmen, während Vögel innerhalb der selben Zeit noch 150 Bilder als „Diashow“ (=Einzelbilder) wahrnehmen können (Quelle: http://www.greifvogel.com/greifvoegel/auge/index.htm)!
Dein Zitat: „Beim Blinddarm lässt sich sogar beweisen, dass sein Besitz mehr schadet als nützt (BURDA & BEGALL 2013, S. 350).“
Hier würde ich „mehr schaden kann“ sagen - nicht jeder bildet eine Blinddarmentzündung aus.
Im zitierten Buch steht es etwas anders: „…Menschen ohne Wurmfortsatz geht es eigentlich besser als solchen, die ihn besitzen“.
Insgesamt bekommen in Deutschland etwas 7% der Bevölkerung einmal in ihrem Leben eine Appendizitis (Quelle: https://www.netdoktor.de/krankheiten/blinddarmentzuendung/).
Antworten
Hallo Klaus,
ich beschränke mich mal auf das Wesentliche:
--- Zitat ---
An diesem Beispiel wird ersichtlich, worauf es bei der zentralen Sehschärfe hauptsächlich ankommt - auf die Anatomie der Retina. Die inverse Lage der Sehzellen spielt nur eine untergeordnete Rolle
--- Zitat Ende ---
Richtig, aber sie spielt eine Rolle. Der Beweis dafür ist, dass die meisten scharf sehenden Vögel keine vaskularisierte Retina besitzen. Es gibt überhaupt keine vernünftige Erklärung, warum ein allwissender Planer z. B. Greifvögel, die auf eine hohe Sehschärfe angewiesen sind, mit einer inversen Retina ausgestattet haben sollte. Aus konstruktiver Sicht ergibt das keinen Sinn.
--- Zitat ---
Damit hätte die Kurzsichtigkeit und nicht die inverse Lage der Sehzellen Einfluss auf die Fitness, solange mit Fitness Angepasstheit an die Umwelt gemeint ist. Da sich Kinder heute hauptsächlich in Innenräumen aufhalten, ist dies eine Fehlanpassung.
Sollte mit Fitness allerdings der Fortpflanzungserfolg gemeint sein, kann ich mir nicht vorstellen, inwiefern die inverse Lage der Sehzellen bzw. die Kurzsichtigkeit denselbigen beeinflussen sollte.
--- Zitat Ende ---
Die Tendenz zur Kurzsichtigkeit mag wegen unserer modernen Bildungsgesellschaft voranschreiten und stark vom Bildungsniveau abhängen, aber es gab sie vermutlich schon immer. Bereits im Altertum wird darüber berichtet. Es lassen sich auch genetische Faktoren dafür ausmachen. Daher würde ich nicht von einer Erkrankung sprechen, die rein auf Fehlverhalten zurückzuführen ist.
Als Menschen noch in Wildbeutergesellschaften lebten, war Kurzsichtigkeit vermutlich seltener als heute, dafür wirkte sie sich fatal aus. Denke etwa an ein Raubtier im Gebüsch, das nicht oder erst zu spät erkannt wird. Es gab also vermutlich einen starken Selektionsdruck, der die Beseitigung der Kurzsichtigkeit begünstigte. Doch aus irgendeinem Grund funktionierte das nicht. M. E. liegt das an der Gesamtarchitektur des Auges.
--- Zitat ---
Dein Zitat: „Beim Blinddarm lässt sich sogar beweisen, dass sein Besitz mehr schadet als nützt (BURDA & BEGALL 2013, S. 350).“
Hier würde ich „mehr schaden kann“ sagen - nicht jeder bildet eine Blinddarmentzündung aus.
Im zitierten Buch steht es etwas anders: „…Menschen ohne Wurmfortsatz geht es eigentlich besser als solchen, die ihn besitzen“.
Insgesamt bekommen in Deutschland etwas 7% der Bevölkerung einmal in ihrem Leben eine Appendizitis
--- Zitat Ende ---
Der Punkt ist, dass eine unbehandelte Appendizitis lebensbedrohlich werden und zum Tod führen kann. Sie war eine der tödlichsten Erkrankungen im Mittelalter und davor, insbesondere bei Kindern und jungen Erwachsenen. Ihren Schrecken verlor sie erst durch die moderne Medizin - und trotzdem sterben noch heute Menschen daran. Menschen ohne Wurmfortsatz geht es dagegen prächtig. Daher ist die Behauptung, dass der Besitz des Wurmfortsatzes mehr schadet als nützt, vollkommen richtig.
Gruß, Martin
Antworten
Der Naturalist sagt:
"Mängelstrukturen verursachen Fitness-Einbußen und erhöhte Mortalität. Sie zeigen Merkmale, die aus technischer Sicht unsinnig erscheinen und der Idee der Planmäßigkeit im Weg stehen."
"Dies spricht gegen einen Designer".
-----
Der Kreationist sagt:
"Mängelstrukturen verursachen Fitness-Einbußen und erhöhte Mortalität. Sie zeigen Merkmale, die aus technischer Sicht unsinnig erscheinen und der Idee der Entwicklung durch Evolution im Weg stehen."
"Dies spricht gegen die Evolutionstheorie".
-----
Wikipedia sagt:
"Die verbreitete Annahme, dass der Blinddarm beim Menschen keine Funktion erfülle, wurde durch Studien widerlegt....Daher kommt dem Blinddarm auch eine große Rolle bei der Vermittlung von Immunitätsvorgängen gegenüber durch den Verdauungstrakt aufgenommenen Antigenen zu. Er gilt damit als Teil des Immunsystems."
und
"Während es in der Wissenschaft um intersubjektiv nachvollziehbare, einsichtige und damit dauerhaft überzeugende Argumente geht, geht es der Rhetorik um möglichst wirksame Mittel der Überredung."
-----
Ich sage: Wikipedia, Danke das es Dich gibt !
Antworten
Hallo Wachtelkönig,
Ihr Zitat: "Der Kreationist sagt:
Mängelstrukturen verursachen Fitness-Einbußen und erhöhte Mortalität. Sie zeigen Merkmale, die aus technischer Sicht unsinnig erscheinen und der Idee der Entwicklung durch Evolution im Weg stehen.
Dies spricht gegen die Evolutionstheorie."
Ich bezweifle, ein Kreationist würde sagen, Mängelstrukturen würden Fitness-Einbußen und erhöhte Mortalität erzeugen. Würden sich Kreationisten eingehend mit "Mängelstrukturen" beschäftigen, müssten Sie ja an Ihrem Kreationismus zweifeln!
Können Sie auch plausibel begründen, warum das gegen "die Evolutionstheorie" sprechen soll?
Antworten
Hallo Herr Steiner,
"Können Sie auch plausibel begründen, warum das gegen "die Evolutionstheorie" sprechen soll?"
„Survival of the Fittest“ bedeutet im Sinne der Darwin’schen Evolutionstheorie das Überleben der am besten angepassten Individuen.
Ein Körperteil das die Fittness schwächt und das "bis ins Mittelalter zu den häufigsten Todesursachen" gehört hat und das nach tausenden von Generationen noch nicht wegevolutioniert wurde ist zumindest keine offensichtliche Bestätigung des Prinzips „Survival of the Fittest“. Ein Kreationist würde hier wahrscheinlich ansetzen. Sie werden anderer Meinung sein aber das ist bitte eine Sache zwischen Ihnen und dem Kreationisten; ich versuche mich nur in dessen Lage zu versetzen.
Antworten
Zitat Marin Neukamm:
Und ein perforierter Wurmfortsatz gehörte bis ins Mittelalter zu den häufigsten Todesursachen.
Zitat Wachtelkönig:
(Wikipedia:) "Die verbreitete Annahme, dass der Blinddarm beim Menschen keine Funktion erfülle, wurde durch Studien widerlegt....Daher kommt dem Blinddarm auch eine große Rolle bei der Vermittlung von Immunitätsvorgängen gegenüber durch den Verdauungstrakt aufgenommenen Antigenen zu. Er gilt damit als Teil des Immunsystems."
Herr Neukamms Aussage ist trotz des Wikipedia-Zitats korrekt. Offenbar sind nicht die erst in der Neuzeit entdeckten Funktionen das Design-Problem, sondern die Lage des Blinddarms; wenigstens nach meiner Interpretation.
Antworten
---Zitat ---
Die verbreitete Annahme, dass der Blinddarm beim Menschen keine Funktion erfülle, wurde durch Studien widerlegt....Daher kommt dem Blinddarm auch eine große Rolle bei der Vermittlung von Immunitätsvorgängen gegenüber durch den Verdauungstrakt aufgenommenen Antigenen zu. Er gilt damit als Teil des Immunsystems."
und
"Während es in der Wissenschaft um intersubjektiv nachvollziehbare, einsichtige und damit dauerhaft überzeugende Argumente geht, geht es der Rhetorik um möglichst wirksame Mittel der Überredung."
"Ich sage: Wikipedia, Danke das es Dich gibt !
--- Zitat Ende ---
Eine biologische Funktion hat fast alles, das ist nicht der Punkt. Es geht darum, dass die Vorteile die Nachteile nicht aufwiegen: Kinder und Erwachsene kommen problemlos ohne Wurmfortsatz aus. Es gibt Zweijährige, die sich eine Appendektomie unterziehen müssen und die danach wieder munter weiterleiben. Schlimmstenfalls dauert die Regeneration der Darmflora halt etwas länger nach einer Darmerkrankung. Das ist nicht weiter schlimm. Dagegen forderte die Existenz des Wurmfortsatzes schon Millionen von Todesopfern. Wenn das aus medizinisch-konstruktiver Sicht keine Mängelstruktur ist, was ist es dann?
"Insgesamt mag der Wurmfortsatz also schon noch bestimmte Aufgaben haben; fast alles scheint – vor allem nach der Kindheit – aber auch von anderen Organen kompensiert zu werden oder nicht entscheidend zu sein."
https://www.spektrum.de/frage/hat-der-blinddarm-eine-funktion/1322729
Antworten
"Neuere Studien legen nun nahe, dass der auch Appendix genannte Darmteil sehr wohl eine Funktion erfüllt und sogar einen Überlebensvorteil bietet."
"Einmal entwickelt, bildete sich der Wurmfortsatz fast nie zurück. Demnach gibt es also einen Selektionsvorteil."
[https://www.focus.de/gesundheit/videos/wurmfortsatz-bietet-ueberlebensvorteil-forscher-entdecken-unser-blinddarm-hat-sehr-wohl-eine-wichtige-funktionid6478888.html]
Und wenn Sie auch diesen Artikel relativiert haben, brauchen Sie eine gute Begründung wie ein Körperteil die Evolution überleben konnte wenn es doch lediglich Fitness-Einbußen verursacht und die Sterblichkeit erhöht.
Antworten
Hallo Wachtelkönig,
Ihr Zitat: „Ein Körperteil das die Fittness schwächt und das "bis ins Mittelalter zu den häufigsten Todesursachen" gehört hat und das nach tausenden von Generationen noch nicht wegevolutioniert wurde ist zumindest keine offensichtliche Bestätigung des Prinzips „Survival of the Fittest“.“
Erstens einmal kann nichts „wegevolutioniert“ werden, das geschieht durch die Selektion. Selektion heisst Beseitigung der Erfolglosen (hier wird kein Unterschied zwischen Tod, Unfruchtbarkeit, erhöhter Sterblichkeit und verringerter Fruchtbarkeit gemacht). Ist die Selektion zu gnadenlos, wird es zu viele Selektionstote geben und die Population riskiert auszusterben (Quelle 1: Evolution Ein Lese-Lehrbuch, Hynek Burda, Sabine Begall, 2009, vgl. S. 54).
In Bezug auf den Blinddarm war die Selektion nicht so stark, dass wir daran zugrunde gegangen wären.
Auch wenn gerade keine Selektion stattfindet, stirbt immer ein gewisser Prozentsatz der Nachkommen - sei es, dass es sich um die Sterblichkeit der Embryonen, jungen oder erwachsenen Individuen handelt. Vom Gesichtspunkt der einzelnen Individuen ist diese Grundsterblichkeit ganz zufällig. Wenn in einer solchen Welt irgendeine (weitere) Selektion ausgelöst wird, etwa die Selektion auf die Bildung der Augenlinse, muss sich die Gesamtsterblichkeit nicht unbedingt erhöhen, weil die „Selektionssterblichkeit“ von der ursprünglichen, zufälligen Sterblichkeit abgezogen wird (weiche Selektion im Gegensatz zur harten Selektion) (Quelle 1, vgl. S. 55).
Ihr Zitat: „Survival of the Fittest“ bedeutet im Sinne der Darwin’schen Evolutionstheorie das Überleben der am besten angepassten Individuen.“
Selektion (vom lateinischen selectio: Auslese, Auswahl) wird häufig als „Kampf ums Dasein“ oder „Überleben der Stärksten“ dargestellt (und missverstanden). Denn eigentlich „kämpfen“ die Organismen nicht um das individuelle Überleben, sondern sie konkurrieren um die Chance, sich fortzupflanzen (Quelle 1, vgl. S. 12). Das Missverständnis bezüglich des „Survival of the Fittest“ entsteht dadurch, dass hier einmal Fitness als Anpassung bzw. adaptive Eigenschaft und einmal als „Fortpflanzungserfolg“ definiert wird und dass diese Definitionen gleichgesetzt werden!
Darwin hat (im Unterschied zu Lamarck) in seiner Theorie aber nie versucht, irgendeine konkrete Eigenschaft zu bestimmen, die sich im Lauf der Evolution vergrößern würde und die irgendwelche Tendenzen oder Richtungen der Evolution bestimmen würde.
Wichtig ist nun festzuhalten, dass „Fitness“ und „Anpassung“ zwei verschiedene Begriffe sind. Fitness bezeichnet den Fortpflanzungserfolg, der natürlich auf der Angepasstheit beruht. Alternativ könnte man Fitness auch als eine Disposition zum Überleben und zur Zeugung einer gewissen Anzahl von Nachkommen definieren, eine Disposition, deren kausale Basis physiologische, morphologische oder Verhaltenseigenschaften eines Organismus bilden (Quelle 1, vgl. S. 12).
Wenn Sie sich das in der Quelle angegebene Buch kaufen bzw. ausleihen würden, könnten Sie selbst Antworten auf Ihre Fragen finden!
Antworten
Hallo Herr Steiner,
ich staune wieder einmal wie kritisch Sie sein können wenn Sie es wollen ;-)
Im Gegensatz zum Appendix, der sich weiterhin hartnäckig jeder Selektion verweigert, hatte mein "wegevolutioniert" keine Überlebenschance weil es von mir ausselektiert wurde. Danke für den Hinweis !
Antworten
--- Zitat ---
Einmal entwickelt, bildete sich der Wurmfortsatz fast nie zurück. Demnach gibt es also einen Selektionsvorteil. So besitzen Arten mit Wurmfortsatz mehr lymphatisches Gewebe, das schneller auf Erreger reagiert kann und das Wachstum nützlicher Bakterien ankurbelt.
[https://www.focus.de/gesundheit/videos/wurmfortsatz-bietet-ueberlebensvorteil-forscher-entdecken-unser-blinddarm-hat-sehr-wohl-eine-wichtige-funktionid6478888.html]"
--- Zitat Ende ---
Das Argument der Adaptationisten ist Müll (genauer gesagt: eine petitio principii). Denn aufgrund seiner suboptimalen Struktur kurbelt der Wurmfortsatz auch das Wachstum von Bakterien an, die zu seiner Entzündung führen und ihn platzen lassen. Wie auch immer Du es drehst: Du kommst nicht an der Einsicht vorbei, dass medizinisch-technisch gesehen ein grober Konstruktionsfehler vorliegt, selbst wenn man ihm einen Nutzen unterstellt, obwohl sein Beitrag für das Immunsystem marginal ist.
--- Zitat ---
Und wenn Sie auch diesen Artikel relativiert haben, brauchen Sie eine gute Begründung wie ein Körperteil die Evolution überleben konnte wenn es doch lediglich Fitness-Einbußen verursacht und die Sterblichkeit erhöht.
--- Zitat Ende ---
Natürlich. Der einzige Grund, warum er sich ohne medizinischen Beitrag bislang nicht vollständig zurückgebildet hat, ist, dass ein noch dünnerer Blinddarm das Problem dramatisch verschärfen würde:
--- Burda & Begall (2009) Evolution, Spektrum Akademischer Verlag, S. 338 ---
Der Wurmfortsatz (Appendix vermiformis) des menschlichen Blinddarms, nicht ganz korrekt üblicherweise als „Blinddarm“ bezeichnet, ist ein Lehrbuchbeispiel für ein Rudiment. Es handelt sich um ein Überbleibsel des großen Blinddarms, das bei manchen anderen Säugertieren an der Verdauung pflanzlichen Materials mit niedrigem Nährwert
beteiligt ist. Beim Menschen hat er scheinbar keine Funktion mehr, außer, dass er sich entzünden kann und den Chirurgen eine Möglichkeit bietet, Geld zu verdienen.
Kreationisten und Adaptationisten suchen gleichermaßen nach einer sinnvollen Funktion für den Appendix – Erstere versuchen zu begründen, warum Gott ihn geschaffen hat, die anderen versuchen zu erklären, warum er noch nicht verschwunden ist. Der üblicherweise von beiden Gruppen zitierte Beitrag zum Immunsystem ist gering und Menschen ohne Wurmfortsatz geht es eigentlich besser als solchen, die ihn besitzen. Warum also bleibt der Wurmfortsatz erhalten?
Die Erklärung liegt – paradoxerweise – darin, dass er (genau wie manche anderen lymphatischen Organe, z. B. Lymphknoten und Mandeln) für bakterielle Infektionen anfällig ist und mit Entzündung reagiert. Seine lange dünne Form erweist sich dabei als nachteilig, denn ein entzündungsbedingtes Anschwellen der zum Wurmfortsatz führenden
Arterie kann ihm die Blutzufuhr abschneiden. Ein nicht durchbluteter, bakteriengefüllter Wurmfortsatz aber hat keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Die Bakterien vermehren sich und lassen den Wurmfortsatz solange anschwellen, bis er regelrecht platzt, sodass sich die Infektion und die bakteriellen Toxine in der gesamten Bauchhöhle ausbreiten. Ohne chirurgischen Eingriff ist dieser Zustand mit dem Weiterleben nicht vereinbar.
Die Medizin hilft uns bekanntlich, uns dem Einfluss der natürlichen Selektion zu entziehen – seit 1890 werden Diagnose und chirurgische Behandlung der Appendizitis stets verbessert. Die Appendektomie (Wurmfortsatzentfernung) ist heute eine Routineoperation. Da sich, dank der Fortschritte der Medizin, heute also auch die Menschen mit einem überdurchschnittlich kleinen Appendix fortpflanzen können, dürfen wir davon ausgehen, dass der Appendix in naher oder ferner Zukunft vollkommen rückgebildet werden kann und der Vergangenheit angehört.
--- Zitat Ende ---
Antworten
Danke für ihre Mühe. Suchen Sie einfach nach "appendix funktion" oder "Appendix Isn`t Useles" und versuchen Sie es einmal mit "Appendix is Useles".
Nach allem was ich gelesen habe kann ich Ihnen nicht raten das Argument mit dem Blinddarm, so wie hier, in der Öffentlichkeit vorzutragen.
Antworten
Der Blinddarm mag seinen Nutzen haben. Aber das Argument lautet: Menschen sterben an Blinddarmentzündung.
--- Zitat ---
Danke für ihre Mühe. Suchen Sie einfach nach "appendix funktion" oder "Appendix Isn`t Useles" und versuchen Sie es einmal mit "Appendix is Useles".
Nach allem was ich gelesen habe kann ich Ihnen nicht raten das Argument mit dem Blinddarm, so wie hier, in der Öffentlichkeit vorzutragen.
--- Zitat Ende ---
Noch einmal fürs Protokoll, mein Argument lautet: Der Appendix hat eine Funktion, deren gravierenden Nachteile die möglichen Vorteile nicht aufwiegen. Dein Gegenargument lautet: Aber der Appendix hat eine Funktion! Merkst Du nicht, wie schräg das ist?
Antworten
"Dein Gegenargument lautet: Aber der Appendix hat eine Funktion!"
Wenn Sie meine Antworten noch einmal lesen werden Sie feststellen das ich Quellen zitiere die anderer Meinung sind als Sie. Ausserdem war das nur ein Tipp von mir falls Sie einmal bei Anne Will jemandem wie Herrn Lönning gegenüber sitzen. Wenn Sie es nicht tun wird Herr Lönning es für Sie tun (Ich nicht).
Bei der Gelegenheit können Sie dann auch gleich erklären woher Sie die Information haben das "ein perforierter Wurmfortsatz bis ins Mittelalter zu den häufigsten Todesursachen (gehörte)" und warum das in Entwicklungsländern nicht so ist. Viel Erfolg !
Antworten
Hallo Wachtelkönig,
Um sich nicht zu sehr an dem Blinddarm festzubeissen möchte ich auf andere Rudimente des Menschen hinweisen:
die Brustwarzen des Mannes, die Weisheitszähne, die Nickhaut, Ohrhöcker, das Steißbein, Körperbehaarung (Lanugohaar), funktionslose Muskeln der Ohrmuscheln.
Rudimentäres Verhalten ist z. B. der Greifreflex (Quelle: Wikipedia, Rudiment).
Die Gänsehaut hält uns heute nicht mehr warm, da Menschen heute kein körperbedeckendes Fell mehr besitzen.
Antworten
"Beim Blinddarm lässt sich sogar beweisen, dass sein Besitz mehr schadet als nützt"
"Profitt statt Panne"
"Diese neuen Ergebnisse der Duke-Wissenschaftler zeigen aber auch: ein für sinnlos oder gar gefährlich gehaltenes Organ, eine vermeintliche Panne der Evolution kann doch eine wichtige Bedeutung für das betroffene Lebewesen besitzen. Manches erschließt sich eben doch erst auf den zweiten Blick – oder nach Jahre langer intensiver Forschung."
[https://www.scinexx.de/dossierartikel/eiserne-reserve-im-wurmfortsatz/]
[https://www.spektrum.de/news/wegoperierte-evolution/1005617]
[https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/die-unterschaetzten-organe-unseres-koerpers-der-blinddarm-15128289.html?printPagedArticle=true#pageIndex0]
------------------
"Und ein perforierter Wurmfortsatz gehörte bis ins Mittelalter zu den häufigsten Todesursachen."
"Bis vor rund 250 Jahren gab es praktisch keine Blinddarmentzündungen - oder nur sehr, sehr selten. In der Medizingeschichte, bevor es Chirurgen gab, müsste es massenweise Schilderungen geben über Schmerzen, die rechts unterhalb des Bauchnabels begonnen haben und die vielleicht als Gottesurteil gedeutet worden wären, weil jeder zweite daran gestorben ist. Aber da ist nichts in der alten Literatur, das in der Beschreibung einer Blinddarmentzündung gleicht."
"In früheren Zeiten gab es also keine oder kaum Blinddarmentzündungen - und es gibt sie auch nur selten in armen Ländern: Die Appendizitis ist eine Erkrankung, die vor allem in reichen Industriestaaten auftritt."
[https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/radiowissen-232.html]
[https://de.wikipedia.org/wiki/Listehistorischer_Krankheitsbezeichnungen]
Antworten
--- Zitat ---
"Bis vor rund 250 Jahren gab es praktisch keine Blinddarmentzündungen - oder nur sehr, sehr selten. In der Medizingeschichte, bevor es Chirurgen gab, müsste es massenweise Schilderungen geben über Schmerzen, die rechts unterhalb des Bauchnabels begonnen haben und die vielleicht als Gottesurteil gedeutet worden wären, weil jeder zweite daran gestorben ist. Aber da ist nichts in der alten Literatur, das in der Beschreibung einer Blinddarmentzündung gleicht."
--- Zitat Ende ---
Das ist grober Unsinn. Bereits in der Antike "finden sich Krankheitsberichte, deren Schilderungen mit den Symptomen der Appendizitis übereinstimmen", und im Mittelalter war die Appendizitis als "Seitenkrankheit" bekannt:
http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2009/0420/pdf/dng.pdf
Dass die Krankenberichte eine geringere Inzidenz nahelegen, liegt einfach daran, dass a.) die Bauchschmerzen oft nicht klar lokalisierbar sind und b.) die Ursachen der Seitenkrankheit lange unbekannt und daher tödlich waren: "Man starb ganz einfach, größtenteils war es natürlich Gottes Wille, aber fortgeschrittene Ärzte diagnostizierten unreine Körpersäfte, Gedärmverwicklung und sonstige Ursachen."
(Quelle: Hinterschweiger, H. (2015) Wien im Mittelalter. Alltag und Mythen, Konflike und Katastrophen. Pichler-Verlag.)
Kurz, wenn ein Arzt kein Wissen über die Krankheit hat, kann er sie auch nicht diagnostizieren, so einfach ist das.
Söllner, E-S. (1999, S. 76): Frauenleben im Europa des 18. Jh., Rabenstein, führt die Blinddarmentzündung neben Lepra, Pest, Cholera, Ruhr und Typhus zu den gefürchtetsten und häufigsten Erkrankungen, die sehr schnell zum Tode führten.
Dass in Afrika, Thailand und Neu Guinea eine Appendizitis um den Faktor 6 seltener vorkommt, stimmt zwar. Trotzdem erkranken dann noch immer rund 2% der Männer und 4% der Frauen daran:
http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2009/0420/pdf/dng.pdf
Es handelt sich also definitiv nicht um eine Wohlstandserkrankung, zumal vor allem Kinder erkranken. Wahr ist aber auch: Wer nichts zu fressen hat, dessen Darm kann sich logischerweise auch seltener entzünden. Kurzum: Ein tolles Design-Organ, dessen Funktion sich am besten durch Nicht-Gebrauch aufrecht erhalten lässt.
Antworten
Neuer Kommentar